Klimagerechtigkeit wird nicht in den Parlamenten gemacht – Warum Camp-Klos putzen mehr verändern kann als Wahlkampf
Für den Debattenblog der iL (interventionistische Linke) haben Indigo und ich einen Text geschrieben, in dem wir gegen die Parlamentarisierung der Klimabewegung und für grundlegende gesellschaftliche Veränderung von unten argumentieren:
Bäume sind gefallen im Dannenröder Wald. Sie fallen noch immer. Sie hinterlassen eine Schneise und bei vielen eine tiefe Ratlosigkeit, fast so leer wie der karge, zerwühlte Waldboden. Manche sind tief enttäuscht von den Grünen, die in Hessen regieren, manche hatten es nicht anders erwartet. Und immer wieder schleicht sich die Frage ins Bewusstsein: Wenn wir nicht einmal diesen Wald retten konnten, wie sollen wir dann die Klimakrise aufhalten? Wie sollen wir damit umgehen, dass wir Kipppunkten nicht mehr bloß gefährlich nah kommen, sondern sie bereits überschreiten? Dieser Zeitdruck und diese Ratlosigkeit waren bei vielen auch schon da, bevor der Danni geräumt wurde. Einige Klimaaktivist*innen reagierten darauf mit dem Entschluss, in die Parlamente zu gehen – über eben jene Partei, die in Hessen die Rodung des Dannenröder Waldes mit verantwortet. Auch jetzt halten sie daran fest, vielleicht weil sie glauben, dass sie die Grünen verändern können oder weil ja eigentlich die Bundesebene für den Bau der A49 verantwortlich ist – und dort wird dieses Jahr gewählt. Sollten wir also aus dem Danni die Lehre ziehen, dass wir andere, engagiertere, radikalere Politiker*innen brauchen?
Nein, aus dem Danni lässt sich eine Lehre ziehen, die viel tiefgehender ist: Klimagerechtigkeit wird nicht in den Parlamenten gemacht!
Staatliche Politik kann die Klimakrise nicht lösen
Die Beweggründe der Klimaaktivist*innen, die es nun in die Parlamente zieht, sind nur zu gut verständlich. Die Zeit läuft uns davon und die Parlamente sind in unserem politischen System als der Ort vorgesehen, an dem gesellschaftliche Entscheidungen getroffen werden. Dort, so denken sich vielleicht einige dieser Aktivist*innen, könnten wir endlich jene Politik umsetzen, für die wir auf die Straße gegangen sind.
Ähnlich muss es Aktivist*innen aus Friedens-, Anti-Atom-, feministischer und anderen sozialen Bewegungen gegangen sein, als sie in den 1980er Jahren die Partei Die Grünen gründeten. Vierzig Jahre später sieht die Bilanz im Vergleich zur anfänglichen Aufbruchsstimmung ernüchternd aus. Ehemalige Friedensaktivist*innen beschlossen angefangen beim Kosovo-Einsatz 1999 die ersten Kriegseinsätze Deutschlands nach 1945, ehemalige Sozialrevolutionär*innen trugen 2005 den Hartz-IV-Sozialabbau mit und auch der Atomausstieg im Jahr 2000 fiel eher mau aus und ermöglichte Stromkonzernen, ihre AKWs noch jahrelang weiter zu betreiben.
Es scheint also nicht viel dafür zu sprechen, dass genau diese Partei nun durch die Kandidatur einiger junger, radikaler Klimaaktivist*innen konsequente Klimapolitik machen wird. Andere Klimaaktivist*innen stehen den Grünen deshalb skeptisch gegenüber und gründen eigene Klimalisten, mit denen sie zu Wahlen antreten oder engagieren sich bei der Linkspartei. Doch wo die Linkspartei an der Macht ist, in einigen ostdeutschen Bundesländern, beschließt auch sie den Ausbau von Braunkohletagebauen. Und es ist zu befürchten, dass sich die neuen Klimalisten, wenn sie nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden oder sich auf Oppositionsarbeit beschränken wollen, irgendwann einen ähnlichen Weg gehen werden wie die Grünen.
