Energie-Commons als P2P-Netzwerk

Es ist schon einige Zeit her, dass ich bei der Böll-Stiftung zu einem Tages-Workshop zur Frage eingeladen war, ob die Energieinfrastruktur als Gemeingut organisiert werden könne. Dort habe ich gelernt, wie die Strombörse funktioniert und vor allem, was der Ausbau der EE (Erneuerbaren Energien, hier nur Strom) bedeutet. Die Strombörse ist ein Marktplatz, an dem Strom gehandelt wird. Angebote treffen hier auf Nachfragen. Dort, wo sich Angebot und Nachfrage decken, wird der Preis festgelegt. Die beiden Kurven für Angebot und Nachfrage sehen so aus (meine schematische Zeichnung aus dem Gedächtnis, klicken zum Vergrößern):

Aufgetragen ist der Preis über der Strommenge für einen bestimmte Stunde eines bestimmten Tages, absolute Größen sind nicht so wichtig. Die Nachfragekurve ist recht steil, weil Strom nun mal gebraucht wird und auch bei höherem Preis nicht so stark eingespart werden kann bzw. bei sinkendem Preis nicht schlagartig exorbitant mehr verbraucht wird. Die Schwankungen hängen eher vom Tag und der Stunde ab, weswegen für jede Stunde so ein Diagramm erstellt wird.

Interessanter und komplizierter ist die Angebotskurve. Sie wird nach »Merit-Order« (Einsatz-Reihenfolge der Kraftwerke) erstellt. Die Stromanbieter bieten für die gegebene Stunde ihren Strom zu ihren Grenzkosten an. Entsprechend der Kosten ergeben sich Anbietergruppen, das sind die Treppenstufen. Es geht los mit den EE, von denen aber nur einige ihren Strom über die Börse handeln, da ihnen das EE-Gesetz einen Abnahmepreis garantiert. Der EE-Strom also, der über die Börse läuft, kann sehr günstig angeboten werden, weil keine Rohstoffkosten anfallen und die Betriebskosten daher insgesamt gering sind. Dann folgen die AKW, hier kostet das Uran, dann BK (Braunkohle), dann SK (Steinkohle), Gas und am Ende Öl. Das ist nur eine Schema-Skizze, wer eine reale Verteilung sehen will, guckt hier.

Hieraus wird auch ersichtlich, warum die AKW-Betreiber nach Laufzeitverlängerung über die eigentliche Abschreibung (=Bezahlung der Kapitalkosten [Investionen] aus den Gewinnen) hinaus geiern: Das ist schlicht geschenktes Geld (minus Atomlobbykosten aus der Portokasse). Aber das ist jetzt nicht das Thema.

Hallo, was ist denn mit den Investionen, fragt ihr euch? Die gehen nicht in die Preisbestimmung ein, sondern müssen aus den »Deckungsbeiträgen« finanziert werden. Haha, Deckungsbeitrag, lustiger Name für den Gewinn. Da alle Anbieter ihren Strom zum gleichen »Gleichgewichtspreis« verkaufen, ist die Differenz zwischen Kosten (=Angebot) und Verkaufserlös an der Börse der Gewinn. Alle Anbieter »rechts« vom Angebots-Nachfrage-Schnittpunkt bekommen ihren Strom nicht verkauft. Sie müssen ihre Kraftwerke »abregeln«, sprich runterfahren. Sie bilden die Reserve.

Frage: Wie groß schätzt ihr die Reserve, also die Differenz zwischen Peak-Strommenge (höchster Verbrauch im Jahr) und potenziell lieferbarer Strommenge (Reserve)? Liegt die Reserve 10% über dem Peak? 20%? Gar 50%? Viel zu niedrig geschätzt: Sie liegt bei etwa beim doppelten der maximal benötigten Strommenge, die Reserve beträgt also 100%. Gehen also die Lichter aus, wenn sofort alle AKW abgeschaltet werden würden? Maximaler Unsinn. Politische Stimmungmache.

Was bei einem kompletten Atomausstieg passieren würde — wenn sich sonst nichts ändert — wäre, dass die Strompreise an der Börse steigen. Warum? Weil die »AKW-Treppenstufe« aus der Grafik fällt und der Rest der Kurve weiter nach links rutscht. Der Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage, sprich der Preis, läge dann höher. Aber auch das passiert nicht, denn eine Treppenstufe, die hier gar nicht eingemalt ist, würde hinzukommen bzw. breiter werden: der Stromimport. Mit der aktuellen Abschaltung der sieben AKW ist auch genau das passiert. Es wurde mehr Strom importiert, aber sonst ist nix passiert. Aber wieder zurück zum Thema.

Die spannende Frage, auf die ich eigentlich hinaus will, lautet: Was passiert, wenn die komplette Stromversorgung aus EE erbracht werden würde? Wenn wir 100% Strom aus EE hätten? Technische Einzelfragen nach Netzdesign, regionalem und zeitlichem Ausgleich, Speicherung etc. blende ich hier aus — das ist alles irgendwie machbar (dass dann das Land mit Speichern zugepflastert werden muss, ist Unfug und Stimmungsmache). Ok, 100% EE geht also, sagen wir in ganz Europa, dann sind die Ausgleiche leichter vorstellbar. Was passiert mit dem Strompreis an der Börse?

