Urkommunismus konkret
Fundstück: Ein interessanter Artikel über das jungsteinzeitiche Matriarchat in Anatolien mit vielen archäologischen Details und wenig Spekulation, wenn auch aus kommunistischer Perspektive geschrieben.
Fundstück: Ein interessanter Artikel über das jungsteinzeitiche Matriarchat in Anatolien mit vielen archäologischen Details und wenig Spekulation, wenn auch aus kommunistischer Perspektive geschrieben.
Das ist interessant an ArcheologInnen, dass die oft graben um ein verlorenes goldenes Zeitalter zu finden. Das galt schon fuer die deutschen Archeologen des Kaiserreichs, auch wenn diese sicherlich andere Vorstellungen vom verlorenen Paradies hatten. Hier wird also im Stil der 1970er und 1980er Jahre der Spiess umgedreht und der neolithische Kommunismus ausgegraben.
Nun ist das Interessante and Archeologie dass es sehr viel mit Lesen von bruchstueckhaften und ueberlagerten Zeichen zu tun hat. Aus einem verwischten Grundriss, einer Grabbeigabe wird das taegliche Leben rekonstruiert. Das macht Spass, nicht zuletzt weil man mit viel Fantasie das Zerstueckelte wieder ganz machen kann und das Tote wieder lebendig. Die Relikte sind die Fakten und die Schlussfolgerungen ueber deren Kontext sind Fiktion – und nicht mehr. Fiktion ist gut. Ich mag Fiktion, und die ideologisch gezogene Grenze zwischen Fakt und Fiktion zu zerschlagen ist eine der vornehmsten Aufgaben zeitgenoessischer Kritik. Aber nicht, indem man, wie hier, schlichtweg ideologisch die Fiktion zum Faktischen erklaert.
Du siehst, Benni, ich bin so durchsaeuert mit Misstrauen, dass ich den Text zu dem du linkst, nur noch als schlecht geschriebene Literatur lesen kann. Keine Mehrdeutigkeiten, Deutungs- und Spielraeume fuer die LeserInnen – und das ausgerechnet bei einem Thema, das von Freiheit handelt und auf derart fluechtiger Grundlage ruht! Da lese ich lieber nochmal Ursula K. Le Guins Planet der Habenichtse (The Dispossessed: An Ambiguous Utopia), das ist ein bessere Literatur, und soweit ich mich erinnere viel „wahrer“.
Ist schon lustig. Ich poste so einen Link u.a. um die Hardcore-Marxisten ein bisschen zum Nachdenken zu bewegen und dann kommt von Dir so ein Hardcore-Postmoderner Kommentar. Kontext ist halt alles (um jetzt mal postmodern noch einen draufzusatteln).
Ganz ohne Archäologie und Geschichte wird man wohl aber mit der Keimformfrage kaum vorankommen. Die grundsätzliche Verdammung jeder Form von Blick in die Vergangenheit hilft da nicht weiter auch wenn es absolut notwendig ist, sich der Deformationen dieses Blicks ständig bewusst zu sein und nicht zu glauben, es gäbe historische Wahrheit unabhängig von diesem Blick. (Übrigens lese ich gerade in Sabines Buch die Kapitel wo sie genau diese schwierigen Fragen anhand von Focault und Gadamer diskutiert. Lesenswert!)
Warum interessiert mich diese Art von „Fiktion“? Vielleicht vor allem weil der Text eine Brücke schlägt zwischen Matriarchatsforschung und Marxismus, was ich für eine wichtige Brücke halte, auch wenn die sicherlich etwas 80er-mässig daherkommt.
Auf Deinen Bericht über die Neulektüre von „Planet der Habenichtse“ im Lichte der Keimformfrage freue ich mich schon 😉
Zumindest ist etwas „Gegen-Information“ gegen die ansonsten gängigen Interpretationen historischer Forschungen schon mal gut. Wir hatten das mal durchdekliniert (siehe http://www.thur.de/philo/frauen.htm), waren dann aber auch drauf gekommen, dass die MatriarchalistInnen i.a. auch zu übereuphorisch sind.
Ahoi Annette
He, nach so langer Zeit noch ein Kommentar 🙂
Klar, die Matriarchatsforscherinnen sind schon ein klein wenig durchgeknallt, aber trotzdem liegt in all dem eine wichtige Erkenntnis für uns: Die Reproduktion ist genauso zentral für Gesellschaft und ihre Organisation, wie die Produktion (oder vielleicht sogar zentraler?). Das klingt harmlos, aber ich glaube es hängt verdammt viel dran.