Energie-Commons als P2P-Netzwerk
Es ist schon einige Zeit her, dass ich bei der Böll-Stiftung zu einem Tages-Workshop zur Frage eingeladen war, ob die Energieinfrastruktur als Gemeingut organisiert werden könne. Dort habe ich gelernt, wie die Strombörse funktioniert und vor allem, was der Ausbau der EE (Erneuerbaren Energien, hier nur Strom) bedeutet. Die Strombörse ist ein Marktplatz, an dem Strom gehandelt wird. Angebote treffen hier auf Nachfragen. Dort, wo sich Angebot und Nachfrage decken, wird der Preis festgelegt. Die beiden Kurven für Angebot und Nachfrage sehen so aus (meine schematische Zeichnung aus dem Gedächtnis, klicken zum Vergrößern):
Aufgetragen ist der Preis über der Strommenge für einen bestimmte Stunde eines bestimmten Tages, absolute Größen sind nicht so wichtig. Die Nachfragekurve ist recht steil, weil Strom nun mal gebraucht wird und auch bei höherem Preis nicht so stark eingespart werden kann bzw. bei sinkendem Preis nicht schlagartig exorbitant mehr verbraucht wird. Die Schwankungen hängen eher vom Tag und der Stunde ab, weswegen für jede Stunde so ein Diagramm erstellt wird.
Interessanter und komplizierter ist die Angebotskurve. Sie wird nach »Merit-Order« (Einsatz-Reihenfolge der Kraftwerke) erstellt. Die Stromanbieter bieten für die gegebene Stunde ihren Strom zu ihren Grenzkosten an. Entsprechend der Kosten ergeben sich Anbietergruppen, das sind die Treppenstufen. Es geht los mit den EE, von denen aber nur einige ihren Strom über die Börse handeln, da ihnen das EE-Gesetz einen Abnahmepreis garantiert. Der EE-Strom also, der über die Börse läuft, kann sehr günstig angeboten werden, weil keine Rohstoffkosten anfallen und die Betriebskosten daher insgesamt gering sind. Dann folgen die AKW, hier kostet das Uran, dann BK (Braunkohle), dann SK (Steinkohle), Gas und am Ende Öl. Das ist nur eine Schema-Skizze, wer eine reale Verteilung sehen will, guckt hier.
Hieraus wird auch ersichtlich, warum die AKW-Betreiber nach Laufzeitverlängerung über die eigentliche Abschreibung (=Bezahlung der Kapitalkosten [Investionen] aus den Gewinnen) hinaus geiern: Das ist schlicht geschenktes Geld (minus Atomlobbykosten aus der Portokasse). Aber das ist jetzt nicht das Thema.
Hallo, was ist denn mit den Investionen, fragt ihr euch? Die gehen nicht in die Preisbestimmung ein, sondern müssen aus den »Deckungsbeiträgen« finanziert werden. Haha, Deckungsbeitrag, lustiger Name für den Gewinn. Da alle Anbieter ihren Strom zum gleichen »Gleichgewichtspreis« verkaufen, ist die Differenz zwischen Kosten (=Angebot) und Verkaufserlös an der Börse der Gewinn. Alle Anbieter »rechts« vom Angebots-Nachfrage-Schnittpunkt bekommen ihren Strom nicht verkauft. Sie müssen ihre Kraftwerke »abregeln«, sprich runterfahren. Sie bilden die Reserve.
Frage: Wie groß schätzt ihr die Reserve, also die Differenz zwischen Peak-Strommenge (höchster Verbrauch im Jahr) und potenziell lieferbarer Strommenge (Reserve)? Liegt die Reserve 10% über dem Peak? 20%? Gar 50%? Viel zu niedrig geschätzt: Sie liegt bei etwa beim doppelten der maximal benötigten Strommenge, die Reserve beträgt also 100%. Gehen also die Lichter aus, wenn sofort alle AKW abgeschaltet werden würden? Maximaler Unsinn. Politische Stimmungmache.
Was bei einem kompletten Atomausstieg passieren würde — wenn sich sonst nichts ändert — wäre, dass die Strompreise an der Börse steigen. Warum? Weil die »AKW-Treppenstufe« aus der Grafik fällt und der Rest der Kurve weiter nach links rutscht. Der Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage, sprich der Preis, läge dann höher. Aber auch das passiert nicht, denn eine Treppenstufe, die hier gar nicht eingemalt ist, würde hinzukommen bzw. breiter werden: der Stromimport. Mit der aktuellen Abschaltung der sieben AKW ist auch genau das passiert. Es wurde mehr Strom importiert, aber sonst ist nix passiert. Aber wieder zurück zum Thema.
Die spannende Frage, auf die ich eigentlich hinaus will, lautet: Was passiert, wenn die komplette Stromversorgung aus EE erbracht werden würde? Wenn wir 100% Strom aus EE hätten? Technische Einzelfragen nach Netzdesign, regionalem und zeitlichem Ausgleich, Speicherung etc. blende ich hier aus — das ist alles irgendwie machbar (dass dann das Land mit Speichern zugepflastert werden muss, ist Unfug und Stimmungsmache). Ok, 100% EE geht also, sagen wir in ganz Europa, dann sind die Ausgleiche leichter vorstellbar. Was passiert mit dem Strompreis an der Börse?
Wenn sich die »EE-Treppenstufe« so weit nach rechts verbreitert, dass sie die Nachfrage schneidet (das wäre die 100%-Versorgung), dann läge auch der Preis ganz weit unten, nahe Null. Kann das sein? Ja, das kann nicht nur sein, sondern das ist so. So funktioniert Marktwirtschaft. Oder eben nicht. Denn Marktwirtschaft geht immer von knappen Gütern aus. Mit unknappen, reichlich vorhandenen Gütern kann sie nicht umgehen. Wir sehen dies bei Immaterialgütern, wo dann künstliche Knappheiten eingebaut werden, nur um sie weiterhin handel- sprich: vertickbar zu machen. Und nun die gleiche Erscheinung bei einem »stofflichen« Gut. Warum? Weil die Sonne die große Schenkerin ist und sich um die marktwirtschaftliche Knappheitdogmatik nicht schert. Nett von ihr.
Kann das wirklich, wirklich sein? Ja, die beim Böll-Workshop versammelten Energieexperten aus der Wirtschaft haben diese Darstellung alle bestätigt und von einer »theoretischen Leerstelle«, einem »Paradoxon« gesprochen. *g* Aber nicht zu früh freuen, sie werden sich was ausdenken, denn gewiss werden die Stromproduzenten den Strom nicht verschenken wollen. Da hört die Marktwirtschaft dann auf. Wie aber die neuen »politischen Preise« entstehen sollen, ist völlig unklar.
Diskutieren wir noch ein paar Konsequenzen. Zunächst mal fallen zwei gegenläufige Effekte auf. Erstens: Die EE — als kapitalistische Investition — machen sich ihren eigenen Markt kaputt. Je mehr EE, desto niediger der Preis, desto weniger Gewinn. In der Marktlogik bremst sich der Prozess, den alle (na ja: fast alle) wollen, selbst aus. Zweitens: Ähnlich gelagert ist der Effekt des Stromsparens. Stromsparen senkt den Preis. Es gibt systemisch gar kein Interesse am Stromsparen, gerade auch von den EE-Betreibern nicht, obwohl genau das die größte Quelle wäre, um sehr schnell die CO2-Emissionen zu reduzieren (nicht nur im Wärmebereich).
Jetzt erzähle niemand, dass dann eben die Politik die Wirtschaft »zwingen« müsse, weiter EE auszbauen, auch wenn sie sich »nicht mehr rechnet«. Das ist illusorisch. Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, ist, dass »die Politik« die Strom-Produktion komplett aus dem Markt nimmt, weil sie nicht marktfähig ist. Anstatt rumzuregulieren — und am Ende setzt sich doch die Verwertungslogik (sorry: die »wirtschaftliche Vernunft«) durch — dann besser gleich die Stromproduktion jenseits vom Markt organisieren. ABER auch jenseits vom Staat! Es wäre eine schlechte Lösung, alles wieder in einen Staatsbetrieb (oder mehrere) zurück zu verwandeln. Stattdessen ist die Energie-Produktion und -Verteilung als Netzwerk von Commons zu organisieren.
Was heißt das? Das weiß ich nicht so genau. Ich hatte gehofft, dass genau diese Frage beim Böll-Workshop diskutiert wird. Aber die versammelten Expert_innen sahen sich nicht in der Lage, jenseits der Marktlogik zu denken. Viele hatten geradezu eine mystische Beziehung zur seiner Heiligkeit, dem Markt. Das hat nur einfach nichts mit dem Commons-Ansatz zu tun. Nur weil ein Unternehmen seinen Kapitalstock aus Bürgereinlagen speist und regional agiert, ist es noch lange kein Commons. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Nur wenn die Verwertungslogik als Operationsprinzip durchbrochen ist und das Commoning der beteiligten Menschen entscheidet, was getan wird, können wir anfangen über Commons zu reden. Erst dann haben wir es möglicherweise mit einem »jenseits vom Markt« zu tun.
