Wie man nützliche Dinge herstellt – freiwillig und ohne Boss
[Der folgende Artikel wurde in der Oya 3 veröffentlicht, die sich dem „Anders Wirtschaften“ widmet. Schön, dass sich eine Print-Zeitschrift dieses Themas annimmt, auch wenn der Ausgabe meiner Meinung nach eine zugespitztere und kritischere Behandlung des Themas gutgetan hätte. So ist von Social Business und Regionalgeld über Ökodörfer bis hin zu Peer-Produktion und dem Hamburger Arbeitskreis Lokale Ökonomie alles vertreten, was den Schwerpunkt etwas beliebig wirken lässt. Erfreulich ist aber jedenfalls, dass (wie bei der Oya üblich) alle Artikel unter der Creative Commons ShareAlike-Lizenz stehen und komplett online verfügbar sind; zudem kann man kostenlose Probehefte bestellen.]
Was ist Peer-Produktion?
Wie man nützliche Dinge herstellt – freiwillig und ohne Boss
Wer den Begriff „Peer-Produktion“ in eine Diskussionsrunde einbringt, erntet meist fragende Gesichter. Was soll das sein? Christian Siefkes klärt auf und zeigt das Potenzial dieses Wirtschaftsmodells.
Peer-Produktion ist die freiwillige Kooperation zwischen Gleichberechtigten (englisch: peers), die zu einem gemeinsamen Ziel beitragen. Im Internet funktioniert das schon seit längerem mit erstaunlichen Erfolgen – Beispiele sind Freie Software-Projekte wie Linux und Firefox, die Freie Enzyklopädie Wikipedia und andere Projekte, die Freie Texte, Musik oder Filme produzieren. Auch das OpenStreetMap-Projekt, das frei nutzbare und erweiterbare Karten der ganzen Welt erstellt, entsteht durch viele freiwillige Beiträge einzelner „Peers“.
Peer-Produktion basiert auf dem Bedürfnisprinzip: Am Anfang steht ein Bedürfnis, das man sich erfüllen, oder eine Idee, die man gerne realisieren möchte. Dann sucht man sich andere Leute, die mehr oder weniger dasselbe Problem oder Ziel verfolgen, und widmet sich gemeinsam der Verwirklichung. Anders als bei der Produktion für den Markt geht es bei Peer-Produktion nicht darum, ein Produkt möglichst gut zu verkaufen, sondern um die konkreten Bedürfnisse und Interessen der Beteiligten. Und da alle freiwillig mitmachen, kann niemand den anderen Befehle erteilen – auch wer die Entwicklung eines Projekts koordiniert, hat keine Macht über die anderen, auf deren freiwillige Beiträge er oder sie schließlich angewiesen ist. Deshalb gibt es in Peer-Projekten auch selten Mehrheitsentscheidungen, da diese die unterlegene Minderheit verprellen könnten. Für Entscheidungen wird ein Konsens angestrebt, den vielleicht nicht jede und jeder einzelne der Beteiligten gleich stark mitträgt, aber doch insgesamt akzeptieren kann.
Was im Internet begann, breitet sich inzwischen auch in die materielle Welt aus. Nicht nur Software, sondern auch nützliche Dinge, die man anfassen kann, lassen sich auf diese Weise herstellen. Dazu muss man zunächst wissen, wie man Dinge produziert, aber auch, wie man sie benutzt, wartet, repariert und schließlich fachgerecht recycelt. Darum kümmern sich Peer-Projekte, die gemeinsam Freie Designs – Beschreibungen materieller Objekte inklusive der nötigen Konstruktionspläne und Materiallisten – entwerfen und veröffentlichen. Das US-Magazin „Make“ veröffentlicht jährlich einen großen Report zum Thema, dessen aktuelle Ausgabe schon weit über hundert Projekte enthält – mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Dazu gehören Plattformen für Computerhardware wie Arduino, Bug Labs und OpenCores, Telekommunikations-Hardware wie Asterisk und Openmoko, aber auch medizinische Projekte wie das Open Prosthetics Project, das frei nutzbare Prothesen entwickelt.
