Urheberrecht mit links
Am 15. Mai fragte sich die Linksfraktion, wem eigentlich das Wissen gehört und holte sich etliche Gäste und rund 60 Besucher_innen zur Hilfe. Auf den Panelen Weltwirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Internet und Abschluss wurde eine breite Palette von Themen angerissen — mehr Zeit war nicht.
Die Veranstaltung war — soweit ich sie mitbekam (bis 16:00) — mäßig interessant. Gut, wie immer, war Volker Grassmuck mit seiner Keynote, der nochmal klar darstellte, dass die alten Zeiten vorbei und alle Rückdrehversuche der digitalen Revolution (Raubkopierer-Propaganda, DRM etc.) zum Scheitern verurteilt sind. Es sprach sich für einen »digitalen Frühjahrsputz im Urheberrecht« aus. Sein Lieblingskind, die Kulturflatrate, durchzog im Folgenden die Veranstaltung.
Beim Panel Weltwirtschaft zeigten Michael Frein (EED) und Oliver Moldenhauer (Ärzte ohne Grenzen) auf, was — mal salopp formuliert — der Kapitalismus mittels des installierten Regimes des »geistigen Eigentums« (IPR) so alles an globalen Schäden anrichten. Ziemlich nervig war allerdings, dass beide die neoliberale Ideologie weitgehend in ihr Denken eingebaut hatten.
So führte etwa Frein als Argument gegen die den Entwicklungsländer aufgedrängten restriktiven IPR-Regimes (um »Investoren anzulocken«) an, dass IPR ja gar keine Investitionen garantieren würden, da Unternehmen nicht nur wegen strengem »Patentschutz« o.ä. kämen, sondern weit mehr Gründe für ihre Investitionsentscheidungen hätten. — Ja, richtig, deswegen müssen die anderen Bedingungen (niedrige Steuern, lasche Umweltgesetze, Sozialkürzungen etc.) auch noch erfüllt werden: Das ist neoliberale Logik.
Oliver Moldenhauer sprach gefühlte 30 Mal davon, dass nur der Wettbewerb auf einem freie Markt die Medikamentenpreise senken könne, während die Pharmakonzerne per (IPR-)Monopol die Preise hochhielten. Kein Wort vom bedingungslosen Recht auf Medikamente, von dem man ableiten könnte, dass die Süd-Regierungen die Generika-Produktion jenseits von einem IPR-Regime in jedem Fall unterstützen müssen. So blieb nur die moralische Empörung über die Sauereien der Multis übrig, und als Argument steht diese stets auf schwachen Beinen.
Beim Wissenschaftspanel ging es um Open Access und das Überleben der Verlage. Einig waren sich alle irgendwie, dass alle irgendwie beides wollen: Open Access und gute Verlage, die ihre Dienstleistungen erbringen. Auch hier wieder die Unterscheidung von den kleinen guten (um ihre Existenz kämpfenden) Verlagen und den großen bösen Monopolisten (Elsevier und Co). Lustig war das entsetzte Erstaunen beim Petra Sitte (Linke-MdB), als sie hörte, dass die MEGA nur eine Auflage von 400 Exemplaren hat, wie die Leiterin des Akademieverlages berichtete. — Na aber, wer stellt sich denn einen MEGA-Band in den Schrank? Interessant fände ich eher die Frage, wann die MEGA als open access online geht. »Wir« (die Steuerzahler) haben sie doch eh schon bezahlt und der Verlag hat per Pflichtabnahme durch die Bibliothken den verfügbaren Markt schon bedient.
Das Kulturpanel wurde durch die Anwesenheit des Geschäftsführers des Bundesverbandes der Musikindustrie, Stefan Michalk, etwas farbiger, begann aber damit, dass der Titel von »Ist Filesharing Kommunismus?« kurzerhand in »Welche Kompensationsformen für die Kreativen brauchen wir« (oder so ähnlich) geändert wurde. Zu danken ist einem Diskutanten aus dem Publikum, der darauf hinwies, dass mit dem Themenwechsel alle transformativen Überlegungen über Bord geschmissen worden seien. Dabei verwiese die Produktivkraftentwicklung gerade an dieser Stelle darauf, dass es eine Perspektive jenseits des Kapitalismus gäbe. Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat stieg begeistert darauf ein, und meinte, dass er immer dafür sei, eine »Tür in die Zukunft aufzustoßen«. — Ich bin mir nicht sicher, ob Zimmermann wirklich verstanden hat, was er dort begrüßte, überholte er damit mal eben die gesamte LINKE. Möge es ihn nicht seinen Kopf kosten.
