Peericle: Die Post in zehn Jahren
Lenin wollte ja bekanntlich schon den Sozialismus nach dem Vorbild der deutschen Post organisieren. Ob das damals eine so besonders brilliante Idee war, darüber kann man sicherlich streiten, so oder so kann das aufgrund der zentralen staatlichen Leitung kein Modell für eine Peer-Economy sein. Ganz zu schweigen davon, dass das Vorbild aufgrund der Privatisierungsorgien in den letzten Jahren eh ziemlich auf den Hund gekommen ist.
Deswegen skizziere ich jetzt mal im Folgenden ein Modell wie man schon in wenigen Jahren ein Postsystem auf Peer-2-Peer-Basis haben könnte.
Die Grundidee ist, dass Leute einfach Post anderer Leute mitnehmen, wenn sie eh wo hinfahren. Dabei soll so gut wie kein Aufwand für die Postmitnehmer entstehen und die Post trotzdem zuverlässig und schnell am Ziel ankommen und vor allem das Risiko von Diebstahl und Verlust minimiert werden. Es geht dabei vor allem um Paketpost. Briefpost funktioniert ja auch jetzt schon P2P und nennt sich e-mail.
Der Kern des Systems ist das Peericle. Ein Peericle ist ein stabiler widerverwendbarer Kasten mit ein bisschen Elektronik drinnen. Ein Peericle besteht dabei aus folgenden Modulen, die alle austauschbar sind:
- Der Kasten selbst hat Normmaße und ist gut stapelbar. Es gibt verschiedene Peericle-Größen, die aber alle eine Teilung eines Kubus von einheitlicher Größe sind. Ein Peericle ist stabil und nur durch massiven Gewalteinsatz zu beschädigen, aber trotzdem nicht zu schwer. Es enthält eine Bucht in der man Elektronikmodule einbauen kann. Diese Bucht hat ein Fenster nach aussen. Die Module selbst sind aber nur von Innen austauschbar. Jedes Peericle hat außerdem ein Schloß, das von der Elektronik bedient wird. Zusätzlich steht auf jedem Peericle eine sehr einfache Bedienungsanleitung in möglichst vielen Sprachen, denn die Post der Zukunft soll ja auch weltweit funktionieren.
- Ein Funkmodul stellt den Zugang zu einem Funknetz und damit zum Internet her. Es können verschiedenste Funknetze benutzt werden.
- Ein Energiespeichermodul speichert die (relativ wenige) Energie, die der Betrieb des Peericles benötigt. Das können Akkus, Brennstoffzellen, Batterien oder irgendetwas anderes sein, das elektrische Energie speichert.
- Ein Energieerzeugungsmodul, dass die Energie für das Speichermodul erzeugt. Das können Solarzellen, ein Ladegerät fürs Stromnetz, ein USB-Anschluß oder eine Handkurbel sein.
- Interfacemodule für menschliche Anwender. Das können Anzeigen, Lautsprecher, Tastaturen oder Mikrofone sein.
- Ein Interfacemodul für Maschinen. Das kann über RFID, Bluetooth oder eine andere Technologie funktionieren, die im Nahbereich in der Lage ist, das Peericle zu identifizieren.
- Ein Kryptomodul, dass in der Lage ist einen Benutzer über ein mobiles Gerät durch assymmetrische Verschlüsselungsverfahren zu identifizieren.
- Ein Computermodul, dass für die Zusammenarbeit zwischen den anderen Komponenten sorgt und fähig ist, die Peericle-Software laufen zu lassen.
Alle diese Hardwarekomponenten haben ein offenes Design, dass unter einer freien Lizenz steht und das jeder nachbauen kann. Zusätzlich gibt es noch wichtige Softwarekomponenten, die selbstverständlich auch alle unter einer freien Lizenz stehen und austauschbar sind:
- Das Peericle-Betriebssystem, dass auf dem Computermodul läuft.
- Die Peericle-Steuerungssoftware zur Ansteuerung der verschiedenen Hardware-Module.
- Eine auf Openstreetmap basierende Routingsoftware, die auf Computern, Navigationsgeräten, Handys oder anderen mobilen Geräten läuft und auf dem Peericle.
- Eine Anwendungssoftware sowohl für die Benutzung des Peericles als auch für ein externes Gerät.
- Eine Webanwendung zur Nachverfolgung.
Wie arbeitet das jetzt alles zusammen und wie wird man dieses System in Zukunft benutzen?
