Open Source Biologie
„Wer weiss, vielleicht haben wir in 20 Jahren ein genetisches Wikipedia und ein zelluläres Linux, das kostenlos und frei kopierbar ist und allen zugutekommt?“ — ein Interview mit Rüdiger Trojok.
Rüdiger Trojok ist Biohacker in Berlin. Im Moment schließt er sein Biologie-Studium (Diplom) ab. Vom 24. – 26. Januar 2014 war er Teil des Projektes „DIY Bio Lounge und Bio-hackathon“ im Art Laboratory Berlin (www.artlaboratory-berlin.org) in Verbindung mit der Transmediale, Ausstellung und Kongress zu Verbindungen zwischen Kunst, Kultur und Technologie (www.transmediale.de).
Das komplette Interview auf Linksnet lesen.
„Gemeinsam haben beide Bereiche eigentlich nur, dass sie Biologie als programmierbare Technologie, man nennt es jetzt oft Wetware, ansehen. Die DIYbio-Szene hat diesen Ansatz aufgegriffen und eigenständig weiterentwickelt.“
Wenn aber Biologie etwas anderes ist, nämlich das Resultat nahezu unendlich vieler Iterationen auf der Basis von Interaktionen, dann kann man dieser Frankenstein – Ideologie eigentlich nur feindselig gegenüberstehen. Es gäbe sehr viel sinnvolles zu tun im Bereich des Lebendigen, das Manipulieren von Genen gehört nicht dazu.
Es ist eine Konsequenz der OpenSource-Theorie, dass der bloße Beitrag schon als gesellschaftliche Bereicherung aufgefasst werden kann. Das Resultat ist eine Willkürlichkeit, die durch Willkür kontrolliert wird und durchsetzt, was hinter den sugenfälligen Nützlichkeiten sich selbst ermächtigen kann. So wie es eine Lüge ist, dass Wikipedia aus „freien Beiträgen“ bestünde und nicht aus Beitragsresten, die eine Zensur durch irgendwelche Oberlehrer oder Lobbyisten überstanden haben, so wird sich auch hier ein Pool von Möglichkeiten entwickeln, die sich über populäre Vorstellungen verdichten und schließlich auch neue „Karrieren“ eröffnen.
Der Dreh der OpenSource-Bewegung wird dabei überdeutlich: Es ist die simple Verallgemeinerung von relativ willkürlichen Einfällen, die irgendeinen populären Nutzen wohl immer haben werden. Wenn die Vertiefung durch die Reflexionsstufen des Verallgemeinerns nicht in einer gesellschaftlichen Verfügung, also durch die Organisation einer Beschlussfassung verbunden werden, wird Willkür aufgelesen und von entsprechender Administration oder Lobbyisten praktisch mit privater Allgewalt des Meinens und Dafürhaltens verwertet. Was Biologisch vielleicht „nur“ nach Frankenstein riecht, ist politisch eine Zeitbombe, die so reaktionär ist, wie sie auch abschließend die Reaktion auf den Plan ruft, die dann die Auswüchse kontrollieren will, um schließlich alles zu kontrollieren.
Du kannst Dir ja hier auch schon mal die nicht allzu neue Konsequenz dieser Art von Populismus vorstellen, die ich mit Anarcho-Faschismus bezeichnen würde.
@Wolfram: du bohrst ja dicke Bretter, erstmal die Faschismus-Keule rausholen und dann noch mit dem „Chaoten“ (Anarchos) Vorwurf gekoppelt.
Logisch bist du dabei nicht gerade: machst du diejenigen, die aus freier Entscheidung gemeinsam etwas tun, für den reaktionären Gesetzgeber verantwortlich, der ihr Handeln evt. zum Anlassen nehmen könnte, sie (und bei der Gelegenheit gleich noch alle anderen mit) zu unterdrücken? Da scheint mir dann doch das Pferd von hinten aufgezäumt.
Und wieso glaubst du, dass jeder „bloße Beitrag schon als gesellschaftliche Bereicherung“ gilt, wenn dir doch andererseits klar ist, dass z.B. in der Wikipedia (und genauso in fast allen anderen Projekten) keineswegs alles gedankenlos akzeptiert wird, sondern sehr wohl eine Filterung durch die Community (oder auch ihre „oberlehrerhafteren“ Elemente) stattfindet? Also was genau ist dein Vorwurf: dass alle Beiträge akzeptiert werden oder dass NICHT alle Beiträge akzeptiert werden? Du solltest dich mal entscheiden.
Nun ja, eine solche Community gibt es aber gerade im Bereich der „Open Source Biology“ (noch) nicht, insoferne trifft Wolfram sehr wohl eine wunde Stelle. Es herrscht offensichtlich ein völliges Missverhältnis zwischen den gestiegenen Möglichkeiten der dezentralen Intelligenz, die in irgendeiner Form gesellschaftlich organisiert werden müssten, und dem Stand der allgemeinen Bildung und Aufklärung. Hier ist in den letzten Jahrzehnten derartig Raubbau an den allerelementarsten kulturellen Abstrakta berieben worden, dass Leute tatsächlich den Unterschied zwischen einem Computerprogramm und einem lebendigen Organismus für Vernachlässigbar halten.
Wolfram, Open Source ist keine bloße Theorie, sondern wenn Du so willst durchaus etwas, was in der einen oder anderen Form zur materiellen Macht / Gewalt geworden ist und exponential noch mehr zur Macht / Gewalt werden wird. Mit alten (quasistaatlichen) Geltungsanprüchen alleine wird das nicht aufzuhalten sein, sondern nur durch eine Selbstreflexion der Communities selber, die sich als diese neue globale Gestaltungsmacht begreifen und konstituieren müssen.
Und der Charakterisierung von Wikipedia als verallgemeinerter Willkür kann ich mich durchaus anschließen. Auch und obwohl ich mit Wikipedianern an Projekten arbeite; es gibt derzeit nichts Besseres, aber wir wären borniert, wenn wir nicht erkennen würden, wie sehr die allgemeine (bitte hier ein höflicheres und reflektierteres Wort als Verblödung einzusetzen) sich auch hier manifestiert.
@Franz:
Eine Filterfunktion, die gewünschte von unerwünschten/unbrauchbaren Beiträgen sondert, gibt es tatsächlich immer nur in einzelnen Projekten, nie projektübergreifend. Alles andere wäre ja auch totalitär.
Aber einen weitverbreiteten Grundkonsens gibt es schon, soweit ich das bei all diesen offenen DIY/Bastler/Maker/Experimentier-Communitys erlebt habe, nämlich: „Mach nichts, womit du dich oder andere nennenswert gefährdest.“ Damit sind sie tendenziell schon besser als Firmen, wo das Gefahrenrisiko (und das damit verbundene Risiko, gesetzlich zur Verantwortung gezogen zu werden) immer gegen die erhofften Gewinne abgewogen wird.
Dazu passt auch die Aussage von Pat Mooney (auf der Berliner Commons-Konferenz 2010), die kleinen DIYbio-Bastler_innen würden ihm keine Angst machen, sondern die großen Konzerne. Tatsächlich sind ja auch die problematischsten Entwicklungen im Gentechnikbereich, wie etwa „Terminator Seeds“, Patentierung von (Teilen von) Lebewesen u.a., gerade dafür gedacht, Wissen wegzuschließen und andere auszugrenzen. Open-Source-Communitys wirken dem entgegen.
@Christian:
„Und wieso glaubst du, dass jeder “bloße Beitrag schon als gesellschaftliche Bereicherung” gilt, wenn dir doch andererseits klar ist, dass z.B. in der Wikipedia (und genauso in fast allen anderen Projekten) keineswegs alles gedankenlos akzeptiert wird, sondern sehr wohl eine Filterung durch die Community (oder auch ihre “oberlehrerhafteren” Elemente) stattfindet? Also was genau ist dein Vorwurf: dass alle Beiträge akzeptiert werden oder dass NICHT alle Beiträge akzeptiert werden? Du solltest dich mal entscheiden.“
Bei Wikipedia entscheidet
1. die Kraft und Zeit, also die Hartnäckigkeit und Existenzsicherung und deren Werdegang (Bildungsprozess), die jemand für eine Diskussion hat, deren Hintergründe nicht darstellbar sind (vergl. z.B. die Tatsache, dass auf Administratorebene schon sehr bezahlte Lobbyisten – laut Monitor im Januar – Texte auf- und abräumen),
2. der Zugang zu einer Entscheidungsebene beim Einsatz für die Filterung von Beiträgen (z.B. laufen dort Algorithmen, die bestimmte Themenbeiträge für bestimmte Autoren unzugänglich machen, ohne dass dies zur Sprache kommt und schon auf technischer Ebene erledigt wird),
3. die Fähigkeit zur Verdurchschnittlichung von Inhalten auf eine populäre Allgemeinheit, die Zustimmung von denen erheischt, die sich in der Differenzierung einer Thematik nicht einarbeiten können/wollen,
4. die Fähigkeit zur Ideologisierung eines Textes, die sich aus der Vereinfachung einer Problematik als deren Auflösung anbietet (vielleicht nimmt ja hier niemand die Säuberungsaktivitäten gegen marxistische Positionen bei Wikipedia wahr).