Die Moderatorin Meike Richter eröffnete das Kulturpanel mit einem Zitat von Billy Bragg: »Die Zahnpasta geht nicht mehr zurück in die Tube«. Sprich: Alle Propaganda und Verfolgung hilft nix: Umsonst hat sich durchgesetzt. Michalk hielt dem entgegen, dass die Tube bald leer sei, also ohne IPR-Durchsetzung würden Künstler_innen nix mehr produzieren. Die gleiche völlig abseitige These wurde per Papier von der abwesenden LINKE-Abgeordneten Lukrezia Jochimsen eingebracht, womit diese sich als Hardcore-Fraktionistin des Urheberrechts outete. Damit kann sie nahtlos in eine parteiübergreifende nationale Koalition eintreten.
Die Veranstaltung diente als »Informationskonferenz«, und Petra Sitte formulierte als Erfolgsmaßstab, dass die Teilnehmer_innen anschließend etwas gelernt haben mögen. Oh ja, das habe ich. Ich hatte mir vorher nicht vorstellen können, dass LINKE-Abgeordnete solch anachronistische Thesen zustande bringen würden wie Frau Jochimsen. Das würde ich gerne nochmal überprüfen. Petra Sitte versprach, dass die Videoaufzeichnung der Veranstaltung ins Netz gestellt werde. Wenn jemand davon erfährt, bitte ich um Nachricht per Kommentar.
Ich fuerchte, die kritisierten Leute der Linkspartei geben auch nur die Meinung vieler Kulturschaffender wieder. Kleine Verlagsinhaber, Leute aus dem Literaturbetrieb, auch Autoren, die ich kenne, sind oft recht abwehrend und auch sehr aengstlich gegenueber der Entwicklung. Eine kleine (und ansonsten durchaus nicht mainstreamige oder kommerzielle) Verlegerin schimpfte mir gegenueber, dass es wg. Open Access viel schwieriger sei, Gelder von Kulturfonds u.ae. fuer ihre Publikationen yu kriegen. Darauf mit „Dass ist aber der erste Schritt fuer die laengst ueberfaellige Abschaffung des Kapitalismus“ (oder so aehnlich 😉 ) zu reagieren, fuehrt meist nicht zu einem Sinneswandel, weil das eben noch nicht am Horizont zu sehen ist.
Man muss aufpassen, dass sich da nicht gerade von den „Kulturschaffenden“ (also den im allgemeinen Bewusstsein ‚Guten‘, die betroffen sind und denen in den Medien auch zugehoert wird, nicht zuletzt weil sie sie teilweise selbst schreiben) eine einflussreiche Gegenbewegung formiert. Daher scheinen mir in der Diskussion mit dieser Personengruppe Pragmatismus und Erwaehnung fuer alle akzeptabler Uebergangsmodelle (z.B. Webseiten mit klar getrennter Werbung oder vielleicht auch Modelle eingeschraenkter Verlagsrechte, z.B. bei einer Erstpublikation eines Werkes fuer einige Jahre?) angebracht, denn Existenzangst ist leider meist staerker als evt. sogar vorhandene progressive Sympathien … Aber ne wirkliche Antwort hab ich auch nicht, ausser dass hier Verbalradikalitaet ausnahmsweise mal eher fehl am Platz waere 🙂
Ja, es ginge — wie eigentlich überall — darum, beides gleichzeitig zu schaffen: Eine Absicherung im Bestehenden hinzubekommen und genau jenes Bestehende, das die Voraussetzung für die eigene Absicherung im Alten ist, aufzuheben. Praktische Dialektik.
Die Reaktion vieler Kulturleute ist erstmal »regressiv«: »Ich will es wie früher«. Aber: Die Zahnpasta kommt nicht mehr in die Tube. Die Veränderung kommt ohnehin. Es geht also in einer Situation der völligen Verunsicherung darum, (vorübergehend) neue Absicherungen (=Verwertungsmöglichkeiten) zu finden und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass perspektivisch alle ohne jeden Verwertungszwang gut leben können. Für das erste erkläre ich mich für nicht zuständig, nicht aus Ignoranz, sondern weil mir das zweite wichtiger ist und sich da eher kaum jemand drum kümmert. Die Linkspartei schafft es jedenfalls nicht, die beiden Pole zu besetzen — sie wird auch hier die Rolle der konservativen Verteidiger ihrer Klientel einnehmen, fürchte ich.
Ist die Linkspartei wirklich so selbstironisch, wie der Transpitext nahe legt? Oder doof genug, sich selbst so nass zu machen?
Wenn das wenigstens noch die Frage waere …
Jetzt sind auch die Videos online: http://digitale-demokratie.org/2009/wem-gehort-wissen-videos-online/