Denn um zu verstehen, warum die Grünen diesen Weg gegangen sind, reicht es nicht auf Prinzipienlosigkeit, Opportunismus oder andere persönliche Eigenschaften von Grünen- Politiker*innen hinzuweisen. Dieser Weg (und vielleicht auch die opportunistische, prinzipienlose Charaktermaske) ist wohl allen vorbestimmt, die in unserem gesellschaftlichen System regieren wollen.
Angenommen es käme eine Regierung an die Macht, deren erste Priorität der Klimaschutz wäre. Eine Regierung, die eine hohe CO2-Steuer beschließen will, ein Verbot von Inlandsflügen, einen schnellen Kohleausstieg und die Abwicklung der Autoindustrie. Was würde passieren? Die Industrieproduktion würde durch die CO2-Steuer deutlich teurer werden. So weit so gut. Allerdings würden dann Unternehmen, denen dies möglich ist, ins Ausland abwandern, wo es keine oder eine geringere CO2-Steuer gibt. Da die Klimakrise ein globales Problem ist, wäre uns und dem Klima so nicht geholfen. So weit so schlecht. Die Beschäftigten im Flugverkehr, der Automobil- und anderen klimaschädlichen Industrien würden ihre Jobs verlieren. Selbst wenn es möglich wäre, all dies durch die Investition in umweltfreundlichere Sektoren aufzufangen – das Problem wäre damit nur verlagert: Wirtschaftliches Wachstum geht immer einher mit Ressourcenverbrauch (wie etwa 2019 die Studie »Decoupling Debunked« des European Environmental Bureau zeigte).
Wenn die Wirtschaft nicht wächst, dann werden nicht nur Aktionär*innen unzufrieden und Arbeiter*innen arbeitslos, sondern es brechen über Unternehmens- und Einkommenssteuern auch die Staatseinnahmen weg. Der Staat ist also auf eine laufende Kapitalverwertung angewiesen und geneigt, möglichst gute Ausgangsbedingungen für die Unternehmen zu schaffen. Regierungen gewichten also nicht nur wegen des Einflusses von Lobbyist*innen wirtschaftliche Interessen stärker als menschliche Bedürfnisse – wie das nach einem lebenswerten Planeten. Sondern sie tun dies einfach deshalb, weil die Kapitalverwertung den Staat, durch die von ihr generierten Steuereinnahmen, überhaupt erst handlungsfähig macht – völlig unabhängig davon, wer regiert. Alle Regierungen sind also geneigt, heimische Kapitalinteressen zu schützen, in Deutschland zum Beispiel die der Automobilindustrie. Die Karre läuft sozusagen auf Diesel, unabhängig davon, ob gerade Konservative, Neoliberale, Sozialdemokrat*innen oder Klimaaktivist*innen am Steuer sitzen.
Wenn sich Regierungen global zusammenschließen würden (wonach es derzeit eher nicht aussieht), könnten sie zwar den Unterbietungswettbewerb der Standortkonkurrenz (wer die niedrigsten Umweltstandards hat, zieht am meisten Unternehmen an) beenden, doch an diesem grundsätzlichen Zusammenhang würde es nichts ändern: Ohne steigenden Ressourcenverbrauch keine laufende Wirtschaft, ohne laufende Wirtschaft keine Steuereinnahmen, ohne Steuereinnahmen keine staatliche Handlungsfähigkeit. Es würde sich also höchstens die Geschwindigkeit ändern, mit der wir auf den Abgrund zu rasen.
Die gesellschaftlichen Verhältnisse werden von uns gemacht
»Toll«, könnten jetzt junge Grüne sagen. »Da habt ihr Recht, aber was hilft die Rechthaberei gegen die Ratlosigkeit? Lieber im Parlament der Klimakrise gegenüberstehen, als völlig machtlos.« Deswegen gilt es eine andere Frage zu stellen: Wenn die Macht nicht in den Parlamenten liegt, wo liegt sie dann? Wenn Klimagerechtigkeit nicht in Parlamenten gemacht wird, wo dann? Wenn die Grundmechanismen unserer Wirtschaftsweise so bestimmend sind, dass auch Regierungen ökologischen Erhalt selbst mit strenger Kontrolle und Autorität kaum gegen jene Grundmechanismen durchsetzen könnten, wer soll dann Veränderung bewirken?
