Neue Schule Hamburg
Die Körberstiftung hat schon am 15. November letzten Jahres eine Veranstaltung über die Neue Schule Hamburg gemacht. Diese Schule ist eine der beiden ersten genehmigten Schulen in Deutschland, die sich am Konzept der Sudbury-Valley-School orientieren. Die Veranstaltung gibt es jetzt als Audio im Netz.
Das ist sehr interessant anzuhören, weil zum einen die Veranstalter mit einer enormen Flut an Bedenken konfrontiert wurden, diese aber mit wirklich beeindruckender Souveränität beantwortet haben, die klar gemacht hat, wie sehr sie an ihr Konzept glauben. Besonders beeindruckt hat mich eine Aussage von Mimsy Sadofsky – eine der Gründerinnen der Sudbury-Valley-School. Sie sagte auf Bedenken ob man denn nicht auch Druck bräuchte um sich auf die Härten des Lebens vorzubereiten mit Verweis darauf, dass auf Sudbury-Schulen jede Schülerin selber für ihr Lernen verantwortlich ist: „It´s the hardest school you can possible imagine going too.“ Das einem Roland Koch ins Stammbuch.
Mit der neu gegründeten Freien Uni Hamburg entwickelt sich Hamburg wohl gerade zum Eldorado für Freunde Freien Lernens und das unter konservativer Regierung. Da zeigt einmal mehr, dass es nicht allzu entscheidend ist, wer regiert (Roland Koch nehm ich persönlich von dieser allgemeinen Regel mal aus ;-).
Jup, „Eigenverantwortung“ ist nun mal das neoliberale Stichwort unserer Zeit. Und ist das so viel besser als Roland Koch? Andere Methoden, aber etwa dasselbe Ziel, wie mir scheint…
Nein, „Eigenverantwortung“ ist kein neoliberales Stichwort, auch wenn es ein Stichwort unserer Zeit ist. Die Neoliberalen greifen das nur verzerrend auf. Wie bitte soll es Selbstentfaltung geben ohne Verantwortlichkeit fürs Selbst? Ich hab das selbst früher manchmal anders gesehen aber gerade die Auseinandersetzung mit dem Thema Lernen und der Asymetrie zwischen Erwachsenen und Kindern hat mich das neu sehen lassen.
Der Unterschied zwischen der neoliberalen „Eigenverantwortung“ und der Verantwortlichkeit zur Selbstenfaltung liegt im sozialen Bezug. Die Neoliberalen lassen einen alleine mit der „Eigenverantwortung“, um den Krieg aller gegen alle zu leben. Genau das passiert bei Sudbury nicht (soweit ich das von aussen beurteilen kann) und genau das ist auch für mich die Messlatte für jede freie Schule. Selbstentfaltung geht nämlich nicht ohne die anderen.
Hm, dass „jede Schülerin selber für ihr Lernen verantwortlich ist“ klingt aber sehr nach „wer scheitert, ist eben selber schuld“. Auf die gestellte Frage würden mir zwei Antworten einleuchten: entweder „wir tun alles was wir können, um die Schüler/innen so gut es eben geht auf die Härten des Lebens vorzubereiten und sie nicht allein zu lassen“ oder (noch besser): „wir tun alles was wir können, um die Härten des Lebens abzuschaffen“ (die beiden Antworten schließen sich auch nicht aus).
Wenn aber keine dieser Antworten kommt, sondern man stattdessen auf die Selbstverantwortung der Schüler verweist und dazu auch noch stolz erklärt, die härteste Schule aller Zeiten zu sein (genau wie Koch sich vielleicht zum härtesten Ministerpräsidenten aller Zeiten erklären könnte – findest du die Parallele nicht auffällig?), dann klingt das für mich schon verdammt neoliberal und verdammt wenig emanzipativ.
Ich finde, es klingt sehr liberal und sehr emanzipativ.