Kurzum: Es entscheidet die Popularität und Durchsatzfähigkeit unreflektierbarer Hintergründe. Es geht mir nicht um eine Alles-oder-Nichts-Alternative von „Zulässigem“, sondern um die Entscheidung über Zulässigkeiten überhaupt. Ohne die Bindung an offenen Entscheidungsprozessen, die der Ebene und Wirklichkeit der Sache entsprechen und entsprechend organisiert werden, setzt sich eine Allgemeinheit von Willkür durch, die mit Anarchofaschimus durchaus treffend beschrieben ist – nicht weil Anarchisten damit beurteilt oder abgeurteilt wären, sondern ein anarchischer Entscheidungsprozess, der genau das auflöst, was er angeblich zur Differenzierung und Freiheit der Bildung zu sein beansprucht. Es dreht sich daher auch nicht um ein Chaos oder eine Abweisung von chaostheoretischen Positionen, sondern um die Täuschungen, welche existenzielle Entscheidungen durch „existenzfreie“ Dafürhaltungen hervorbringen. Es ist also die Frage, wer oder was „DIE Comunity“ ist und woraus die dort bezogenen Gedanken ihre Wirkungen beziehen und wie und warum sie sich Verallgemeinern.
Ich halte eine qualifizierte Delegation mit durchsichtiger Hierarchisierung auf der Sachebene dagegen.
@Wolfram: Die Vorwürfe gegen Wikipedia sind nicht ganz unberechtigt, aber Wikipedia ist halt auch ein spezifisches Projekt mit ganz bestimmten Eigenheiten und Problemen. Kritik an diesem Einzelprojekt als Kritik an „Open Source“ überhaupt zu deklarieren, ist daher wenig seriös.
Konkret zu den einzelnen Vorwürfen:
Zu 1. Admins haben bei der inhaltlichen Arbeit an Texten nicht mehr Rechte als alle anderen auch. Sie haben Rechte wie das Verhängen von Sanktionen gegen andere Nutzer_innen, die sie aber gerade NICHT ausüben dürfen, wenn sie selbst in einen Konflikt involviert sind. Ich bezweifle nicht, dass das manchmal trotzdem vorkommt — wo Macht ist, wird sie auch missbraucht –, aber das ist dann ganz klar ein individuelles Fehlverhalten, das zum Verlust der Adminrolle führen müsste, wenn sich jemand darüber beschwert.
Was zu mit 2. meinst, ist mir nicht ganz klar. Ich weiß nur, dass bestimmte besonders umstrittene oder oft vandalisierte Seiten für unregistrierte und neue Nutzer_innen gesperrt sind. Aber auch wenn das „technisch“ umgesetzt ist, ist dieses Mittel weder geheim noch von oben herab aufgedrückt worden, sondern selbst Ergebnis einer Community-Diskussion. Oder meinst du was anderes?
Zu 3. Eine populäre, allgemeinverständliche Darstellung ist der Existenzzweck von Enzyklopädien, mehr wollen und können sie nicht leisten. Dass die, die sich tiefer in ein Thema einarbeiten, ein detaillierteres und differenzierteres Verständnis davon bekommen als durch das bloße Lesen von Wikipedia-Artikel möglich ist, versteht sich ja wohl von selbst.
Zu 4. Die Wikipedia ist vom Anspruch her der „Neutralität“ verpflichtet, was in der Umsetzung notgedrungen dazu führt, dass sie in erster Linie die Mehrheitsmeinung wiedergibt. Wo die Mehrheit (wie in den Naturwissenschaften) gute Gründe für diese Meinung hat, ist das in Ordnung. Wo die Mehrheit selbst stark ideologisch geprägt ist (wie der neoklassische Diskurs in den Wirtschaftswissenschaften) ist es hochproblematisch, da sich der Mehrheitsdiskurs dann auch auf die Darstellung minoritärer Sichtweisen (wie die marxistische) durchschlägt. Für andere umkämpfte und umstrittene Themen gilt das ganz genauso: Die Wikipedia spiegelt tendenziell immer die „vorherrschende Meinung“ wieder, die sich oft vom dem unterscheidet, was man aus linker/emanzipatorischer Sichtweise für richtig hält.
In der bürgerlichen Gesellschaft kann die Wikipedia nur eine bürgerliche Enzyklopädie sein, und das ist sie auch. Das ist eine Begrenzung, die einem bewusst sein muss, aber ich denke, das spricht nicht gegen das Projekt. (Natürlich könnte man versuchen, ihr z.B. eine linke/emanzipatorische/marxistische/feministische etc. Enzyklopädie entgegenzusetzen, aber die würde nur einen Bruchteil der Autor_innen und deshalb auch noch weniger Leser_innen anziehen.)
@Christian:
„In der bürgerlichen Gesellschaft kann die Wikipedia nur eine bürgerliche Enzyklopädie sein, und das ist sie auch. Das ist eine Begrenzung, die einem bewusst sein muss, aber ich denke, das spricht nicht gegen das Projekt. „
Ja, da sind wir uns einig. Wikipedia ist täglich millionenfach nützlich und eine bürgerliche Enzyklopädie in einer bürgerlichen Gesellschaft, eben auf dem Boden ihrer Lebensbedingungen (z.B. Arbeitszeit, Freizeit, Kulturzusammenhänge, Produktivkraft usw.). Doch dass sie immer noch als Basismodell einer Keimform zur Überwindung des Kapitalismus (Wege aus dem Kapitalismus) zitiert wird, hat den Glauben befördert, dass eine sozialistische Gesellschaft sich aus freien Beiträgen von Individuen ergeben würde. Tatsächlich ist das Copyright eine fundamentale Rechtsform der bürgerlichen Aneignungslogik, ein zentraler Eigentumstitel im IT-Bereich, so wie das Mietrecht ein zentraler Eigentumstitel auf einer existenziellen Ebene ist. Letztrer lässt sich schon gar nicht durch einen „freien Beitrag“ ersetzen, während erstrer zumindest durch Beiträge von Menschen, die existenziell hinreichend viel Freizeit dazu haben, erbracht werden können. Aber gesellschaftlich bleibt damit alles unverändert, auch wenn es tausend Modelle für 3D-Drucker oder Genbasteleien der Privat-Dr.Mabuses im Internet gibt. Es ist in keiner Weise eine wirkliche Entgegnung auf die Rechtsform des Kapitalismus. Die Aufhebung des Privateigentums lässt sich nicht einfach so mal durch Goodies gutmeinender Menschen erschleichen, weil das die Fundamente der bürgerlichen Gesellschaft, eben die Grundform des Privatrechts betrifft.
Schon die Diskussion über die GEMA und die Musikproduzenten hat doch gezeigt, wie existenziell die „Beiträge“ für Menschen sind, die davon leben können müssen, wenn jemand also wirklich unter den herrschenden Bedingungen sich damit erhalten können muss. Idealfall ich mach Musik und Du machst Software? Den kanns nicht geben, weil zur Überwindung kapitalistischer Arbeitsformen die Aufhebung isolierter Arbeitsbeteiligung nötig ist. Das verlangt notwendig eine Organisationsform im Verhältnis von Bedürfnisentwicklung und Entwicklung der Arbeit bzw. der Reduktion von Arbeitsaufwand (Produktivkraftentwicklung).
Und das war hier das Thema: Eine anarchische Bedürfnisbefriedigung ist zwar eine beliebte Vorstellung des individualisierten, in seiner existenziellen Isolation vereinzelten Kleinbürgers. Sie kann aber nicht von einer gesellschaftlichen Form der Arbeit und Beschlussfassung getrennt, also nicht wirklich anarchisch sein.
Und inhaltlich geht da auch nichts anders: So wie sich Wikipedia zur „Neutralität verpflichtet“ hat, lösen sich alle Inhalte des Bewusstseins in die Neutralität – sprich: Gleichgültigkeit – bürgerlicher Vermittlung auf. Meine Sendungen bei Radio Lora sind nur möglich, weil für diesen Sender die Absage an „Ausgeglichenheit der Sendungen“ grundlegend ist. Bei Wikipedia kann niemand (also nicht nur Vandalen) z.B. einen Webverweis auf meine Website, die Kulturkritik.net anbringen, weil dies nach meinen Einträgen zum Stichwort Kulturkritik in irgendeiner Routine von irgendeinem Admin so abgelegt wurde. Dies nur als Beispiel der Folgen einer völlig unreflektierten Sachlogik. Natürlich hat Open Source gesellschaftliche Folgen: Da gibt es Vandalen, Diebe, Ausbeuter usw. Und im Nachhinein kommt man dann auch erst darauf, einen „Schutz“ hiergegen zu installieren.
Solange die Auseinandersetzungen über Beitrag und Nutzen keinen wirklichen Ort mit wirklichen Gegenständen des täglichen Lebens haben, kann es keine wirkliche gesellschaftliche Entwicklung, Entscheidung und Fortbildung geben. OpenSource kann es nach meiner Auffassung nur innerhalb solcher Verhältnisse geben.
Ich weiß nicht, ob eine andere sozialistische Gesellschaft als eine die „sich aus freien Beiträgen von Individuen ergeben würde“ überhaupt denkbar ist.
Marx charakterisierte Kommunismus als „Assoziation der freien Produzenten“.
Christoph Spehr hat dieses Projekt negativ formuliert als die „jederzeitige Möglichkeit, einbgegangene Kooperation auch auflösen zu können“.
