Die Renaissance der Gemeingüter

INKOTA-Brief 153INKOTA ist ein entwicklungspolitisches Netzwerk, das seine Wurzeln als ökumenischer Arbeitskreis in der DDR-Kirche hat. Das Dossier des aktuellen INKOTA-Briefs Nr. 153 befasst sich mit der »Renaissance der Gemeingüter«.

Im folgenden stelle ich ganz kurz die Inhalte der zahlreichen und inhaltlich vielfältigen Artikel vor. Einige Artikel sind auch online verfügbar (vgl. die entsprechenden Links).

Silke Helfrich und Brigitte Kratzwald führen in das Thema ein und erklären die »wachsende Bedeutung der Commons in Süd und Nord«. Die Verbindung von »Entwicklungspolitik und Commons« diskutieren Michael Frein und Stefan Tuschen und heben die Commons als Ansatz gegen die »neoliberale Ökonomisierung aller Lebensbereiche« hervor, der sich auf die »Kompetenz der Menschen zur Lösung ihrer Probleme« stützt. Massimo de Angelis berichtet über das Commoning indigener Gemeinschaften in den Anden, wo Commons »Mingas« genannt werden. Nathalie Pang beschreibt die Situation der Commons in Asien, die einerseits selbstverständliche Tradition sind, aber andererseits zunehmend durch Eingriffe des Staates und/oder fehlende Praxen des Commoning bedroht sind. Tendayi Viki erklärt in einem Interview die traditionelle Kultur des Teilens in Simbabwe, die die Grundlage des Umgangs mit Gemeingütern bildet, und stellt sich eine Art »Gemeinschaftskapitalismus« als Alternative zum Privateigentum vor.

Die für Commons zerstörerische Wirkung von Patenten und Verwertungslogik beschreibt Corinna Heineke am Beispiel der Pelargonium-Wurzel aus dem südlichen Afrika und stellt den »Ansatz des kollektiven biokulturellen Erbes« als Möglichkeit vor, »die Verantwortung für die kulturell-biologische Vielfalt an indigene Völker und Gemeinschaften« zurückzugeben. Benny Härlin verweist auf den »Scherbenhaufen« der industrialisierten Landwirtschaft (Verlust von 75% der Anfang des 20. Jahrhunderts noch verfügbaren Sorten), die »die Umwelt den Erfordernissen durchrationalisierter Produktion« anpasst als umgekehrt die Produktion nach den Umweltbedingungen auszurichten, und schlägt vor, ein Copyleft-Prinzip auch für Saatgut durchzusetzen: Neue Saatprodukte »müssen ebenso frei zugänglich bleiben wie das Ausgangsmaterial«. Geraldine de Bastion und Andrea Goetzke schreiben über die »Möglichlichkeiten und Realitäten von Open-Source-Software« in Afrika. Beatriz Busaniche, deren Interview mit Horacio Potel wir hier bei keimform.de brachten, berichtet über Notwendigkeit und Schwierigkeiten, Kleinbäuer_innen und Software-Entwickler_innen im Kampf gegen das sog. »Geistige Eigentum« mit einer Stimme sprechen zu lassen. Martin Glück will die »Atmosphäre als Allmende denken« und stellt den CO2-Budgetansatz vor, der mit einem weltweiten Emmissionshandel verbunden ist, wobei er gleichzeitig Kritik an dieser Art von »Klimakapitalismus« zurückweist. Für Michael Brie beginnt Solidarität in der eigenen Kommune, weswegen er fordert, dass »Privatautos nicht auf die Straßen, sondern ins Museum« gehören und von einem öffentlich betriebenen, kostenlos nutzbarem Verkehrnetz abgelöst werden müssen. Silvia Ribeiro warnt schließlich davor, auf Geoengineering als angebliche »Wunderwaffe des Krisenzeitalters« anzunehmen, mit dem vorgeblich »technische Eingriffe in natürliche Kreisläufe … die Schäden der kapitalistischen Lebensweise wieder rückgängig gemacht werden« sollen.

Ein Glossar, das die wesentlichen Commons-Begriffe erläutert, sowie ein Infokasten zu »Elinor Ostroms acht Prinzipien einer funktionierenden Allmende« (vgl. dazu auch »Prinzipien der Bildung von Communities«) runden den Schwerpunkt ab.

Drei Punkte möchte ich anmerken

Der erste Punkt mutet vielleicht etwas kleinkariert an, aber es geht um etwas Grundsätzliches. Es ist richtig, dass Commons immer mit der Praxis einer Gemeinschaft verbunden ist (»There is no commons without commoning« — Peter Linebaugh). Daraus kann man jedoch nicht schließen, dass dort, wo »nur ein einziger Mensch ist, … es auch keine Gemeingüter geben kann« (S. 4). Dies übersieht den Aspekt der reflexiven Entfaltung der Individualität (=>Selbstentfaltung), wonach ich die anderen zu meiner Entfaltung brauche so wie diese mich. Wenn das grundsätzlich gegeben ist, dann sind die Anderen auch präsent, wenn nur ich alleine ein Gemeingut hege und pflege und für potenziell alle zugänglich halte. In einer commons-basierten Gesellschaft sind wir eben nicht isolierte Individuen, sondern in unserer Einzigartigkeit immer erfahrender Teil der ganzen Gesellschaft.

Der zweite Punkt betrifft die von der Gemeingüter-Broschüre erfolgreich lancierte Gemeingüterformel: Commons = Ressourcen + Menschen + Regeln. Diese greift aus meiner Sicht zu kurz, weil sie den eminent wichtigen selbstreferenziellen Aspekt der Produkte ausblendet. Commons sind nicht bloß dafür da, eine Ressource zu verwalten und zu erhalten, sondern um etwas herzustellen, das wir für unser Leben brauchen. Das Hergestellte, das Produkt, kann nun entweder die erhaltene Ressource selbst sein oder tatsächlich ein Produkt, das die produzierende Gemeinschaft oder auch andere Gemeinschaften nutzen können. Erst mit der Heraushebung dieses produktiven und gesellschaftlich vermittelnden Aspekts der Commons kann man ihre Potenz begründen, eine grundsätzliche Alternative zur Privatproduktion des Kapitalismus zu sein. Auch im INKOTA-Heft zeigt sich die »grüne Schlagseite« des Commons-Diskurses.

Der dritte Punkt. Das Verhältnis von Öffentlichem und Gemeingütern ist völlig unklar. Einzelne Artikel sagen glasklar, dass die Commons besser fahren, wenn sich der Staat raushält, andere dagegen setzen voll auf die Regulationsformen des Staates. So fragte ich mich beim Lesen, was denn der Artikel von Michael Brie mit Commons zu tun hat: Hier soll doch wieder nur der Staat stellvertretend den Verkehrsinfarkt der Städte mit einem genialen »grünen Plan« lösen (gleichzeitig stellt er fest, dass die Leute am Auto hängen). Das ist altes Denken, das sind Uncommons, die uns nicht helfen werden, sondern nur Wunschgemälde an die Wand gemalt. Damit ist nicht gesagt, dass der Staat gar keine Rolle spielen »darf«, aber welche in welcher Beziehung zu den Commons, ist erst noch zu entwickeln.

Fazit: Ein sehr gelungenes Heft zu den Commons. Wer sich generell für die Commons und insbesondere für ihre weltweite Bedeutung interessiert, wird die Artikel mit Gewinn lesen. Und wichtig: Unbedingt auch für Einsteiger_innen geeignet!

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