Damals war noch Morgen…

Zweimal gab es in den letzten Jahren große Kongresse der radikalen Linken. Beide Male waren das eher ernüchternde Veranstaltungen, beide Male gab es aber auch im Umfeld dieser Kongresse zwei kleine Büchlein zu bewundern, die man nicht nur als genialen Kommentare zu diesen Veranstaltungen lesen kann, sondern die beide Male auch um ein vielfaches gehaltvoller als die ganzen gelehrten Podien waren. Beide Bücher sind von Bini Adamczak, von der ich hoffentlich in den nächsten Jahren noch viel mehr lesen werde.

Beim Kommunismus-Kongress vor 4 Jahren gab es zu einem ungünstigen Termin an einem abgelegenen Ort eine kleine und unscheinbare Veranstaltung mit dem schönen Namen „Kommunismus für Kinder“. Die wenigen die da waren, berichteten begeistert. Aus dem dort von Bini Adamczak vorgelesenen Text wurde wenig später das Buch „Kommunismus – kleine Geschichte wie endlich alles anders wird„. Es schildert im Sendung-mit-der-Maus-Stil einfach (bzw. garnicht einfach) was man so alles falsch machen kann, wenn man es mit dem Kommunismus probiert. Wer es noch nicht kennt: Lesen!

Nun hatten wir ja gerade wieder einen Kongress in meiner Lieblingsstadt, diesmal sollte es ums Ganze gehen. Doch nie war die Rede von denen die schon einmal im Namen des Kommunismus probiert hatten das Ganze zu verändern: Den Revolutionären in Russland oder auch hier im Westen zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts (Nein, damit will ich mich jetzt nicht einreihen in die „Unser Thema war aber nicht dran!“-Jammerer, keine Sorge). Woran scheiterten die? Was kann man von ihren Fehlern lernen? Diesen Fragen nähert sich Adamczak wie auch schon im letzten Buch vor allem mit dem Versuch eine neue Sprache zu finden in der man das alles Ausdrücken kann. Und wieder ist das Ergebnis brilliant. Sie erzählt die Geschichte eines Scheiterns und sie erzählt sie von hinten und aus der Perspektive der Scheiternden. Vom Moment der endgültigen Niederlage her. Gemeint ist damit nicht 1989 sondern 1939 als Hitler und Stalin paktieren und Stalin nicht davor zurückschreckt vor den Nazis geflohene kommunistische Antifaschistinnen zurückzuschicken quasi als Präsent für den neuen Freund.

Eine Stelle fast den Sinn dieses Buches sehr schön zusammen:

„Deswegen ist dem Antikommunismus zuallererst vorzuwerfen, dass er die Verbrechen des Stalinismus verharmlost. Nicht weil in den Gulags neben den Menschen auch noch eine Idee gemordet worden wäre – was für ein zynischer Einfall -, sondern weil erst der Kommunismus das historisch einklagbare Anrecht in die Welt gezwungen hat, keine Entmündigung hinnehmen, nicht eine einzige Erniedrigung mehr ertragen zu müssen. Seit dem ist noch das kleinste Unrecht größer und das größte schmerzt um ein Vielfaches mehr.“ (S.81)

An einer Stelle geht es auch um das, was wir die Keimformfrage nennen würden. Es ist das erste keimformskeptische Argument dass ich höre, dass mir zu einem gewissen Grad einleuchtet:

„Das Scheitern der vergangenen Kämpfe um die Zukunft hat Effekte nicht nur auf die Gegenwart, sondern auch auf das Verhältnis der Zeiten zueinander. Heute kann die Zukunft nicht mehr gefunden werden in den Momenten der Gegenwart, die über diese hinausweisen – es gibt keinen Kommunismus in Latenz, keine neue Gesellschaft, die in der alten schon schläft -, sondern muss zuvor aus den Momenten der Vergangenheit gelöst werden, in denen sie stecken geblieben ist. Abgerissene Linien.“ (S.106f)

Da ist was dran. Dennoch würde ich den Fall etwas komplizierter sehen. Die Momente der Gegenwart sind nichts ohne den Bezug auf die Vergangenheit aber umgekehrt ist auch das Verstehen der Vergangenheit überhaupt erst möglich wenn wir im hier und heute zumindestens eine leise Ahnung davon haben, was denn der Kommunismus überhaupt sein könnte und dafür sind Keimformen unverzichtbar. Bini Adamszaks Buch ist selbst das Beste Beispiel dafür.

Und schliesslich noch ein längeres Zitat das man wirklich als den ultimativen Kommentar auf das letzte Wochenende verstehen kann, als hätte sie es geahnt in ihrem Zeitenwirbeln:

„Zurück zu Marx! Diese Bewegung ist in doppelter Weise mit der Geschichte des Marxismus, des Marxismus-Leninismus, des Stalinismus verschränkt. Sie ist die Figur einer immanenten Kritik, die der staatssozialistischen Herrschaft die Deutungshoheit über den Begriff des Kommunismus streitig macht und ihren Marxschen Legitimationsgrund entzieht und ist darin gleichzeitig die Figur einer reinen Kritik, die an der Wieder-Erlangung einer unschuldigen Position arbeitet, welche die Konfrontation mit den Opfern des Kommunismus aus ihrem eigenen Aufgabenbereich und reflexiven Selbstverhältnis bannen kann. Darin gleicht sie einer in die gleiche Zeit fallenden, nicht selten als zur ersten Figur gegnerisch konzipierten Bewegung, die sich als Versuch versteht, die Frage zu klären, warum sich trotz der objektiven Bedingung der Produktivkraftentwicklung, welche eine kommunistische Vergesellschaftung ermöglicht, der Kapitalismus weiter zu reproduzieren vermag. Ihre Antwort, die Autonomie des Ideologischen, ist dabei explizit als Kritik des im östlichen oder traditionellen Marxismus verorteten teleologischen und ökonomistischen Determinismus konzipiert und funktioniert zugleich als Verschiebung, insofern sie die beunruhigende Frage verdeckt, ob die mangelnde Revolutionsbereitschaft der Massen nicht eher historische als ideologische Gründe hat (vgl. Herfurth 14f, 26). Als handele es sich – nach den Revolutionen des 20. Jahrhunderts! – bei der Skepsis gegenüber allen kommunistischen Versprechungen lediglich um falsches Bewusstsein und nicht vielmehr um richtiges.“

Also nochmal. Auch dieses neue Buch, dass da heisst „Gestern Morgen – über die Einsamkeit kommunistischer Gespenster und die Rekonstruktion der Zukunft„: Lesen!

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