Kritik an Christian Siefkes „Produktivkraft als Versprechen“ – Teil III
Der Kapitalismus muß akkumulieren, da er anderweitig in der Krise steckt. Jeder Gleichgewichtszustand ist ein Krisenzustand, der in der dynamischen Wirtschaft nur zum Zusammenbruch oder zu neuem Aufstieg führen kann. Jede Gleichgewichtslage widerspricht damit der kapitalistischen Wirklichkeit und kann sich nie auf diese selbst beziehen, sondern höchstens auf eine methodische Annahme, um besondere Eigenarten des dynamischen Wirtschaftsablaufs herauszuschälen. (Paul Mattick)[1]
Wirtschaftswachstum und kapitalistischer Luxuskonsum
Siefkes untersucht, ob das von ihm festgestellte gegenseitige Aufschaukeln der beiden Abteilungen realistisch sei, wenn er den Kapitalist*innen-Konsum absolut konstant hält: „Im beschriebenen Szenario, in dem nur Pm und ALm[2] wachsen können, kommt es zu einem Patt“ (Siefkes (2016): 6). Der Prozess komme von selber ins Stocken. Mit antizipierter Überproduktion erklärt Siefkes, „was wir heute beobachten: Große Mengen ungebundenes Kapital sind global auf der verzweifelten Suche nach aussichtsreichen Investitionsmöglichkeiten, die sich aber kaum finden“ (ebd.: 6). Anders formuliert: Unterkonsumtion/Überproduktion führen zu Überakkumulation.
Um Abhilfe zu schaffen, greift Siefkes doch auf Marx‘ Modell zurück. Dort wird eine Hälfte des Mehrwerts konsumiert und die andere investiert. Die Wirtschaft wächst langsamer als im ‚Modell Siefkes‘. Während bei fest- (und auf Dauer klein) bleibendem Kapitalistenkonsum – ‚Modell Siefkes‘ – der Output in fünf Jahren mehr als 100% zulegt, steigt er im ‚Modell Marx‘ nur um 80%. Die Neuinvestitionen sind à la longue niedriger, weil von den Kapitalist*innen mehr Mehrwert konsumiert wird. Bei proportionalem Kapitalist*innen-Konsum – sagt Siefkes – sei dieser KK der Wachstumstreiber. Das Wachstum durch KK ziehe Wachstum in den anderen Bereichen nach sich. Die Aussage kann nicht belegt werden. Alle drei ‚Branchen‘ wachsen tatsächlich um 80%, alle drei benötigen zusätzliche Arbeiter*innen, alle drei brauchen zusätzliche Produktionsmittel. Es bleibt unklar, warum Siefkes die Luxusgüterbranche so auszeichnet: „Grundsätzlich haben die Kapitalist*innen es in der Hand (…). Steigern sie ihren Privatkonsum, dann führt das einerseits zu zusätzlicher Nachfrage nach investierbarem Kapital und andererseits zu einem reduzierten Angebot an ebendiesem“ (Siefkes (2016): 7). Das ist nicht nachvollziehbar.
Im Fall, dass nicht akkumuliert und der Mehrwert von den Kapitalist*innen komplett konsumiert wird[3], gibt es logischerweise kein Anlage suchendes Kapital. „Lange vor Erreichen dieses Extrems dürfte ein Gleichgewichtspunkt erreicht sein, wo das Wachstum des kapitalistischen Privatkonsums und des neu akkumulierten Kapitals im richtigen Verhältnis zueinandersteht, um (theoretisch) dafür zu sorgen, dass das Kapital Erfolg versprechende Anlagemöglichkeiten findet“ (ebd.: 7). Meint Siefkes mit Marx, dass der ‚Gleichgewichtspunkt‘ durch eine Krise eintritt, „um das richtige Verhältnis zwischen notwendiger und Surplusarbeit, worauf alles in letzter Instanz beruht, wiederherzustellen“ (MEW 42: 360)? Die interessante Frage bleibt offen.
