Warum wir eine Bewegung für die Vergesellschaftung des Energiesektors brauchen
Am kommenden Samstag, 27.8., findet in Köln eine Großdemonstration unter dem Motto „Enteignen statt Krise – eine klimagerechte Zukunft aufbauen“ statt. Gefordert wird die Enteignung von Stromkonzernen und die Vergesellschaftung der Energieproduktion. Die dazugehörige Kampagne „RWE und Co enteignen“ greift damit die Forderung nach Vergesellschaftung, die durch die Berliner Kampagne „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ (DWE) populär geworden ist, auf und wendet sie auf den Energiesektor an. Beiden Kampagnen geht es bei Vergesellschaftung nicht um eine reine Verstaatlichung, sondern um ein Modell, bei dem Konsument*innen (Mieter*innen bzw. Energieverbraucher*innen) und Produzent*innen (Angestellte von Wohnungs- bzw. Energieunternehmen) sowie weitere Betroffene und Vertreter*innen der Allgemeinheit gemeinsam durch Formen basisdemokratischer Selbstorganisation über den Wohnraum bzw. die Energieproduktion verfügen. Es geht also letztlich in Richtung Commons.
Die Forderung nach Vergesellschaftung des Energiesektors ist damit eine linke und emanzipatorische Antwort auf zwei sich derzeit zuspitzenden Krisen: Die Klimakrise und die Energiepreiskrise. Sie könnte deshalb eine gemeinsame Perspektive für Proteste und Bewegungen sein, die sich um diese beiden Fragen drehen, und zugleich ein Schritt in Richtung einer revolutionären Transformation zur Überwindung des Kapitalismus.
Die Klimabewegung auf der Suche nach neuen Perspektiven
Die Klima- bzw. Klimagerechtigkeitsbewegung ist – zumindest im deutschsprachigen Raum – nach ihrem bisherigen Höhepunkt von 2019 am Abflauen und befindet sich in einer Neuorientierungsphase. Die Coronapandemie hat sicher einiges dazu beigetragen, dass die Moblisierungen nicht mehr an die Größe der Klimastreiks 2019 oder der Proteste gegen die Rodung des Hambacher Forsts 2018 anknüpfen konnten. Doch dieses Abflauen hat wahrscheinlich auch noch andere Gründe: Politisch konnten kaum Verbesserungen erreicht werden. Der Rest des Hambacher Forsts konnte zwar gerettet werden, doch der Kohleausstieg kommt mit 2030 deutlich zu spät. Das Klimapäckchen, das genau am Tag des Höhepunkts der Klimastreikbewegung, dem 20. September 2019, verabschiedet wurde, war eine Verhöhnung der Millionen jungen Menschen, die für ihre Zukunft auf die Straße gegangen waren. Dass das Setzen auf eine Regierungsbeteiligung der sogenannten „Grünen“ durch große Teile von Fridays for Future zum Scheitern verurteilt war, scheinen Robert Habeck, Annalena Baerbock und andere Vertreter*innen dieser Partei täglich beinahe demonstrativ beweisen zu wollen. Dass Erdgas, u.a. Flüssiggas LNG, das erwiesenermaßen nicht klimafreundlicher ist als Kohle, die „Übergangstechnologie“ des grünen Kapitalismus sein sollte, war schon vor ihrer Regierungsbeteiligung gesetzt. Nun sucht die Regierung angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der durchaus richtigen Bestrebung nach Unabhängigkeit von russischem Gas und Öl nach anderen Quellen. Sie schließt Deals mit Diktaturen wie Katar, die dem russischem Regime in ihrer Brutalität in absolut nichts nachstehen und bezieht Gas aus Fracking, für das die Lebensgrundlagen von Indigenen in den Amerikas zerstört werden.
