Das Zurückfordern der Allmenden

[Artikel aus CONTRASTE 336, September 2012]

Von Elisabeth Meyer-Renschhausen

Am 16. April 2011 begann das Projekt »Allmende-Kontor« auf dem ehemaligen Tempelhofer Flughafen. Binnen eines Jahres entwickelte sich der wildkreative Gemeinschaftsgarten des »Allmende-Kontors« zu einem der neuen Anziehungspunkte Berlins. Neben unendlichen Heerscharen von Journalisten aus dem In- und Ausland, Stadtplaner- und Studentengruppen aus allen Fächern und aus aller Herren Länder, würdigte zuletzt die Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Frau Aigner das Projekt mit ihrem Besuch, mit einem ganzen Bus voller Journalisten im Gefolge.

Heute gilt der Garten des »Allmende-Kontors« am Rand des Problembezirks Neukölln als eine der »größten Hochbeeteanlagen der Welt«. Etwa 300 Hochbeete werden von ca. 700 Gärtnern gepflegt. Eine 13-köpfige Organisationsgruppe sorgt für die notwendigen Rahmenbedingungen und eine vielleicht 20köpfige »Vorortgruppe« sorgt reihum dafür, dass die beiden großen Wassertanks täglich gefüllt werden, und vieles andere. Am 16. April 2011 durfte die Gruppe »Allmende-Kontor« mit dem Bauen der ersten Hochbeete beginnen, obwohl sie sich mit der senatseigenen »GrünBerlin« Parkentwicklungs-Firma noch nicht auf einen Pacht- resp. Nutzungs-Vertragstext hatte einigen können. Der erste Vertragsentwurf versuchte einseitig sämtliche Lasten den Bürgern zuzuschieben, ohne zu berücksichtigen, dass ehrenamtlich arbeitende Bürger und Bürgerinnen keineswegs notwendig Abkömmlinge reicher Patrizierhäuser sind. Aber Mitte Mai sollten die neuen Pionier-Projekte auf der neu nun so genannten »Tempelhofer Freiheit« seitens der Senatorin (Ministerin) Frau Junge-Reyer offiziell feierlich eröffnet werden und da sollte »schon etwas zu sehen sein«. Es sollte noch Monate dauern, bis man sich nach zähem Ringen auf einen Vertrags-Text geeinigt hatte.

Gemeinschaftsgärten am ehemaligen Neuköllner Sportgelände

Das »Allmende-Kontor« hatte sich zusammen, resp. parallel, mit anderen Bürger-Initiativen wie dem »Schillerkiez« oder der Gruppe »Rübezahl« um eine Pionierfläche auf dem Tempelhofer Feld beworben. Für die sozialen, ehrenamtlich betriebenen Projekte hielt die für die »Entwicklung« des Geländes zuständige senatseigene »Tempelhof Projekt GmbH« Landabschnitte auf der Ostseite des Geländes vor. Dieser Teil des Geländes gehört im Gegensatz zum größten Teil der Fläche zum Bezirk Neukölln. Er bot in den 1920ern Sport-, Spiel- und Grünflächen für die örtliche Bevölkerung. Eine Prachttreppe, die von der Oderstraße auf das Gelände führt, zeugt noch heute von der ehemaligen Nutzung als Erholungsfläche. Erst die so genannte Luftbrücke ab 1953, als die Westberliner Bevölkerung zeitweilig per Flugzeug aus der Luft versorgt werden musste, machte eine Verlängerung der Start- und Landebahnen nötig, dem das Neuköllner Erholungsgebiet zu Opfer fiel. Lediglich eine Sporthalle, das Columbiabad und einige wenige Kleingärten blieben von der ehemaligen Erholungsfläche übrig.

Nun aber sollte eben diese Fläche »Pionier-Projekten« zur Zwischennutzung geöffnet werden. Dabei macht man sich die Erkenntnisse vor allem der US-amerikanischen Stadtsoziologie zu nutze: so genannte »Pioniergruppen«, meistens junge Leute, StudentInnen und KünstlerInnen mit geringen Einkünften trauen sich, in einen vernachlässigten Stadtteil zu ziehen. Durch viel Eigenarbeit gelingt es ihnen, ihren Bezirk wieder lebenswert zu machen, in Ökonomensprache »aufzuwerten«. Schließlich »entdecken« die Investoren das »aufgewertete« Quartier. Sie vertreiben mit mancherlei Tricks die Mieter, darunter die meisten der Pioniere, um es maximal »verwerten« zu können. Kurzum: das Viertel wird »gentrifiziert«(= veredelt).