Eine positive Formulierung hat Christian Siefkes ansatzweise versucht, und an diesem Gedankenstrang müssen wir weiterarbeiten.
@Franz:
Marx charakterisierte Kommunismus als “Assoziation der freien Produzenten”.
Warum sollten Produzenten unfrei sein, wenn sie sich über ihre Bedürfnisse auseinandersetzen und ihre Arbeit bewusst planend angehen?
Warum sollte es unmöglich sein, eine eingegangene Kooperation wieder aufzuheben, wenn eine Beteiligung unsinnig wird?
Was ist freie Kooperation anderes, als das freie Zusammenarbeiten von Menschen, die einen gemeinsamen Plan verfolgen (siehe: co-operieren“=zusammen arbeiten).
Was hat das alles mit dem zu tun, was ich gegen einen „freien Beitrag“ von „freien Individuen“ geschrieben habe.
Freiheit unterscheidet sich von Willkür darin, dass sie sich auf Notwendiges bezieht und in der Entwicklung daraus sich verwirklicht.
Wir sind da an einer sehr essentiellen Stelle, Wolfram.
Es gibt mittlerweile einen nicht mehr von der Hand zu weisenden Bedarf, zu ergründen wie diese „Notwendigkeiten“ zustandekommen.
Einige Setzungen und Gedanken dazu:
* Das menschliche Zusammenleben das wir wollen ist als im Grundsatz frei(willig) gestaltet, d.h. sachzwangfrei und normativ anzusehen.
* Das schließt ein, dass wir den Menschen als Produzenten seines Lebens sehen und von erpresserischer Abhängigkeit befreit sehen wollen.
* Ein allgemeines Subjekt darf daher apriori nicht unterstellt werden, sehr wohl aber ein wachsender Anteil allgemeiner, konzeptioneller Arbeit einerseits und ein allgemeines Interesse an individueller Autonomie andererseits, das sich in der Idee des Rechts auf geschützte individuelle Handlungsspielräume ausdrückt.
* Kooperation darf weder erzwungen noch behindert werden, das heißt:
** Es kann keinerlei vermeintlicher Sachzwang zur Kooperation als prinzipiell gegeben akzeptiert werden.
** Es kann keinerlei Recht auf ausschließende Nutzung von Ressourcen allgemeiner Arbeit geben.
* Das Dilemma:entweder Kooperation kommt zustande oder man muss auf niedrigere Standards ausweichen löst sich auf in: es muss immer einen Minimalstandard ohne Kooperation geben.
* Der günstigste Gesellschaftszustand ist der, in dem die größte Flexibiltät an Kooperationen mit dem größten Angebot an partizipativen Ressourcen einhergeht.
* Ein Modell zukunftsfähiger Sozialität sollte von der Eigenarbeit und ihrer Erweiterung und Ermöglichung ausgehen. Dabei ist Eigenarbeit eben auch die organische Arbeitsteiligkeit von Kooperativen.
Auf solchen oder ähnlichen Prämissen müsste eine „Mustersprache der Kooperation aufbauen“. Wir sind davon noch weit entfernt.
@Franz:„Ein Modell zukunftsfähiger Sozialität sollte von der Eigenarbeit und ihrer Erweiterung und Ermöglichung ausgehen. Dabei ist Eigenarbeit eben auch die organische Arbeitsteiligkeit von Kooperativen.“
Wenn man davon ausgeht, dass die menschliche Gesellschaft die Form einer Naturmacht darstellt, durch welche die Notwendigkeiten ihrer Freiheit auch natürlich bestimmt sind, der Stoffwechsel der Menschen weiterhin die Grundlage aller darin auftretenden Nöte ist, muss man auch einsehen, dass die Entwicklung der Produktivität der Arbeit fundamental ist, die es durch den Kapitalismus zu einer Industrie gebracht hat, die sowohl Freiheit wie Unterwerfung der menschlichen Arbeit fortbestimmt. Freiheit durch ihre Intelligenz und Wirtschaftlichkeit, Unterwerfung durch den Verwertungszwang des Kapitals, das auf den Verhältnissen des Geldes gründet. Und wenn man die Freiheit im menschlichen Reichtum, in der Verwirklichung und Entfaltung menschlicher Eigenschaften und Fähigkeiten begreift, dann ist jede Arbeit in diesem Sinne Eigentum bildend, wenn du es so nennen willst: Eigenarbeit. Doch dies kann sie nur in Gesellschaft sein, die derzeit gespalten ist in eine Privatform und eine Gesellschaftsform, worin Individualismus und Kollektivismus als politische Positionen sich verselbständigt haben.
Die „organische Arbeitsteiligkeit von Kooperativen“ enthält also sowohl die Naturform einer Gesellschaft, ihre Ressourcen als Bodenschätze und Produktivkraft, wie sie zugleich das menschliche Verhältnis einer Naturmacht ist. Aus diesem Grund gehen sowohl menschliche Fähigkeiten wie auch gesellschaftliches Eigentum (Reichtum) in diese Arbeit ein, sei es aus individuellen, sei es aus kollektiven Beweggründen. Von daher ist die Gesellschaftsform entscheidend, worin sich Individuum und Gesellschaft verhalten, worin also menschliche Bedürfnisse sich in ihrer Bildung und Verwirklichung durch Arbeitsaufwand frei entwickeln können. Dies existiert unter kapitalistischen Bedingungen als Sachzwang, weil darin die Notwendigkeit des Kapitals und seiner Geldwertstabilisierung herrscht.
Eine freie Gesellschaft muss es schaffen, die „organische Zusammensetzung des Kapitals“ in eine Gesellschaftsform zu bringen, in der die Reichtumsbildung, die Entwicklung des individuellen und kollektiven Eigentums sich nach allen Seiten hin verhalten und vertragen kann. Deshalb sehe ich hierzu ein Vertragsverhältnis für nötig an, das einem bestimmten Wirtschaftsraum entspricht und worin diese Eigentumsbildung auch alle betrifft. Marx hatte dies in der „Pariser Kommune“ als zentrales Beispiel gesehen. Und es kann auch nur in Kommunen und ihrer inneren und äußeren Vertragsverhältnisse möglich sein. Aus diesem Verständnis heraus habe ich den Vorschlag zu einer Internationalen Kommunalwirtschaft aufgebracht, welche die Internationalisierung einer kommunalen Subsistenzindustrie gewährleisten kann, auf der jede weitere Entwicklung beruht.
Was hierzu eine „Mustersprache“ sein soll, versteh ich nicht, weil ich an keine freie, also von ihrem Material und Lebensverhältnis unabhängige Zeichenform glauben kann.
Franz, Wolfram. Es ist eine akzeptierte Erkenntnis der Epistemologie, dass eine „objektive“ Beobachtung – eine Beobachtung, die nicht schon mit Theorie beladen ist – nicht möglich ist. Es ist aber ein Problem, wenn man diesen Makel zum Selbstzweck macht und zur intellektuellen Kunstform erhebt, vor allem wenn diese Kunst – im Gegensatz zu Literatur, Musik oder Malerei – von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen und damit nicht wertgeschätzt werden kann, und damit auch wirkungslos bleibt.
Ich mache ein Beispiel eines Röntgenarztes, der „seine“ Welt durch die Audlösungsfähigkeit des Röntgengeräts definiert, und damit die festen Strukturen der Knochen klar wahrnimmt. Vieles sieht er aber nicht (z. B. die Dynamik oder Entzündungen, die sich nicht durch eine Dichteänderung verraten) und „seine Welt“ bleibt – so ist er überzeugt – immer Schwarz-Weiß. Tragisch wäre es, wenn sein Expertenwahrnehmung, die ja durchaus wichtige Teilaspekte der Wirklichkeit sichtbar macht, in einer Art Fach-Solipsismus zur Haltung führen würde, dass diese seine Röntgenbilder „das Ganze der Welt“ oder „das Wesen der Welt“ ausmachen würden bzw. die Welt als Ganzes darstellen oder verändert könnten.
Wenn Franz von „Mustersprache der Kooperation“ spricht, dann macht er mehrere kommunikative Fehler. Erstens sagt er nicht, was er damit meint. Zweitens sagt er nicht, wozu das gut sein soll, nämlich aus einer emischen Sicht einer kritischen Theorie. Drittens macht er den Fehler, den Zweck der Mustersprache falsch zu besetzen, jedoch ist Kooperation nie Ziel, sondern immer ein Mittel. Es gäbe mehr Sinn, wiederum aus einer emischen Perspektive einer kritischen Theorie, von einer „Mustersprache der gesellschaftlichen Transformation“ oder von einer „Mustersprache der post-kapitalistischen Wirtschaft“ zu sprechen, und damit Gestaltungsziele ins Blickfeld zu nehmen. Ein Muster dieser Mustersprachen wäre dann z. B. das generative Muster der COMMONS. Ein anderes Muster wäre vielleicht KRITISCHE THEORIE. Und dann könnten wir vielleicht hundert weitere Muster beschreiben, die teilweise neben-, unter oder übergordnet sind. Die Frage einer praxisorientierten Mustertheorie ist immer, mit welchen konkreten Entwicklungsschritten man den Gestaltungszielen in einer lokalen Situation am besten näher kommt.