Gemeinsam organisieren, was nötig ist
Designs und Baupläne helfen aber nicht, wenn es am Zugang zu den benötigten Produktionsmitteln mangelt. Doch inzwischen nehmen sich Peer-Projekte auch der materiellen Ressourcen an – Menschen schaffen gemeinsame Infrastruktur, um zu kommunizieren, sich mit Energie oder Wasser zu versorgen oder die Dinge herzustellen, die sie zum Leben brauchen.
Ein Beispiel für selbstorganisierte Kommunikations-Infrastrukturen ist das dezentrale Netzwerk für Internet und Telefonie der Einwohnerinnen und Einwohner der südafrikanischen Gemeinde Scarborough. In der Scarborough Wireless User Group stammt die nötige Hard- und Software aus zwei Projekten für Freies Design, dem Village Telco Project und dem Free Telephony Project. Die benötigten WLAN-Router werden jeweils von einzelnen Einwohnern gekauft und dem Netz zur Verfügung gestellt – es gibt niemanden, dem das ganze Netz oder ein Großteil davon gehören würde, niemand könnte es kontrollieren oder abschalten. Die extern anfallenden Kosten – etwa für die DSL-Zugänge zum eigentlichen Internet – werden durch freiwillige Abogebühren gedeckt. Wer sich nicht finanziell beteiligen will oder kann, darf das Netzwerk trotzdem nutzen, allerdings werden die Verbindungen der (finanziell) Beitragenden im Zweifelsfall vorrangig bedient. Auf diese Weise kann sich das Netzwerk tragen, ohne auf einzelne Geldgeberinnen und Geldgeber angewiesen zu sein, gleichzeitig wird niemand ausgeschlossen.
Besonders interessant sind gemeinschaftlich organisierte Einrichtungen, in denen man materielle Güter herstellen kann. In den letzten Jahren sind in Dutzenden von Städten in aller Welt sogenannte Fab Labs entstanden – seit kurzem gibt es auch eines in Deutschland, nämlich in Aachen, ein weiteres Fab Lab in Hamburg ist in Gründung. Fab Labs sind offene Werkstätten, die über ein reichhaltiges Sortiment von Produktionsmaschinen verfügen, die die Menschen in ihrer Nachbarschaft nutzen können.
Sie verfügen beispielsweise über Maschinen, die computergesteuert Materialblöcke zurechtschneiden oder fräsen können, sogenannte CNC-Maschinen, sowie über 3D-Drucker, sogenannte Fabber, die in wenigen Stunden selbst komplexe dreidimensionale Gegenstände aus vielen Schichten aufbauen. Der Anspruch der Fab Labs ist, mit Hilfe der passenden Werkzeuge „beinahe alles“ produzieren zu können. So weit ist es freilich noch nicht, doch allerhand nützliche Dinge wie Mobiliar und andere Holzgegenstände, Kleidung, Platinen und Computerzubehör lassen sich bereits herstellen.
Maschinen, die allen zur Verfügung stehen
Fab Labs verstehen sich als selbstorganisierte Räume, die von einer Community von Freiwilligen betrieben werden. Tendenziell sollte das auch für die Finanzierung gelten, doch sind die Fab Labs dafür heute noch zu teuer, weswegen sie meist von einer Universität oder anderen größeren Organisationen gesponsert werden. Die Ursache für die hohen Kosten liegt darin, dass die heutige erste Generation von Fab Labs noch auf proprietäre Maschinen setzt – das heißt die Baupläne dieser Maschinen sind nicht frei verfügbar. Dementsprechend müssen sie auf dem Markt eingekauft werden und sind kostspielige Anschaffungen.
