Wann klappt Selbstorganisation?
Das ist die zentrale Frage, die Elinor Ostrom mit ihrem Forschen schon seit vielen Jahren zu beantworten versucht. Eine Frage, die auch uns hier natürlich sehr interessiert. Ich war dank der Empfehlung des Commonsblogs bei einem Vortrag von ihr. Das Ambiente war zwar etwas bizarr, weil an einer privaten Finanz-Edeluni (gepolsterte Stühle im Hörsaal! Zentral gesteuerte Displays als Belegplan vor jeder Tür! Riesenbildschirme mit Finanznachrichten im Foyer!), aber der Vortrag war sehr interessant.
Ich kenne ihre Bücher nicht, deswegen wird das sicherlich etwas verkürzt sein, was ich hier darstellen kann, aber ich versuche mein Bestes, um an Hand der Notizen, die ich mir gemacht habe, die Grundstruktur ihrer Theorie darzulegen.
Ihre grundsätzliche Fragestellung ist, unter welchen Bedingungen das nachhaltige Bewirtschaften von „Common Pool Ressources (CPR)“ (also zum Beispiel Fischgründe, Wald, Atmosphäre, …) funktioniert. Dabei musste sie sich wohl sehr lange erstmal an der klassischen Theorie in diesem Bereich abarbeiten, die auf einen Aufsatz von Hardin mit dem Titel „Tragedy of the commons“ (Tragik der Allmende) zurückgeht. Hardin sagt, dass der Eigennutz der Nutzer der Allmende immer dazu führen muss, dass diese übernutzt wird, wenn es nicht eine äußere Instanz gibt, die die Nutzungsrechte vergibt. Das Problem an dieser Theorie ist, dass sie zwar schön prägnant klingt und deshalb auch viel weitergetragen wurde, aber dass sie leider falsch ist. Das zeigen viele empirisch vorfindbare selbstorganisierte Allmenden. Sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart.
Sie arbeitet dabei auf zwei Ebenen, in dem sie zum einen spieltheoretisch inspirierte Laborexperimente und zum anderen aber auch Feldstudien auswertet. Bei all dem verlässt sie nicht wirklich den theoretischen Rahmen des homo oeconomicus (also eines Modells vom Menschen, dass diesen als rein nutzenmaximierenden annimmt). Umso erstaunlicher, wie weit sie damit kommt. Das wohl vor allem, weil sie den sozialen und ökologischen Kontext menschlichen Handelns nicht ignoriert und Menschen zwar als nutzenmaximierend, aber dennoch als lernfähig und zur Verständigung in der Lage annimmt.
Zunächst kann man auf der Ebene der spieltheoretischen Laborexperimente einige interessante Aussagen machen, was günstige Bedingungen für Selbstorganisation sind (das ist keine vollständige Liste, sondern bloß der Teil, der es bis in meine Aufzeichnungen geschafft hat):
- Hardins Theorie stimmt dann, wenn man den Menschen im Experiment jede Möglichkeit zur Kommunikation nimmt. Umgekehrt erweitern Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten die Chancen von Selbstorganisation.
- Sanktionssysteme funktionieren dann, wenn sie von den Beteiligten selbst gewählt sind. Von externer Stelle vorgegebene Sanktionssysteme funktionieren nicht.
- Wenn die Reputation der Teilnehmer allen bekannt ist, hilft das der Kooperation.
- Experimente, die lange laufen mit vielen Iterationen, erhöhen die Kooperationsbereitschaft.
- Wenn die Teilnehmer in Gruppen interagieren hilft es dem Gesamtniveau an Kooperation, wenn man eine Gruppe verlassen und einer anderen beitreten kann.
Aus diesen Experimenten leitet sie ein knappes Dutzend Variablen ab, die auf den Kooperationsprozeß Einfluß haben (und die sich auch gegenseitig beeinflussen). Auf der Ebene der Feldstudien kommen dann nochmal ein paar Handvoll Variablen dazu. Das sind dann so Sachen wie Vorhandensein von „Leadership“, kultureller Kontext usw.
Sinn des Ganzen ist es zunächst mal eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, mit der man vorgefundene Commons-Regulierungen beschreiben kann, um dann Vorschläge machen zu können, wie denn solche Regulierungen vielleicht verbesserbar wären.