Deshalb ist es sehr passend und richtig, dass sich das Bündnis Ende Gelände dieses und letztes Jahr dem Thema LNG gewidmet und Gasinfrastrukturen in Norddeutschland blockiert hat. Doch hierbei stellt sich die Frage, ob die Praxis von Ende Gelände nun einfach das Thema Gas auf die selbe Art und Weise behandelt, wie sie das bei Braunkohle gemacht hat und wie erfolgreich so ein Themenhopping sein kann. Denn schließlich – und diese Erkenntnis hat sich in weiten Teilen der Klimagerechtigkeitsbewegung erfreulicherweise durchgesetzt – wird die ökologische Frage nur mit der Überwindung des Kapitalismus zu lösen sein. Dazu fehlt jedoch eine geeignete Praxis. „System Change, not Climate Change“ ist bisher vor allem eine Phrase, die noch durch eine entsprechende Praxis zu füllen wäre. Die Debatte um friedliche Sabotage, die in letzter Zeit vermehrt geführt wurde, führt zwar zu einer interessanten Erweiterung der Aktionsformen, kann jedoch auf diese grundlegende Frage auch keine Antworten liefern. Das libertär-kommunistische Bündnis „…ums Ganze!“ (uG) hat dieses Jahr bei Ende Gelände über das Thema der Logistik und die Hafenblockade eine mögliche Antwort vorgeschlagen. UG betont die Bedeutung der Logistik für den derzeitigen Kapitalismus (sie ermöglicht die totale Konkurrenz auf dem Weltmarkt sowie den weltweiten Transport fossiler Energieträger) und macht in ihr ein Feld der Intervention aus, da die Lieferketten eben auch durch Blockaden empfindlich gestört werden können. Doch eine alleinige Blockade transformiert noch nicht die Gesellschaftsform. Das weiß auch uG, weshalb es ihnen um eine Politisierung und letztlich um eine kollektive Aneignung und den Umbau der Logistik geht. Dafür jedoch bräuchte es eine erheblich größere Massenbasis als die paar Tausend Menschen, die derzeit zu Ende Gelände-Aktionen kommen, und es bleibt die Frage, wie sich diese Basis mit den bisherigen Aktionsformen der Klimagerechtigkeitsbewegung schaffen lässt.
Insgesamt ist die Klimagerechtigkeitsbewegung also derzeit in einem Such- und Neuorientierungsprozess.
Energiepreise werden zu einem dringlichen Thema
Die steigenden Energiepreise, die auch Treiber einer allgemeinen Inflation sind, sind spätestens seit dem Krieg in der Ukraine zu einem dringlichen Thema geworden. Die Regierung versucht den drohenden Gasmangel wie bereits oben erwähnt einerseits durch die Beschaffung von Gas aus anderen Quellen zu umgehen, andererseits fordert sie die Verbraucher*innen zum Sparen auf. Die Gasumlage macht die Preise für die Verbraucher*innen noch teurer, um sicherzustellen, dass die Energieunternehmen weiterhin Profite machen können. Wir sollen also frieren und kürzer duschen, das Kapital hingegen soll sich möglichst ungebremst weiter akkumulieren. Die Preissteigerungen sind dabei eine existenzielle Bedrohung für zahlreiche Menschen. Für Armutsbetroffene wird es immer schwieriger, sich das Nötigste leisten zu können. Wer die Energiekosten nicht zahlen kann, der/dem drohen Stromabklemmungen.