Der gesunde Wandel ist eine Bottom-Up-Prozess, ein evolutionärer Prozess, der vom Bewusstsein der Beteiligten für die wahrnehmbaren Bedürfnisse getragen ist. Der Theoretiker rutscht immer in einer dogmatische Position, in der er meint, Zugang zu einer abstrakten Wahrheit zu haben, die über der konkreten Realität steht, und die es verdient, autokratisch durchgesetzt zu werden, auch gegen die Betroffenen. D. h. letztlich mittels Zwang. Das ist so alt wie die europäische Philosophie selbst, wo im alten Griechenland gemeint wurde, der Philosoph wäre am geeignetsten zu herrschen. (Es wurde nicht das Herrschen hinterfragt!)
Die Vorstellung, eine alternative Bewegung könne „die gute Kooperation“ für sich reklamieren, während die gegenwärtige Gesellschaft „der bösen Konkurrenz“ unterliege, ist ganz einfach eine kindische Selbsttäuschung. Die kapitalische Wirtschaft funktioniert auf ihre Weise so machtvoll wie eine gutgeölte Machinerie, weil sie in vielen Bereichen so kooperativ, aus ihrer emischen Sicht, organisiert ist. Umgekehrt erlebe ich in alternativen Bewegungen ein Übermaß an Orientierungslosigkeit und Nicht-Kooperation, sowohl mit den bestehenden Systemen, aber gravierender auch untereinander, in den um Aufmerksamkeit konkurrierenden Strömungen, Projekten und Organisationen. Wenn z. B. 95% aller Ökodorf-Projekte oft nach jahrelangen Vorarbeiten scheitern (wie zuletzt Schönwasser), dann daran, weil es nicht gelingt, eine tragfähige Kooperation zu etablieren.
Ihr müsst, wenn ihr etwas bewirken wollt, aus eurem „Röntgen-Labor“ heraustreten und einmal eine andere Perspektive einnehmen – eine Perspektive die dort ansetzt, wo man Transformation bewirken kann – dort wo man konkrete Handlungsspielräume strukturiert und Angebote an Menschen macht, die ihnen verfügbare Welt umzugestalten.
P.S. ich verweise zusätzlich darauf, dass ihr ein zentrales Marx-Ziat missachtet: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt drauf an, sie zu verändern.“ Das bedeutet naürlich auch, dass sich die theoretische Bemühung auf das Verändern und nicht auf das Interpretieren konzentrieren soll.
zum PS. : Irgendwann in meiner Mittelschulzeit schrieb ich auf einen Zettel:
„Da kam einer daher und sagte, es käme nicht drauf an die Welt zu interpretieren, man müsse sie verändern. Dann kamen andre und veränderten in seinem Namen die Welt. Aber wie ist diese Veränderung zu interpretieren?“
Irgendwie finde ich es lustig, dass Du Wolfram und mir unterstellst, dass sich unsere theoretischen Bemühungen auf das Interpretieren und nicht auf das Verändern konzentrieren. Das war vor ca 40 Jahren, als Marx noch irgendwie etwas galt als Autorität, ein beliebtes Totschlägerargument in der Linken.
@ Helmut „Der gesunde Wandel ist eine Bottom-Up-Prozess, ein evolutionärer Prozess, der vom Bewusstsein der Beteiligten für die wahrnehmbaren Bedürfnisse getragen ist. Der Theoretiker rutscht immer (!) in eine dogmatische Position, in der er meint, Zugang zu einer abstrakten (!) Wahrheit zu haben, die über der konkreten (!) Realität steht, und die es verdient, autokratisch durchgesetzt zu werden, auch gegen die Betroffenen. D. h. letztlich mittels Zwang. Das ist so alt wie die europäische Philosophie selbst, wo im alten Griechenland gemeint wurde, der Philosoph wäre am geeignetsten zu herrschen. (Es wurde nicht das Herrschen hinterfragt!)
Also derjenige, der den Herrschaftscharakter bestehender Verhältnisse aufzudecken sucht – beziehungsweise der nach Wegen sucht, aus ihnen zu entkommen – der soll der eigentliche Gewaltmensch sein?
Und die Aufklärung der Beteiligten, dass ihr Bewusstsein eine Realität mitkreiert oder zumindest ihr Einverständnis mit Verhältnissen stützt, die Ihnen vorne und hinten zum Schaden gereichen, die sei ein einziger Gewaltakt?
Das ist zwar ein beliebter Topos im demokratischen Feuilleton und gehört zur Gesinnungspflege von Eliten, die sich daran gewöhnt haben dass diese Welt nicht durch Denken bestimmt wird, aber ist doch – mit Verlaub – eine Unwahrheit, die auch nicht dadurch wahrer wird dass sie tausende wiederholen.
Im Übrigen merkst Du nicht dass Du Dir selber komplett widersprichst; einmal soll die kritische Theorie reines Interpretieren sein, selbstbezüglich und praxisfern, und dann wiederum die insgeheime Strategie und Star-regie der Machtergreifung. Was denn nun?
nochmal @Helmut
Wenn Franz von “Mustersprache der Kooperation” spricht, dann macht er
mehrere kommunikative Fehler. Erstens sagt er nicht, was er damit meint.
Zweitens sagt er nicht, wozu das gut sein soll, nämlich aus einer
emischen Sicht einer kritischen Theorie. Drittens macht er den Fehler,
den Zweck der Mustersprache falsch zu besetzen, jedoch ist Kooperation
nie Ziel, sondern immer ein Mittel. Es gäbe mehr Sinn, wiederum aus
einer emischen Perspektive einer kritischen Theorie, von einer
“Mustersprache der gesellschaftlichen Transformation” oder von einer
“Mustersprache der post-kapitalistischen Wirtschaft” zu sprechen, und
damit Gestaltungsziele ins Blickfeld zu nehmen.
Vielleicht will ich aber gerade kleinere Brötchen backen und mir ist gerade die Elementarform der kooperativen Beziehung ein Anliegen. Wer gleich die ganze Gesellschaft ändern will, der hat garantiert ein Herrschaftsanliegen; das ist ja auch ein wenig im Hintergrund, wenn auch bis dato unausgesprochen, auch der Zoff zwischen Wolfram und mir.
Vielleicht ist es wirklich einmal an der Zeit, dagegen die Mikrologik der Kooperation, und zwar der freiwilligen und nicht erzwungenen Kooperation, zum Gegenstand zu machen. Die kann sich zur Gesellschaft auswachsen, wenn die Beteiligten es wollen. Im Moment fasziniert mich dieser Ansatz, und die Gedanken die ich oben vor – thesenförmig zusammengeschrieben habe (wenn man so will ein Desiderat, aber frag mal wer da wirklich dagegen ist), sind tatsächlich die Formulierung eines Problems, zu dessen Lösung Muster gesucht werden.
@Wolfram. Die Frage der Freiheit und der kommunalen Vertragswirtschaft wird uns noch lange beschäftigen. Aber die Idee der Mustersprachen ist alles andere als eine „freie, also von ihrem Material und Lebensverhältnis unabhängige Zeichenform“. Helmut hätte es erklären können, denn das ist die Baustelle an der wir gemeinsam arbeiten, jetzt versuch ich es: Mustersprachen sind systematische Zusammenstellungen von aufeinander aufbauenden und miteinander kommunizierenden Elementen („Mustern“) lebendig gestalteter Wirklichkeiten. Sie sind nicht Zeichen, sondern durchaus genau die Formen und Materialien, in denen sich unsere Lebensverhältnisse abspielen, doch sie haben ein Erkennungszeichen: als gute Problemlösungen kehren sie historisch und kulturunabhängig immer wieder… Näheres bei Christopher Alexander, A Pattern Language.
@Franz: ich wollte dich bzw. euch mit meiner Kritik an einer überdimensionalen Intellektualität und Rhetorik nicht kränken, sondern wach rütteln. Dort wo diese die Menschen nicht mehr erreicht und bewegt, ist das „rechte Maß“ im Sinne griechisch-philosophischer Weisheit überschritten, und wenn ihr das selbst nicht mehr sehen könnt, weil ihr euch in eure Argumentationsformen so verliebt und hinein gesteigert habt, dann habt ihr für euch ein Problem produziert. Das Muster ist zum Anti-Muster geworden. Eine Veränderung ist notwendig. Nicht für die Welt, die braucht euch nicht und hat auch keine Angst vor einem inherenten autokratischen Eigenvektor, sondern für euch selbst.
Inhaltlich stört mich das hartnäckige Verbreiten von Halbwissen über Muster. Eine „Mustersprache der Kooperation“ ist nicht ein kleineres Brötchen, sondern ein theoretisches Unding, weil der Begriff Mustersprache eine Abgrenzbarkeit in Hinblick auf ein Gestaltungsziel beinhaltet. Diese Abgrenzung zeigt sich praktisch in einem Typ von Aufgabe, der sich oft in eine Rolle, einem Beruf oder meinetwegen einer Berufung widerspiegelt. Dann gibt es Sinn, das betreffende Wissen gemeinsam zu betrachten, aufzubereiten, und als Kompetenz zu vermitteln. Das ist aber hier nicht der Fall. Kooperation für sich betrachtet, ist eine akademische Querschnittsmaterie, losgelöst von der Praxis.