Die Antwort ist einfach und kompliziert zu gleich: Wir. Wir sind es, die durch unser Handeln täglich eben jene Wirtschaftsweise produzieren. Indem wir arbeiten und einkaufen, indem wir gehorchen und uns fügen, indem wir studieren, Fahrkarten kaufen, Autos bauen, kellnern. Wir sind es, die diese gesellschaftlichen Verhältnisse schaffen, es gibt keine Kraft außerhalb der Gesellschaft, die sie lenkt. Weder die Regierung noch Bill Gates stellt unsere Lebensbedingungen her. Und keiner könnte diese Wirtschaftsweise erhalten, wenn wir alle aufhören würden, sie herzustellen.
Aber, und hier wird die Antwort deutlich komplizierter, wir tun es nicht auf eine bewusste Art und Weise. Wir entscheiden uns nicht für eben jene Handlung, weil wir sie gut finden. Und das noch Verzwicktere daran: Wir können uns nicht einfach gegen jene Handlung und für eine andere entscheiden. Denn wenn wir nicht arbeiten gehen, dann haben die meisten keinen Zugang zu dem, was sie brauchen. Wenn wir keine Fahrkarten kaufen, dann kommen wir ins Gefängnis. Wenn wir keine Autos bauen, und darauf bestehen, in einem »ökologischen« Unternehmen zu arbeiten, dann ist das Unternehmen höchstwahrscheinlich, sobald es erfolgreich ist, das heißt am Markt besteht und uns einen sicheren Lebensunterhalt bieten kann, nicht mehr ökologisch. Und auch indem wir dort arbeiten, tragen wir zur Kapitalakkumulation bei. Und stellen so eine Wirtschaftsweise her, die uns selbst und etliche weitere Lebensformen zerstört.
Darin, dass wir es sind, die diese Wirtschaftsweise herstellen, liegt die Hoffnung auf Veränderung. Darin, dass es innerhalb dieser Wirtschaftsweise so schwer ist, anders zu handeln und trotzdem unsere Grundbedürfnisse zu befriedigen, liegt eine betäubende Ohnmacht. Und vielleicht ist es eben diese Ohnmacht, die dazu führt, dass wir annehmen, es wäre realistischer, in die Parlamente zu gehen und die Politik zu verändern, anstatt auf die Straße, in die Schulen, in die Küchen, in die Büros, in die Fabriken zu gehen und die Wirtschaft zu verändern. Doch ein Fehler, den man macht, wenn man der Ohnmacht erliegt, ist anzunehmen, dass diese Wirtschaftsweise stabil ist. Dass sie immer genauso weiter gehen wird, und durch schrittweise politische Veränderung kontinuierlich besser werden kann.
Geschichte verläuft nicht linear, sondern bruchhaft
Diese Vorstellung von Dauerhaftigkeit war seit je her fern der kapitalistischen Realität, die immer krisenhaft und bruchhaft war. Und gerade in Anbetracht der Klimakrise entfernt sie sich immer mehr von dem, was gerade wir als Klimabewegung immer wieder einfordern, anzuerkennen: Die Belastungsgrenzen unseres Planeten machen ein »weiter so« unmöglich. Das Erreichen von Kipppunkten wird zu vorhersehbaren und unvorhersehbaren Veränderungen führen. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass in einer Welt, die sich um mehr als 1,5 Grad erhitzt hat, Wirtschaftssysteme und politische Strukturen stabil bleiben.
Auch wenn es also für die meisten Menschen gerade die naheliegendste Art ist, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, ihre Lebenszeit für Lohn zu verkaufen, muss es morgen nicht mehr so sein. Es könnte sein, dass eine kommende Wirtschaftskrise diese Möglichkeit einschränkt oder zerstört. Dass also bestimmte Arbeit nicht mehr gebraucht wird, oder das Finanzsystem soweit zusammenbricht, dass das verdiente Geld nichts mehr wert ist und nicht ausreicht, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen. So weit entfernt sind wir davon nicht – wenn man sich die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise anschaut.