Ein paar Stichpunkte, die mir ad hoc einfallen, in welche Richtung man denken müsste:
- Perspektive ist die vernetzte P2P-Energieproduktion
- Energieproduktion ist flächendeckend zu dezentralisieren
- Konsumenten werden zu Prosumenten
- Ein flächendeckendes P2P-Netzwerk verbindet die Energie-Prosumenten
- Intelligentes Net-Metering wird flächendeckend eingeführt
- Netze werden aus den Stromgebühren finanziert und als Commons betrieben
- Rechtsformen werden gefunden, die eine Re-Privatisierung verhindern (Modell Mietshäuser-Syndikat)
Da fallen mir selber viele ABERS ein, etwa die Frage der Effizienz, aber diese Einwände sind als Fragen und Prüfaufträge zu untersuchen und nicht als No-Go’s von vornherein zu setzen. Nein, Großkraftwerke müssen nicht sein, aber sicherlich ist derzeit die komplette Struktur aktuell auf die Logik der Großkraftwerke ausgelegt. Das behindert die Dezentralisierung, ist aber kein Ausschlussgrund. Die aktuellen AKW und Kohlekraftwerke behindern auch den Umstieg auf eine Atom- und CO2-freie Energieproduktion, und trotzdem müssen wir es tun.
Das alles bedeutet letztlich einen gesamtgesellschaftlichen Umbau weg von der Marktwirtschaft hin zu einer commons-basierten Gesellschaft. Diese Konsequenz steckt allein im Umbau des Energiesektors drin. Das muss man wollen.
Wenn ich mich in meinen größenwahnsinnigeren Momenten mal mit Zukunftsszenarios beschäftige, steht die Umwälzung der Weltwirtschaft durch den Wegfall der Ressource „Energie“ als knappes Gut ganz oben auf meinem Zettel. Es gibt übrigens ein sehr junges Beispiel dafür, was passiert, wenn ein knappes Gut auf einmal nicht mehr knapp ist – Bandbreite.
Erst als Bandbreite nicht mehr der limitierende Faktor für Webdienste war, konnten sich Youtube und Co entwickeln und das Netz zur ubiquitären Infrastruktur aller Arten von Informationsübermittlung werden. Selbst hier, wo der Paradigmenwechsel nicht so groß war, wie er bei Gratisenergie wäre, zeigt sich die umwälzende Kraft von Innovationen, die aus dem Wegfall einer Beschränkung herrühren.
Jetzt nimmt man für Energie noch peak oil und geostrategische Überlegungen hinzu und es wird klar, dass wir nicht von hypothetischen Szenarios reden, derer sich die geballte Macht der Energiewirtschaft über weitere drei Generationen entgegenstellen könnte. Wie für Bandbreite kann über kurz oder lang nur noch an der bereitgestellten Infrastruktur verdient werden – da wären die Staaten gut beraten, den Daumen auf super smart grids zu halten, damit nicht deren Besitzer sich Durchleitungskosten nach eigenem Gutdünken erzwingen können.
Überhaupt kotzt mich das Gerede von den „Kosten“ des Atomausstiegs an, da sind echt alle auf ein total bescheuertes Framing hereingefallen. Jenseits dessen, was du hier für die Strompreise aufgezeigt hast, sind die Kosten für eventuelle Investitionen ja nicht etwas das zu Lasten, sondern vielmehr zum Vorteil der Verbraucher geht. Der Innovationsdruck verteilt sogar noch Geld aus den vormaligen Gewinnen der Energiekonzerne wieder zurück nach „unten“ wenn dieses Geld dann für Arbeitskraft gebraucht wird, neue Infrastrukturen zu bauen.
Ich erinnere mich dunkel, dass der Faktor „Innovation“ in der Wertschöpfungskette sogar Bestandteil klassischer Ökonomischer Theorien ist. Tolles Beispiel für dessen Wirken ist ausgerechnet das Wirtschaftswachstum der Japaner NACH der verschärften Umweltgesetzgebung. Die erzwungenen Innovationen in Sachen Effizienz haben deren Autobauern erst zu ihrem Glück verholfen. Das sollte man sich immer wieder vor Augen halten, wenn wieder jemand mit Partikularinteressen schreit, dass doch alles viel zu teuer würde.
Wenn ich das richtig verstanden habe, gäbe es also einiges Potential, sich weg von den Monopolstrukturen zu bewegen.
Eine Chance also um die gegeben Wirtschaftsstrukturen endlich etwas aufzubrechen.
Das dezentralisierte Prosumenten-Smartgrid ist dabei die dominierende technische Visionzu werden – allerdings keineswegs jenseits des Markts, eher als eine Art Turbomarkt:
Siehe z.B. hier: European council, 2006. European Technology Platform SmartGrids. Visions and Strategy for Europe’s Electricity Networks of the future.
SmartGrid ist bisher eher keine Prosumenten-Technologie, sondern (ursprünglich) eine Technologie für die Stromnetzbetreiber, die mehr Steuerungsmöglichkeiten (zentrales An- und Abschalten von Verbrauchern) in die Hand bekommen wollten. Das wurde den Endabnehmern dann als »riesiges Sparpotenzial« versucht schmackhaft zu machen (»Strom dann nutzen, wenn er billig ist«). Die Einspareffekte sind aber tatsächlich für die Endverbraucher gering.
Mit Net-Metering hat das nicht viel zu tun. Da geht es darum, tatsächlich als dezentraler Produzent Energie ins Netz zu speisen, und zwar über den gleichen Zähler, der dann rückwärts läuft. Massenhafte Kleinproduzenten könnten sich so gegenseitig versorgen, wenn entsprechende räumlich und zeitliche Ausgleiche im Netz vorhanden sind. Per Vertrag könnte man dann sogar Teile »aus dem Markt« nehmen. Das wäre dann tatsächlich eine Art »Strom-Internet« und nicht die aufgepeppte, aber alte Ablesetechnik, die — nimmt man die Analogie — weiter nach dem unidirektional Radio-Prinzip (ein Sender, viele Empfänger) arbeitet.
Im übrigen ist völlig klar, dass EU und andere Energiekonzern-Vertreter das ganze als Turbomarkt sehen wollen. Umso ärgerlicher ist es, wenn »alternative Ansätze« hierauf unkritisch einsteigen.
Ich habe nicht verstanden, warum EE nichts oder nahe Null kosten sollen. Die Kraftwerke werden meines Wissens nicht von der Sonne gebaut und erneuert.
Verstehe ich wieder nicht. Der Satz ist paradox, denn: Wenn Investitionen nicht in die Preisbestimmung eingehen, werden sie auch nicht aus Gewinnen finanziert. Und wenn Investitionen aus Gewinnen finanziert werden, dann bestimmen sie auch den Preis mit. Der Gewinn – wohl eher Profit (?) – ist doch ein Teil des Preises, nämlich die Differenz zwischen dem Preis und der Summe aus konstantem und variablen Kapital, also den Kosten.
Kuck dir bitte das Dokument, das ich verlinkt habe, genauer an (statt den Wikipedia Artikel). Da werden die Konsumenten zu Produzenten, der Zaehler laeuft wirklich rueckwaerts: „Distribution grids will become active and will have to accommodate bi-directional power flows.“ (s. 16) Das Strom-Internet ist explizit die Vision, im Guten und im Schlechten. Die massenhaften KleinproduzentInnen sind nicht per se inkompatibel zum Turbomarkt (das sind sie ja auch nicht im ‚echten‘ Internet), im Gegenteil :-(.
Interessanter als EU-Turbo-Gemeinsamer-Prosumenten-Markt finde ich in diesem Zusammenhang Jeremy Rifkin’s Kombination aus Wohnkooperativen-Smart Grid-erneuerbare Energien: Distributed energy regimes. Der ist ein Dampfplauderer und interessant wirds erst ab der Mitte des Videos, und dann predigt er immernoch recht viel. Aber die Richtung stimmt.
Interessanter Bericht! Aber das mit den Nullkosten für EE verstehe ich auch nicht. Es ging ja nur um die Kosten am Strommarkt und da sind sie deswegen null, weil sie schon vom Staat bezahlt wurden, wie Du selbst schreibst. Das funktioniert nur so lange wie der Staat massiv EE fördert.
Du musst irgendwas anderes gemeint haben, nur was?
Auch stofflich „kosten“ die EE ja jede Menge Ressourcen und Arbeit.