Zum Beispiel ist das Muster VERTRAG zwar sinnvoll beschreibbar, aber ohne seine Konkretisierung auf Anwendungsfelder (z. B. MIETVERTRAG oder FRIEDENSVERTRAG) und Situationen (konkreter Wohnsituationen; konkreter historischer Konflikte) nicht praxisbezogen und nicht bewertbar. Der Gedanke, dass das Muster VERTRAG, weil historisch wiederkehrend, per se damit als problemlösend und in irgendeiner abstrakten Weise „gut“ sei, tut weh. Es weist vielmehr darauf hin, dass Verträge einer Gestaltung bedürfen, um einen positiven Beitrag zu leisten, und dass es Sinn gäbe von einer „Mustersprache der Vertragsgestaltung“ zu sprechen und eine solche auszuarbeiten. Wir können uns dann auch vorstellen, uns Kompetenzen in der Vertragsgestaltung anzueignen, oder einen „Experten für Vertragsgestaltung“ heranzuziehen, um faire Verträge zu erzielen, die dauerhaft die Interessen beider Seiten zufriedenstellend verbinden.
So wie beim Muster VERTRAG, ist jedes Musters nur in der Form konkreter Exemplare bewertbar. Deswegen trennt Mustertheorie die Beschreibung von Mustern von ihrer Bewertung, die den Betroffenen in ihrer Situation zukommt, und nicht von Experten oder Intellektuellen – über den Kopf der Betroffenen hinweg – vorweg genommen werden darf.
Der Weg der Mustertheorie zur Umgestaltung der Welt führt nicht über eine Aufwertung der Intellektuellen, sondern über die Emanzipation und das Enabling der Betroffenen.
@Franz:„Dort wo diese die Menschen nicht mehr erreicht und bewegt, ist das “rechte Maß” im Sinne griechisch-philosophischer Weisheit überschritten, und wenn ihr das selbst nicht mehr sehen könnt, weil ihr euch in eure Argumentationsformen so verliebt und hinein gesteigert habt, dann habt ihr für euch ein Problem produziert. Das Muster ist zum Anti-Muster geworden. Eine Veränderung ist notwendig. Nicht für die Welt, die braucht euch nicht und hat auch keine Angst vor einem inherenten autokratischen Eigenvektor, sondern für euch selbst.“
Vielleicht erkennst Du an dieser Überheblichkeit von Helmut, welche Abgelöstheit in dieser Mustertheorie schon angelegt ist. Er muss sich nicht mal versichern, über was er da redet, weil er in Mustern denkt. Sein „rechtes Maß“ ist sein Gefühl, dass andere in ihre Argumente verliebt sind. Reaktionärer gehts nicht. Ob die Welt uns braucht, ist dann seine Allmacht beanspruchende Urteilsgrundlage. Nun, bei über 500.000 Pageviews im Monat auf die Kulturkritik und über 70.000 pro Monat alleine auf das Kulturkritischen Lexikon muss ich mich mit diesen Heilsverehrer nicht befassen. Sieh Du zu, dass Du da mal drüber rauskommst. Mustertheorien sind so beliebig wie eine Mücke auf dem Misthaufen. Sie sind übrigens die Grundlage der Ausbildung in allen gestalterischen Berufen, wo Design nötig ist (z.B. auch Typografie usw.) und widersprechen sich permanent aufs Neue. Nichts für die Ewigkeit, die sie beanspruchen.
„So wie beim Muster VERTRAG, ist jedes Musters nur in der Form
konkreter Exemplare bewertbar. Deswegen trennt Mustertheorie die
Beschreibung von Mustern von ihrer Bewertung, die den Betroffenen in
ihrer Situation zukommt, und nicht von Experten oder Intellektuellen –
über den Kopf der Betroffenen hinweg – vorweg genommen werden darf.“
Helmut, Hier trennen uns wirklich noch Welten. Zumindest für Christopher Alexander kann ich reklamieren, dass er zwischen Beschreibung und Bewertung nur formell getrennt hat; die „Independent Regions“ (Muster 1) am Beginn der Pattern Language sind ein Muster das er ganz explizit und auffällig hoch mit seinen Sternchen bewertet hat. Und ich find das auch gut und richtig so!
Ich finde Deine Intellektuellenschimpfe weit überzogen, und wiederum Deinen eigenen Aussagen nicht adäquat, wo Du über die Perspektivität des Wissens sprichts und dass schon die Auswahl des Untersuchungsgegenstandes eine Bewertung ausdrückt.
Für mich liegt die Sache einfach: eine Bewertung ist eine spezifische Urteilsform, nämlich die zusammenfassende Aussage über die Relation zwischen einem praktischen Interesse und der Sache. Die Bewertung entzieht sich gerade nicht der Beurteilung, wie vor allem Max Weber als Ahnherr dieser Trennung meinte („Da folge jeder seinem Dämon“). Im Gegenteil ist die Beschreibung die Explikation der Bewertung. Bewertung und Beschreibung explizieren sich also gegenseitig. Das empfinde ich geradezu als das Konstituens von Lebendigkeitswissenschaft.
Für mich hat das enorme Konsequenzen, denn die Mustertheorie tritt für mich sehr wohl mit dem Anspruch auf, optimale Problemlösungen besonders herauszuarbeiten. Dies wird nur dann problematisch, wenn die theoretische Perspektive etwas falsch darstellt oder übersieht.
Natürlich kann man allgemeinen Mustern nicht alle Details ihrer Realisierung entnehmen, deswegen ist ja auch die Mustersprache unter anderem auch dazu da, zwischen allgemeinen und spezifischen Mustern zu vermitteln.
Im übrigen ist „Vertrag“ zwar ein allgemeines und sogar „bewährtes“ Muster, aber aus der analytischen Sicht kein optimales. (Daran müsste ich mich auch noch mit Wolfram abarbeiten, wenn ich die Zeit fände). Der Vertrag im zivilrechtlichen Sinn hält Willensäußerungen fest, um sie dann im Sinn einer Verlässlichkeit („pacta sunt servanda“) gegen die Beteiligten zu fixieren. Das mag in vielen Situationen unabdingbar sein, unhintergehbar und unkritisierbar ist es nicht, wie die letzten Aufrechten der kritischen Theorie immer wieder und sehr klar gezeigt haben:
„Kaum ist der Wille geäußert, wird er rechtlich beim Wort genommen, d.h. zur gewaltsam garantierten Verpflichtung gegen seinen Träger gemacht, mag der auch die besten Gründe vorbringen, warum er seine Absicht geändert hat“ (siehe „Das Eigentum und die Eigentümlichkeiten der Vertragsfreiheit“, http://www.sozialistischegruppe.de/hefte/2006/shz_27.pdf, p2, 2.Spalte, hier auch als html: http://www.farberot.de/text/details/76-Eigentum_und_Vertragsfreiheit.html).
In diesem Sinn, weil die Kritik sehr wohl ihre Berechtigung hat, aber diese Kritik nach der Explikation eines besseren Musters verlangt, setze ich dem Muster „Vertrag“ das ebenso allgemeine Muster „Flow“ gegenüber, das beständig und dynamisch Probleme in der Kooperation, Schwachstellen und Widerstandswerte bei Partnern analysiert und sehr frühzeitig Maßnahmen ergreift; das hat sich sogar in moderne Managementtheorien rumgesprochen, die mitunter iteratives „Systemisches Konsensieren“ dem Verträgeschließen vorziehen. Ein anderes Muster ist „leichte Auflösbarkeit von Kooperationen“.
Wenn Du so willst, haben Intellektuelle eben den Freiraum, sich Alternativen überhaupt vorstellen und sie untersuchen zu können; dabei geraten sie mitunter in einen Gegensatz zu Praktikern und „Betroffenen“, wobei schon dieses Sprachdenkmal des „Betroffenen“ eine ganz verräterische Eigentümlichkeit ausdrückt, die wir vielleicht ein anderes Mal analysieren werden.
Darin, in der Möglichkeit sich kritisch zur betriebenen Praxis zu stellen, sehe ich eben auch ein Muster, dieser „intellektuelle Überschuss“ war und ist immer die Quelle von gesellschaftlichem Fortschritt. Insoferne liegt mir nichts an einer prinzipiellen Abwertung der Intellektuellen; lediglich ein wenig mehr noch an einer Kritik, wie jämmerlich sie ihre geistige Freiheit – oder das was ihnen davon noch verbleiben ist – heutzutage wahrnehmen. Aber vieleicht am allermeisten in der Demonstration, wie das ohne „Bevormundung“ und doch in aller Klarheit zu machen geht.
Franz, wenn du sagst, ein VERTRAG wäre zwar ein abstraktes Muster, aber kein optimales, dann perpetuierst du ein grundsätzliches Mißverständnis. Ein abstraktes Muster kann nicht optimal sein, weil sich Optimalität nur in der spezifischen Situation und ihre Bewertung erweisen kann; nur ein spezifisches Muster – ein Muster-Exemplar – kann optimal sein; und das vorzugsweise, wenn es optimal ausgestaltet ist. Ein bestimmter Vertrag kann optimal sein, aber nicht weil er – kategorial betrachtet – ein Vertrag ist, sondern dann, wenn er optimal gestaltet ist.