Es gibt aber schon allerlei Projekte, die gemeinsam CNC-Maschinen, 3D-Drucker und andere Produktionsmittel entwerfen und ihre Ergebnisse als Freies Design veröffentlichen. Solche Freien Produktionsmittel – kleine CNC-Maschinen wie Contraptor und Cubespawn, kleine Fabber wie RepRap und Fab@Home – sind noch nicht konkurrenzfähig mit den Produkten der kapitalistischen Massenproduktion, aber sie sind auch nicht mehr weit davon entfernt. Das gilt vor allem für CNC-Maschinen und andere an traditionellen Produktionstechniken orientierte Ansätze. Fabber sollte man allerdings nicht überbewerten, noch sind sie keine ernstzunehmende Alternative für industrielle Produktion. Zukunftsträchtig ist aber ihr Prinzip: Sobald Maschinen selbst das Ergebnis von Peer-Produktion sind und im Rahmen selbstorganisierter Fab Labs und anderer Makerspaces („Gemeinschaftswerkstätten“) nicht nur genutzt, sondern auch selbst hergestellt und vervielfältigt werden können, wird es spannend. Denn das ermöglicht, zumindest teilweise, die Abkoppelung vom Markt: Dinge, die man gemeinsam selber herstellen kann, muss man nicht mehr mit Geld kaufen, was die Abhängigkeit von Lohnarbeit oder staatlichen Almosen reduziert und neue Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes Leben eröffnet.
Vom Nischenphänomen zum neuen Trend
Lange Zeit wurde die Peer-Produktion als Nischenphänomen gesehen, das nur in bestimmten Bereichen existieren könne. Doch sie springt auf immer neue Gebiete über. Tatsächlich können die Grundprinzipien der Peer-Produktion überall funktionieren: Wissen und Ressourcen werden als Gemeingüter behandelt, die man gemeinsam nutzt und gemeinsam pflegt und entwickelt; Menschen beteiligen sich freiwillig aus Interesse am Tun oder an dem, was da entsteht; Projekte entwickeln gemeinsam die Strukturen, die für sie am besten funktionieren, und sind dabei offen für alle, die mitmachen wollen und können. Peer-Produktion ist daher keine Nischenlösung, sondern eine gesamtgesellschaftliche Alternative. Und die wird dringend gebraucht, da die kapitalistische Produktionsweise stagniert und ihre Integrationsfähigkeit weitgehend verloren hat; sie bietet zwar Reichtum für wenige, aber kein gutes Leben für alle. Dagegen zeigt die Peer-Produktion, dass die finanziellen „Anreize“ des Markts unnötig sind, dass die freiwillige Zusammenarbeit von Menschen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen, zu ähnlich guten und oft sogar besseren Ergebnissen führt als die geldgetriebene Produktion. Die gelebte Praxis der Peer-Produktion zeigt, dass der oft aufgestellte Gegensatz von Markt und Staat ein falscher ist. Es geht, wie uns die Peer-Produktion vorführt, auch ganz anders, ohne Markt und ohne Staat.