Siefkes hält es für realistisch, dass zu zögerliches Konsumverhalten der Kapitalist*innen wesentliches auslösendes Element der Krise seit 2008 darstellt. Dafür bezieht er sich auf die im Maschinenfragment angesprochenen unterschiedlichen Entwicklungen von Wert- und Gebrauchswertproduktion: Produktivkraftsteigerungen führen nach Siefkes zu einer quantitativen oder qualitativen Steigerung der produzierten Gebrauchswerte, auch wenn die in diesen gebundene Wertmasse gleich bleibt oder gar fällt. Es stellt sich die Frage, ob nicht ein grundsätzliches Missverständnis vorliegt. Wenn immer weniger Wert herauskommt und dafür immer mehr Stoffe verbraucht werden müssen, um trotzdem Steigerungen auf der Wertebene zu realisieren, so gerät die Welt in einen hohen Entropiezustand[4]. Denn eines ist klar: Stoffe sind begrenzt, Wert strebt gegen unendlich.
Fazit
Siefkes Kritik an der Sichtweise, „dass sich der Kapitalismus aufgrund seiner fortschreitenden Produktivkraftentwicklung selbst die Grundlage entzieht“ (Siefkes (2016): 1), überzeugt nicht. Es überzeugt auch nicht, Probleme der Wertverwertung durch erhöhte Produktivkraftentwicklung aus den Grundrissen gegen die erweiterte Reproduktion aus des zweiten Kapitalbandes ausspielen zu wollen.
Bezüglich des Schemas der erweiterten Reproduktion weist Siefkes nach, dass es ins Stocken gerät, weil das Kapital keine Anlagemöglichkeit findet und dadurch zu fiktivem Kapital wird, das sich auf Spekulation einlassen muss, eine Überakkumulationskrise.
Siefkes sieht eine Unterkonsumtionskrise im Luxussegment als Auslöser. Diese könne in einem ‚Gleichgewichtspunkt‘ behoben werden. Die Kapitalist*innen könnten – so klingt es – durch Konsumerhöhung den Kapitalismus retten. Was dieses rettende Gleichgewicht[5] bestimmen soll, bleibt unklar. Zu Beginn des Teils III steht im Zitat von Mattick: „Jede Gleichgewichtslage widerspricht damit der kapitalistischen Wirklichkeit.“ Das ist das Gegenteil eines Gleichgewichtspunktes zwischen Akkumulation und Konsumtion.
Für Siefkes bedeutet Produktivkraftentwicklung, dass Menge und Qualität von Gebrauchswerten schneller wachsen als die produzierte Wertmenge. Diese Vorstellung steht im Kontrast zur kapitalistischen Entwicklungsdynamik (siehe Entropie). Ein rationales, an den Bedürfnissen der Menschen ansetzendes Vorgehen setzt die andere Gesellschaft voraus. Die in der „Menge und Qualität der Gebrauchswerte“ (Siefkes) liegende ökologische Dimension diskutiert er nicht.
Ein Hauptaspekt scheint es zu sein, sich von Zusammenbruchstheorien abzusetzen. Das ist in gewisser Weise verständlich. Dass es demnächst zur finalen Krise kommt, wird niemand annehmen. Das, was in der Vergangenheit von marxistischen Denkern als finale Krise angesehen wurde, hat sich noch jedes Mal selbst dementiert. Ergo: Den Kapitalismus gibt es auf ewig? – Sicher nicht. Zu Recht weist Siefkes am Ende seines Artikels darauf hin, dass der Weg in die postkapitalistische Gesellschaft kein Selbstläufer ist. Zu dem Beschreiten des Weges dorthin – dazu rät Siefkes – müssen die Krisen im Blick bleiben, weil die Krisenverarbeitung völlig andere Formen annehmen kann, als wir uns wünschen.
[Zurück zu Teil 2]
[Zurück zu Teil 1]
Anmerkungen
[1] Mattick, Paul (1974): Krisen und Krisentheorien. In: Mattick/Deutschmann/Brandes (1974): Krisen und Krisentheorien. Frankfurt a. M. : Fischer-TB, S. 116.