Grundsätzlich gilt dabei nach ihrer Theorie, dass Selbstorganisation dann funktioniert, wenn es eine genügend große Koalition von Individuen gibt, für die gilt, dass für sie der erwartete Gewinn durch die Regulierung der CPR größer ist als die Summe aus
- Transaktionskosten (also der Aufwand den es Kostet zu einer Übereinkunft zu kommen)
- Aufwand für die Implementation der neuen Regeln
- Aufwand für das langfristige Monitoring und Maintainen der CPR
Ihr Ziel ist es, in ca. 50 Jahren eine „diagnoseorientierte sozial-ökologische Wissenschaft“ auf dem Niveau das heute die Medizin leistet zu schaffen. Sie vergleicht die Schwierigkeiten, die dabei entstehen, auch mit denen, vor denen ein Arzt steht. Zwar ist der Körper ein komplexes Gebilde in dem alles mit allem zusammen hängt, aber dennoch könnte man mit evidenzbasierter Medizin Erstaunliches leisten. Das will sie auch für die Sozialwissenschaft erreichen.
Ich persönlich fand interessant, wie viel Emanzipatorisches selbst in liberaler Wirtschaftswissenschaft stecken kann. Sie versucht ja im Grunde klassische Fragen emanzipatorischer Theorie zu behandeln. Das zeigt auch, wie wenig auf der Höhe der Zeit oft linke Kritik an liberaler Wirtschaftswissenschaft ist. Das dürfte sich ungefähr die Waage halten mit den absurden Vorhaltungen gegen den Marxismus, die man von liberaler Seite zu hören kriegt und die sich immer noch auf den Marxismus von vor 50 Jahren beziehen. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Theorie könnte sich also lohnen.
Für mich war dieser Vortrag auch mal wieder ein Hinweis, wie breit ein Bündnis für die Commons werden könnte, wenn es die Leute schaffen, ihre ideologischen Scheuklappen abzulegen.
Großartig Benni, danke. ich nehme das direkt mit rüber auf den Commonsblog.
Was mich noch interessiert: Wie hat das Publikum reagiert? Gab es Diskussion, in welche Richtung? Ansonsten natürlich Lesetipp: E. Ostrom: Die Verfassung der Allmende (Mohr/Siebeck) Gibt es auch bei google books.
Bei der Publikumsdiskussion hat mich teilweise meine Sprachkenntnis verlassen. Manches von dem was ich gebloggt habe, war aber eine Reaktion von ihr auf Publiumsfragen, so zB das mit der „diagnostischen Wissenschaft“. Außerdem wurde sie noch zur Finanzkrise gefragt (das war ja an einer Finanzuni), da sei ja auch eine CPR kaputt gemacht worden. Da meinte sie aber bloß, das sei ihr zu kompliziert, dazu hätte sie nix geforscht.
Über Allmendeprobleme kann man aber doch nur etwas Richtiges sagen, wenn man mit einbezieht, inwieweit sie aus den kapitalistischen Zwängen (künstliche Knappheit, Profitzwang und daraus resultierende zwangsläufige Übernutzung aller unregulierten Commons) resultieren. Das scheint mir bei Ostrom nicht der Fall zu sein, soweit ich es recherchieren konnte. Damit stärkt sie aber leider den Aspekt der Wirtschafts“wissenschaften“, die systemischen Wirkungen des Kapitalismus zu ignorieren.
Eine darauf aufgebaute Theorie über Commons-basiertes Wirtschaften muss zu falschen Ergebnissen kommen – weil sie einfach die Grundlagen des ganzen Problems (was ist gerade anders an Commons als am Kap.? Wieso sind die Commons mit dem Kap. nicht kompatibel?) nicht angemessen behandeln kann. Und tatsächlich kommt es nicht hin, dass Commons-basierte Ansätze nur dann funktionierte, wenn sie den individuellen Nutzen jedes Teilnehmenden (oder selbst den der gesamten Gruppe) maximierten.