@libertär + Benni: Die EE kosten natürlich was, aber die Strombörse funktioniert nicht mehr nach Logik der Durchschnittskosten (das war früher beim öffentlichen Betrieb so), sondern nach Logik der Grenzkosten (bei vollkommener Konkurrenz). Grenzkosten sind die Kosten des (n+1)ten produzierten Einheit. Die Grenzkosten bestimmen den Preis. Der Gewinn (nein, nicht der Profit), also der Erlös oberhalb der Grenzkosten muss nun dazu verwendet werden, die Kapitalkosten zu bedienen. Also letztlich sind die Investitionen logischerweise mit drin, aber sie spielen bei der Preisbildung keine Rolle. Es ist das unternehmerische Risiko, ob die Gewinne ausreichen, die Investitionen reinzubringen und darüber hinaus Profite abzuwerfen (Profit = Gewinn auf das eingesetzte Kapital).
Das hat mit den EEG-Subventionen nichts zu tun, die muss man hierbei erstmal wegdenken. Es geht mir hier nur um die Logik des Marktes.
Real war es sogar so, dass der Strompreis (schon jetzt) ab und zu sogar negativ wurde, weil es in Sondersituationen ein Überangebot gab. Das hat die großen Konzerne genervt, weil sie ja per EEG verpflichtet sind, den Strom abzunehmen, den sie selber dann nur mit Aufschlag verkauft bekommen. Das nennen sie zurecht »Marktversagen«.
Die Grenzkosten der EE gehen gegen Null, was zur Konsequenz hat, dass der Markt nicht mehr funktioniert. Ein strukturelles Marktversagen, das wollte ich zeigen. Was das bedeutet — siehe Text.
EE sind wie freie Software nicht marktfähig. Beide »kosten« trotzdem Ressourcne und Aufwand.
@Thomas: Rifkin gucke ich mir mal an.
Hallo,
wir haben diese Thematik auch ständig in unseren Vorträgen gegen Kernkraft (oder auch Kohlekraftausbau) und in diesem Rahmen hatte sich Reiner von uns auch mal über den Merit-Order-Effekt hergemacht und zusätzlich die Frage der Verfügbarkeit von EE über längere Zeitphasen hinweg. Wenn Ihr mögt, schaut mal in die Präsentation
http://zw-jena.de/pdfs/keine_kohle_fuer_jena.pdf
ab ca. Folie 6.
Ich verstehe immer noch nicht, wieso die Grenzkosten von EE gegen Null gehen sollen. In der Praxis an der Strombörse mag das so sein, aber ja nur, weil sie gefördert werden. Real sind deren Grenzkosten durch Investitionssumme/Lebensdauer bestimmt, auch wenn Sonne und Wind selbst umsonst sind.
Deswegen stimmt auch der Vergleich mit Freier Software für mich gerade nicht.
Der Quotient Investitionssumme/Lebensdauer beschreibt die durchschnittlichen Kosten je Zeiteinheit. Die Grenzkosten hingegen geben an, wieviel man zusätzlich zum schon lange investierten Kapital ausgeben muß, um eine zusätzliche Einheit zu erhalten. Die können in der Tat auch schon mal Null sein.
@ Benni: In die Grenzkosten gehen wesentlich die Brennstoffkosten ein (siehe Formel in http://www.ffe.de/download/wissen/20100607_Merit_Order.pdf) und die sind nun mal bei den Erneuerbaren Null. Bleiben die „variablen Kosten“ und die sind nun mal gegenüber den Kosten für Brennstoffe der anderen Energiequellen ziemlich vernachlässigbar (wie bei der Software die Kosten für den zusätzlichen Datenträger bei einer Kopie).
Die Kosten für eine „zusätzliche Einheit“ sind lange null und dann plötzlich sehr hoch (wenn das Windrad ausfällt, die Solarzelle durchbrennt, …). Oder sind nur die „zusätzlichen Einheiten“ eines einzelnen Kraftwerks gemeint? Die wäre dann null (modulo Wartung). Dann wäre das ganze ja aber nicht brauchbar um irgendwelche Aussagen über Energieversorgung zu machen.
Ich verstehs immer noch nich. Bin wohl zu blöd.
Dabei fällt mir grad auf… Wie sieht das eigentlich mit „planned obsolescense“ bei EE auf? Sind da Fälle bekannt?
@Benni: Beim Vergleich mit der Freien Software ist das Internet mitgedacht. Das ist die Infrastruktur. Ihr Aufbau kostet erheblichen Aufwand, der Betrieb kostet auch etwas (viel weniger). Bei den EE ist es genauso: Der Aufbau kostet erheblich, der Betrieb kaum was.
Solche Effekte hast du immer, wenn die Kosten in der Infrastruktur stecken, statt in jedem produzierten Stück. Bei Informationsgütern (allgemeiner gesagt) und bei Erneuerbaren Energien kommt der Effekt voll zum tragen, weil die »Kopie« (=nächste produzierte Einheit) fast nix mehr kostet (=Grenzkosten gegen Null gehen).
Erneuern etc. fällt unter Infrastrukturaufbau, also Invest. heute habe ich gelesen, dass die alten (kleinen, ineffektiven) Windräder durch neue (große, effektivere) abgelöst werden. Das hast du Internet auch: alte Schmalband-Router raus, neue Big-Band-Router rein. Wie gesagt: Invest. Und nicht nur die Nature-Commoners weisen immer wieder darauf hin, das nicht zu vergessen. Ist ja klar.
Aber hier geht’s um die Logiken. Und da ist die These: So wie der Kapitalismus Probleme mit nahezu kostenlosen Kopien im Infonetz hat, so dito mit EE im Elektronetz. Mit unknappen Güter kann er einfach nicht umgehen.
Über geplante Obsoleszenz in dem Bereich weiss ich nix. Vielleicht Annette?
Wenn man nicht weiß, wie lange irgendwas durchhält ohne daß es repariert werden muß oder sogar ganz ausfällt und ersetzt werden muß, dann ist es müßig, über Kosten zu reden. Denn weder weiß man dann, was die Durchschnittskosten sind, noch was die Grenzkosten sind.
@Neoprene: Ingenieure wissen so was. Im Schnitt. Dafür werden die ausgebildet.
@Stefan: Infrastruktur ist das Stromnetz, aber doch nicht die einzelnen Anlagen, die da dran hängen. Du meinst also Kapitalismus kann keine Infrastruktur?
Vielen Dank, Stefan! Das war mir so noch nicht bewusst.
Für mich stellt sich das jetzt folgendermaßen dar:
Energie ist kein Produkt, nicht durch menschliche Arbeitskraft hergestellt, damit auch keine Ware und daher wertlos. Der Preis kreist also nicht um einen Tauschwert, sondern stellt sich allein durch Angebot und Nachfrage her. Nur solange das Angebot knapp gehalten werden kann, durch knappe Rohstoffe, kann ich für den Zugriff darauf etwas verlangen. Bei freier Verfügbarkeit von Energie, ist sie frei verfügbar :-).
@matti: Neben der menschlichen Arbeitskraft gibt es ja auch noch den Naturverbrauch als Quelle des Wertes (wenn man marxscher Logik folgt) und auch EE verbrauchen Natur. Ein Solarkraftwerk verbraucht jede Menge Platz und Windmühlen kann man auch nicht beliebig überall hinstellen. Ganz zu schweigen von der Arbeitskraft die das Herstellen der Kraftwerke kostet (aber das hatten wir ja schon).
@Benni: Ausschließlich die menschliche Arbeitskraft ist Quelle von Wert.
Aber wie auch immer, das Kraftwerk erfordert natürlich Arbeitskraft in der Herstellung und Betrieb. Der kumulierte Wert des Kraftwerks geht jedoch nicht auf das Produkt über, da es keines gibt. Ein Kraftwerk produziert keine Energie! Es wandelt sie nur um und stellt sie zur Verfügung. Die Energie als solche ist wertlos. Der Preis der Energie ist dann nur ein dieser Äußerliches, Zufälliges.
Das bedeutet aber auch, dass erneuerbare Energie nicht mit Freier Software verglichen werden kann, denn diese ist Produkt und auch nicht auf die Produktion, sei es stofflicher oder nichtstofflicher Güter, übertragbar ist. Aber dennoch, sehr interessant!
@Benni: Ich meine Netz und EE-Anlagen, beides bildet die Infrastruktur. Wenn die mal stehen und 100% abdecken, dann ist der Preis nach Marktlogik bei Null und das Gut nach Nutzungslogik frei verfügbar.
Wie Matti schreibt: Naturverbrauch selbst ist keine Wertquelle, alleine die Arbeit, die aufgewendet wird, um Natur zu verbrauchen und Waren draus zu machen (auch wenn neuerdings marxistische Ökonomen die Natur einpreisen wollen, was aber IMHO nix mit Wert zu tun hat — andere Diskussion).