Oder es könnte passieren, dass die wachsende Unzufriedenheit über sinnlos verbrachte Lebenszeit und die wachsende Unsicherheit in Bezug auf eine Zukunft in der ökologischen Krise, sich plötzlich durch ein Ereignis, das wir nicht vorhersehen können, entlädt. Und sich so eine Vielzahl von Menschen kollektiv aus einer Art des Handelns befreit, die nicht mehr als angemessen erscheint. Für viele mag die Möglichkeit, dass in nächster Zeit ein solcher Bruch bevorstehen mag, unrealistisch klingen. Aber auch die großen Brüche des letzten Jahrhunderts wurden selten vorhergesagt. Revolutionen wurden nicht nur von Machthabenden, sondern auch von Revolutionär*innen nicht kommen gesehen. Erich Honecker prophezeit am 19. Januar 1989, dass die Mauer »in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen« wird. Und Lenin sagte einen Monat vor der Oktoberrevolution: »Wir, die Alten, werden die entscheidenden Kämpfe dieser kommenden Revolution nicht erleben.«
»Ihr wollt also, dass wir lieber rumsitzen und auf die nächste Krise warten? Uns zurücklehnen und darauf vertrauen, wir würden auf der richtigen Seite der Geschichte stehen?«, könnte man hier einwerfen. Und es ist wahr: Die Klimakrise duldet keinen Aufschub, kein Warten. Die Zerstörung unserer Lebensgrundlage hat eine gemütliche Zuversicht auf eine bessere Zukunft zerstört. Uns geht es nicht um ein Warten auf Erlösung, sondern darum, ins Bewusstsein zu rufen, dass bruchhafte Entwicklungen Teil der Geschichte unserer Gesellschaft sind und mit aller Wahrscheinlichkeit erst recht Teil unserer Zukunft sein werden. Und es ist auch wahr, dass es keinerlei Gewissheit gibt, dass weder wir noch irgendwer anders auf der richtigen Seite der Geschichte steht. Was in diesen Brüchen passiert, ob aus ihnen freiere und ökologischere gesellschaftliche Zusammenhänge wachsen, oder autoritäre; oder ob Konkurrenz, Tausch, Ausbeutung und ökologische Zerstörung reformiert und in die xte Runde geschickt werden, das ist ungewiss. Und es liegt in unserer Hand. Denn auch, wenn die alte Form, gesellschaftliche Beziehungen herzustellen, also Bedürfnisse zu befriedigen, indem ich meine Lebenszeit für Lohn verkaufe, nicht mehr gut funktioniert, oder nicht mehr richtig erscheint, kann sie nur dann ersetzt werden, wenn es eine neue Form gibt. Und die gilt es aufzubauen.
Damit haben wir längst begonnen, in kleinen Zügen, innerhalb unserer Kämpfe. Im Dannenröder Wald bauten Menschen Baumhäuser und organisieren sich auf Augenhöhe. Bei Klimacamps kochen Menschen für Tausende, bauen und putzen Kompostklos – nicht, weil sie dafür Lohn bekommen, sondern weil es ihnen wichtig ist. Die hergestellten Mahlzeiten und Infrastrukturen werden frei gegeben – ohne Tauschlogik. Das was dafür gebraucht wird, wird solidarisch zusammengeschmissen. Am Global Strike von Fridays for Future waren tausende beteiligt, Menschen die sich zum Teil gar nicht kannten, haben ihn gemeinsam und auf Basis von Freiwilligkeit organisiert.
Was dabei entsteht, ist unglaublich machtvoll. Wir haben es erlebt, wenn wir aus der Gefangenensammelstelle entlassen wurden und von Menschen, die dort die ganze Nacht ausharrten, mit Umarmungen und heißem Tee empfangen wurden. Wenn wir eingehakt mit vielen anderen auf einer Sitzblockade saßen. Wenn wir in der Campküche geholfen oder als Shit-Brigade übers Camp gezogen sind und Klos geputzt haben. Das ist, wie es die queerkommunistische Theoretikerin Bini Adamczak nennt, die Beziehungsweise der Solidarität, oder die des Commoning, wie es in der Commons-Theorie heißt.