An jeder anderen Schule sind die Schülerinnen auch selbst für ihr Lernen verantwortlich. „Wer scheitert, ist selbst schuld“. Wer soll denn auch sonst schuld sein? Ich habe etwa noch nie von einer (Regelschul-)Lehrerin gehört, die entlassen worden sei, weil ein Kind das Klassenziel nicht erreicht habe.
Bitte weder die Härten des Lebens abschaffen, noch die Kinder darauf vorbereiten. Einfach alles tun, was man kann, um die Entwicklung des Kindes und die Entfaltung des/der Jugendlichen zu begleiten und zu unterstützen. Dan kommen die Kinder exzellent selbst mit diesen „Härten des Lebens“ zurecht.
Die Einstellung ist nicht überall angebracht – aber ich finde sie SEHR emanzipativ.
Wenn mir allerdings zu Ohren kommt, dass an der Neuen Schule Softdrinks „verboten“ seien, finde ich das wiederum überhaupt nicht emanzipativ.
@Christian: Naja, wenn man sich etwas näher mit diesen Schulen beschäftigt wird schnell klar, dass diese Schulen nicht „hart“ sind in dem Sinne, dass die Schüler nicht hingehen wollen würden oder sie sich unwohl fühlen würden, insofern war das natürlich nur ein rhetorischer Trick von Mimsy Sadofski, aber einer mit einem Kern Wahrheit. Zumindestens die erste Antwort ist ja genau Sinn von Freien Schulen. Und meiner Meinung nach brauch es tatsächlich auch viel mehr Menschen, die sich ihrer Stärken bewußt sind, wenn das mit den Keimformen was werden soll (also ist auch die zweite Antwort gegeben).
@Johannes: Zu „Härten abschaffen“: Ich würde da unterscheiden. Die Härten, die unvermeidbar sind (und ich denke die gibt es und sei es nur weil wir alle sterblich sind) soll man natürlich nicht abschaffen wollen, aber ich denke schon, dass es einige Härten gibt, die abgeschafft gehören und das eine Freie Schule dazu auch einen Beitrag leistet.
Zu den Softdrinks: Mit so Gerüchten wäre ich vorsichtig, vielleicht ist es ja blos so, dass sie in der Schulversammlung beschlossen haben vom gemeinsamen Geld keine zu kaufen. Das fände ich ok (auch wenns nich meine Meinung wäre).
Bei demokratischen Schulen können einem — zumindest zeitweise — abstruseste Regeln unterkommen. Es geht ja gerade auch darum, zu erleben, ob die selbstgemachten Regeln auch angemessen sind. Wenn ich mich recht erinnere, gab es an der Summerhill-Schule (http://de.wikipedia.org/wiki/Summerhill) eine Phase, wo Diktatur ausprobiert wurde.
Letztendlich setzen alle Beteiligten an einer demokratischen Schule die Umstände und Bedingungen für die eigene Entfaltung und die Entfaltung der Anderen. Die Betonung der „Selbstverantwortung“ — die streng genommen bei passendem Weltbild tautologisch ist — verstehe ich eher als deutlichen Hinweis auf das von gängigen Schulen abweichende Konzept der Selbstbestimmung.
Nicht nur eine Phase. Die Diktatur wurde mehrmals ausgerufen. Einmal wurde Neill aufgefordert doch zum Diktator zu werden. Er nahm an und tat nichts. Alle waren sauer, weil sie erwartet hatten, daß er streng durchgreifen würde. Tat er aber nicht – sein Argument: Als Diktator kann ich anordnen, was ich will – aber ich will gar nichts anordnen.
Das die Schüler selbst für ihr Lernen verantwortlich sind – das ist überall so! Anders geht es nämlich gar nicht. Auch wenn gut erklärt wird – lernen muß man schon selbst.
Wichtig ist, daß Schüler selbst entscheiden können, was sie denn lernen wollen.
Dann bekommt die Verantwortung auch ein anderes Gesicht.
Jürgen