Und ja, ich denke Kapitalismus hat generell Probleme mit der Verwertung von Infrastrukturen, weil die — einmal da — relativ wenig Arbeit brauchen, um da zu bleiben (und selbst die Arbeit »sparen sich« die Privaten, weil es nichts direkt einbringt). Nur Arbeit in Form einer knappen Ware lässt sich verwerten. Die prinzipielle Verfügbarkeit der Infrastruktur und ihre künstliche Verknappung sind ein Widerspruch (den etwa die Griechen auflösen, wenn sie keine Straßenmaut mehr zahlen).
@Matti: Energie als solche ist wertlos und kein Produkt, aber die nutzbare Kilowattstunde Strom ist IMHO ein Produkt, eine Ware, auf die auch die geleistete Arbeit übergeht, die beim Bau der Infrastruktur (Netze und Kraftwerke) sowie der Förderung der Rohstoffe (nur bei Nicht-EE) aufgewendet wurde.
Der Vergleich von EE mit FS hinkt insofern, weil das Produkt der EE uniform ist, während FS unendlich vielfältig ist. Bei den EE ist das Produkt das verschwindende Moment und die Infrastruktur das bestimmende, bei FS ist es umgekehrt.
@Benni: „Dabei fällt mir grad auf… Wie sieht das eigentlich mit “planned obsolescense” bei EE auf? Sind da Fälle bekannt?“
Nein, so weit sind sie da noch nicht. Im Gegenteil: Um Erneuerbare Energien wirklich konkurrenzfähig zu machen, bemüht man sich ernsthaft, die Lebensdauer der Solarzellen zu maximieren und entsprechende Standards zu schaffen. Im Moment und noch auf absehbare Zeit ist gerade eine lange Lebensdauer noch ein Vermarktungsargument. Und meines Wissens nach ist die auch noch ziemlich realistisch, also es wird ernsthaft ingenieurtechnisch-sachlich darum gekämpft, diese zu erhöhen statt künstlich zu verkürzen.
Insgesamt noch: Natürlich erhalte auch ich noch die Position aufrecht, dass Erneuerbare Energie die Funktionsweise der Kapitalwirtschaft nicht retten können und man auch nicht den Eindruck erwecken sollte, dass sie das könnten. Siehe z.B. auch http://www.jenapolis.de/117288/mpi-forscht-in-jena-zu-grenzen-erneuerbarer-energien/#comment-10230.
Allerdings muss man da bitte wirklich sachlich sauber argumentieren und nichts behauptet, wo es inhaltlich falsch wird. Wir als ZW werden nun wohl im Herbst genauer damit zu Potte kommen, falls wir die Energie der Arbeit an diesem Thema aufbringen 😉
@Thomas#6: Ich habe mir Rifkin angeguckt, sehr interessant. Ich finde jedoch, dass er voll auf der Linie EU-Turbo-Gemeinsamer-Prosumenten-Markt liegt mit seinem »distributed capitalism«. Hier hat er vor »social housing« Leuten gesprochen und deswegen die Wohn-Kooperativen so herausgestrichen. Die Orientierung auf »distributed energy« ist sachlich-inhaltlich trotzdem richtig, wenn wir noch irgendwas retten wollen…
1. zu den Grenzkosten: Ich halte es für eine Täuschung, dass die bei EE „gegen Null gehen“. Was heißt das überhaupt? Was steht denn auf der x-Achse, sodass der Grenzwert der Grenzkostenfunktion von x 0 ist? Wie lassen sich überhaupt Grenzkosten berechnen, wenn die Produktion von mehr Strom allein von den Launen der Natur abhängt? Was kostet es, eine Wolke vor der Sonne wegzuschieben, den Wind stärker wehen zu lassen?
Mein eigentlicher Einwand ist aber, dass die Grenzkosten sehr wohl steigen, nur eben sprunghaft. Was ist, wenn eine Solar-/Windanlage ausgelastet ist? Dann lässt sich ein weiteres Watt Leistung nur produzieren, indem eine neue Anlage dazugebaut wird oder die bestehende effektiver gemacht wird. Die Grenzkosten pro Watt gehen also schon mal in die Millionen.
2. nochmal Grenzkosten: In den Köpfen der VWLer mögen ja die Grenzkosten irgendeine zauberhafte Rolle im Mysterium Ökonomie spielen. Aber für den Marxisten ist doch sonnenklar: Das Wertgesetz ist universell gültig. Die Beschreibung des Strommarkts ist daher nur fauler Zauber, der im Theoriegebäude der VWL die tatsächlichen Gesetzmäßigkeiten verschleiert. Es kann nicht sein, dass im Kapitalismus kapitalistisch, aber ohne Wertgesetz, produziert wird. Da lässt sich kein Kapitalist von VWLern reinreden. Ich wäre dem Autor (oder anderen Berufenen) äußerst dankbar, wenn er/sie eine Darstellung des Strommarkts in Marxscher Terminologie zustandebrächte(n).
3. zum Wert: Naturverbrauch ist nicht Quelle von Wert. Einzig menschliche Arbeit schafft Wert. Dass der Anteil menschlicher Arbeit bei EE sehr gering ist, heißt aber nicht, dass der Strom fast keinen Wert hat. Der Wert setzt sich auch aus dem konstanten Kapital zusammen. Bei einer Lebensdauer einer Solaranlage von 25 Jahren ginge also, vereinfacht gerechnet, 1/25 ihres Wertes pro Jahr in den Stromwert ein.
@Benni: Wenn du von Platz und Naturverbrauch schreibst, hast du vielleicht die Grundrente im Kopf. Aber die setzt keinen Wert zu, sondern ist eine Abgabe des Kapitalisten, die er an den Grundeigentümer abzuführen hat. Sie muss vom Kapitalisten durch sein Geschäft miterwirtschaftet werden und schmälert seinen verbleibenden Gewinn. Marx bringt sogar ein Beispiel mit erneuerbaren Energien 🙂 (Wasserkraft):
„Um den allgemeinen Charakter dieser Form der Grundrente zu zeigen, unterstellen wir, die Fabriken in einem Lande würden in überwiegender Anzahl durch Dampfmaschinen getrieben, eine bestimmte Minderzahl jedoch durch natürliche Wasserfälle. …“ (Kapital 3, S. 653 ff.)
@libertär: Die Grenzkosten sind hier Durchschnittsbetrachtungen, bei dem Merit-Order-Beispiel sogar eingeengt auf eine Stunde (obwohl das egal ist). Ob der Wind mal flau ist etc. spielt keine Rolle. Auch der Sprung ist drin, denn ich nehme »sprunghaft« an, wir hätten 100% EE. Meine Frage war: Was passiert dann? Prinzipiell, innerhalb der Logik. Mehr war nicht Anliegen des Artikels.
Wenn jemand das Szenario »in Marxscher Terminologie« diskutieren möchte — gerne. Finde ich aber nicht spannend, weil klar. Dann kommt G-W-G‘ raus, wollen wir wetten?
Interessant ist doch der Widerspruch zwischen der Tatsache, dass EE-Strom eine Ware ist, also Wert hat, der im wesentlichen aus der Wertübertragung des konstanten Kapitals (Anlagen) resultiert, aber in der Marktlogik (beim 100%-Szenario) keinen Preis erzielen kann. Das ist keine Zauberei, sondern ein immanenter Widerspruch, der IMHO generell bei Infrastrukturen auftritt.
Aber mach dir keine Sorgen: Die Stromkonzerne werden sich schon was ausdenken, um (a) einen politischen Preis durchzusetzen und (b) ihr Quasi-Monopol gegen die Alternative eines dezentralisierten Energie-Commons zu sichern.
Mein Fazit: Jetzt geht’s darum, die Netze in eine wie auch immer gemeinschaftliche/genossenschaftliche Verwaltung zu überführen, jenseits von Markt und Staat. Damit endet der Kapitalismus nicht, aber erst dann gibt’s eine Chance auf eine P2P-Energieproduktion.
@ Stefan („Jetzt geht’s darum, die Netze in eine wie auch immer gemeinschaftliche/genossenschaftliche Verwaltung zu überführen)“
Hier kommt aber auch die bisherige Commons-Erfahrung an ihre Grenzen, denn mit Energienetzen gehen wir weit über übliche face-to-face-Gruppen hinaus. Es werden mindestens europäische Gesamt“planungen“ gebraucht und so weit ist das Commonskonzept meines Wissens noch nicht… Ich hab, glaub ich, die Problematik unter dem Stichwort „polycentric governance“ gelesen, natürlich nicht spezifiziert für Energie… Die Energieproblematik ist für das Weitertreiben dieser Konzepte ein spannendes und brandaktuelles Themenfeld.