Wenn Anhänger der Peer-Produktion über ihre avisierte Entwicklung der Produktivkräfte, die in Keimformen schon erkennbar sei, schreiben, gleichzeitig aber nicht mit derselben Verve für eine Änderung der Produktionsverhältnisse eintreten, so wirkt das auf mich verdächtig. Auf eine Revolutionierung der Produktionsverhältnisse wird überhaupt nicht eingegangen. Da kommt bei mir der Verdacht des Revisionismus auf. Es wird die Ideologie propagiert, die neuen Produktivkräfte seien mit dem Kapitalismus verträglich, würden sich im Kapitalismus entwickeln und ihn sanft transformieren. Dieser Revisionismus hat der kommunistischen Bewegung seit jeher zu schaffen gemacht. Das fadenscheinige Argument war immer dasselbe: Ohne entwickeltere Produktivkräfte sei eine Transformation unmöglich. Mit diesem Versprechen künftiger Freiheit für gegenwärtige Ausbeutung weiß auch die KP Chinas ihre Untertanen seit 1976 einzulullen. Dabei sind die Produktivkräfte im Kapitalismus immer hinreichend entwickelt gewesen. Die sind seit mindestens 150 Jahren bereit für den Sozialismus. Entwicklung der Produktivkräfte alleine ändert gar nichts am Überbau. Das sieht man auch daran, wie nahtlos sich Peer-Produktion in den Kapitalismus einfügt, was ich ihr gar nicht vorwerfen will, im Gegenteil. Der Kapitalismus wird diese Innovationen integrieren und nur eine politische Revolution wird an der vorherrschenden Produktionsweise etwas ändern können. Das sieht man z.B. am Erfolg eines Lenin, der eine sozialistische Revolution in einem relativ unterentwickelten Agrarstaat anstieß, und daran, wie sich die Prognosen von Leuten wie Kautsky und Trotzky nicht erfüllt haben. Hätten sie Recht behalten, müssten wir dank kapitalistisch hochentwickelter Produktivkräfte längst im Kommunismus leben. Der Kapitalismus hat sich trotzdem in vielen Krisen immer wieder erneuert und tut das gerade wieder.
Deshalb muss endlich die Frage der politischen Transformation diskutiert werden. Bei Marx heißt es: „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“ (Kritik des Gothaer Programms, S. 28) Wie kann so eine Diktatur erreicht werden? Welche Aufgaben soll sie übernehmen? Das wären die wirklich brennenden Fragen. Statt sie zu stellen und zu beantworten, versteigt sich die Commons-Bewegung zu der Hoffnung, die Klasse des Kapitals ließe sich kampflos durch neue Produktivkräfte, die bis jetzt noch ganz die ihren sind, verdrängen.
Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Als Wölfe im Schafspelz sind sie stets mit dem Kapital ins Bett gestiegen. Wer wird uns als nächstes verraten, uns Utopien versprechen, wenn wir nur die Gesellschaftsordnung nicht antasten? Commonisten? Peer-Theoretiker? Falls sie keinen Verrat üben, wie erklärt sich dann, dass sie keine politische Revolution unterstützen, nach der sich die Peer-Produktion problemlos durchsetzen ließe? Warum unterstützen sie eine friedliche Vereinbarkeit von Peer-Produktion mit dem Kapitalismus, falls ihr Ziel eine befreite Gesellschaft ist?
@libertär: Wie kommst Du drauf, dass sich nach einer „politischen Revolution“ die „Peer-Produktion problemlos durchsetzen“ ließe? Wie denn? Mit Zwang? Schon vergessen? Peer-Produktion basiert vor allem auf Freiwilligkeit.
Ganz zu schweigen davon, dass es eine solche Revolution nicht geben kann, so lange die Menschen durch die Art und Weise wie sie ihr Leben produzieren erpressbar sind.
Unter einer Diktatur des Proletariats ließe sich commonsbasierte Peer-Produktion deshalb sehr leicht – und nur freiwillig (!) – durchsetzen, weil dann die Produzenten auch die Herren über die Produktionsmittel sind. In dieser sozialistischen Übergangsphase sind ja mehrere Wirtschaftsweisen denkbar, von denen m.E. die Peer-Produktion noch am ehesten die Keime des Kommunismus in sich trägt und in ihn überführen kann. Zwang gegen das Proletariat kann es in dieser Diktatur per definitionem nicht geben. Das Proletariat hat mehrere Möglichkeiten, wie es über seine Produktionsmittel verfügt. Da wird es sicher viele geben, die die Wertproduktion und den Tausch in veränderter Form fortsetzen wie es auch in der Kritik des Gothaer Programms wohlwollend prognostiziert wird. Man kann z.B. in Kooperativen weiterhin für einen Markt produzieren, aber die Profite zu gleichen Teilen an die Arbeiter verteilen oder allen den gleichen Lohn zahlen und einen Teil in Versicherungen und Vorsorge einzahlen. Dann gibt es ja auch noch die Wertrechner, die Produktion und Markt vom Computer vorausberechnen lassen wollen. Es wird viele Modelle sozialistischer Produktion geben, von denen eines die Peer-Produktion sein könnte.