Dagegen regt sich zu Recht Wut und Widerstand. Dieser artikuliert sich jedoch nicht zwingend auf eine linke und emanzipatorische Art und Weise. Aus dem Milieu der Querdenker*innen und anderer rechter Bewegungen wird in den Preiserhöhungen ein Thema gewittert, mit dem sich Massen mobilisieren ließen. Verbunden wird das dann oft mit Verschwörungsideologien und einer Parteinahme für das russische Regime. Doch gerade weil das Thema von Rechts politisiert wird, sollten wir als gesellschaftliche Linke es nicht ignorieren; wir sollten es nicht den Rechten überlassen, sondern eigene Mobilisierungen starten und Antworten formulieren. Mit dem Aufruf dazu haben zuletzt vor allem Stimmen aus der Linkspartei Aufmerksamkeit bekommen, von denen einige durchaus mit Querfront-Strategien liebäugeln. Das darf nicht die Lösung sein, wir brauchen eine klare linke und emanzipatorische Bewegung gegen die Preiserhöhungen. An einigen Orten wird dafür schon gute Arbeit geleistet, so gibt es in Bremen ein „Bündnis gegen Preiserhöhungen“, das maßgeblich von außerparlamentarischen linken Gruppen wie der Basisgruppe Antifaschismus (organisiert in uG) aufgebaut wurde.
Vergesellschaftung als Antwort auf Energie- und Klimakrise
Die Forderung nach Vergesellschaftung stellt eine linke und emanzipatorische Antwort auf beide Krisen dar. Die Klimakrise stellt uns vor die Herausforderung eines gigantischen Umbaus der Energieproduktion. Gleichzeitig reicht es nicht, die fossilen nur durch erneuerbare Quellen zu ersetzen, sondern es braucht auch eine massive Reduktion des Energieverbrauchs und eine Abkehr vom Wachstum. Damit dies auf gerechte Art und Weise geschehen kann und nicht nur die zum Sparen genötigt werden, die sich weniger Strom leisten können, braucht es demokratische, gesamtgesellschaftliche Planung und eine Debatte darüber, für was wir die Energie verwenden wollen. Die braucht es auch angesichts der Energiepreiskrise: Nicht die Zahlungsfähigkeit sollte entscheiden, wem der Strom abgeklemmt wird, sondern eine an unseren Bedürfnissen orientierte Planung. Strom darf keine Ware sein, sondern sollte Haushalten für den alltäglichen Bedarf bedingungslos zur Verfügung stehen (wobei es auch hier Maßnahmen zur Stromeinsparung braucht). Abgeklemmt werden sollte er dort wo er nicht zur Befriedigung von Grundbedürfnissen dient, sondern nur Kapitalinteressen, etwa bei Werbetafeln oder auch in zahlreichen Industrien.
Um das zu ermöglichen, muss der Energiesektor, d.h. die Stätten der Stromproduktion, aber auch die Stromnetze, vergesellschaftet und somit der Logik des Marktes und den Profitinteressen der Energieunternehmen entzogen werden.
Über diese gemeinsame Forderung lassen sich Klimagerechtigkeitsbewegung und Proteste und Bewegungen gegen Preiserhöhungen miteinander verbinden. Diese Verbindung ist auch nötig, um gewisse Probleme zu vermeiden, die sonst entstehen könnten: Wenn die Klimagerechtigkeitsbewegung sich gegen Gasinfrastruktur richtet, ohne gleichzeitig Alternativen aufzuzeigen, könnte dies bei vielen Verbraucher*innen auf Unverständnis stoßen und ihre Sorge um bezahlbare Energie verstärken. Wenn hingegen die Bewegungen gegen die Preiserhöhungen die ökologische Frage ausklammern, dann beschränkt sich deren Gerechtigkeitssinn auf den Globalen Norden und ist selbst hier zeitlich sehr begrenzt. Aus einer Perspektive für globale Gerechtigkeit, muss der Kampf um Energieversorgung einhergehen mit einem radikalen ökologischen Umbau.
Beides lässt sich in der Forderung nach Vergesellschaftung miteinander verbinden.