Im Fall des Tempelhofer Feldes geht es nach momentaner Planung darum, daß die Pioniergruppe laut Infotafeln bis 2016 die etwas eintönigen Rasenflächen belebt. Das bunte Treiben soll, finanzkräftige Investoren anziehen, die bereit sind, das Gelände »zu entwickeln« und dem Land Berlin dafür tüchtig Gelder in die Taschen zu spülen.

To Reclaim the Commons

Obwohl der Gruppe »Allmende-Kontor« diese Zusammenhänge klar waren, ließ sie sich auf einen Vertrag als »Zwischennutzerin« ein. Wieso? Der Gruppe »Allmende-Kontor« erschien es noch wichtiger, einen sichtbares Zeichen für das »To Reclaim the Commons« zu setzen. »To Reclaim the Commons« heißt die entsprechende Parole unter den Gemeinschaftsgärtnerinnen und -gärtnern der USA. Mitglieder der Gruppe hatten diese Informationen aus den USA mitgebracht.

Das »Allmende-Kontor« ließ sich also auf Zwischennutzung ein, mit dem Ziel, Politik und Behörden klar zu machen, dass der postmodernen halb-erwerbslosen Stadtgesellschaft vermehrt Land für den Eigenanbau von Gemüse zur Verfügung gestellt werden muss. Und dass die riesige Fläche des ehemaligen Flughafens deshalb nicht der Bauindustrie in den Rachen geworfen, sondern den Bürgern als eine »Allmende« zurückgegeben werden sollte.

Was heißt eigentlich »Allmende«?

Das altmodische Wort Allmende (die Allgemeine) bezeichnet eine Gemeindeflur, den Grundbesitz einer Dorfgemeinschaft. Oft waren das die so genannten »Ödländer«, die bis zur Neuzeit in Gemeinbesitz blieben. Im Mittelalter handelte es sich hierbei in Europa meistens um Wiesen, magere Ackerländer, Waldstücke oder Seen, die von allen Dorfbewohnern gemeinschaftlich bewirtschaftet wurden. Dazu gehörte scharfe Ahndung von Missbrauch, wie die Forschungen von Elinor Ostrom zeigen. Die Übertragung gemeinschaftlicher Flächen in herrschaftlichen bzw. privatwirtschaftlichen Besitz war einer der Auslöser für den deutschen Bauernkrieg ab 1525. In Preußen wurden die Allmenden im Zuge der »Bauernbefreiung« ab 1813 privatisiert. Die Folge war, dass die landlosen KleinhausbesitzerInnen in den Dörfern zu einer Hungerschicht wurden, die bald der städtischen Armenfürsorge zur Last fielen. In England zählen heute noch ca. 4% der Landfläche zu den Commons, in den Alpen werden viele Almen (Singular: Alm) weiterhin als Gemeingüter gehalten.

Nomadisches in Kisten Gärtnern

Da man seitens der zuständigen Stellen befürchtete, dass der Boden mit Giften aus dem Flugbetrieb verseucht wäre, untersagte man den temporären Gemüseanbauern in die Erde zu gehen. Das macht das Gärtnern nicht eben einfacher. Es mussten außer den Gerätschaften auch noch geeignete Pflanzgefäße und die Erde besorgt werden. Zudem musste die Wasserversorgung geregelt werden. Hochbeete trocknen sehr schnell aus. Merkwürdigerweise gelang der Gruppe von nur dreizehn Organisatorinnen und Organisatoren ausreichend gebrauchte Bretter, Kisten, zertifizierte Bio-Erde, Samen aus biologischer Erzeugung, Spaten und Schaufeln, Nägel und Hämmer zu beschaffen, so dass es losgehen konnte. Einer schenkte der Gruppe ein selbstgebautes, wunderbares, pinkfarben bemaltes Kinderhaus, was der Gruppe bald als Anschlagtafel diente. Einem anderen gelang es, eine Rettungsinsel geschenkt zu bekommen. Beides geriet im ersten Frühsommer unendlichen Kinderscharen zum Vergnügen.