Es stimmt zwar, dass Alexander selbst eine Bewertung seiner Muster vorgenommen hat. Eigentlich hat er zwei Bewertungen vorgenommen: zunächst hat die Arbeitsgruppe ja über 1000 Muster in Betracht gezogen, von denen dann „nur“ ca. 250 ins Buch aufgenommen wurden. Dann hat das Buch eine 0-Stern / 1-Stern / 2-Stern Bewertung der Muster, nach der Einschätzung inwieweit die Autoren der Meinung waren eine „Invarianz“ von der Situation eingefangen zu haben. Es wird dem Leser also eine zusätzliche Information über den Forschungstand vermittelt, über die Einschätzung der Autoren. Beide Formen der Bewertung dürfen nicht mit der Bewertung des Musters in der spezifischen Situation verwechselt werden.
Das Beispiel des Musters „Unabhängige Regionen“ ist an diesem Punkt der Diskussion besonders unglücklich von dir gewählt, weil die Begründung dafür, warum es sie geben soll ja gerade die ist, weil Bewertungen – und Entscheidungen – unabhängig von der spezifischen Situation (geographisch, kulturell, etc.) der Region , und der spezifischen Kenntnis welche die Bewohner der Region von ihr haben – nicht sinnvoll möglich wären.
@ Helmut:
Das Beispiel des Musters “Unabhängige Regionen” ist an diesem Punkt
der Diskussion besonders unglücklich von dir gewählt, weil die
Begründung dafür, warum es sie geben soll ja gerade die ist, weil
Bewertungen – und Entscheidungen – unabhängig von der spezifischen
Situation (geographisch, kulturell, etc.) der Region , und der
spezifischen Kenntnis welche die Bewohner der Region von ihr haben –
nicht sinnvoll möglich wären.
Eben, deswegen ist ja auch der Gegensatz zwischen Allgemein („abstrakt“) und Besonders („konkret“), den Du aufmachst, so nicht korrekt – ebensowenig wie die Bewertung im obigen Fall (s.o.) eine der Sache äußerliche ist. Ein sehr ähnliches Argument das (auch für Dich?) im Fall Nationalstaat vs Unabhängige Region entscheidend ist (s.o.) hättest Du meiner Gegenüberstellung Vertrag vs. Flow entnehmen können.
@Franz:
Franz, wo argumentierst Du denn da rum? Lies doch mal das Zeug, das er schreibt bei seinen „15 Lebenseigenschaften“ in seiner „Mustertheorie“, die toter nicht sein können, z.B. Grenzen:
„Allgemeiner betrachtet: Staaten bewachen oder schützen ihre Grenzen. Organisationen ziehen Zugehörigkeitsgrenzen um ihre Mitglieder oder Arbeitnehmer. Eltern bestimmen Grenzen für das akzeptable Verhalten ihrer Kinder. Veranstaltungsorte wie Kinos oder Sportstadien haben Zutrittgrenzen. Bereiche wie Kunst oder Wissenschaft definieren methodische Grenzen.“
Ja hier sehe ich ein grundsätzliches Dilemma. Auf der einen Seite müssen Lebenseigenschaften ex definitione so allgemein sein, dass sie auf alle Bereiche bewusst gestalteter Realität anwendbar sind. Auf der anderen Seite fordert eine Lebendigkeitswissenschaft, der ich mich auch zugehörig fühle, eben genau dieses „Mehr oder Weniger“ an Lebendigkeit zu thematisieren, das uns bei der bewussten Gestaltung der Wirklichkeit als Option gegeben ist.
Wie gesagt, Alexander hat am Anfang der „Pattern Language“ einen ungeheuer mutigen Schritt getan und das Muster des
Staates
durch bewusstes Weglassen und Ersetzen mit dem Muster einer
partizipativen Region
stillschweigend als Anti – Muster gekennzeichnet.
Wenn man genau liest, sind in der „Mustersprache“ noch einige andere fundamentale Einwände gegen die herrschende Lebensorganisation, und keineswegs nur gegen die architektonische Praxis versteckt.
Franz, dein letzter Beitrag ist in seinen vagen Andeutungen für mich nicht verständlich. Was du unter „Flow“ verstehst, ist mir unklar. Jedenfalls ist keine Alternative zum Vertrag, in seiner wesentlichen Funktion: mehr Sicherheit für die Kooperationspartner zu schaffen. Und das Systemische Konsensieren ist auf einer völlig anderen Ebene, ebenfalls keine Alternative zum Vertrag, sondern eine Alternative um zu einer Entscheidung zu kommen. Was du mit Nationalstaat vs. Unabhängige Region andeuten willst, ist mir ebenfalls unklar. Jedenfalls führt das zu einem Subsidiaritätsargument: Gestaltungsentscheidungen sollen im Prinzip auf einer möglichst niedrigen Ebene getroffen werden.
@ Franz:
Leben kann nicht allgemein sein, auch abstrakt und konkret sind keine seiner „Eigenschaften“. Sieh mal ins kulturkritische Lexikon:
„Weil Materie das Maß der Geschichte ist, kann es von Natur aus keinen Stillstand geben. Leben ist Bewegung, die Sinn hat und Sinn macht. Es findet also statt in Raum und Zeit, nicht nur als das Verhalten der Natur sondern als ein natürliches Verhältnis, ein Lebensverhältnis der Sinnbildung im Stoffwechsel seiner unentwegten Veränderung, als Dasein einer permanenten Selbstveränderung, die durch sich selbst zugleich als Anderes und durch Anderes bestimmt ist. Leben ist die Selbstentfaltung der Natur, Tätigkeit ihres Stoffwechsels, Naturempfindung und Selbsterneuerung, die nichts sein lässt, was es war und alles hervorbringt, wofür sich Sinn findet: natürliche Intelligenz.“ usw. (http://kulturkritik.net/begriffe/index.php?b=leben)
Siehe auch die „Die sinnentleerte Topographie der Systeme“ unserer vorletzten Sendung. In einer weiterführenden Luhmann-Kritik (demnächst) werden wir das Thema noch genauer ausführen.
Wolfram: vielleicht können wir anhand dieser Bestimmung von Leben mal im Detail die Informationshaltigkeit der Hegelei checken, ich bin nicht wirklich klüger geworden durch diesen Absatz.
Helmut, ich hab noch keine Stellungnahme von Dir zur Kritik an der Vertragsform gelesen, die ich mehrere Posts weiter zuvor angedeutet habe.
Franz, ich nehme an, du meinst diesen Text:
Im übrigen ist “Vertrag” zwar ein allgemeines und sogar “bewährtes” Muster, aber aus der analytischen Sicht kein optimales. (Daran müsste ich mich auch noch mit Wolfram abarbeiten, wenn ich die Zeit fände). Der Vertrag im zivilrechtlichen Sinn hält Willensäußerungen fest, um sie dann im Sinn einer Verlässlichkeit (“pacta sunt servanda”) gegen die Beteiligten zu fixieren. Das mag in vielen Situationen unabdingbar sein, unhintergehbar und unkritisierbar ist es nicht, wie die letzten Aufrechten der kritischen Theorie immer wieder und sehr klar gezeigt haben:
“Kaum ist der Wille geäußert, wird er rechtlich beim Wort genommen, d.h. zur gewaltsam garantierten Verpflichtung gegen seinen Träger gemacht, mag der auch die besten Gründe vorbringen, warum er seine Absicht geändert hat”
aber warum sollte ich mich zu diesem unsystematischen Herumreden äußern? Du wolltest ja eine „Mustersprache der Kooperation“ entwickeln, zu der ich das Muster VERTRAG postulierte. Du könntest jetzt sagen, das VERTRAG nicht Teil dieser Mustersprache sein solle, oder korrekterweise darin ist. Dazu hast du dich nicht geäußert. Du könntest das Muster VERTRAG beschreiben, in der typischen Form. Das hast du nicht gemacht. Du müsstest einmal beschreiben, warum Verträge gemacht werden, welches Problem Menschen also damit zu lösen meinen. Du könntest verschiedene Formen von Verträgen beschreiben, etwa schriftliche und mündlicher Vereinbarungen, oder implizite Verträge, wie sie entstehen, wenn jemand ein öffentliches Verkehrsmittel benutzt. Das hast du aber nicht getan. Du könntest Alternativen beschreiben, wie z. B. ein VERSPRECHEN. Du könntest verbundene Muster beschreiben, wie z. B. das RECHTSSYSTM. Das tust du alles nicht. Du könntest wichtige Teile bzw. Untermuster des Vertrags, wie KÜNDIGUNGSKLAUSEL ansprechen und beschreiben. Das tust du aber nicht.
Was du tust ist eine Form kritisch-theoretische Rhetorik anzusetzen, die im Prinzip nichts klärt, zwar einerseits den Vertrag nicht verwirft, ihn aber in den schwammigen Kontext eines Marklich-Staatlich-Rechtlichen Systems stellt, in dem ihm eine Zugehörigkeit und quasi moralischer Gestank zugeordnet wird. Das wird dann mit rhetorischen Quark wie „unkritisierbar ist es nicht“ verbrämt. Nichts ist unkritisierbar; so what? Jedes Muster ist kritisierbar, hat Wirkungen und Nebenwirkungen, Vorteile und Nachteile; so what?