@Annette: Wir sollten uns nicht scheuen, auch solche großen Fragen anzufassen, wobei ich mir nicht sicher bin, wie groß die tatsächlich sind. Sind das ein paar tausend Leute, die ein europäisches Netz steuern könnten? Vielleicht ein paar mehr, solange es umgebaut wird, aber im Grunde ist das Steuern des Netzes von technisch-ingenieurmäßiger Warte aus gesehen keine Zauberei. Der schwierige Part sind die privaten Eigentumsverhältnisse und Interessen…
Die »polycenric governance« ist von Elinor Ostrom, das ist der letzte Punkt ihrer »Commons-Gestaltungsprinzipien«. Damit sind Mehrebenen-Commons-Strukturen zur Verwaltung großer Ressourcensysteme gemeint (bei Ostrom z.b. Wassereinzugsgebiete). Würde hier also passen.
@Anette
Warum werden hier „mindestens europäische Gesamt”planungen” gebraucht“?
Mit einer Kombination aus Suffizienz, Effizienz und lokal spezifischer, erneuerbarer Energieproduktion kommt man schon recht weit – moecht ich meinen. Das gilt zumindest fuer den stationaeren Energiebedarf. Fuer z.B. Wassereinzugsgebiete leuchtet mir das schon mehr ein, dass uebergeordnete Planungsebenen noetig sind.
Hallo miteinander, hallo Stefan,
Stefan, völlig richtig, wir sollten uns nicht scheuen, auch große Fragen anzufassen und genau das ist dort passiert. Es ist ja interessant zu sehen, wie suchend Du hier vorgehst, obwohl Du Dich seit Jahren mit den Commons befasst und den „Experten“, die an dem Tag zum ersten Mal (!) was von Commons gehört haben vorwirfst, dass sie das nicht gleich können. Können hat was mit üben zu tun. Und das dauert gewöhnlich.
Ich verbuche das mal unter der Kategorie: „überflüssige Spitze“ 🙂
Was also, wenn sich die Treppenstufe weiter nach links verschiebt? Dann bricht Merit-Order zusammen. „Das IST so“, schreibst Du. Einer der von Dir kritisierten Experten hat es ja auch sehr klar formuliert. Seine Einstiegsthese war. „Das System kann gar nicht funktionieren, weil es falsch gedacht ist.“ (Aus meiner Sicht ist das kein Marktmechanismus, sondern ein politischer Preis, auch wenn die Politik, die dahinter steckt uns nicht gefällt. Aber das wird sich ja alles bald auflösen, weil es eben nicht funktionieren KANN. Halten wir also fest: Merit Order bricht zusammen. Es sind spannende Auseinandersetzungen zu erwarten und da sollten wir mit dem eigenen Denken rasch voran kommen.) Ein anderer hat auch sehr klar als Ausgangsthese formuliert, was Du hier erarbeitest: EE haben keinen Preis, wir zahlen künftig für die Infrastruktur, den Rest (den Strom) gibt’s in Fülle.
Ich finde, das sind Grundaussagen, über die wir ins Gespräch kommen können, statt zu behaupten „das eine hat nix mit dem anderen zu tun.“
Jetzt aber zu dem, was mich eigentlich stört. Du schreibst: „Nur weil ein Unternehmen seinen Kapitalstock aus Bürgereinlagen speist und regional agiert, ist es noch lange kein Commons.“ Richtig. Aber die Frage ist ja immer, wie kommen wir von A nach B? Wie baut man konkret um, jetzt schon, ohne schon zu wissen, wie die gesamte Energieinfrastruktur als Commons zu gestalten ist?
Du beziehst Dich dabei offenbar auf Solarcomplex und was die m.E. machen ist, sich der zentralistisch fabrizierten Zwänge zu entledigen und ihr Geld für die eigenen Infrastrukturen (Wärmenetze) auszugeben, für den eigenen Strom aus den vor Ort verfügbaren EE und damit das Geld, das sie aus der eigenen rechten Tasche nehmen, um die Infrastrukturen für Erneuerbare und den Betrieb zu bezahlen, in die eigene linke zu stecken (wie Bene Müller das ausgedrückt hat.) Ja, er hat nicht in sauberer Commonslogik argumentiert. So what? Er tut das, weil er ALLE Leute im Dorf braucht und das viele Male, so dass etwas Großflächiges draus wird (die gesamte Bodenseeregion) und dass es wiederholbar wird.
Was das heißt? Dass sie die Bedingungen für mehr Unabhängigkeit schaffen. Und wichtiger noch: Wenn das alle machen würden, hätten wir sofort eine ganz andere Diskussion um die angeblich neuen Infrastrukturen, die wir für den Ausbau der EE brauchen. Neue Netze, Neue Trassen durch die Wälder, neue soziale Konflikte, neue Kredite, neuer Widerstand der Bevölkerung, weil der Umstieg auf 100 % EE angeblich so teuer ist.
Solarcomplex zeigt da EINEN, nicht den Weg raus. Aus der Commonstheorie wissen wir, dass es eine große Vielfalt an Institutionen gibt, die nachhaltiges Ressourcenmanagement und soziale Aneignung ermöglichen. Aber was Solarcomplex macht, ist nicht wenig.
Mehr noch, wenn ich mir Deine letzte Liste anschaue: –
– Perspektive vernetzte Energieproduktion (haben sie)
– Flächendeckend dezentralisieren (das war wohl bis auf den Vertreter von E.On weitgehend Konsens, wobei mir klar geworden ist, dass Dezentralisierung nicht der wichtige Punkt ist, da sie quasi nachgeordnet ist, sich aus dem Anderen – der Fülle und Prosumentenlogik gewissermaßen zwingend ergibt, deswegen muss man auf den Punkt eigentlich gar nicht insistieren)
– Prosumenten (machen sie)
– Intelligentes Net-Metering (da erinnere ich mich nicht, wie sie es machen)
– Netze werden aus den Stromgebühren finanziert und aus den Commons betrieben (ist irgendwie unlogisch, denn die Stromgebühren würden ja tendenziell stark sinken, wenn mehr und mehr im Prosumentenmodell selbst genutzt wird/ da braucht mal wohl eher eine Netzflatrate oder sowas)
– Rechtsformen, die Reprivatisierung verhindern (sehe ich auch gute Ansatzpunkte.)
In anderen Worten: Du fokussierst offenbar die Tatsache, dass solche Inis als „Unternehmen organisiert sind, die ihren Kapitalstock aus Bürgereinlagen speisen“ …. ich fokussiere den Punkt, dass sie sagen „wir produzieren nicht für den Markt, wir produzieren für uns“… und was das bedeuten würde (für die Netze und die Machtfrage), wenn man das upscaled! Ich höre hier erstmal auf… später vielleicht mehr.
@Silke: Danke für deine Kritik, die uns nur voranbringen kann 🙂
Zu der Spitze: Ich werfe den Experten nicht vor, dass sie Commons nicht kapiert haben, sondern dass sie quasi anlasslos in Bekenntnis-Statements eine Marktvergötterung vom Stapel gelassen haben, die mir die Sprache verschlagen hat. Sie wurden dazu nicht aufgefordert, es war nicht das Thema, sie sahen sich aber offenbar genötigt. Wenn das nicht ideologisch ist, dann weiß ich nicht was. Selbstverständlich können sie durch Lernen ihre Marktideologie im Kopf auch abbauen, ich hoffe es sehr, aber Ideologien haben ja auch eine reale (Schutz-)Funktion.
Ich habe mit der Spitze nur einige in der Runde gemeint (die Bekenner), gerade den Experten, der uns Merit-Order erklärte, nicht. Das war sachlich und informativ. Wieso meinst du, Merit-Order sei politisch? Kein bißchen, das hat der Experte deutlich gemacht. Dem widerspricht nicht, dass er Merit-Order für falsch konstuiert hält, sondern er hat nur klar den immanenten Widerspruch erkannt, der dort — also eben in der Marktlogik — nicht lösbar ist. Er würde vermutlich nicht soweit gehen zu sagen, dass dann die Marktlogik selbst die falsche Logik ist. Ich schon (siehe Artikel).