Dies ist die Keimform, die wir in unseren Kämpfen aufbauen und die sich im Moment des Bruchs durch wilde Besetzungen und Enteignungen gesellschaftlich verallgemeinern und die Tausch- und Warenbeziehungen ablösen kann, welche zum Wachstumszwang führen. Eine solche gesellschaftliche Verallgemeinerung würde bedeuten, dass nicht mehr für den Tauschwert, für den Verkauf auf dem Markt produziert wird, sondern für menschliche Bedürfnisse, was das Bedürfnis nach einer intakten ökologischen Lebensgrundlage mit einschließt. Wir könnten gemeinsam entscheiden, was wir für ein gutes Leben brauchen, anstatt dem über die Konkurrenz auf dem Markt vermittelten Selbstzweck der Kapitalverwertung hinterherzurennen. Wir könnten motiviert das tun, was uns wirklich wichtig ist, anstatt unsere Lebenszeit für Lohn zu verkaufen und einen Haufen Zeug herzustellen, der unsere Lebensgrundlage zerstört.
Perspektiven gegen Ohnmacht und Parlamentarismus
Doch dafür wird es nicht reichen, Praktiken des Commoning und der Solidarität nur innerhalb der Klimabewegung zu leben. Solidarische Beziehungsweisen auszuweiten könnte so zuerst bedeuten, sich mit anderen Bewegungen zusammenzutun. Mit feministischen und antirassistischen Bewegungen, die in den letzten Jahren neuen Aufschwung erlebt haben, in Argentinien, im Iran, in Polen und der USA. Mit Bewegungen in Rojava oder in Chiapas, die schon viel weiter beim Aufbau von Alternativen sind als wir. Und auch mit Arbeitskämpfen hierzulande und weltweit, gegen krankmachende Arbeitsbedingungen und Prekarisierung, für einen ökologischen Umbau der Produktion.
Solche Verbindungen geben uns nicht nur die Gelegenheit, Solidarität auszuweiten und machen uns in Momenten des Bruchs handlungsfähiger, sondern stärken unsere Position auch im hier und jetzt. Durch gemeinsame Streiks von Beschäftigten und Schüler*innen ließe sich mehr Druck aufbauen, um konkrete Maßnahmen der Emissionsreduktion, die auch innerhalb des Systems möglich sind, umzusetzen. Denn nur weil der Handlungsspielraum von Regierungen durch die kapitalistische Verwertungslogik begrenzt ist, heißt das nicht, dass wir diesen Handlungsspielraum nicht nutzen sollten.
Denn zu betonen, dass ein gesamtgesellschaftlicher Bruch notwendig ist, schließt nicht aus, für Reformen zu streiten. Einerseits, weil an jedem Zehntelgrad Klimaerwärmung Menschenleben hängen, andererseits, weil Bewegungen real immer für Reformen kämpfen – wobei sie dabei gleichzeitig auch Keimformen einer neuen Gesellschaftsform und Handlungsmacht aufbauen, mit denen sie in Momenten des gesellschaftlichen Bruchs wirklich handlungsfähig werden können. Dafür aber ist es entscheidend, dass sie sich außerhalb der Parlamente konstituieren – damit sich die Logik von Konkurrenz und Herrschaft und die Form der Partei nicht in die Bewegungen einschreibt.
Diese Logik wird sich nicht durch einzelne Aktivist*innen, die in die Parlamente gehen, in die Klimabewegung einschreiben, und es geht nicht darum, diese Aktivist*innen dafür zu verurteilen. Bestimmt gibt es auch Wege, wie Aktivist*innen in Parlamenten, die zugleich in solidarische Strukturen eingebunden sind, Bewegungen unterstützen können. Was es zu verhindern gilt, ist vielmehr, dass sich ein großer Teil der Bewegung parlamentarisiert, sich also vor allem darauf konzentriert, einer Partei mehr Einfluss zu verschaffen und es so wirkt, als wäre die Klimabewegung nur ihr verlängerter außerparlamentarischer Arm. Denn dies würde die Anliegen der Klimabewegung in vermeintlich realpolitische »Lösungen«, die sich innerhalb der Spielregeln des Bestehenden bewegen, kanalisieren. Bei der Klimakrise aber gibt es solche realpolitischen Lösungen nicht: Sie lässt sich realpolitisch höchstens verlangsamen, nicht aber lösen.