@Franz #30:
Das hat mit Hegel nix zu tun. Ganz im Gegenteil: Es geht einfach darum, dass es keine Kategorien des Lebens, keine „Lebenslogik“ geben kann, keine „Lebenseigenschaften“, aus denen Definitionen des Lebens zu gewinnen sind, die zwangsläufig als Lebenswerte funktionieren und also auch Lebensunwertes definieren. Handeln, das sich aus Naturkategorien ableitet, verfolgt immer einen kulturpolitischen Zweck und steht damit in einer schlimmen Tradition, deren Konsequenzen längst bekannt sind. Lebendige Emanzipation kann sich nicht aus dem Leben selbst definieren, ohne sich in ihrem Zirkelschluss sofort zu zerstören und zu ihrem Gegenteil zu verkehren, wo sie wirksam wird.
@Wolfram #29 #33:
#29:
Das http://kulturkritik.net/begriffe/index.php?b=leben ist zwar ein netter Text, aber als Definiton von Leben, also den eigenen Anspruch, unbrauchbar. Wird doch das Leben über den Sinn definiert, der Sinn aber als antropozentrisch-gesellschaftlicher http://kulturkritik.net/begriffe/index.php?b=sinn missverstanden. Wäre das richtig, gäbe es ohne den Menschen kein Leben. Alle übrige Rhetorik ist Vernebelung.
#33:
Du missverstehst die Anliegen der Mustertheorie bzw. der Lehre von lebendigen Systemen. Es wird nicht angestrebt, Leben über Eigenschaften zu definieren, sondern es wird angestrebt, die Lebendigkeit von Systemen zu erhöhen. Das ist ein wichtiger Unterschied: z. B. muss jemand nicht „Dorf“ definieren können, um in einem Dorf zu leben und zu seiner Entwicklung beizutragen zu können.
Die Funktion des von dir aus meinem Buch zitierten Absatzes über die Eigenschaft GRENZE besteht darin, zu zeigen, dass diese Eigenschaft nicht nur in den Alexanderschen Kernbereichen (Architektur, Design und Bildgestaltung), sondern in der Systemtheorie komplexer Systeme generell verwendet werden kann. Die Logik der Verwendung ist, einerseits GRENZE zu thematisieren, und andererseits Entwicklung entlang der Veränderung der Qualität von GRENZE (bzw der anderen 15 allgemeinen Systemeigenschaften) zu denken. Dies gibt einen Reichtum an analytischen und gestalterischen Perspektiven.
Ich versuche in meinem Buch „Mustertheorie“, das als treuhänderische Einführung bzw. Hinführung konzipiert ist, nahe an den Alexanderschen Auffassungen zu bleiben. Er sieht diese Eigenschaften als typische Eigenschaften lebendiger Systeme. Ich meine, dass man diese dogmatisch-ontologische Haltung nicht braucht, und schlage heute vor, die Eigenschaft GRENZE als Teil unseres konstruktivistisch-kognitiven Systems, als Kategorie der Form zu verstehen. Das ist nur eine anderere Interpretation, die an der operationalisierten Verwendung des Konzepts GRENZE nichts ändert.
Die Haltung der Mustertheorie ist völlig konträr zur Kritischen Theorie, weil den Aspekten von Systemen nicht per se, also generell, eine moralische Qualität zugeschrieben wird, sondern erst in der speziellen individuellen Ausformung. Die Kritische Theorie begibt sich, indem alles was im kapitalistischen System verwendet wird moralisch desavouiert wird, in eine aussichtslose Lage, weil sie für eine fiktive eigene Gestaltung – z. B. einer Gesellschaft – nur mehr marginale Residuen verfügbar hat. Ich würde sagen, nicht der VERTRAG, das GELD oder der STAAT (als abstrakte Muster) sind das Problem, sondern die Art wie VERTRAG, GELD oder STAAT im konkreten ausgestaltet wird oder wurde. Für mich ist ein fairer Vertrag ein guter Vertrag, für die kritische Theorie stinkt auch ein fairer Vertrag.
Die Kritische Theorie schafft eine Situation, die einer mathematischen Überbestimmung eines Gleichungssystems entspricht, nämlich die Situation der Unlösbarkeit (hier: der zufriedenstellenden Gestaltung von Gesellschaft). Insofern der Kapitalismus attackiert wird, ist das eine propagandistisch angenehme Situation – es gibt die Garantie, dass nichts als gut erscheinen kann. Bezüglich eigener Alternativen zum Kapitalismus ist der Verunmöglichung des Guten nur durch ein Utopieverbot beizukommen: man darf sich mit der selbstgeschaffenen Aussichtslosigkeit, bezüglich der Einlösbarkeit von Erwartungen, nicht konfrontieren und beschäftigen.
Interessanterweise ist die geschaffene weltanschauliche Situation isomorph zum Katholizismus: die Welt ist eine Welt des Bösen (Kapitalismus) und nur ein Erlösungsereignis (Selbstaufhebung des Systems; als Historizismus) kann das Paradies (in dem alle Zeichen des Kapitalismus verschwunden sind und die Rechtgläubigen belohnt werden) bringen.
@Helmut: Die Haltung der Mustertheorie ist völlig konträr zur Kritischen Theorie, weil den Aspekten von Systemen nicht per se, also generell, eine
moralische Qualität zugeschrieben wird, sondern erst in der speziellen
individuellen Ausformung. Die Kritische Theorie begibt sich, indem alles
was im kapitalistischen System verwendet wird moralisch desavouiert
wird, in eine aussichtslose Lage, weil sie für eine fiktive eigene
Gestaltung – z. B. einer Gesellschaft – nur mehr marginale Residuen
verfügbar hat.
Also hier liegt ein ganz schlimmes Missverständnis bezüglich kritischer Theorie vor. Du hast natürlich recht, es gibt für alles Belegstellen, es wurden ganz gegenläufige Methodiken im Anschluss an den Marxismus als geschichtsmächtigster kritischer Theorie hervorgetrieben. Ganz zugespitzt ist das ganze wohl in der Kontroverse zwischen dem „existentialistischen, subjektivistischen“ Pol und dem „strukturalistischen“ Pol in Frankreich worden. Aber genau hier herrscht eben Uneinigkeit, weswegen eine generalisierende Aussage sich von selbst verbietet.
Was Dir vielleicht nicht aufgefallen ist weil man ja nicht alles wissen oder kennen kann: wenn Du das Werk von Wolfram studierst, der ja einer der systematisch arbeitenden marxistischen Theoretiker ist, wirst Du finden, dass sich seine Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft sogar positiv auf dem Begriff des Vertrages aufbaut.
http://kulturkritik.net/begriffe/begr_txt.php?lex=vertrag
http://kulturkritik.net/begriffe/begr_txt.php?lex=vertragswirtschaft
Darüber gab es auch hier eine spannende Auseinandersetzung vor 2 Jahren, die wieder in Erinnerung gerufen werden sollte:
http://keimform.de/2012/was-will-die-keimform-theorie/
(in diesem Zusammenhang auch http://kulturkritik.net/quellen/commonsvertrag.html)
Wolfram hat dazu ausgiebig kommentiert und seine Position klargelegt, es lohnt sich den ganzen Thread zu verfolgen.
Aber auch die Gegenposition, die Keimform – Theorie, versucht nicht einen gesellschaftlichen Residualzustand zu postulieren, sondern das „Neue im Alten zu finden“, also zu studieren, wo die betriebene Praxis über das Produktionsverhältnis hinausweist.
Spannend und aufklärerisch sind die Differenzierungen, die da weitgehend herauskommen, und wie Du Christians letzten Post (http://keimform.de/2014/dank-produktivkraftentwicklung-zur-neuen-gesellschaft/) kommentiert hast merkst Du ja, dass sich die Positionen schön langsam ineinander schieben und ihre jeweilige relative Wahrheit in einer komplexeren Sichtweise aufgehoben wird.
Wie mühsam dieser Prozess ist, kannst Du den in der Hitze des Gefechts verwendeten Invektiven noch entnehmen.
Ich halte das Glowing Plant Project, das im verlinkten Artikel so positiv erwähnt wird, für verantwortungslos
1. weil eine völlig überzogene Hoffnung geweckt wird, nämlich dass das Produkt dieses crowdfunding Projekts Bäume als Straßenbeleuchtung sein werden (wobei: eine kleine leuchtende Zimmerpflanze hätte ich schon ganz gerne 🙂 )
2. weil sie, wenn das wirklich stimmt, in dem Maker kit, transgene, lebende, infektiöse Bakterien an jedermann verschicken wollen – das ist fahrlässig bis dorthinaus!
ok nochmal nachgelesen:
1) sie relativieren eh: „maybe one day we could use trees to light out streets at night? …We were inspired by all this research, and wondered what would happen if we took these developments and combined them. How bright would synthetic genes make a plant glow?“
2) es werden keine transgenen Bakterien verschickt – man muss sie anscheinend selber transformieren (und ob das auf Anhieb funktioniert ist fragwürdig).
Aber trotzdem: Wenn es funktionieren würde hätte man dann zuhause transgene Bakterien mit Antibiotika-Resistenzgenen, die außerhalb von Sicherheitslaboren nichts zu suchen haben.
@Franz #35:
Also hier liegt ein ganz schlimmes Missverständnis bezüglich kritischer Theorie vor. Du hast natürlich recht, es gibt für alles Belegstellen, es wurden ganz gegenläufige Methodiken im Anschluss an den Marxismus als geschichtsmächtigster kritischer Theorie hervorgetrieben.