Das Erstaunlichste war, dass es den meisten Neugärtnern und -gärtnerinnen des »Allmende-Kontors« offenbar überhaupt nichts ausmachte, sich erst einmal umständlich ein Beet zimmern zu müssen. Im Gegenteil. Von Stund’ an war jedes Wochenende ein fröhliches Gehämmere zu hören, dem bald die erstaunlichsten Beetkreaturen entsprangen. Und kaum war das Kastenbeet fertig, wurde aus alten Bettgestellen u.ä. auch schon eine Bank daran gebaut. Bänke, die jedermann zur Verfügung stehen, um den abendlichen Sonnenuntergang im Westen jenseits des Feldes zu genießen. Vielleicht ist es sogar dieser Zwang, sich etwas bauen zu müssen, der bewirkt, dass die Gärtner des »Allmende-Kontors« überdurchschnittlich jung und männlich sind. Besonders erstaunt habe sie, meinte eine der KünstlerInnengruppe von der »Bienenbewegung« im Juli 2012 gegenüber der Verfasserin dieses Artikels, die soziale Vielfalt im »Allmende-Kontor«.

Tatsächlich sind unter den Gärtnerinnen und Gärtnern des »Allmende-Kontors« Menschen aus allen Alters- und Bildungsschichten zu finden. Zumindest ein Drittel der GärtnerInnen sind Menschen mit den unterschiedlichsten Muttersprachen. Die Menschen wuchsen etwa polnisch, spanischsprachig, türkisch-, kurdisch- oder arabischsprachig auf, oder plauderten in ihrer Kindheit auf Farsi oder Portugiesisch, Ungarisch oder Thai, Niederländisch, Schwedisch oder Französisch. Nachdem im Frühsommer 2011 innerhalb von nur drei bis vier Monaten bereits 300 Holzbeete entstanden waren, verfügte die »Orga-Gruppe« einen »Baustopp«, um ein allzu planloses Zubauen der Fläche zu verhindern. Es kam damals außerdem zu den ersten Konflikten, weil einige Ältere bäuerlicher Herkunft sich am liebsten gleich ein ganzes Areal von der Größe eines Schrebergartens abgetrennt hätten. Immerhin kamen zu einigen Gartenpartys, zu denen die Orga-Gruppe alle per Email und Anschlag am rosa Häuschen eingeladen hatte, jeweils über hundert Menschen und brachten großzügig Speisen und Getränke mit.

Die Hauptaufgabe, aus einer so großen Gruppe eine funktionierende Gemeinschaft zu machen, steht der Gründerinnengruppe aber erst noch bevor. Aus der Forschung über »intentional communities« weiß man, dass das ab einer Größe von über 100 Menschen nicht eben leicht ist. Es wäre hilfreich, wenn die Behörden anerkennen würden, dass vorbildliche ökologische Gärtnerei im Sinne der Allgemeinheit nicht ohne deutliche Förderung zu haben ist. Die erfolgreichen Interkulturellen Gartenprojekte hatten fast alle (zumindest zeitweilig) honorierte KoordinatorInnen, die etwa traditionellen Landleuten peu à peu verständlich machten, wie nahe das alte Gärtnern der neuen Biogärtnerei ist und die sich um behutsame Integration der Gemeinschaftsgärten in eine Gewohnheitenfixierte Behördenlandschaft bemühten. Der zweite Teil des Namens des »Allmende-Kontors« zielt auf die Einrichtung einer Koordinatorenstelle nach dem Vorbild des New Yorker »GreenThumb«, was heute ein Teil der »Park- and Recreation«-Administration ist. Der Verein »workstation Ideenwerkstatt e.V.«, an den das »Allmende-Kontor« angedockt ist, solange noch keine eigenen Vereinsstrukturen existieren, funktioniert bereits ein wenig wie so eine Vernetzungsstelle.