Wenn ich ein Paket verschicken will, brauche ich zuerst ein Peericle in der richtigen Größe und mit den Modulen meiner Wahl. Entweder nehme ich eines, was mir jemand anders geschickt hat oder ich muß eins kaufen von Peericle-Anbietern. Da die Peericles wiederverwendbar und stabil sind, wird letzteres nicht sehr häufig vorkommen. Dann programmiere ich mit Hilfe der Software die Ziel-Adresse in das Peericle und gebe ihm außerdem den öffentlichen Schlüssel des Empfängers mit. Außerdem kriegt es einen öffentlichen Schlüssels eines Schlüsselpaares, das ich nur ein einziges mal generiere (Das hört sich jetzt kompliziert an, aber das läuft natürlich alles automatisiert ab). Dann stelle ich es an einen Ort wo es potentielle Mitnehmer finden können. Das kann bei mir direkt vor der Tür sein, an einem institutionalisierten Peericle-Sammelpunkt, am nächsten Bahnhof oder der nächsten Tankstelle.
Wenn ich ein Paket mitnehmen will, lese ich auf dem Display des Peericles ab, wo es als nächstes hingebracht werden will. Das kann entweder ein Bahnhof oder eine Raststätte oder eine Stadt oder die Zieladresse sein. Ein Peericle zeigt dabei durchaus mehrere Möglichkeiten an. Ihm ist es z.B. ja egal, ob es per Bahn oder mit dem Auto ans Ziel kommt. Die Routingsoftware wird regelmäßig so optimiert, dass die Peericles in der Lage sind festzustellen welche Routen Peericle-freundlich sind, weil sie von vielen Peers frequentiert werden. Als Mitnehmer muß ich selbst keine Peericle-Software haben. Wenn ich sie aber habe, können einige Zusatzfunktionen implementiert werden. Ich kann mich zB. gegenüber dem Peericle identifizieren damit der Absender weiß wer das Peericle gerade hat. Außerdem könnte ich meine eigene Route mit den Peericles in der Nähe abgleichen und diejenigen Peericles, die auf dieser Route ein Stück mitgenommen werden wollen, melden sich. Schließlich melden sich die Peericles, wenn ich sie absetzen soll.
Wenn ich den Weg des Peericles nachverfolgen will, kann ich auf die Webseite des Peericle-Systems gehen. Dort kriege ich dann angezeigt wo das Peericle zuletzt gesehen wurde und gegebenenfalls, wer es zuletzt mitgenommen hat. Wenn es einmal eine Weile an einer Stelle festhängt kann ich jemanden beauftragen, der nach ihm sucht. Dazu gebe ich demjenigen meinen privaten Einmalschlüssel. Das Peericle kann dann zB lautstark auf sich aufmerksam machen, wenn jemand mit dem Schlüssel in der Nähe ist. Auf diese Weise sollten selbst in den Straßengraben gefallene Peericles wieder gefunden werden können. Natürlich darf das nicht zu oft vorkommen, sonst wird das System ineffizient. Es geht nur um eine Notfallmöglichkeit.
Wenn ich das Peericle entgegennehme, übermittle ich ihm meinen privaten Schlüssel und daraufhin öffnet sich sein Schloß. Ich kann es dann für eine beliebige weitere Sendung weiterverwenden oder auch weiterverkaufen, wenn ich keinen Bedarf für es habe. Der Absender tritt grundsätzlich seine Eigentumsrechte mit der Sendung des Peericles immer an den Empfänger ab. Dadurch sind die Peericles selbst nicht wirklich Eigentum, sondern nur Besitz, weil ja ein Peericle, dass ich nicht verwende keinerlei Gebrauchswert hat.
Rund um dieses System sind einige Geschäftsmodelle denkbar, was seine Durchsetzung enorm beschleunigen dürfte:
- Man kann Peericles verkaufen. Durch Markenrechte kann man sich dabei einen Namen sichern, der dafür steht, dass es sich um ein Qualitätspeericle handelt und nicht um einen billigen Nachbau.
- Man kann Peericles für Geld mitnehmen. Dabei könnte man eine optionale Bezahlmitnahme so in das System integrieren, dass man beim Verschicken angibt, wieviel man bereit ist zu bezahlen und das Peericle gibt dann an, wieviel es noch „auf dem Konto“ hat. Der Mitnehmer kann dann selbst entscheiden, ob er bereit ist für diesen Preis das Peericle mitzunehmen. Dabei stehen die Mitnehmer immer auch in Konkurrenz zum Preis Null. Professionelle Mitnehmer könnten auch gelegentlich einzelne Peericles als Marketingaktion umsonst mitnehmen um so auf ihren Service aufmerksam zu machen.