Weil außerparlamentarische Bewegungen nicht gezwungen sind, Realpolitik zu machen, können sie viel besser dazu beitragen, dass der Ist-Zustand als so katastrophal wahrgenommen wird, wie er ist. Auch mit ihren ungehorsamen Aktionsformen wie Besetzungen und Streiks können sie dies viel besser vermitteln als Parlamentarier*innen mit bloßen Reden. Dies könnte dazu führen, dass Brüche früher eintreten, Ereignisse als krisenhaft wahrgenommen werden und als Auslöser für eine grundlegende Veränderung wirken.
Wir sind also nicht ohnmächtig, weil wir in diesem Moment nicht die Veränderung bewirken, von der wir wissen, dass es sie braucht. Wenn wir so bewerten, was wir tun, dann ist es nicht verwunderlich, nach einer Position zu streben, die erst einmal machtvoller erscheint: Eine Position im Bundestag. Stattdessen ist das, was wir tun, vielleicht viel machtvoller. Denn wir bereiten eine viel grundlegendere Veränderung vor, als Parlamente sie je beschließen könnten. Was wir in unseren Bewegungen schaffen, reift heran, um im richtigen Moment alles umzustrukturieren.
„Dafür aber ist es entscheidend, dass sie sich außerhalb der Parlamente
konstituieren – damit sich die Logik von Konkurrenz und Herrschaft und
die Form der Partei nicht in die Bewegungen einschreibt.“
Ist die
Form des Aktivismus nicht auch einfach nur eine andere Form in dieser
Gesellschaft mit anderen Problemen? Also ich hab in Bewegungen schon mindestens soviel Shitshow erlebt wie in Parteien. Klar, Parteien haben viele Nachteile
(neben einigen Vorteilen), das Aktivist_innenleben im Wald aber auch. Die Vorteile habt ihr genannt, die Nachteile aber nicht.
Oder auf den Punkt: Es gibt kein Außen – auch nicht im Danni.
Da wo es Erfolge gab in den letzten Jahrzehnten gab es eigentlich immer eine Zusammenarbeit von Parlament und Bewegung. Dazu gehört Offenheit auf beiden Seiten und realistisches Beurteilen der Vor- und Nachteile. Dieser Text hier trägt nicht so richtig dazu bei finde ich, weil er die eigene Seite als die Überlegene präsentiert.
Ja, ich frage mich auch, warum man nicht das eine tun kann, ohne das andere zu lassen. Was in Jena in den nächsten Jahren gebaut wird, entscheidet nach wie vor der Stadtrat in Jena. Die Leute bei den Protesten „auf der Straße“ sind es nicht, die sich um die Mittel für die verschiedensten Pläne der weiteren Gestaltung der Stadt kümmern. Es bleibt weiterhin notwendig, ihre Forderungen in die Pläne des Entwicklungsbeirats, die dann dem Stadtrat zur Abstimmung vorgelegt werden, hineinzubringen, daran „mitzuschreiben“ und das geht nur, wenn man „drin“ ist. Und Erfolge bei den Abstimmungen kann man nur haben, wenn man genug Leute drin sitzen hat, die entsprechend mitmachen. Bei den alten Kommunistinnen und Kommunisten war es gar kein Problem, sich an Wahlen und Parlamenten beteiligen zu wollen, es wurde eher auch als Bühne für Überzeugungsarbeit gesehen. Manchmal sollte man von denen auch lernen können. Und während ich so schreibe fällt mir auch ein: Das wenige Ansehen, dass die Leute von der DKP immerhin haben, haben sie aus ihrer engagierten Arbeit in den Kommunalparlamenten.
Nur kurz: euer Text gibt mir und meiner persönlichen/politischen Umgebung Impulse nachzudenken, zu diskutieren und auch zu streiten. Danke.