Während noch vor einem dutzend Jahren sich auch grüne Bürgermeister nicht vorstellen konnten, dass man in innerstädtischen Parks »Community Gardens« würde durchsetzen können, ist ein Teil der Zuständigen davon jetzt überzeugt. Auch die landschaftsplanerische Idee aus den 1920er Jahren, den Kommunen Kosten zu ersparen, indem man einen Teil der Grünanlagen von (Klein-)Gärtnern besorgen lässt, erfährt angesichts klammer Kassen ein Revival.

Zuvor waren lange Jahre des »Redens in der Wüste« durchzustehen. Seit 1997 setzte sich die Berliner »Arbeitsgruppe Kleinstlandwirtschaft und Gärten in Stadt und Land« für Subsistenzgärten für Erwerbslose ein. 1998 wurden »Gärten der Kulturen der Welt« für das Berliner Gleisdreieck gefordert. Im Jahr 2000 erschien der erste Sammelband zum Thema »Die Wiederkehr der Gärten«, 2002 der zweite, »Die Gärten der Frauen«. Der Tagungsband »Welternährung durch Ökolandbau – Die Agrarwende nimmt Formen an« wurde auf geheimnisvolle Art und Weise konfisziert. 2009 wurde die AG Kleinstlandwirtschaft auf dem McPlanet-Kongress in Berlin mit der Initiative »Squat Tempelhof« zusammengelegt. Gemeinsam erlernte man Samenbomben zu bauen – nach dem Vorbild der Green Guerilla von New York City. Ein Jahr nach der wesentlich von StudentInnen getragenen Aktion »Squat Tempelhof« im Juni 2009 öffnete das Land Berlin das Tempelhofer Feld für alle. Eine im April 2009 entstandene Jugendgruppe »Tempel-Gärten« jedoch gab wieder auf, es dauerte ihr zulange, bis es wiederum noch ein Jahr später endlich auch erlaubt wurde, auf dem Feld zu gärtnern.

Kurzum: Community gardening oder interkulturelle Gemeinschaftsgärtnerei ist mehr als nur in der Erde zu buddeln. Innerstädtischer Gemüseanbau wird zu dem Zeichen eines tätigen Protests. Eines Protestes gegen Finanzpolitiken, die die Gelder der Bürger via »Rettungspakete« den Banken zuschieben und gegen die autokratischen Herrschaftsbestrebungen der Monsantos dieser Welt. Gigantische Chemiefirmen, die sich, um ihre Pflanzengifte besser verkaufen zu können, auch die Saatgutbranche einverleibt haben.

Und so kehrt das, was bisher als informelle Selbsthilfeökonomie verachtet wurde, nämlich die Subsistenzlandwirtschaft in die Städte zurück. Neben innerstädtischen Oasen entstehen neue Sichtweisen auf unser Ernährungsverhalten im Rahmen einer umweltbewussten Stadtentwicklung. Es entsteht eine neue klimabewusste Reflexion der Herkunft unserer Lebensmittel. Der Gemüseanbau wird neben »dem Spaß am Vergnügen« zu einem Bedürfnis. Immer mehr Menschen trauen sich, mit anderen zusammen Brachen zu besetzen und zu probieren, wieder ernsthaft zu gärtnern. Leicht ist das nicht in Zeiten, da von den Finanzinstituten vor sich her geschobene Regierungen kaum noch ernsthafte Politik machen mögen. Politik und Verwaltungen vergeben innerstädtische Brachen daher gerne nur als eine Art gehobener Spielwiesen für Erwachsene zur temporären Zwischennutzung. So werden aus ehedem mal ehrwürdigen Stadtbürgern zwangsläufig Nomaden, die alle paar Jahre sich einen neuen Fleck zum Begärtnern suchen müssen. Aus Sesshaften werden Unstetige, aus Citoyens (Staatsbürgern) sozusagen Unstetige, »Zigeuner«.

Aber paradoxerweise werden über das Verteidigen-Müssen innerstädtischer Brachen bisher Randständige, Marginalisierte, zugleich zu Verteidigern der Demokratie. Gegen eine staatliche geförderte Politik einer unverantwortlichen Bodenspekulation fordern lustige Green Guerillas die Allmenden zurück. Eigenarbeit und Gemüseanbau ergreift so als »Idee, die in der Luft liegt«, breiteste Bevölkerungsschichten. Die Generation Internet »goes green« heißt das ja wohl in der Kurzsprache von Twitter, Facebook und Co.

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