- Man kann verlorene Peericles für Geld aufspüren und wieder in das System einspeisen.
- Man kann das Versenden übernehmen für Leute, denen selbst eine so einfach zu bedienende Technik noch zu kompliziert ist oder die gerade kein Peericle haben und sich aber auch keines leisten können.
Eine solche Peericle-Post hätte als Keimformprojekt enormes Potential. Es nimmt die Vorteile der immateriellen Welt mit in die materielle und würde trotzdem zeigen, dass auch die Probleme der materiellen Welt nicht unlösbar sind für die Peer-Produktion. Zugleich würde es ein großes Problem der materiellen Welt lösen, nämlich die Frage wie die Güter zu den Menschen kommen. Eine funktionierende Peericle-Post würde nachfolgenden Peer-Produktions-Projekten das Leben deutlich leichter machen. Ein Problem sind natürlich die Anfangsinvestitionen und die kritsiche Masse. Beides könnte aber aufgrund des kommerziellen Potentials relativ einfach lösbar sein. Irgendwelche Venture Capitalists anwesend? Es gibt allerdings noch ein paar Bedingungen, die meiner Meinung nach erfüllt sein müssen, damit Peericles ein Erfolg werden können:
- Ein Peericle darf nicht zu teuer sein. Noch würde die nötige Elektronik wohl einige hundert Euros kosten. Das ist definitv zu viel. Aber dank dem Mooreschen Gesetz ist damit zu rechnen, dass das schon in ein paar Jahren ganz anders aussehen wird.
- Die Abdeckung mit Funknetzen ist in vielen Gegenden noch zu schlecht. Aber auch das wird sich sicherlich bald ändern.
- Openstreetmap ist noch nicht gut genug, aber auch da bin ich zuversichtlich.
Der Zeitrahmen von zehn Jahren ist denke ich nicht unrealistisch. Wenn man jetzt mit der Entwicklung dieses Systems anfangen würde, wäre es wohl genau dann schon ausgereift, wenn die Bedingungen für seine Durchsetzung vorhanden sind. Also ans Werk?
Erster Schritt: Domains sichern 🙂 peericle.com ist schon weg…
Faszinierende Idee, wir hatten mal was ähnliches angedacht, allerdings nicht mit Paketen sondern mit Menschen, also ein besser organisiertes Mitfahrzentralensystem, bei dem die Abrechnung elektronisch unterstützt (Enfrenungsberechnug, Positionsbestimmung) und für FahrerInnen und MitfahrerInnen fast ohne Aufwand funktioniert.
Die Grundfrage war einfach, wie bekommt man die meist 5-sitzigen Autos mit mehr als einer Person besetzt. Herkömmliche Mitfahrzentralen sind meist auf längere Strecken ausgerichtet und oft mit relativ hohem organisatorischem Aufwand verbunden. Bei hinreichend großer Teilnehmerzahl wäre dies auch für Kurzstrecken sinnvoll, wer sowieso in die Stadt fährt könnte bspw. an Bushaltestellen MitfahrerInnen mitnehmen, diese melden sich an (an einem wie auch immer aufgebauten System, RFID, Handy o.ä) und ein paar Cent pro Kilometer werden automatisch auf dem Konto des Fahrer/ der Fahrerin gutgeschrieben.
Klasse, benni. Hatte schon mal erfolglos in eine ähnliche Richtung gedacht, aber eher motiviert durch den ineffizienten Individual-Verkehr:
Idee für ein alternatives Waren-Transportsystem
Ein paar zusätzliche Gedanken:
* Handyortung ist wohl zur Zeit nur gebührenpflichtig möglich. Das wäre natürlich blöd.
* GPS-Ortung ist noch sehr teuer. Die Geräte kosten so ab 400 Euro.
* Als Schloss könnte man auch ein vergleichsweise billiges Zahlenschloss einbauen und den Code per Mail (evntl. verschlüsselt) an den Empfänger schicken. Das wäre ein Lowtech-variante.
* Anstatt Routingsoftware und der nötigen Hardware, die ja auch noch nicht ganz billig ist, könnte man einfach einen traditionellen Adressaufkleber drauf machen und hoffen, dass die Mitnehmer schon wissen in welcher Richtung es zB. nach Hamburg geht. Auch das wäre eine Lowtech-Variante. Das einzige was einer kompletten Lowtechvariante im Wege steht wäre also vor allem die Ortung. Ich bin mir unsicher ob man darauf verzichten könnte, weil Ortung einen enormen Sicherheitsgewinn bedeutet.