Wieso es eine solche Revolution nicht geben kann, wurde nie gezeigt, ja sogar durch die Praxis der Revolutionen widerlegt. Revolutionen haben immer trotz der Erpressung durch die Herrschenden stattgefunden. Trotz größten Elends gab es eine bürgerliche französische Revolution. Trotz Krieg und entsetzlichem Elend der Bauern haben 1949 die Kommunisten in China gesiegt. Von Verhältnissen, in denen Menschen aufgrund einer Erpressbarkeit keine Revolution wagen können, sind wir in Deutschland so weit entfernt wie noch nie in der Geschichte. Selbst wenn es Monate lang Generalstreiks und Partisanenkämpfe gäbe, würden ganz gewiss nicht mehr Leute verhungern als aufgrund des Kapitalismus in unserem Land jetzt schon verhungern. Ich glaube also eher, dass die Erpressung der Arbeiter durch das Kapital („Arbeite oder stirb!“) die beste Voraussetzung für eine Revolution ist. Gäbe es die Erpressung nicht, wäre wohl auch eine Revolution überflüssig. Insofern scheint wir die „Strategie“, abzuwarten bis eine Revolution überflüssig ist, um sie dann machen zu können, reichlich irrational.
@libertär:
Das ist ja schön. Allein wenn die Herren (und Herrinnen?) dann weiter so verfahren, wie du denkst:
…wird sich wohl schnell der vorige Zustand wieder einstellen, da nämlich einige auf den Markt erfolgreich sind und damit immer mehr Produktionsmittel kontrollieren können, während andere bei der Produktion scheitern, pleite gehen und dann doch wieder zum Verkauf ihrer Arbeitskraft gezwungen sind. Der vorige Zustand wäre in kurzer Zeit wiederhergestellt; nur vielleicht mit teilweise vertauschten Rollen.
Tatsächlich ist es ja bei Revolutionen, auf die du dich positiv beziehst – Russland 1917 und China 1949 – so gekommen, dass die revolutionäre Änderung der Eigentums- und Machtverhältnisse eben nicht zu einer dauerhaft lebensfähigen emanzipatorischen neuen Produktionsweise geführt hat. Oder würdest du die Sowjetunion (nanu wo isse denn?) und das heutige China als positive Beispiele einer „befreiten Gesellschaft“ sehen??
Und die andere von dir genannte Revolution, nämlich die bürgerliche französische Revolution, kam ja gerade nicht als dem Nichts bzw. aus dem bloßen Wehren gegen das „Elend“, sondern passte die Eigentums- und Herrschaftsformen an einen Umbruch in den Produktionsverhältnissen – von der feudalistischen zur kapitalistischen Produktionsweise – an, der bereits in vollem Gange war.
Revolutionen im Sinne einer radikalen Umgestaltung der Eigentums- und Regierungsformen können eben nur aus existierenden, sich in Entwicklung befindlichen Praktiken (neuen Produktionsweisen wie seinerzeit die bürgerlich-kapitalistische und heute die Peer-Produktion) heraus entstehen, sie können diesen nicht vorausgehen.