Mit der Vergesellschaftung stellt sich die Frage ums Ganze
Die Forderung nach Vergesellschaftung einzelner Sektoren, hier des Energiesektors, kann zudem eine Brücke schaffen zwischen dem Alltagsverstand der meisten Menschen auf der einen und einer kommunistischen Utopie auf der anderen Seite. Utopiedebatten sind sehr wichtig, doch allein mit der Forderung nach einer kommunistischen Gesellschaft lassen sich wenig Leute aktivieren. Die Vergesellschaftung einzelner Sektoren kann hingegen bei entsprechenden Umständen schon eine sehr schnell einleuchtende Forderung sein, wie der gewonnene Volksentscheid von „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ zeigt. Sie ist dabei zugleich mehr als nur irgendeine sozialdemokratische Reform, sondern sie weist über den Kapitalismus hinaus: Wenn das Entziehen gewisser Bereiche aus der Marktlogik und die Überführung in gesellschaftliche Selbstorganisation, in Commons, gedanklich und praktisch erweitert wird auf andere und letztlich alle Bereiche, dann hätten wir Kommunismus.
Die Vergesellschaftung des Energiesektors stellt dabei mehr noch als die Vergesellschaftung von Wohnraum die Frage ums Ganze: Denn das Energienetz ist die Infrastruktur, auf die heutzutage jede Kapitalfraktion angewiesen ist, die irgendetwas produzieren oder verkaufen will. Ebenso wie die Lieferwege über Schiff, Straße und Schiene zählen die Energienetze zur Logistik, die die Lebensadern des Kapitalismus bildet, nur dass hier eben keine Container transportiert werden, sondern Strom. Wenn eine Vergesellschaftung dieser Infrastruktur nun verbunden wäre mit einem radikalen ökologischen Umbau, dann würde das bedeuten, zahlreichen Industrien die Stromzufuhr zu kappen und ein Degrowth einzuleiten.
Eine ökologische Vergesellschaftung lässt sich erst in einem revolutionären Bruch realisieren
Eine radikal demokratische und ökologische Vergesellschaftung des Energiesektors ist somit nicht innerhalb des Kapitalismus denkbar, sondern nur im Moment des Bruchs mit dieser Gesellschaftsform. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum Thema Wohnraum und der Kampagne „Deutsche Wohnen und Co enteignen“. Der Umgang des Berliner Senats mit dem Ergebnis des Volksentscheids zeigt bereits, dass der Staat des Kapitals sich auch unter einer rot-rot-grünen Regierung schwer tut mit einer Vergesellschaftung von Wohnraum, die die Profite von Unternehmen bedroht: Er ruft eine Kommission ein, die auch Alternativen zur Enteignung erwägen soll. SPD und Grüne versuchen es tunlichst zu vermeiden, den Willen der Mehrheit der Berliner Bevölkerung in dieser Frage umzusetzen und die Linkspartei setzt dem kaum Widerstand entgegen. Doch durch mehr Druck von den Berliner Mieter*innen wäre es durchaus denkbar, den Staat zur Umsetzung zu drängen. Der Staat muss sich zwar als ideeller Gesamtkapitalist die Kapitalinteressen zu eigen machen, denn nur wenn die Wirtschaft wächst bekommt er mehr Steuereinnahmen, die ihn handlungsfähig machen, doch er kann durchaus auch gegen die Interessen einzelner Kapitale handeln. Wenn die Reproduktion der Arbeitskraft dadurch bedroht ist, dass kaum noch bezahlbarer Wohnraum vorhanden ist, könnte sogar aus Sicht des ideellen Gesamtkapitalisten eine Vergesellschaftung Sinn ergeben. Momentan erfordert dies jedoch eine massive Verschiebung der Kräfteverhältnisse. Wenn dies gelingt, dann könnte durch die Enteignung ein sehr großer Bereich der Marktlogik entzogen und in Commons oder eine commons-ähnliche Struktur überführt werden. Dies wäre von immenser Bedeutung für eine revolutionär-transformatorische Perspektive: Es würde sehr vielen Menschen aufzeigen, dass linke Bewegungen Kämpfe gewinnen können und dass Vergesellschaftung und kollektive Verfügung über unsere Lebensbedingungen möglich ist und uns das Leben erleichtert. Die Möglichkeit der Realisierung eines solchen Zwischenschritts ist bei der Forderung nach Vergesellschaftung des Energiesektors sehr unwahrscheinlich, zumindest wenn sie mit dem nötigen ökologischen Umbau und Degrowth verbunden wird. Das ist einerseits ein Nachteil, weil dadurch das Gewinnen solcher Zwischenschritte weg fällt, es kann aber andererseits auch ein Vorteil sein, da dieser Kampf dann nicht zu befrieden ist und letztendlich bis zum gesamtgesellschaftlichen Bruch mit dem Kapitalismus geführt werden muss.