Ich hab jetzt noch einmal zur Mustertheorie etwas gründlicher geschmökert und muss sagen, dass Helmut Leitner recht hat: „Die Haltung der Mustertheorie ist völlig konträr zur Kritischen Theorie.“
Weil dies tatsächlich durch den „Fortschritt“ der Systemtheorien aktuell ist, habe ich mein Verständnis in einem eigenen Artikel zur Mustertheorie im Kulturkritischen Lexikon zusammengefasst: http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=mustertheorie
@ Wolfram #38:
„habe ich mein Verständnis in einem eigenen Artikel zur Mustertheorie im Kulturkritischen Lexikon zusammengefasst: http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=mustertheorie„
Lieber Wolfram, gemessen daran, dass wir (1) in den Diskussionen hier nicht unbedingt ein Herz und eine Seele sind, (2) du auf ein zugestandenes „Schmökern“ in verteilten Internet-Quellen aufbaust, finde ich deinen Artikel gar nicht so schlecht. Ich anerkenne, dass du versuchst, objektiv zu sein. Und, du hast dich auch ernsthaft mit dem Thema beschäftigt. Danke dafür.Was mich natürlich wenig freut, ist der imho völlig aus der Luft gegriffene Bezug zu Heidegger, und die der Mustertheorie zugeschriebene „Tendenz zum Rassissmus“. Typische Missverständnisse und Oberflächlichkeiten unterscheiden den Artikel nicht von anderen Lexika, wie einem Brockhaus oder der Wikipedia, von der oben die Rede war.
Die Frage stellt sich für mich natürlich, ob du, der du die Willkür einer Wikipedia kritisierst, bereit bist, deine eigene Willkür im Urteilen auf Grund fragmentarischer Kenntnis und weit hergeholter Assoziationen, zu hinterfragen und dich mit dem Artikel einer Diskussion zu stellen. Oder trifft die Wendung „Wasser predigen und Wein trinken“ hier zu?
Wäre es so, dass tatsächlich aus der Mustertheorie eine Tendenz zum Rassismus herauslesbar wäre, dann würde mich das erschüttern, und es wäre notwendig, entsprechende Klarstellungen oder ein Redesign korrespondierender Theorieteile vorzunehmen. Konkret ist die behauptete Tendenz zum Rassismus, in einer Denk-Nachfolge des Halbjuden Christopher Alexander, der als 2-jähriger 1938 mit seinen Eltern aus Wien nach London emigrierte, und in meiner Wertschätzung für dieses Genie, und in einer Interpretation der Natur als lebendige Vielfalt, die ohne paternalistische Strukturen auskommt („der Regenwald hat keine Kommando-Zentrale“) für mich nicht fassbar, nachgerade unbegreiflich, mehr als erklärungsbedürftig.
Welche Tendenzen könnte man dem Marxismus vorwerfen? Tendenzen, die nicht nur entfernten Assoziationen entstammen, sondern sich in faktischen Umsetzungen in Staaten und Regime bewiesen haben? Welches immense rhetorische Waffenarsenal würde mir hier zur Verfügung stehen!
@Helmut:
„für mich nicht fassbar, nachgerade unbegreiflich, mehr als erklärungsbedürftig.“
Vielleicht ist der Zauber der Muster über die Wirkung von Lebensräumen nachvollziehbarer, wenn Du Dir das „Schicksal“ des Bert Hellinger ansiehst, der von seiner Feldtheorie herkommend dahin kam, sich in Hitlers Arbeitsräumen auf dem Obersalzberg einzumieten, weil er da am besten arbeiten könne.
Siehe auch http://kulturkritik.net/quellen/hellingernation.html
@ Wolfram:
Wenn ich Dich nicht besser kennen würde, dass würde ich jetzt sagen, dass Dein obiges „Argument“ zu Helmut ziemlich dumm, gemein und sehr gewagt ist. Aber da ich Dich besser kenne arumentier ich einfach weiter:
Wenn Du schon mit Thorsten Fuchshubers Hellingerbild übereinstimmst (bitte korrigier mal die Druckfehler in dieser offensichtlich OCR-eingelesenen Version), dann frag ich mich erstens: was willst Du damit sagen? Ist ja dann irgendwie logisch, dass sich Hellinger (und vielleicht andere Leut) da wohlgefühlt haben mag. So what? QUED?
Damit gibst Du ja zweitens der Mustertheorie recht, die nichts anderes behauptet als ein subtiles Zusammenspiel von (zum Beispiel) Raumgestaltung und gesellschaftlichen oder psychologischen Prozessen. Freilich ist an der Mustertheorie nichts deterministisches, schicksalhaftes wie Du immer wieder mantrenhaft wiederholst … es geht schlicht um das Aufzeigen von verstärkenden und schwächenden Qualitäten im Sinn einer optimalen Gestaltung.
Siegfried Kracauer, der ein intellektueller Weggefährte Adornos war, soll einmal gesagt haben (hab leider die Stelle nicht gefunden, vielleicht kann mir wer aushelfen), dass das Aufstellen von Stühlen im Raum sehr über den gesellschaftlichen Prozess entscheidet, der in diesem Raum abläuft. Niemand sagt „total“, aber dieses banale Beispiel zeigt drittens vielleicht ganz gut worum es in der Mustertheorie geht.Wir müssen Bescheidwissen über die Welt, nicht nur in der Dimension der Kritik, sondern noch mehr in der Dimension des praktischen Tuns.
@Franz @Wolfram #40 + #41 : ich möchte nur mal schnell Entwarnung geben. Ich wollte von Wolfram ja Erläuterung zu seinen Gedankengängen, und das Beispiel Hellinger ist imho dazu perfekt. Ich denke, dass man daran viele wichtige Punkte diskutieren kann, und dass ich zeigen kann, dass und wie sich Mustertheorie gerade gegen die von Wolfram exemplifizierten Probleme richtet. Mehr noch, wie Mustertheorie geeignet ist, die Problematik Hellingers klarer zu analysieren. Ich habe nur noch nicht Zeit gehabt, das auszuführen. Ich bin Wolfram also für seinen Beitrag und dieses Beispiel sehr dankbar. lg Helmut
@Wolfram #40:
Wolfram, danke nochmal für die Erläuterung deines Denkens durch dieses Beispiel Bert Hellinger, der mir vor deinem Hinweis nicht bekannt war. Ich habe zu ihm recherchiert und mir ein unabhängiges Bild gemacht, das sich aber unter dem Strich nicht viel von deinem unterscheidet, wenn auch mein Blickwinkel auf das Problem Hellinger anders ist.
Die Nähe von Hellinger zu Heidegger etwa kann ich nicht einschätzen, und erscheint mir auch nicht wichtig. Jede der beiden Personen hat für sich ein problematisches Verhältnis zum Nationalsozialismus, und wenn Hellinger bei Heidegger Anleihen nehmen sollte, dann im Sinne einer rhetorischen Anleihe, denn fachlich-sachlich-inhaltlich kann es keine Fundierung und kein Argument für den Nationalsozialismus und keine Entschuldigung oder Relativierung geben.
Sicher ist, dass sowohl bei Heidegger als auch bei Hellinger diese Nähe zum Nationalsozialismus evident und bekannt ist, im Schrifttum bzw. Videos nachweisbar ist, zu Lebzeiten diskutiert und kritisiert wurde bzw. wird. Beide sprechen vom Volk als Subjekt und vom Nationalsozialismus als etwas Werthaltigem. Hellinger spricht vom Volk und dem Menschen als Teil seines Volkes und seiner sozialen Ordnung, die im kausalen Sinne seine Handlungen bestimmt und damit diese auch entschuldigt.
Nichts davon trifft auf Alexander zu. Alexander ist in ähnlichem Alter wie Hellinger, er hat 30 Jahre in der Öffentlichkeit gestanden, seine 15 Bücher sind zu hundertausenden verkauft: wenn es eine rassistische Tendenz gäbe, dass müsste dies bei ihm oder seinen Epigonen nachweisbar sein. Diese Nachweise gibt es aber nicht. In diesem Sinne ist der Vergleich, die Zuschreibung einer rassistischen Tendenz, eine beleidigende Unterstellung, die der sachlichen Grundlage entbehrt, und für die du dich früher oder später wirst entschuldigen müssen; andernfalls wirst du deinen intellektuellen Ruf beschädigen.
Immerhin wird aber in deinen Texten sichtbar, welche Gedankengänge dich zu dieser Unterstellung bringen, und da ich dir intellektuelle Fähigkeiten und besten Willen zuschreibe, kann es wohl nur an der rhetorischen Logik der kritischen Theorie liegen, dass deine Schlußfolgerungen so dramatisch entgleisen. Offenbar genügen dir äußere Anzeichen (zufällige Eigenschaften, Akzidenzien) um den Schluß auf eine Wesensverwandtschaft zu machen. Das ist ein Fehlschluss, aber einer der in kritisch-theoretischer Rhetorik offenbar von der Gemeinschaft aus Autoren und Publikum akzeptiert wird.
Diese Akzidenzien, die du als aussagekräftige Symptome interpretierst, wären zu betrachten: Ontologie, Raumvorstellung, Bewertung. Sollen wir das tun? Willst du ernsthaft darauf insistieren, dass sich – einzeln oder in Kombination – daraus eine Tendenz zum Rassismus ableiten ließe?