Flattr: Geschenkökonomie, Elendsklicks oder doch bloß einfache Abzocke?

GeldgeschenkSeid der re:publica hat es einen neuen Hype in der deutschen Blogglandschaft: Flattr. Von der tageszeitung über die digitale Boheme bis zum prekarisierten Elendsblogger sind sich alle einig: Das ist was ganz tolles. Endlich wandelt jemand unseren Schweiß und unsere Mühen in echtes Geld um! Selbst alte Haudegen der Hackerszene wissen auf einmal: “Kostenloskultur, my ass! Ich habe daran nie geglaubt”. Endlich materialisiert sich die Geschenkökonomie in einer Weise, dass sie die Miete bezahlt. Oder wenigstens ist es ein Weg ein paar Cents zusammen zu kratzen. Haben wir nicht alle genau darauf gewartet?

Doch der Reihe nach. Worum geht es überhaupt? Flattr ist eine Art freiwillige Kulturflatrate. Man zahlt einen monatlichen Beitrag von mindestens 2 Euro und darf dafür neben den eigenen Content einen Flattr-Button machen. Wenn man als Teilnehmer auf einen solchen Button klickt, wird ein Teil des eigenen monatlichen Obolus am Ende des Monats an den Buttonsetzer geschickt. So weit so simpel.

Ähnliche Systeme gab es schon einige, die bisher alle wieder eingegangen sind mangels Beteiligung. Flattr ist also nicht besonders originell. Wie erklärt sich dann der aktuelle Hype? Zum einen sicherlich zu einem Gut-Teil aus der Person des Gründers, der ist nämlich auch Mitgründer des Filesharing-Portals PirateBay gewesen und hat daher einen gewissen Ruf des Rebellen und Nonkonformisten in der Netzwelt. Wenn der Lieblingsfeind der Contentindustrie ein Bezahlsystem erfindet, muss es ja was gutes sein? Leider ist dem nicht so.

Flattr hat im Kern eine vielleicht gar nicht so blöde Idee. Aus der Tatsache, dass man auf lange Sicht im Web keine Warenökonomie betreiben kann (oder zumindest nur durch massive Repression), versucht man es halt mal mit Spenden. Das Spenden wird dabei deutlich vereinfacht. Wenn man sich einmal angemeldet hat, ist es wirklich mit einem Mausklick getan. Man kann dann zwar nicht mehr im einzelnen sagen, wie viel man spenden möchte, aber das nehmen viele gerne in Kauf für die Einfachheit des Systems.

Classless Kulla kritisiert das Ganze als Teil des Warentauschs (macht dann aber nachvollziehbarer Weise trotzdem mit, weil er ja auch am Warentausch teilnehmen muss). Er irrt da meiner Meinung nach: Nicht überall wo Geld fließt findet auch Warentausch statt. Es wird ja keine Gegenleistung verlangt. Tatsächlich werden ja Geschenke verteilt.

Daraus zieht umgekehrt Michael Seemann den Schluss, es handele sich um eine klassische Geschenkökonomie. Das finden nun wieder andere befremdlich. Ich würde zumindest mal anmerken, dass es dann eine Geschenkökonomie ohne Seele ist. Nach dem Motto jeder schenkt jedem 100 Euro unterm Weihnachtsbaum.

Schließlich wird in der Diskussion immer wieder die Anerkennung betont, die man mittels Flattr verteilen kann. Beispielhaft sei hier Tim Pritlove zitiert, der schreibt:

„Die dort abgebildete Zahl sagt letztlich nämlich viel mehr aus, als die unverbindlichen “I like” Knöpchen von Facebook, denn hier sind sie mit Verbindlichkeit gepaart. People put their money where their mouth is. Man bezieht Stellung und fühlt sich dann auch selbst besser.“

Verbindlichkeit ist nur da wo Geld ist. Haben wir ein Glück dass die Millionen von Peer-Produzenten, die das Internet am Laufen halten, davon nichts wissen. Als sei Anerkennung das Problem im Internet. An Anerkennung mangelt es doch nicht! Jede Verlinkung, jeder Kommentar, ja selbst das Facebook-Like ist tausend mal mehr Anerkennung als ein Flattr-Klick. Aber nein, das zählt ja nicht, weil es nicht „echt“ ist, nicht mit „echtem Geld“ verknüpft. Da zeigt sich dann endgültig die wertförmige Pervertierung der angeblichen Geschenkökonomie.

In der ganzen Diskussion um die Prinzipien geht dabei ein kleines aber feines Detail verloren. Anscheinend liest niemand das Kleingedruckte oder warum auch immer es fast nie thematisiert wird, dass Flattr 10% der Spenden einbehält. Naja, könnte man sagen, was sind schon 10%? Vielleicht wird die Unverschämtheit dieses Ansinnens deutlich, wenn man es mal so erzählt: Das bedeutet nämlich nichts anderes, als das quasi jeder 10. Spender in die Kasse von Flattr spendet und nicht an die armen hungernden Blogger. Und noch einer der 10 spendet dann wohl zu Paypal, die kriegen nämlich auch noch ihren Anteil. Die Banken wehren sich mit Händen und Füßen noch gegen die kleinste Finanztransaktionssteuer von 0,1% und die Blogger legen sich selbst eine von 10% auf.

Sicher auch ein System wie Flattr verursacht Kosten. Aber wenn das auch nur halbwegs erfolgreich ist (und danach sieht es ja zur Zeit aus), ist das in seiner jetzigen Form nichts anderes als eine Gelddruckmaschine auf Kosten von Bloggern die ihre Monetarisierungsverzweiflung anscheinend nicht zügeln können. Warum muss das überhaupt prozentual sein? Schließlich steigen die Kosten ja auch nicht linear mit den Nutzern an. Die Flattr-Einnahmen sollen es aber wohl. Und wenn man das schon prozentual gestaltet, warum nimmt man dann von den Spendern und nicht von den Empfängern? Das würde wenigstens einen minimalen Umverteilungseffekt beinhalten. So ist das alles nur ein großer Nepp. Wir können nochmal reden, wenn Flattr sich selbst mittels Flattrbuttons finanziert.

Dazu kommt dann noch die klassische Walled-Garden-Problematik von zentralen closed source Services. Wenn Flattr sich einmal durchgesetzt hat, wird es schwer Alternative Systeme (wie z.B. OpenFlattr) zu etablieren. Schließlich kommt man dann ja nicht mehr an die Klickfleischtöpfe der Millionen von Flatterern ran. Und jeder, der jetzt denkt „Na gut, ich probiers mal aus, schadet ja nix“ ist Teil genau dieses Mechanismus und wird sich am Schluss ärgern, dass er mit seinen gut gemeinten Geschenken für notleidende Blogger vor allem Flattr finanziert.

Deswegen: Finger weg von Flattr!

(Bildquelle und Lizenz)

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