Nehmen wir an, man korrigiert oder ergänzt etwas in einem Wikipedia-Artikel, dann tut man dies meist nicht wegen irgendwelchen Nutzenkalkulationsrechnungen. Man sieht, dass etwas zu machen ist, findet es wichtig, dass das noch reinkommt – und schreibt es rein. Da wird nun einmal nichts maximiert, sondern etwas geteilt – Wissen. Ob das für mich (oder die ganze Community) eine Nutzenmaximierung darstellt, kann man schon deshalb nicht sagen, weil man den Aufwand (den ich ja durchaus habe) nicht direkt mit dem Nutzen (für andere und auch für mich, falls ich den Artikel mal wieder aufrufe) verrechnen kann. Es sind einfach verschiedene Dinge – etwas, das alles vergleichbar macht wie den Tauschwert, gibt es in Commons-basiertem Wirtschaften eben nicht. −
Ich habe hier an der Ecole Normale Supérieure eine Diskussion mit Yochai Benkler angehört. Innerhalb der Wirtschaftswissenschaft scheint sich gerade eine Debatte anzubahnen: Man merkt, dass die eigenen Theorien nicht der Realität entsprechen, will aber nicht von den grundlegenden Modellen weg und muss daher sehen, wie man z.B. die spieltheoretischen Ansätze (in denen ja generell zuverlässige Kooperation nicht erklärt werden kann, siehe das Gefangenendilemma) als Grundlage retten kann. Benkler selbst, der ja Ökonom ist, ließ sich auf diese rein fachinterne Perspektive bereitwillig ein, aber das mag an Ort und Publikum gelegen haben.
Zugegebenermaßen kenne ich die Bücher von Elinor Ostrom auch (noch) nicht, irgendwie beschleicht mich bei deiner Beschreibung aber ein komisches Gefühl. Diese ganze Methodik scheint doch sehr auf an der klassischen Variablenpsychologie (hier vermutlich noch ökonomisch-utilitaristisch verkürzt) orientiert. Es geht nicht (oder nur am Rande) um Gründe die Menschen haben Gemeingüter zu nutzen und zu pflegen, sondern es geht um die Vorhersage von Verhalten, dass hier dann wohl „diagnoseorientierte sozial-ökologische Wissenschaft“ heißt.
Überhaupt regt mich bei der ganzen Diskussion um die Tragik der Allmende auf, dass hier immer vom Menschen an sich gesprochen wird, eine Konkretisierung auf die konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse, samt einer Begründungsanalyse des menschlichen Handelns findet kaum statt, stattdessen heißt es dann der Mensch ist halt so oder so, als ob es Menschen und Sozialbeziehungen als absoluten Wert geben könne.
Richtig interessant wird es doch wenn die subjektiven Gründe zur Commons-Nutzung in den Blick geraten und diese auf die jeweiligen gesellschaftlichen Bedeutungen bezogen werden. Die Gründe Commons zu nutzen sind doch weit vielfältiger als diese Kosten-Nutzen-Abwägung. Die „günstigen Bedingungen für Selbstorganisation“ kann doch niemand als Rezept nehmen ohne den konkreten Bezug auf den jeweiligen Gegenstand der Selbstorganisation, d.h. ohne die Berücksichtigung der inhaltliche Ebene bleibt das Ganze sinnlos.
@Martin & Michael:
Vielleicht kann man diese Forschungen einfach als „untere Schranke“ dessen betrachten, wann Selbstorganisation möglich ist? Also wenn man selbst unter Vorraussetzung eines solchen eingeschränkten Menschenbildes zu solchen Schlußfolgerungen kommen kann, dann muß ja was dran sein am Potential der Selbstorganisation. Und ich glaube auch, dass man manche der Erkenntnisse durchaus auch als pragmatische Richtlinie fürs eigene Handeln benutzen kann. Die Erkenntnis, dass Hardin Recht hat, wenn man dafür sorgt, dass die Menschen nicht miteinander sprechen können zum Beispiel hat enormes Anwendungspotential finde ich. Das Ganze einfach als „falsch“ oder „sinnlos“ abzuqualifizieren finde ich jedenfalls zu schwach.
@benni:
Mir ging es nich um eine generelle Abqualifikation (wie gesagt ich kenne die Texte gar nicht), sondern primär um ein Unbehagen mit dem Ursache-Wirkungs-Zusammenhang und um die Frage ob hier nicht vielmehr ein Begründungsmuster vorliegt. http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Kritische_Psychologie&action=edit§ion=6.
Vielleicht führt das in diesem Zusammeng aber auch zu weit.
Es war wohl zu spät für einen ‚richtigen‘ Link, der sollte lesbarer sein:
http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Kritische_Psychologie§ion=6#Funktionen_kritisch-psychologischer_Kategorien
Glückwunsch an Elinor Ostrom! Sie hat gerade den Wirtschaftsnobelpreis bekommen. Hoffentlich gibt das den Commons die Aufmerksamkeit, die sie brauchen!