Commons: Anregungen

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Voneinander lernen: ökologische Kreisläufe, Staats- und Herrschaftskritik, nachhaltige Technologien und Selbstentfaltung

Welche Leerstellen weist die Commons-Perspektive auf und welche Anregungen bietet die Degrowth-Bewegung – und umgekehrt? Ein Feld, in dem die Commons-Bewegung von der Degrowth-Bewegung lernen kann, sind die ökologischen Kreisläufe im globalen Zusammenhang. Die Beschreibung und Analyse von lokalem und praktischem Wissen ist bei Commonern stark und tiefgehend ausgeprägt. Die Erforschung der planetaren Grenzen und globaler ökologischer Kreisläufe ist hingegen etwas, das die Degrowth-Wissenschaft vergleichsweise stärker betreibt. Gerade unter dem Gesichtspunkt, dass Aktivist*innen der Commons-Bewegung eine Commons-Welt für möglich halten, ist Austausch an dieser Stelle fruchtbar und könnte vor unangebrachtem Optimismus wie auch unrealistischen Szenarien bewahren.

Umgekehrt könnte die Degrowth-Bewegung sich von der Commons-Perspektive inspirieren lassen. Bei Degrowth geht es vielfach um relativ abstrakte Kennziffern zu CO2-Emissionen, Wirtschaftswachstum oder Rohstoffverbrauch, aus denen Konsumkritik und Verzichtsforderungen für den globalen Norden abgeleitet werden. Aus Commons-Perspektive treten qualitative Unterschiede und strukturell-systemische Veränderungsnotwendigkeiten stärker in den Vordergrund. Kritisiert wird Konsum, der nicht auf Bedürfnisbefriedigung abzielt, sondern auf Status oder Mehrwertproduktion, und es wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass ein volles, genussreiches Leben für alle erreichbar ist. Das heißt, es geht nicht primär um individuellen Verzicht, sondern unter der Prämisse der kollektiven Selbstentfaltung aller darum, wer was, wie und warum herstellt und (ver)nutzt.

Vor dem Hintergrund des Prinzips „Beitragen statt tauschen“ wird die Geld- und Tauschlogik in Commons-Kreisen grundsätzlich kritisiert. Mit Blick auf die Frage einer Reformierung der Geldsysteme wird diskutiert, ob diese dabei hilft, jene Logik zu überwinden, oder ob sie sie eher verfestigt. Als langfristige Commons-Vision kann wohl eine Gesellschaftsform gelten, die sich vom Tausch als gesellschaftlichem Vermittlungsmodus freimacht. Auch ist in der Commons-Bewegung eine grundsätzlich kritische Haltung staatlichen Institutionen gegenüber vorhanden – nicht nur weil Markt und Staat maßgeblich für diverse Einhegungen verantwortlich gemacht werden, sondern auch weil Commons nicht zentralisiert funktionieren. Dies ist auch eine wesentliche Abgrenzung der Commons-Bewegung zum marxistisch-staatszentrierten Kommunismus. Die Verortung von Commons jenseits von Markt und Staat lässt erahnen, dass die Commons-Aktivist*innen sowohl mit marktwirtschaftlichen als auch mit nationalstaatlichen Prinzipien brechen wollen. Normative Grundlage, so lässt sich sagen, ist dabei die grundsätzliche Ablehnung jeglicher Formen der Herrschaft. Eine stärkere Beachtung solcher Diskurse, die Staat und Markt als gesellschaftsbestimmende Institutionen kritisch diskutieren, könnte die Degrowth-Bewegung bereichern und dazu beitragen, strukturelle Hindernisse für eine Postwachstumsgesellschaft sichtbar zu machen.

Grundsätzliche Technologiekritik, die sich zum Beispiel an Ivan Illich (1998) orientiert und sich in Degrowth-Kontexten findet, wird in zeitgenössischen Commons-Kreisen konstruktiv gewendet, indem gefragt wird: Welche Ausgestaltung von Technologien entspricht menschlichen Bedürfnissen und wem nützt Technik wozu? Unter anderem durch die starke Verwurzelung in der digitalen Welt und aufgrund der Beteiligung eher technikaffiner Menschen in Hacker- und Maker-Spaces und in der Open-Hardware-Szene ist ein gewisser Technologieoptimismus vorhanden (vgl. Siefkes 2013). Technologiekritik und Technikoptimismus gehen dabei Hand in Hand: Während die einen sich mit der Kritik an heutigen, als problematisch wahrgenommenen Technologien beschäftigen, entwickeln die anderen neue, die nach anderen Prinzipien, wie Modularität, Reparierbarkeit oder Ressourcenschonung, funktionieren – Prinzipien, die auch mit Degrowth-Ansprüchen vereinbar sind. Das Projekt Open Source Ecology zum Beispiel hat es sich zur Aufgabe gemacht, fünfzig industrielle Maschinen zu bauen, die ein kleines Dorf braucht, damit die Bewohner*innen nachhaltig sowie relativ autark ein gutes Leben führen können.

Wie eingangs erwähnt, scheint viel Degrowth in Commons zu stecken und viel Commons in Degrowth. Ähnlich verhält es sich auch mit anderen in diesem Projekt versammelten Strömungen. Viele der Anregungen werden in Commons-Zusammenhängen diskutiert und praktisch umgesetzt. Auf Gleichberechtigung abzielende Perspektiven zu Mensch-Natur-Verhältnissen, wie beispielsweise in Umwelt- und Tierschutzkreisen und in verschiedenen Gerechtigkeitsdiskursen, spielen ebenso eine Rolle wie das Ziel eines gleichberechtigten Miteinanders der Menschen, wie es zum Beispiel No-Border-Gruppen fordern, die sich eine Welt ohne Staatsgrenzen wünschen. Insbesondere viele Souveränitätsbewegungen (etwa für Lebensmittelsouveränität) haben viel mit Commons gemein, geht es ihnen doch um die Möglichkeit, über die je eigenen Lebensbedingungen zu verfügen.(5) Auf andere Transformationsbemühungen beziehen sich Commons-Aktivist*innen hingegen mitunter kritisch, etwa wenn die vorgeschlagenen Mittel der Umsetzung im Widerspruch zu den jeweiligen Zielen stehen (zum Beispiel wenn sich hierarchisch organisierte politische Parteien für Commons einsetzen). Ebenso werden Ansätze und Umgangsweisen kritisiert, die die zu überwindenden Logiken – Tausch-, Verwertungs- und Geldlogik – ebenso wie Hierarchien und Zwangsverhältnisse unreflektiert reproduzieren beziehungsweise manifestieren (zum Beispiel die Reformierung des Geldsystems durch alternative Tauschwährungen wie Bitcoin).
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(5) Nationalistische und andere Bewegungen, die primär auf den Ausschluss anderer abzielen und sich dabei ebenfalls positiv auf den Souveränitätsbegriff beziehen, sind hier explizit nicht gemeint.

Literatur: im Einleitungsbeitrag

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