Wenn sich die »EE-Treppenstufe« so weit nach rechts verbreitert, dass sie die Nachfrage schneidet (das wäre die 100%-Versorgung), dann läge auch der Preis ganz weit unten, nahe Null. Kann das sein? Ja, das kann nicht nur sein, sondern das ist so. So funktioniert Marktwirtschaft. Oder eben nicht. Denn Marktwirtschaft geht immer von knappen Gütern aus. Mit unknappen, reichlich vorhandenen Gütern kann sie nicht umgehen. Wir sehen dies bei Immaterialgütern, wo dann künstliche Knappheiten eingebaut werden, nur um sie weiterhin handel- sprich: vertickbar zu machen. Und nun die gleiche Erscheinung bei einem »stofflichen« Gut. Warum? Weil die Sonne die große Schenkerin ist und sich um die marktwirtschaftliche Knappheitdogmatik nicht schert. Nett von ihr.

Kann das wirklich, wirklich sein? Ja, die beim Böll-Workshop versammelten Energieexperten aus der Wirtschaft haben diese Darstellung alle bestätigt und von einer »theoretischen Leerstelle«, einem »Paradoxon« gesprochen. *g* Aber nicht zu früh freuen, sie werden sich was ausdenken, denn gewiss werden die Stromproduzenten den Strom nicht verschenken wollen. Da hört die Marktwirtschaft dann auf. Wie aber die neuen »politischen Preise« entstehen sollen, ist völlig unklar.

Diskutieren wir noch ein paar Konsequenzen. Zunächst mal fallen zwei gegenläufige Effekte auf. Erstens: Die EE — als kapitalistische Investition — machen sich ihren eigenen Markt kaputt. Je mehr EE, desto niediger der Preis, desto weniger Gewinn. In der Marktlogik bremst sich der Prozess, den alle (na ja: fast alle) wollen, selbst aus. Zweitens: Ähnlich gelagert ist der Effekt des Stromsparens. Stromsparen senkt den Preis. Es gibt systemisch gar kein Interesse am Stromsparen, gerade auch von den EE-Betreibern nicht, obwohl genau das die größte Quelle wäre, um sehr schnell die CO2-Emissionen zu reduzieren (nicht nur im Wärmebereich).

Jetzt erzähle niemand, dass dann eben die Politik die Wirtschaft »zwingen« müsse, weiter EE auszbauen, auch wenn sie sich »nicht mehr rechnet«. Das ist illusorisch. Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, ist, dass »die Politik« die Strom-Produktion komplett aus dem Markt nimmt, weil sie nicht marktfähig ist. Anstatt rumzuregulieren — und am Ende setzt sich doch die Verwertungslogik (sorry: die »wirtschaftliche Vernunft«) durch — dann besser gleich die Stromproduktion jenseits vom Markt organisieren. ABER auch jenseits vom Staat! Es wäre eine schlechte Lösung, alles wieder in einen Staatsbetrieb (oder mehrere) zurück zu verwandeln. Stattdessen ist die Energie-Produktion und -Verteilung als Netzwerk von Commons zu organisieren.

Was heißt das? Das weiß ich nicht so genau. Ich hatte gehofft, dass genau diese Frage beim Böll-Workshop diskutiert wird. Aber die versammelten Expert_innen sahen sich nicht in der Lage, jenseits der Marktlogik zu denken. Viele hatten geradezu eine mystische Beziehung zur seiner Heiligkeit, dem Markt. Das hat nur einfach nichts mit dem Commons-Ansatz zu tun. Nur weil ein Unternehmen seinen Kapitalstock aus Bürgereinlagen speist und regional agiert, ist es noch lange kein Commons. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Nur wenn die Verwertungslogik als Operationsprinzip durchbrochen ist und das Commoning der beteiligten Menschen entscheidet, was getan wird, können wir anfangen über Commons zu reden. Erst dann haben wir es möglicherweise mit einem »jenseits vom Markt« zu tun.

Ein paar Stichpunkte, die mir ad hoc einfallen, in welche Richtung man denken müsste:

  • Perspektive ist die vernetzte P2P-Energieproduktion
  • Energieproduktion ist flächendeckend zu dezentralisieren
  • Konsumenten werden zu Prosumenten
  • Ein flächendeckendes P2P-Netzwerk verbindet die Energie-Prosumenten
  • Intelligentes Net-Metering wird flächendeckend eingeführt
  • Netze werden aus den Stromgebühren finanziert und als Commons betrieben
  • Rechtsformen werden gefunden, die eine Re-Privatisierung verhindern (Modell Mietshäuser-Syndikat)

Da fallen mir selber viele ABERS ein, etwa die Frage der Effizienz, aber diese Einwände sind als Fragen und Prüfaufträge zu untersuchen und nicht als No-Go’s von vornherein zu setzen. Nein, Großkraftwerke müssen nicht sein, aber sicherlich ist derzeit die komplette Struktur aktuell auf die Logik der Großkraftwerke ausgelegt. Das behindert die Dezentralisierung, ist aber kein Ausschlussgrund. Die aktuellen AKW und Kohlekraftwerke behindern auch den Umstieg auf eine Atom- und CO2-freie Energieproduktion, und trotzdem müssen wir es tun.

Das alles bedeutet letztlich einen gesamtgesellschaftlichen Umbau weg von der Marktwirtschaft hin zu einer commons-basierten Gesellschaft. Diese Konsequenz steckt allein im Umbau des Energiesektors drin. Das muss man wollen.

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