C.S.: „…wird sich wohl schnell der vorige Zustand wieder einstellen, da nämlich einige auf den Markt erfolgreich sind und damit immer mehr Produktionsmittel kontrollieren können, während andere bei der Produktion scheitern, pleite gehen und dann doch wieder zum Verkauf ihrer Arbeitskraft gezwungen sind. Der vorige Zustand wäre in kurzer Zeit wiederhergestellt; nur vielleicht mit teilweise vertauschten Rollen.“
Damit es bloß keine Enttäuschung gibt, startet man gleich im „vorigen Zustand“. D.h. erst gar keinen Versuch sozialer Emanzipation wagen, sondern sich gleich auf den Kapitalismus festlegen. Wo ist da bitte die Logik? Damit man nicht scheitert, sich gleich geschlagen geben?
C.S.: „Tatsächlich ist es ja bei Revolutionen, auf die du dich positiv beziehst – Russland 1917 und China 1949 – so gekommen, dass die revolutionäre Änderung der Eigentums- und Machtverhältnisse eben nicht zu einer dauerhaft lebensfähigen emanzipatorischen neuen Produktionsweise geführt hat. Oder würdest du die Sowjetunion (nanu wo isse denn?) und das heutige China als positive Beispiele einer „befreiten Gesellschaft“ sehen??“
Ich habe mich nicht positiv auf diese Revolutionen bezogen, sondern sie als Beispiele gebracht, die deine/eure revisionistische These widerlegen. Und dass der Sozialismus (in verschiedenen Ausprägungen) in beiden Ländern untergegangen ist (1956 in der SU, 1976 in China) hatte Gründe, die noch genauer zu untersuchen sind. Es lag aber bestimmt nicht daran, dass man eine Revolution gewagt hat. Oder willst du jetzt ernsthaft den Kalauer verteidigen: „Hätten sie keine Revolution gemacht, hätten sie nicht damit scheitern können. Also war die Revolution der Grund für den Misserfolg des Sozialismus.“ ?
Ich möchte die Lektüre von „Organizing for the anti-capitalist transition“ von David Harvey empfehlen, der die Möglichkeiten des Systemwechsels deutlicher antizipiert als ihr und die Notwendigkeit dieses Wechsels klarer artikuliert: http://groups.google.com/group/interface-articles/web/3Harvey.pdf
Die Menschheit ist längst bereit für ein Ende des Kapitalismus, ja sehnt sich danach. Statt die vielen Bewegungen auszubremsen oder fürs Abwarten zu plädieren, sollte man sie lieber kräftig anschubsen und sich mit dem eigenen Modell (Commons, Peer-Produktion) in die Demontage des Systems einbringen.
Keiner, der hier diskutiert, will die „vielen Bewegungen“ (sind’s wirklich so viele?) ausbremsen, die den Kapitalismus überwinden wollen. Aber eine „Diktatur des Proletariats“ hilft nicht weiter. Wahrscheinlich meist du damit die Übernahme der politischen Macht und der Produktionsmittel. Aber die politische Macht zu übernehmen, ist (wie John Holloway richtig erkannt hat) heute nicht mehr der richtige Weg, es ändert nämlich langfristig gar nichts – darauf hat ja Christian auch hingewiesen. Nur die andere Produktionsweise macht den Unterschied. Und da setzen viele, die hier diskutieren, auf ein Modell, das die Prinzipien Freier Software, Freier Kultur usw. verallgemeinert, „Peer-Produktion“, „Commonismus“ o.ä. genannt. Das aber verträgt sich nicht im mindesten damit, dass die einen den anderen was diktieren – warum nicht, kannst du hier nachlesen.
Was die Frage der Revolution betrifft: Niemand kann sagen, wie der Übergang zu einer neuen Produktionsweise am Ende verlaufen wird. Vielleicht gibt’s irgendwann, wenn diese sich ein Stück weit entwickelt hat und von Seiten der die frühere Produktionsweise tragenden Schichten versucht wird, sie zu blockieren, auch so etwas in der Art. Sehr wahrscheinlich kommt mir das nicht vor, aber man wird ja sehen.