Wenn wir uns einig sind, dass Solarcomplex kein Commons ist, dann haben wir keinen Dissenz. Solarcomplex ist ein Unternehmen mit Bürgerkapital und spezifischen Zielen. Punkt. Ich hatte auch schon bei der Diskussion gesagt, dass im Rahmen eines verwertungsorientierten Unternehmens sie wahrscheinlich das beste draus gemacht haben. Aber ich habe auch die fremde Logik des Marktes zu bedenken gegeben, der gehorcht werden MUSS, um die versprochene Verzinsung an die Bürger zu zahlen. Mit solchen Unternehmen wird am Bodensee vielleicht die Energieversorgung auf EE umgestellt, aber von A nach B kommen wir damit nicht, sondern nur von A-ohne-EE nach A-mit-EE. Denn »B« ist für mich eine commonsbasierte Versorgungsstruktur jenseits von Markt und Staat. Vergiss bitte nicht, dass Markt immer bedeutet, dass sich die einen auf Kosten der anderen durchsetzen. Wen macht Solarcomplex heute arbeitslos? Welches »neue innovative Unternehmen« wird Solarkomplex morgen in die Pleite treiben?
Ist unser Dissenz vielleicht, dass ich der Meinung bin, dass auch auf dem Weg keine Mittel erlaubt sind, die dem Ziel widersprechen, während du geneigt bist, das notfalls hinzunehmen? Das erinnert mich an alte Diskussionen!
Wenn du »wir produzieren nicht für den Markt, wir produzieren für uns« als deinen Fokus bezeichnest, dann kann ich das vollen Herzens unterscheiben. Ja, exakt, genau darum geht es bei den Commons. Nur das hat nichts mit Solarcomplex zu tun. Sie produzieren für den Markt. Das hat Bene Müller ganz deutlich gesagt: Das »für uns« ist ein bloßes bilanztechnisches Rechenspiel. Ziel sei, soviel an den Markt zu verkaufen, wie sie aus dem Markt einkaufen. Es geht nur um die Netto-Bilanz. Alles läuft dort marktvermittelt, auch das schöne Bild »rechte Tasche — linke Tasche« (wobei die Taschen ja auch nicht gleich groß sind). Was ist, wenn der Strompreis drastisch fällt? Warum nicht »rechte Tasche — linke Tasche« mit einem der großen Konzerne spielen, denn die zahlen eine viel höhere Dividende?
Nochmal: Solarkomplex als Unternehmen, fein, wenn ich dort wohnen würde, wäre ich sofort dabei. Denn wir müssen alle auch unter den gegebenen Bedingungen klarkommen, am Markt teilnehmen, unsere Arbeitskraft verwerten etc. Alles andere wäre Augenwischerei. Nur hat das nichts mit Commons zu tun. Ich finde, das muss man einfach trennen.
Noch zur Dezentralisierung: Die Dezentralisierung ergibt sich aus meiner Sicht nicht von selbst. Es gibt ja auch die Offshore-Windparks, Desertec und andere zentralistische Mega-Konzepte. Zentrale Kontrolle durch die großen Konzerne heißt Sicherung der Profite, ob mit Kohle/Atom oder EE ist wurscht. Der Schlüssel dazu sind die Netze und ihre Verwaltung. Und es war ja auch die Kollegin aus der Grünen Fraktion, die aus Effiziengründen für die Beibehaltung der zentralen Strukturen sprach (wenn ich sie richtig verstanden habe).
@ Stefan:
„Wieso meinst du, Merit-Order sei politisch?“
Weil ich mir nicht recht vorstellen kann, dass dieser Unsinn nicht so gewollt war, um die „Deckungsbeiträge“ (an Verbalkreativität mangelt es wahrlich nicht) für die AKW Betreiber (die ja auch die SK/BK/Gas/Öl Betreiber sind) so zu polstern, wie es in der Grafik aussieht. So und anders, bspw durch die Ausnahme von der Versicherungspflicht(!), wurde eben Atomstrom billig gerechnet.
Auch diese Basierung auf der Logik der Grenzkosten bei Grundannahme vollkommener Konkurrenz. Das kannst Du doch nicht ökonomisch begründen! Weiss doch jeder, dass es diese vollkommene Konkurrenz nicht gibt. Oder bin ich auf dem Holzweg?
Und weil ich das denke, wird auch die Frage müsig ob die Expertenkritik an der Merit-Order auch die Marktlogik in Frage stellt.
„Wenn wir uns einig sind, dass Solarcomplex kein Commons ist, dann haben wir keinen Dissenz.“
Natürlich sind wir uns da einig. So wie der Hatzfeldsche Wald kein Commons ist aber Voraussetzungen für Commons schafft, die ich für ganz wesentlich halte. Ohne sowas kommen wir auch nicht von A nach B. Sie sind die Brückenbauer!
Welche Voraussetzungen sind das:?
bei Hatzfeld: die Ressourcen selbst, also den Wald nicht nur als Forst zu erhalten
bei Solarcomplex: sich aus Megastrukturen auskoppeln und solche tendenziell erübrigen (ich wiederhole mich: wenn das alle machen würden, bräuchten wir kein neues großes Netz – nicht für fossile und nicht für EE, wir bräuchten also weder AKWs noch Desertec – insofern meine ich, dass die Dezentralisierung sich aus der Kombination solcher Reorganisations und Autonomiebemühungen und 100 Prozent nicht marktfähiger EE ergibt. Wir müssen das deswegen unterstützen, weil es neue Großinfrastrukturen verhindern hilft – wenn die neuen Netze erstmal da sind, wir alle dafür erst gezahlt haben, wird Auskopplung noch schwieriger und die Idee von Vernetzten Commons-Energie-Prosumenteninseln rückt wieder in weite Ferne.
Die grüne Abgeordnete hat das gar nicht gesehen, und denkt weiter in „Effizienzkriterien“ ohne zu fragen: effizient für wen? Ja, das war schade.
Ich denke also, man muss Solarcomplex&Co von den Commons überzeugen, so dass sie dieses Verzinzungsversprechen (das ist die Crux) in ihrer Reichweite sehen und zu Modellen finden können, mit denen man daraus aussteigt.
Dann können es aber immernoch „bürgerfinanzierte Unternehmen“ sein. Die Crux ist das Zinzversprechen samt Rattenschwanz. Er sagt, momentan geht es nicht anders. Kann ich mir vorstellen. Aber er beweist zugleich: Die Leute geben massenhaft den Maximalprofit gegen EE und mehr Autonomie auf. Das ist ausbaufähig.
Insofern: Ja, wenn ich dort wohnen würde, wäre ich auch dabei und ich würde sie überreden, zunächst mal damit zu beginnen, alle Zinsen in die Community zu stecken.
„Ist unser Dissenz vielleicht, dass ich der Meinung bin, dass auch auf dem Weg keine Mittel erlaubt sind, die dem Ziel widersprechen, während du geneigt bist, das notfalls hinzunehmen? Das erinnert mich an alte Diskussionen!“
hahaha, und mich erinnert das zudem an Richard Stallman!
@ erz: Für mich war das übrigens eine ziemlich neue Erkenntnis, dass beim Strom wie „für die Bandbreite über kurz oder lang nur noch an der bereitgestellten Infrastruktur verdient werden kann“.
Zwar ist die privatisierungsfreundliche Hochzeit vorbei, aber falls Kommunalpolitiker oder wer auch immer heute noch mit der Veräusserung dieser Infrastruktur liebäugeln, sollte man sie daran erinnern.
@ Benni: Am besten fand ich Deinen Satz:
„Dann wäre das ganze ja aber nicht brauchbar, um irgendwelche Aussagen über die Energieversorgung zu machen“.
So isses. So wie Merit-Order gar nicht viel Sinnvolles über Bedarf und Angebot auf dem Strommarkt aussagt, sondern mir wie ist ein recht willkürliches politisches Preisbildungsinstrument vorkommt.
Oder nicht?
Ein Wort noch zur „freien Verfügbarkeit der EE“.
Mit solchen Formulierungen sollten wir es halten wie mit der Freien Software. Eben betonen, dass es um frei, wie in Freiheit und nicht wie in Freibier geht.
Weil Merit-Order für die Zukunft nicht mehr taugt (und das langsam alle begreifen), weil bei den Stromnetzen bis 2015 rund 1.000 Stromkonzessionen auslaufen, weil die Leute bereit sind, auf den max. Gewinn zu verzichten und in EE und Autonomie zu investieren… ist jetzt ein superguter Moment, auch mal aus Commonsperspektive die großen Themen anzupacken. Eben Energieinfrastrukturen als Commons.
@Silke: Noch zum dem »Unsinn« von Merit-Order. Das wurde nicht gemacht, um irgendeine Technologie zu fördern (AKW oder so), sondern um von Staat auf Privat umzuschalten.
Der Staatskonzern hat vorher so kalkuliert: Mein Kraftwerk kostet X Investition und hält Y Stunden. Die Betriebskosten pro Stunde sind Z. Die Kilowattstunde kostet also X/Y+Z — mal ganz grob. Das ist eine Preisbildung nach Durchschnittskosten.