Hierbei stellt sich die Frage, ob der Verweis auf den Artikel 15 des Grundgesetzes, der Vergesellschaftung in der BRD rechtlich ermöglicht, nicht zu unrealistischen Hoffnungen in den Staat führt. Ist bei DWE dieser Verweis nötig, weil darüber tatsächlich eine Vergesellschaftung innerhalb der Spielregeln des Bestehenden möglich wird, ist es wie ich argumentiert habe, extrem unwahrscheinlich, dass „RWE und Co enteignen“ ihre Ziele darüber erreichen wird. Passiert die Vergesellschaftung erst im revolutionären Bruch, braucht sie keine Paragraphen, da dieser Bruch auch ein Bruch mit dem Staat und seiner bürgerlichen Rechtsordnung sein wird. Dennoch kann es strategisch sinnvoll sein, auf den Artikel 15 zu verweisen, um anknüpfungsfähig an den Alltagsverstand zu sein und dem Anliegen der Vergesellschaftung mehr Legitimität zu verleihen.
Die Bewegung für Vergesellschaftung muss eine Bewegung für Degrowth sein
Die Argumentation in den letzten beiden Abschnitten, dass die Vergesellschaftung des Energiesektors nur in einem Bruch mit dem Kapitalismus realisierbar ist, bezieht sich auf die Zielsetzung der Klimagerechtigkeit, die für die Kampagne „RWE und Co enteignen“ mit der Vergesellschaftungsforderung verknüpft ist. Was hingegen theoretisch schon innerhalb des Kapitalismus denkbar wäre, wäre eine Vergesellschaftung ohne die aus Klimagerechtigkeitsperspektive nötigen Schritte eines radikalen ökologischen Umbaus und Degrowth. Dies wäre wahrscheinlich keine radikal demokratische Vergesellschaftung, sondern eher eine Verstaatlichung, eventuell mit einigen Partizipationsmöglichkeiten. Der Staat als ideeller Gesamtkapitalist muss die Energieversorgung der einzelnen Kapitalfraktionen gewährleisten. Dies tut er heute über privatisierte Stromproduktion und -netze, doch prinzipiell könnte er diese Aufgaben auch direkt selbst in die Hand nehmen und vielleicht den Verbraucher*innen und Produzent*innen noch etwas Mitbestimmung geben. Dies wäre ein mögliches Resultat einer Vergesellschaftungsbewegung, mit der die Forderungen teilweise erfüllt werden, ohne dass der Kapitalismus als Ganzes in Frage gestellt wird. Wird die ökologische Perspektive nicht mit einbezogen, so könnte dieses Resultat auch aus Perspektive der Stromverbraucher*innen akzeptabel erscheinen. Tatsächlich sind innerhalb des Kapitalismus auch die Lohnabhängigen von der Kapitalverwertung, also ihrer eigenen Ausbeutung, abhängig, denn nur wenn diese läuft haben sie Lohnarbeit und können ihren Lebensunterhalt bestreiten. Ein Degrowth widerspricht somit auch den systemimmanenten Interessen der Lohnabhängigen. Eine demokratische Kontrolle über die Energieversorgung würde deshalb nicht automatisch ein Degrowth einleiten. Es ist also wichtig, die ökologische Perspektive in der Forderung nach Vergesellschaftung stark zu machen. Wenn die Vergesellschaftung des Energiesektors klimagerecht sein soll, dann geht sie nur mit Degrowth, mit Stromabklemmungen für zahlreiche Unternehmen und einem Bruch mit dem Kapitalismus. Dies kann auch an den Interessen der Lohnabhängigen anknüpfen, denn diese gehen nicht in systemimmanenten Interessen auf.
