Commons und Grundeinkommen
[Repost aus dem Magazin prager frühling zum Schwerpunktthema der Commons]
Über die Vollendung der Commonsidee
von Ronald Blaschke
„Ein bedingungsloses Grundeinkommen etwa könnte die Rahmenbedingungen für Commons-Initiativen enorm verbessern. Und wenn man die Möglichkeiten der Commons schon mitbedenkt, dann könnte ein Grundeinkommen neben monetären auch nicht-monetäre Elemente wie Energie, Wohnraum oder Bildungsmöglichkeiten, Zugang zu Land oder Ähnliches enthalten. Eine deutliche Verkürzung der Arbeitszeit würde die Zeit, die für Selbstorganisation zur Verfügung steht, wesentlich erhöhen.“[1] Von Brigitte Kratzwald werden die bekannten Argumente für die Beförderung der Teilhabe an Aktivitäten jenseits der Lohnarbeit durch eine bedingungslose materielle Absicherung genannt. Diese Zusammenhänge wurden bereits 1982 von der unabhängigen Erwerbslosenbewegung in Deutschland in deutlich lohnarbeitskritischer und antipatriarchalischer Orientierung pointiert vorgetragen.[2] Auch in den Grundeinkommenskonzepten der BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE fanden sie seit deren Gründung im Jahr 2005 Eingang.[3] Die in der Commons-Debatte übliche Verortung der Produktion und Nutzung der Commons jenseits von Markt und Staat ist nicht neu. Sie findet sich nicht nur in den Konzepten der Solidarischen Ökonomie, sondern auch in der deutschen Existenzgelddebatte vor 35 Jahren, in der spanischen Bewegung für eine „Grundeinkommen der Gleichen“ vor zehn Jahren[4] sowie in vielen aktuellen Grundeinkommenskonzepten.
Wichtig ist aber, den inneren Zusammenhang einer commonistischen Perspektive und der Idee einer bedingungslosen materiellen Absicherung der Existenz und Teilhabe des Menschen zu reflektieren.
Distribution in commonistischer Perspektive
1. Ein allen Menschen bedingungslos ausgezahltes Grundeinkommen ist ein für die individuelle Existenz- und Teilhabesicherung frei verfügbares Gemeingut. Es ist der individuelle Anteil einer und eines jeden an gemeinsamen Gütern. Das sind a) die Natur,[5] b) der in allen Lebens- und Arbeitsbereichen produzierte materielle gesellschaftliche Reichtum, bei dem der individuelle Beitrag oder der Beitrag eines bestimmten Kollektivs bzw. einer bestimmten Menschengruppe aufgrund steigender Vergesellschaftung der Produktion kaum noch messbar ist. Zu diesem gemeinsamen gesellschaftlichen Reichtum gehört auch c) das gesellschaftliches Wissen in Form von institutionalisiertem (Wissenschaft) und vergegenständlichtem Wissen (Automatisation), und d) die in der gesamten gesellschaftlichen Produktion tagtäglich stattfindende wechselseitige Produktion der Kompetenzen, Fähigkeiten, Normorientierungen der Subjekte. Die Subjekte sind die entscheidende gesellschaftliche Produktivkraft, die sich im modernen Kapitalismus hauptsächlich jenseits der Lohn-/Erwerbsarbeitswelt (re-)produziert und materiellen sowie immateriellen gesellschaftlichen Reichtum hervorbringt.[6] Das Grundeinkommen kann durch Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums problemlos finanziert bzw. sichergestellt werden, genauso wie die bedingungslosen Zugänge zu nicht monetären Formen der Existenz- und Teilhabesicherungen (öffentliche Gesundheitsversorgung, Bildung, Mobilität usw.). Heute kann beides durch Abgaben auf die individuelle oder kollektive Nutzung gemeinsamer Güter zum exkludierenden individuellen und kollektiven Vorteil im Lohnarbeit-Kapital-Kontext finanziert werden, in commonistischer Zukunft durch eine allgemeine Abzweigung aus der individuellen und kollektiven Nutzung und Produktion von Commons. Prinzipiell sind nicht monetäre Zugänge zu allen Formen der ausreichenden und bedingungslosen Existenz- und Teilhabesicherung denkbar. Zu diskutieren und zu berücksichtigen wären allerdings Fragen der damit verbundenen Freiheitseinschränkung.