Was die Frage der politischen Revolution betrifft stört mich diese Gegenüberstellung von “ ja oder nein“ genauso wie der zurecht kritisierte Dualismus von Markt & Staat. Dabei ist die Diskussion teilweise doch schon viel weiter. Während historisch die reformistische Sozialdemokratie und der revolutionäre Leninismus klar an ihrer Staatsfixiertheit scheiterten, lehnten die Anarchisten jede Einflussnahme auf den Staat ab und blieben trotz aller symbolischen Erfolge immer relativ marginalisiert. Mit der Neuen Marx-Lektüre lässt sich der Staat nun weder als Hauptfeind (Anarchismus), noch als Staat im Kapitalismus (Sozialdemokratie) oder Staat der Kapitalisten (Lenin) begreifen, sondern als integraler Bestandteil des Kapitalismus und Staat des Kapitals im Marxschen Sinne. D.h. er kann nicht Akteur der Transformation sein und hat in einer postkapitalistischen Gesellschaft nichts zu suchen. Gut vereinbar ist damit jedoch die Position, die in den Kämpfen in Venezuela deutlich wird und besagt, dass der Staat dennoch ein wichtiger Faktor sein kann(!), um Freiräume für die Selbstorganisation zu schaffen und das Entwickeln neuer Vergesellschaftungsformen von unten zu unterstützen bzw. oft erst zu ermöglichen. Durch Enteignung besetzter Fabriken und ähnlichem könnte der Zugang zu den Produktionsmitteln, welcher zweifellos ein zentrales Problem der Peer-Produktion darstellt, deutlich erleichtert werden. Genauso gilt das für den Aufbau eines Rätesystems als Grundstruktur, wobei die Ansätze in Venezuela wiederum aktuell mit Abstand die weitgehendsten sind – und das hat Gründe. Soweit erstmal von mir.
n0b0dy: „Durch Enteignung besetzter Fabriken und ähnlichem könnte der Zugang zu den Produktionsmitteln, welcher zweifellos ein zentrales Problem der Peer-Produktion darstellt, deutlich erleichtert werden.“
Das ist mit der Diktatur des Proletariats auch intendiert. Es geht nicht darum – wie Christian und Martin das Konzept missverstehen wollen -, eine Diktatur gegen die Produzenten auszuüben. Vielmehr sollen die Produzenten demokratisch die Produktionsmittel und die ganze Gesellschaft verwalten und für eine Übergangsperiode die Bourgeoisie unter Kontrolle bringen. Daran wird auch kein Weg vorbeiführen. Denn wie n0b0dy richtig anmerkt würden Enteignungen den Zugang zu den Produktionsmitteln erleichtern. Ich füge hinzu, erst durch Enteignung der Bourgeoisie und permanente Unterdrückung ihres konterrevolutionären Rests wird man sich all ihre Reichtümer aneignen können. Auf was hoffen die Apologeten des friedlichen Übergangs eigentlich? Dass die Bourgeoisie freiwillig alle Produktionsmittel beim Anblick von Open-Source-Programmierern herausgibt? Zurzeit geschieht das Gegenteil. Die Bourgeoisie verteidigt die Eigentumsverhältnisse mit allen Mitteln und mit Hilfe des Staates. Da wird als legal und illegal definiert, was bis jetzt keiner gesetzlichen Regelung unterlag, etwa bei den neuen Regelungen zum Internet und Copyright. Und zum Schutz des Eigentums an materiellen Gütern gibt es ja sowieso Gesetze, die die Kapitalisten mit der Macht des Staates gegen die Peer-Produzenten durchsetzen. Hier auf ein freiwilliges Einknicken der Ausbeuter zu setzen ist völlig realitätsfremd. Außerdem ist noch längst nicht ausgemacht, dass Peer-Produktion, noch dazu ohne Produktionsmittel, für alle Bereiche der Produktion taugt, etwa Rohstoffgewinnung, Schwerindustrie, Infrastrukturaufbau.