Für die Privatkonzerne sollte nun ein Markt her, damit die untereinander konkurrieren. Das ist die Strombörse. Dort geht eine Preisbildung nach Durchschnittskosten nicht. Konkurrenz bedeutet, dass die Konkurrenten gleichzeitig ihre Preise »marktfähig« halten müssen. Alle wollen schließlich noch in den Erlösbereich rein, und die Börse ist ein Bietermarkt. Wenn du »rausgeboten« wirst, bekommst du gar nichts. Der sich bildende Gleichgewichtspreis (nach Angebot und Nachfrage) entspricht dann den Grenzkosten. Die Marktlogik führt dazu, dass der Preis dort landet, das hat niemand gesetzt! Da Strom nun ein uniformes Gut (es gibt einen Fachbegriff, den ich vergessen habe) ist, bekommen alle das gleiche.
Daran ist IMHO nichts politisch, sondern das entspricht der Marktlogik. Ob die Konkurrenz nun vollkommen ist oder nicht, spielt keine große Rolle. Es kommt vielleicht mal zu Verzerrungen, aber das Marktprinzip wird nicht ausgehebelt (wie etwa bei einem Monopol). Der EON-Vertreter hatte völlig recht, als er die Möglichkeit von »beliebig hohen« Preisen forderte und gegen eine »politische Deckelung« wetterte. Manche Werke »rechnen sich« eben nur über solche Sonderverkäufe mit Extrempreisen. Ist alles in sich schlüssig. Glaub mir, ich könnte Unternehmer werden, weil die Marktlogik in sich etwas bestechend Logisches hat. Dumm ist nur, dass sie sich (notwendig) gegen uns verselbstständigt hat und zum Fetisch geworden ist. Das ist auch Teil der Marktlogik, was man auch klar erkennen kann, wenn man die Erkenntnis mal zulässt (was nicht viele können).
Merit-Order ist aus meiner Sicht nicht zu kritisieren, weil sie »politisch« (=nicht marktlogisch) ist, sondern umgekehrt, weil sie marktlogisch ist. Gäb’s die EE nicht, würde niemand über Marktversagen oder ein Ende von Merit-Order reden. Die EE sind nicht marktlogisch (wegen der genuinen Unknappheit), und deswegen bekommt Merit-Order das Problem. Wir werden sehen, ja sicher, jetzt eingreifen. Nur eben auch möglichst strategisch klug.
Hier also noch ein Vorschlag für ein Kriterium, wie man das mit Geld und Commons hinbekommen kann, was tatsächlich ein A nach B wäre. Mein Beispiel ist das Wasser-Commons in Flores Rancho, Bolivien, was ich in meinem iz3w-Artikel verwendete. Hier wird Wasser nicht für den Markt produziert, um Geld einzunehmen, sondern für die Community selbst, um die eigenen Geldausgaben für Wasser zu reduzieren. Statt »rechte Tasche — Markt — linke Tasche« also »Geld in der Tasche lassen«. Nicht über den Markt gehen, sondern die eigenen Bedürfnisse im Netzwerk direkt befriedigen und so auch die Kosten reduzieren. Mit Geld werden wir wohl noch ein Weilchen umgehen müssen, es muss aber von der Vermehrungslogik, die dem Markt immanent ist, getrennt werden.
Energieinfrastrukturen als Commons sind solche, wo wir uns wechselseitig den Strom zuschieben und uns wechselseitig von Kosten entlasten, anstatt alle auf den Markt zu rennen und uns auszukonkurrieren.
Ich denke da auch an das aufgespeicherte und wachsende ungeheure Crash-Potenzial, das in der Weltwirtschaft schlummert. Wenn das freigesetzt wird, dann sind alle gekniffen, die am Markt hängen (wir alle letztlich). Vor dem Tsunami decken alle, es könnte doch immr so weiter gehen. Tut es aber nicht. Resiliente Strukturen sind solche Netzwerke, die es geschafft haben, eine maximale Distanz zur verrückten Ökonomie aufzubauen.
Aha, Stefan, uniforme Güter heißen „homogene Güter“. Wusste ich nicht. Wieder was gelernt. Vielleicht behalt ich’s. Und ansonsten ist Dein letzter Satz geeignet, in die Zitatenschatzkiste zu wandern.
Das mit der Merit-Order-Genese habe ich jetzt kapiert, aber nur als Entstehungsgeschichte. Das Funktionsprinzip habe ich noch nicht verstanden, denn 1. kommen wir die sog. Grenzkosten immernoch wie ein gigantisches Konstrukt vor, die nichts Reelles abbilden (je nachdem, was Du rein- und rausrechnest – z.B. den Substanzverzehr von Gemeinressourcen, wie Scherhorn das ausdrückt, der wird immer rausgerechnet) und 2. verstehe ich nicht, was es mit Angebot und Nachfrage nach Strom zu tun hat, wenn in diesem Verfahren Strompreise unter Null landen können und wir kriegen nichts davon mit.
Aber das müssen wir nicht klären. Ich vermute, da brauche ich längeren Nachhilfeunterricht.
Statt „rechte Tasche – Markt – linke Tasche“ gleich „Geld in der Tasche lassen“ – ist mir einleuchtend, da sind wir uns ja völlig einig. Deswegen sagte u.a. Wolfgang Sachs, Commons seien „geldeffizient“. Ich würde dennoch gern bei meinem Bild der Brückenbauer bleiben.
Hatzfeld, Solarcomplex und Co bauen Brücken dahin, habe oben begründet warum und deswegen haben sie was mit Commons zu tun. Sie sind Ermöglicher von Commons, sozusagen.
Umgekehrt müssen wir ihnen Brücken bauen, mehr und mehr die Mechanismen zu meiden, die „Rechte Tasche – Markt – Linke Tasche“ in „Rechte Tasche – Markt – Mehr in Linke Tasche“ zu verwandeln drohen und damit zu genau dem werden, was wir schon haben. Nur etwas grüner und dezentraler.
Jetzt eine Frage noch. Du schreibst:
„Energieinfrastrukturen als Commons sind solche, wo wir uns wechselseitig den Strom zuschieben und uns wechselseitig von Kosten entlasten, anstatt alle auf den Markt zu rennen und uns auszukonkurrieren.“
Über welchen Mechanismus soll dieses „sich wechselseitig den Strom zuschieben“ dann geregelt werden?
@Silke: »Homogene Güter«, danke, die meinte ich.
Du fragst:
Allererste Voraussetzung ist, dass das Netz frei ist — und zwar frei im Sinne von frei benutzbar (nicht notwendig im Sinne von Freibier). So wie das Internet ohne Diskrimierung, also mit Netzneutralität. Zur Zeit bestimmen die Konzerne, du kannst dich nicht einfach dranhängen, sondern musst deren separate Einspeise-Zähler nehmen, einen langfristigen Vertrag mit den Konzernen schließen etc. (zumindest bei mir war das so).
Zweitens braucht es einen wirklichen einfachen Zugang ohne extra Zugangs-Installationen, da wir im Unterschied zum Internet dem Strom ja schon im Haus haben. Aus Netzregelgründen müssen die Zähler informationstechnisch vernetzt sein, damit klar ist wieviel Strom gerade wo rausgezogen bzw. reingeschoben wird. Das ist das Net-Metering, was oben in der Liste auftaucht. Das läuft manchmal auch unter dem Stichwort SmartGrid, aber da habe ich den Verdacht, dass die Konzerne nur die Kontrolle behalten wollen und keine echte Netzneutralität zulassen.
Drittens müssen sich dann genug Prosumenten zusammenfinden und vereinbaren, dass sie den von ihnen produzierten Strom wechselseitig frei nutzen können (frei diesmal wie Freibier). Fehlender/überschüssiger Strom wird zugekauft/verkauft und umgelegt. Je mehr Prosumenten, desto besser die Ausgleiche, desto geringer die Zukäufe. Ziel ist nicht der Überschuss, sondern die zeitliche-komplette Abdeckung des Verbrauchs. Gibt es es einen Netto-Überschuss (also nach Ausgleich mit den Zukäufen), dann können auch schrittweise solche Prosumenten aufgenommen werden, die in Nichtstromform einen Beitrag zum Commons leisten — da sind dann der Phantasie keine Grenzen gesetzt.
Viertens: Als Rechtsform muss was gefunden werden, was die Privatisierung verhindert. Das ist nicht nur Commons-Schutz, sondern auch für das Vertrauen wichtig, um dort einzusteigen (dass nicht irgendwann sich jemand das privat unter den Nagel reißt). Also vergleichbar dem Mietshäuser-Syndikat, nur im Detail wahrscheinlich komplett anders.
So in die Richtung. Inwieweit da nun die Stromkonzessionen reinspielen, weiß ich nicht. Da habe ich keine Ahnung. Hast du dazu Infos, URLs?