Eine Bewegung für die Vergesellschaftung des Energiesektors aufbauen – mit revolutionär-transformatorischer Perspektive
Die Forderung nach Vergesellschaftung des Energiesektors bietet das Potential, Bewegungen für Klimagerechtigkeit und Bewegungen für soziale Gerechtigkeit, die anlässlich der Preissteigerungen entstehen, zusammenzubringen. Diese Verbindung ist notwendig, einerseits damit die Klimagerechtigkeitsbewegung sich verbreitern und weitere Teile der Bevölkerung mit einbeziehen kann und andererseits, damit die Bewegungen um Energiepreise sich nicht in eine reaktionäre oder anti-ökologische Richtung entwickeln. Dass eine solche Verbindung möglich ist, zeigen die gemeinsamen Aktionen von Klima- und Gelbwesten-Bewegung in Frankreich vor einigen Jahren. Die Realisierung einer klimagerechten Vergesellschaftung ist nur denkbar in einem gesamtgesellschaftlichen Bruch mit dem Kapitalismus. Ein solcher Bruch würde die massenhafte Aneignung von Produktionsmitteln und deren Überführung in gesellschaftliche Selbstorganisation, in Commons, bedeuten und damit letztlich die Überflüssigmachung von Staat, Markt und Geld.
Eine Bewegung für die Vergesellschaftung des Energiesektors könnte diesen Bruch auf mehreren Ebenen vorbereiten. Erstens braucht ein Bruch handlungsfähige, gut organisierte soziale Bewegungen, die Aneignungskämpfe führen, unterstützen und vernetzen können, die in den öffentlichen Diskurs intervenieren, das Krisenbewusstsein stärken und Alternativen aufzeigen können. Zweitens braucht es eben diese Alternativen, die in Keimform schon vor dem Bruch aufgebaut werden müssen, damit ihre Verallgemeinerung im Moment des Bruchs wahrscheinlicher wird. „RWE und Co enteignen“ kann nicht eine ähnliche Keimform schon vor dem Bruch schaffen, wie es beim Thema Wohnraum möglich wäre. Doch der Fokus auf ein Thema wie Energieversorgung könnte es ermöglichen, hier zumindest schon einmal konzeptuell aufzuzeigen, wie ein gesamtgesellschaftliches Energie-Commons aussehen könnte. Hierbei könnte auch die Vernetzung mit bereits existierenden kleineren Energie-Commons wie Energiegenossenschaften in Bürger*innenhand hilfreich sein. Und drittens müsste eine revolutionär-transformatorische Bewegung in weiten Teilen der Bevölkerung verankert sein. Es braucht eine Basisorganisierung, die die Aneignung vorbereiten kann. Dies könnten in der Bewegung für eine Vergesellschaftung des Energiesektors etwa Stadtteilräte sein, die sich um die Frage der Preissteigerungen herum bilden und somit an den unmittelbaren Interessen der Menschen anknüpfen können. In einer solchen Basisorganisierung müsste auch gegenseitige Hilfe organisiert werden, wenn es zu Stromabklemmungen kommt oder Menschen sich die Energie nicht mehr leisten können.
Wenn sich diese verschiedenen Momente verbinden in einer Bewegung zur Vergesellschaftung des Energiesektors, dann könnte dies sowohl der Klimagerechtigkeitsbewegung als auch den Protesten gegen Preissteigerungen eine Perspektive bieten, die sowohl anknüpfungsfähig ist als auch einen revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus vorbereiten kann.
In diesem Sinne: Bis Samstag in Kölle!