2. Bisherige Praxen, die Zugänge zur grundlegenden Existenz- und Teilhabesicherung den Individuen nur bedingt zu gewähren (Bedingungen wären Arbeitszwang, Gegenleistungsverpflichtung und Prüfung der Bedürftigkeit durch Einkommens- und Vermögensprüfung) werfen gravierende menschen- und grundrechtliche Probleme auf.[7] Die Erzwingung von Arbeit durch Sanktionen und Leistungseinschränkungen sind völkerrechts- und grundrechtswidrig. Beim repressiven Hartz-IV-System werden ca. 50 Prozent der Leistungsberechtigten ausgegrenzt, bei der weniger repressiven, aber ebenfalls einkommens- und vermögensgeprüften Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung 68 Prozent: Die mit Bedürftigkeitsprüfungen verbundene Form der Existenz- und Teilhabesicherung führt systematisch zur Exklusion durch Ausgrenzung aus der menschen- und grundrechtlich verbrieften Existenz- und Teilhabesicherung. Kein/e Vertreter/in der Commons-Idee käme auf die Idee, den Zugang zu öffentlichen Räumen, Wäldern, Parks, Kulturveranstaltungen, Bibliotheken, Internet usw. von einer Gegenleistungsverpflichtung, geschweige von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig zu machen. Auch deswegen ist eine Commons-Idee auch bei monetären Formen der Existenz- und Teilhabesicherung weder mit Arbeitszwang noch mit Bedürftigkeitsprüfung vereinbar. Der Zugang zu Commons kann per Definition nicht exkludierend gestaltet werden – bestenfalls limitierend, wenn es sich um rivale (begrenzte) gemeinsame Güter handelt.
3. Commons in Form des bedingungslosen Grundeinkommens und in Form nicht monetärer bedingungsloser Existenz- und Teilhabesicherung sind Ausdruck und Sicherung menschlicher Beziehungsformen als reziproke Beziehungen.[8] Denn erstens berücksichtigen diese Formen, dass die individuelle Existenz und Teilhabe(möglichkeit) stets mit der Existenz und gesellschaftlichen Teilhabe(möglichkeit) anderer Menschen verbunden ist. Der Mensch ist kein isoliertes Wesen, sondern eingebunden in das menschliche Bezugsgewebe, welches immer auf Wechselseitigkeit beruht.[9] Zweitens stellen genannte Commons zugleich die höchste Form der Reziprozität dar, weil sie die wechselseitige unbedingte, unanfechtbare Anerkennung des Existenz- und Teilhaberechts der/des jeweilig anderen zur Grundlage hat.
Commonistische Produktion und individuelle Freiheit
1. Commons werden durch Commoning angeeignet, produziert und gestaltet[10], so wie kapitalistisches Privateigentum derzeit tagtäglich durch Lohnarbeit konstituiert wird (Marx). Das „Betriebssystem“ der Commons soll auf „kooperationsfähigen sozialen Wesen“ basieren, die kooperativ produzieren und im Konsens entscheiden.[11] Das setzt in allen Fällen eine freiwillige Mitwirkung der Commoners voraus. Commoning als freie Kooperationen sind mit administrativem oder ökonomischem Zwang unvereinbar. Das Grundeinkommen und oben genannte nicht monetäre Absicherungen der Existenz und Teilhabe garantieren sowohl Freiheit vom administrativen als auch vom ökonomischen Arbeitszwang. Sie sichern die soziale und politische Freiheit, sich in demokratische/kooperative Entscheidungsprozesse als souveräner Commoner hineinzubegeben.[12] Grundeinkommen und oben genannte nicht monetäre Grundgüter sind eine materielle Form der Befähigung zum „öffentlichen Vernunftgebrauch“ bezüglich gemeinsamer Ressourcen und deren gemeinsamen Nutzung und Produktion.[13]
2. Staatlich geschützte öffentliche Räume zur Konstituierung des Gemeinwesens/der Gemeinwesen, staatliche Sicherungen für Zugänge zu gemeinsamen Ressourcen und zu bedingungslosen materiellen Absicherungen stehen nicht im Gegensatz zur Aneignung, Produktion und Distribution des Gemeinsamen. Staat als Interessenvertreter und Ausgleicher der unterschiedlichen Interessen der Commoner und Commonities (wenn diese zumindest politisch teilhegemonial sind) ist gemeinsamer Verwalter und Sicherer von „Sachen“. Herrschaft wird im Sinne der Selbstherrschaft auf die Commoner/Commonities verlagert. Die republikanische Freiheitsidee, die Fremdherrschaft ablehnt, aber gemeinschaftliche Selbstherrschaft als Freiheitsverbürgung begreift, implizierte zwecks Sicherung der nicht erpressbaren individuellen Partizipation an der Gestaltung der Selbstherrschaft oben genannte geschützte öffentliche Räume, Zugänge zu gemeinsamen Ressourcen und bedingungslose materielle Absicherungen.[14]
3. Die politische Produktion des Gemeinsamen findet in der Aneignung des Gemeinsamen im politisch-kulturellen Diskurs und in politischen Aktionen statt – im Widerstand gegen und in Überschreitung derzeitiger Herrschaftsverhältnisse, gegen den jetzigen Staat, erst recht gegen den privatisierenden Markt. Akteure sind zum Beispiel die Occupy-Bewegung,[15] die Interventionistische Linke in Deutschland und die Koalition der Sozialen Zentren in Italien. Sie streiten auch für ein garantiertes Grundeinkommen und für die Garantie nicht monetärer Möglichkeiten der bedingungslosen Existenz- und Teilhabesicherung. Die „sozialen Garantien“ (Luxemburg) commonistischen Lebens sind ihrer Auffassung nach „universal, das heißt umfassend und für alle, und unkonditioniert, das heißt frei von jeder Bedingung“.[16]
Die commonistische Idee, die individuelle Freiheit und gemeinsame Güter zusammendenkt, kommt nicht ohne die bedingungslose Absicherung der Existenz und gesellschaftlichen Teilhabe jedes Menschen aus – ansonsten droht der Rückfall in Kollektivismus und Diktatur.