n0b0dy: „Mit der Neuen Marx-Lektüre lässt sich der Staat nun weder als Hauptfeind (Anarchismus), noch als Staat im Kapitalismus (Sozialdemokratie) oder Staat der Kapitalisten (Lenin) begreifen, sondern als integraler Bestandteil des Kapitalismus und Staat des Kapitals im Marxschen Sinne. D.h. er kann nicht Akteur der Transformation sein und hat in einer postkapitalistischen Gesellschaft nichts zu suchen.“
Das sehe ich genauso. Deswegen braucht es ja eine politische Revolution, in der Staat und Kapital abgeschafft werden. Ein friedliches Verdrängen des Kapitalismus mit seinen eigenen Mitteln kann es nicht geben. Dabei wird man selbst zu Kapitalisten oder Ausgebeuteten.
Na ja – irgendwie ganz schön retro so mit proletendiktatur … Iss doch gescheiter .. Da muss neues denken her!
Ach, retro ist wieder total in. 😉 Weder „retro“ noch „gescheitert“ ist ein Argument. Ist der Revisonismus nicht erst recht gescheitert? Zu was hat er es gebracht? Was ist nicht alles wieviele tausend Male in der Menschheitsgeschichte gescheitert? Und Menschen haben immer wieder versucht, was für unmöglich gehalten wurde. Die Feudalherren haben auch mal gedacht, ihr System sei das Ende der Geschichte, ein System, nach dem nichts neues, besseres denkbar sei.
Wir können vergangene Revolutionen studieren und aus ihren Fehlern lernen. Wir können auch analysieren, was da genau gescheitert ist. Im Fall der UdSSR ist ja 1991 nicht der Sozialismus gescheitert, wohl eher eine tyrannische zentralistische Diktatur, in der staatliche Akteure an die Stelle der Kapitalisten getreten sind. Von einer demokratischen Diktatur des Proletariats war da nichts zu spüren, sie konnte mithin auch nicht scheitern. Dieses Scheitern begrüße ich ausdrücklich. Jetzt muss auch das System, das den Kalten Krieg überlebt hat, zum Scheitern gebracht werden.
@libertär:
Ach, denk (oder lies) doch mal nach, bevor du schreibst! Als ob sich irgendjemand hier für Revisionismus (im Sinne eines sozialdemokratischen Reformismus, eines „Marsch durch die Institutionen“) ausgesprochen hätte. Und die Erkenntnis, dass der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte ist, ist hier ja (anders als fast überall sonst) praktisch selbstverständliche Prämisse.
Nur lässt sich das Ende des Kapitalismus eben nicht durch das einfache Umlegen eines Schalters, durch die einfache Aneignung der (vorhandenen) Produktionsmittel bei ansonsten nicht groß veränderter Produktionsweise herbeiführen. Für die allgemeine Peer-Produktion (man kann’s auch Kommunismus nennen) ist es selbstverständlich nötig, dass Ressourcen und andere Produktionsmittel allein zur Verfügung stehen und gemeinsam genutzt werden, darauf gehe ich ja z.B. in Selbstorganisierte Fülle (4) ein. Nur kann ein solches verändertes Verständnis von Eigentum (das Besitz und Commons an die Stelle des „heiligen“ Privateigentums treten lässt) nur aus den Praktiken einer „wirklichen Bewegung“ heraus entstehen; einfach nur die vorhandenen Produktionsmittel zu klauen/aufzukaufen/revolutionär zu enteignen und den Leuten mit der Bemerkung „nun macht’s mal anders“ vor die Füße zu werfen, wird’s nicht bringen.
Dass die Eigentumsfrage übrigens dort, wo alternative Praktiken eine größere Rolle spielen, tatsächlich mit Wucht gestellt wird, zeigt sich heute schon an den Kämpfen ums „geistige Eigentum“ – das ist aber, wenn unsere Hypothesen von der zunehmenden Ausweitung der Peer-Produktion richtig sind, erst der Anfang.