* Eventuell kann es Probleme geben mit Peericle-Senken und -Quellen, also Orten an denen hauptsächlich Peericles ankommen oder solchen, die hauptsächlich welche verschicken. Oninehändler zB, verschicken sicherlich deutlich mehr Peericles als sie erhalten. Diese müssten dann ihre Kunden verpflichten das leere Peericle zurückzuschicken.
* Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen wird das System wohl nicht funktionieren für wertvolle Sachen. Also alles was mehr als vielleicht 30 Euro kostet wird man ihm nicht so ohne weiteres anvertrauen wollen. Es bleibt natürlich trotzdem noch ein weites Feld an Anwendungen. Onlinehandel könnte sich sogar im Billigsegment damit erst richtig durchsetzen, weil jetzt ja immer das Verhältnis von Versandkosten zu Warenkosten stimmen muß.
* Man könnte einen Sicherheitsmodus einbauen, der ein Peericle nur transportiert, wenn sich der Transporteur identifiziert. Dazu bräuchte man noch ein Bewegungsmeldermodul und ein Alarmmodul. Wenn das Peericle bewegt wird, aber nicht in identifizierten Händen ist, schlägt es Alarm, sowohl lautstark vor Ort als auch über Netz.
* evntl. wäre die hochmodularisierte Variante zu teuer. Es ist sicherlich billiger die Elektronik aus einem Guß herzustellen, auch wenn die Modularisierung natürlich gerade für die offene Entwicklung enorme Vorteile hätte. Anstatt am ganzen Gerät rumzuschrauben könnten Bastler nur einzelne Module verbessern.
Noch ein paar Gedanken zur Lowtechvariante:
Identifikation der Mitnehmer könnte auch über einen Zahlencode erfolgen. Aber das macht das Mitnehmen natürlich deutlich mühsamer, wenn man erst einen 20stelligen Zahlencode eingeben muß. Aber in Kombination mit dem Bewegungsmelder und dem lokalen Alarm hätte man so vielleicht genug Sicherheit auch ohne Ortung?
Und nochwas: Ein Peericle muß natürlich in einer grellen Farbe angemalt sein und einen großen freundlichen Schriftzug „Nimm mich mit!“ tragen.
Warum fällt eigentlich niemandem der ultimative Pferdefuß an der Idee auf? Das ganze funktioniert nur, wenn man kostenlos auf Funknetze zugreifen kann. Leider sind die Freifunknetze ja aber noch weit davon entfernt flächendeckend zu sein 🙁
Vielleicht bist Du einfach ein bisschen zu schnell 😉 …
Kommen hier eigentlich keine Trackbacks an? Ist die URL Permalink + „trackback/“?
Leider erfordert die Idee auch auf Seite der Mitnehmenden viel Vertrauen, was in der heutigen Gesellschaft und bei einem ganz offenen System nicht unbedingt realistisch sein dürfte. Was passiert, wenn jemand eine Bombe in dem Ding platziert? Oder Drogen oder andere illegale Dinge? Im Zweifelsfall dürfte der Transporteur für den Inhalt verantwortlich gemacht werden…
@Christian: Die Post wird ja auch nicht für Paketbomben oder Haschbriefe verantwortlich gemacht. Aber tatsächlich ergeben sich dabei natürlich Herausforderungen fürs Rechtssystem die ziemlich analog zu denen im Internet verlaufen.
Völlig illusionär und unrealistisch. Voraussetzung ist eine höchst komplizierte Infrastruktur mit all Ihrem Ressourcenverbrauch nebst erheblicher Bevölkerungsdichte und Hochtechnologie. Diese 3 Säulen dürfte es in wenigen Jahren schlicht nicht mehr geben.
Ich würde noch den Beitrag
http://tinyurl.com/6okt66
einbringen.
Zahlencodes von Hand eingeben? Es gibt doch Scanner
oder Bildverarbeitung.
Da gibt’s jetzt ein Projekt, das in diese Richtung geht:
Ein Kunstprojekt, dass ähnliche Fragen aufwirft: http://www.tweenbots.com/
Die Konzerne versuchen sich schon an solchen Ideen: http://www.welt.de/wirtschaft/article10390463/Bring-Buddy-soll-Verkehrschaos-austricksen.html