Smart Grid und Net Metering
Stefan Meretz unterscheidet im 4. Kommentar noch Smart Grids und das Net Metering. Beim Net Metering gibt es nicht nur „intelligente Zähler“ (smart metering) – also Flexibilität und Dezentralität von Seiten der Verbraucher, sondern auch von Seiten dezentraler kleinerer Energieerzeuger auf erneuerbarer Basis. Ich denke, der Unterschied ist kein grundsätzlicher, sondern das Net Metering ist Bestandteil der weiteren technischen Entwicklung des Smart Grids selbst und macht keinen wesentlichen Unterschied in der gesellschaftspolitischen Betrachtung.
look hear! miniturbinen from Fab lab
http://www.kickstarter.com/projects/321745750/open-source-vertical-wind-turbine?ref=category
Lieber Stefan,
ich stoße nun zum zweiten Mal auf diesen Artikel. Und da ich gerade ein Analyse- und Strategie-Papier zur Energiewende schreibe (im Rahmen von Gedanken und Praxis zu Solidarischer Ökonomie und Peer Economy), will ich mal antworten.
Viele Beiträge in den Kommentaren drehen sich um die Merit Order. Ich finde es relativ einfach, dieses Prinzip zu erklären: Die Grenzkosten ergeben sich per definitionem aus den variablen Kosten und sind daher bei Erneuerbaren Energien immer Null. Völlig richtig jedoch, dass das im reinen Marktdesign irgendwann zu Problemen führt, wenn immer mehr erneuerbare Kapazitäten hinzugebaut werden (wie du beschrieben hast).
Allerdings stimmt es nicht, dass nur wenige Erneuerbare Energien an der Börse gehandelt werden. Quasi ALLE Erneuerbaren Energien werden an der Börse gehandelt. Inzwischen vielfältig über die Direktvermarktung (hier hat sich eine ganze Branche gebildet), ansonsten jedoch über die Übertragungsnetzbetreiber, die dazu verpflichtet sind.
Insofern stimmt es (aktuell) auch nicht, dass Erneuerbare Energien ihren eigenen Markt kaputt machen würden, wenn immer mehr Kapazitäten hinzugebaut würden. Denn es gibt (zumindest derzeit) immer noch das Erneuerbare Energien Gesetz. Dieses greift im Übrigen auch bei der Direktvermarktung, indem neben dem Börsenpreis über die EEG-Umlage eine Markt- und eine Managementprämie gezahlt wird.
Insofern hat tatsächlich die Politik de facto bereits ein Post-Merit-Order-System (wenn wir mal ausschließlich beim Handel bleiben) geschaffen: Jede Erzeugungskapazität bekommt bei der Installation für einen festgelegten Zeitraum eine garantierte Einspeisevergütung zugesagt, die die Fixkosten wieder einspielen soll.
Das funktioniert allerdings nicht mehr (zumindest nicht vollständig), wenn tatsächlich irgendwann Speicher vonnöten sein werden. Und Speicher werden in jedem Fall bei einer 100%igen Versorgung mit Erneuerbaren Energien vonnöten sein (was ich auch nicht schlimm finde). Zumindest erhöht die Notwendigkeit zwischenzuspeichern die Erzeugungskosten (also die Kosten für den Strom, der im Zweifel erst nach der Zwischenspeicherung zur Nutzung eingespeist oder direktverbraucht wird).
In jedem Fall finde ich deinen Ansatz, Erneuerbare Energien und Netze als Peer-to-Peer-Netzwerk und Commons zu betrachten, sehr spannend, auch wenn der Ansatz bislang ja noch sehr vage ist. Wenn ich auf ein spannendes Modell komme, sage ich Bescheid 🙂
Liebe Grüße
Malte.
Vielen Dank, Malte, dass du das Thema nochmal aufgreifst, und Danke für die Korrekturen. Ich weiss inzwischen von anderen Leuten, die an einem commonsbasierten P2P-Netzwerkmodell der Stromversorgung nachdenken. Genial wäre es, wenn man zwei Elemente miteinander verbinden könnte: Lokaler/regionaler direkter Stromaustausch im Netzwerk (statt Kauf/Verkauf) per Smart-Metering (nur Überschüsse/Defizite werden über den Markt ausgeglichen) und eine Art Mietshäuser-Syndikatmodell für das Netzwerk, das eine Privatisierung (Verkauf) verhindert.
Lieber Malte, ich musste schmunzeln: „ganz einfach die Merit Order erklären.“ Ich denke gerade an meinen letzten Auftritt im Hamburger Michel. Da waren 2300 Menschen oder so, denen ich „relativ einfach“ die Commons erklären sollte. Das einfach zu machen ist bekanntlich alles andere als einfach.Am Beispiel Deines Beispiels: „Die Grenzkosten –> Was bitte?ergeben sich per definitionem aus den variablen Kosten —> Wie bitte? und sind daher bei Erneuerbaren Energien immer Null. –> Wieso „daher“? Völlig richtig jedoch, dass das im reinen Marktdesign irgendwann zu Problemen führt –> Warum genau und was für Probleme“
So geht mir das immer, wenn ich denke: „Ist doch relativ einfach“. 🙂
Liebe Silke,
ok, das „ganz einfach“ ist natürlich übertrieben und kontext-abhängig. Grenzkosten sind die Kosten, die für die Produktion einer zusätzlichen (bzw. der „letzten“) Einheit eines Produkts entstehen. Wenn eine Solaranlage im Aufbau Fixkosten von x Euro verursacht, ist damit im Grunde die komplette Investition getätigt. Jede marginale, zusätzliche Einheit Strom kostet 0,00 Euro, da die Anlage ja schon realisiert ist. D.h. es macht keinen Sinn, die Anlage zu drosseln oder abzuschalten, weil damit keine Kosten gespart werden (die Sonne schickt keine Rechnung). Warum das Prinzip der Merit Order für den Strommarkt gewählt wurde, bedarf darüber hinaus aber tatsächlich sehr langer Erklärung (auch wenn es in der Energieökonomik natürlich kapitalismus-immanent rational beschrieben werden kann). Die Probleme hat Stefan ja bereits beschrieben: Bei unknappen Gütern müssen künstliche Verknappungen eingeführt werden, das Merit Order-Marktdesign funktioniert nicht mehr.
Stefan, bei Solaranlagen ist es ja meist schon so, dass nur die Überschüsse eingespeist werden. Rein physikalisch kann man anschließend den Strom sowieso nicht mehr von dem eines anderen Kraftwerks unterscheiden. Insofern wird der Strom einer Solaranlage, sofern nicht im eigenen Haushalt verbraucht, immer so nah wie möglich verbraucht. Erst wenn so viel Solarenergie erzeugt wird, dass sie auf Niederspannungsebene nicht mehr verbraucht werden kann, wird sie in höhere Spannungsebenen transformiert und weitergeleitet. Aber im Moment wird dieser Anteil des Verbrauchs, der durch dezentrale Erneuerbare Energien herrührt, tatsächlich lediglich jedem Energieversorgungsunternehmen aufgedrückt (kostenmäßig über die EEG-Umlage und energiemäßig ebenfalls über eine Quasi-Umlage des durch EEG-Anlagen erzeugten Stroms, der über die Übertragungsnetzbetreiber an der Börse verkauft wird, vgl. bspw. http://www.ewe.de/kunden/images/redaktion/232/stromkennzeichnung_2013.jpg). Spannend wird es tatsächlich, wenn es irgendwann so viel erneuerbaren Strom im Netz gibt, dass es tatsächlich eigentlich keine einzelnen Energieversorger mehr bräuchte, da der Strom nach aktuellem Marktdesign nur noch über die Börse eingekauft werden könnte, über die die erneuerbaren Überschüsse im Moment in den Markt gebracht werden. Dann wäre eine netzwerkartige Stromversorgungslösung tatsächlich interessant.
Zu deiner anderen Anmerkung: Was meinst du genau mit dem Syndikatsmodell? Also ich kenne das Mietshäusersyndikat. Aber worauf soll dieses Modell angewendet werden? Auf die Netzinfrastruktur? Das Netz ist ja jetzt schon ein Monopol, das zwar auch privatisiert wird, aber dessen Vergabe über Konzessionen immer noch durch die Politik funktioniert. Hier bräuchte es also einen komplett neuen Ansatz. Oder meinst du, das das Modell auf die Kraftwerke angewandt werden soll? Die Erneuerbaren Energien sind ja aber schon jetzt in einem unglaublich verteilten Streubesitz. Als „virtuelles Kraftwerk“ bzw. als Kombination können sie schon jetzt nur über aggregierende Akteure eingesetzt werden.
@ Stefan: Ich freu mich, dich morgen in Bremen kennenzulernen 😉