Literatur
[1] Brigitte Kratzwald, Zukunftsfähiges Wirtschaften jenseits von Markt und Staat, in: Die Armutskonferenz (Hrsg.): Was allen gehört. Commons – Neue Perspektiven in der Armutsbekämpfung, Wien 2013, S. 23.
[2] Vgl. Ronald Blaschke, Denk’mal Grundeinkommen. Geschichte, Fragen und Antworten einer Idee, in: Ronald Blaschke, Ronald/Adeline Otto/Norbert Schepers (Hrsg.), Grundeinkommen. Geschichte – Modelle – Debatten, Berlin 2010, S. 80 ff.
[3] Vgl. www.die-linke-grundeinkommen.de.
[4] Vgl. José Iglesias Fernández, Das Grundeinkommen der Gleichen, in: Blaschke/Otto/Schepers (Hrsg.), S. 387 ff.
[5] Vgl. Thomas Spence, Rights of infants, 1796.
[6] Vgl. André Gorz, Arbeit zwischen Misere und Utopie, Frankfurt/Main 2000 und folgende Werke von ihm, vgl. Michael Hardt/Antonio Negri, Empire (Frankfurt/Main, New York 2003) und Common Wealth (Frankfurt/Main, New York 2010).
[7] Vgl. Blaschke, S. 34 ff.
[8] Vgl. Andreas Exner/Brigitte Kratzwald, Solidarische Ökonomie & Commons, Wien 2012, S. 32.
[9] Vgl. dazu auch die feministische Debatte zum Grundeinkommen, z. B. Antje Schrupp, Feministische Gedanken zum Grundeinkommen, 2006.
[10] Vgl. Editorial, in: Die Armutskonferenz, S. 8.
[11] Silke Helfrich, Das „Betriebssystem“ der Commons, in: Silke Helfrich/Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Commons. Für eine Politik jenseits von Markt und Staat, Bielefeld 2012, S. 66 f.
[12] Vgl. Christoph Spehr, Gleicher als andere. Eine Grundlegung der freien Kooperation, Berlin 2003, S. 48 und 77, und die Grundlegung der „attraktiven Arbeit“, der „freien Vereinigung“ und der „sozialen und politischen Freiheit“ bei Charles Fourier/Victor Considérant. in: Blaschke, S. 202 ff. – alle jeweils mit Grundeinkommen.
[13] Silke Helfrich, Commoning als Strategie der Armutsvermeidung, in: Die Armutskonferenz (Hrsg.), S. 39.
[14] Vgl. Eric Patry, Das bedingungslose Grundeinkommen in der Schweiz. Eine republikanische Perspektive, Bern 2010.
[15] Vgl. Occupy Strategy Group’s TOP 10 recommended strategic objectives, USA, October 2013.
[16] Mobilisierungstext für den „Turiner Juli 2014“ und einen „Herbst der Kämpfe“.
„Das Grundeinkommen und oben genannte nicht monetäre Absicherungen der Existenz und Teilhabe garantieren sowohl Freiheit vom administrativen
als auch vom ökonomischen Arbeitszwang.“
Darin steckt ein Widerspruch: Freiheit kann man nicht garantieren.
Im Falle des Grundeinkommens bedeutet die Garantie, dass alle das Grundeinkommen bekommen, dass sich die Institution, die das Grundeinkommen verwaltet, notfalls mit Zwang und Gewalt von denjenigen ihren Anteil fürs Grundeinkommen holt, die freiwillig nicht dazu beitragen wollen. Denn irgendwie muss das Geld, das als Grundeinkommen verteilt werden soll, ja erst mal eingesammelt werden.
Es sei denn, man macht das in Form von Geldschöpfung, wie es z.B. Franz Hörmann vorschlägt. Das überwindet den Widerspruch, vorhandenes Geld auf freiwilliger Basis zu verteilen & gleichzeitig allen einen Anspruch zu garantieren. Ein Anspruch auf frisch zu schöpfendes Geld lässt sich ohne Weiteres garantieren, weil man dazu niemandem etwas wegnehmen muss.