[2] Pm und ALm = Produktionsmittel und Arbeiter*innen-Lebensmittel.
[3] Das ist der Fall der einfachen Reproduktion, der stationären Wirtschaft.
[4] Schütze, Christian (1989): Das Grundgesetz vom Niedergang. Arbeit ruiniert die Welt. München/Wien: Hanser.
[5] Marx zum Gleichgewicht: »Die Tatsache, daß die Warenproduktion die allgemeine Form der kapitalistischen Produktion ist, (…) erzeugt gewisse, dieser Produktionsweise eigentümliche Bedingungen (…) des normalen Verlaufs der Reproduktion, (…) die in ebenso viele Bedingungen des anormalen Verlaufs, Möglichkeiten der Krisen umschlagen, da das Gleichgewicht — bei der naturwüchsigen Gestaltung dieser Produktion — selbst ein Zufall ist.« (MEW 24: 490).
Dabei wurde das doch auch in dieser Zusammenfassung des Artikels schon gesagt: Weil es ohne diese Branche zu einer Überakkumulationskrise kommt – nicht alles Kapital, das verwertet werden soll, findet auch lukrative Anlagemöglichkeiten. Die Kapitalist:innen können nicht NUR akkumulieren, sie müssen (kollektiv betrachtet) auch konsumieren, und zwar über das Lebensnotwendige hinaus, sonst kriegen sie ein Problem.
Ich glaube ja auch nicht, dass der Kapitalismus sich derzeit – oder überhaupt oft – im Gleichgewicht befindet. Gleichgewicht ist eine Möglichkeit, aber im Kapitalismus eher die Ausnahme als die Regel. Allerdings sehe ich an dieser Stelle schon ein regulierendes Moment, das Richtung Gleichgewicht zielt, nämlich dass Menschen ein Verhalten, das erfahrungsgemäß nichts bringt, vielleicht früher oder später einstellen werden. (Eine Garantie dafür gibt es nicht, Menschen können bekanntlich sehr irrational sein.) In diesem Fall heißt das, dass wenn die Kapitalist:innen merken, dass es mit der Akkumulation aufgrund der Überakkumulationskrise nicht mehr so richtig läuft – dass sie im Schnitt nach ein paar Jahren weniger Geld zurückerhalten als sie zuvor investiert hatten –, sie dann eben ihr Verhalten ändern und sich sagen: „Na wenn ich meine Millionen nicht mehr vermehren kann, kaufe ich mir lieber noch ein paar Jachten dafür, bevor sie ganz weg sind!“
Jede Kapitalist:in, die so ihr Verhalten ändert und mindestens einen Teil ihres potenziellen Kapitals stattdessen in den Luxuskonsum steckt, leistet einen kleinen Beitrag zur Lösung der Überakkumulationskrise. Wenn das genug machen, kann es reichen.
@ Christian Siefkes
Du schreibst, ohne den Konsum der Kapitalist*innen komme es zur Überakkumulationskrise, weil nicht der gesamte Mehrwert in den nächsten Zyklus der Reproduktion einfließen kann. Nicht alles Kapital, das so verwertet werden soll, kann lukrativ angelegt werden.
Dass Kapitalist*innen nur akkumulieren, ist nicht möglich. Dass sie nur konsumieren, ist dagegen möglich (Schema der einfachen Reproduktion). Dann liegt allerdings – wenn das Normalzustand wird und bleibt – kein Kapitalismus (auch kein Staatskapitalismus/-sozialismus) vor. Dadurch, dass sie akkumulieren, geben sie dem Ganzen einen „partizipativen“ Anstrich. „Schaut mal, die nehmen sich ja gar nicht alles, sondern die investieren, damit die Wirtschaft wächst, dank Trickle-Down-Effekt partizipieren wir alle“.
Wenn diese Legitimationsideologie durchbrochen wird – etwa durch sichtbar übermäßigen Luxuskonsum der „Reichen“ (= verkürzte, aber sehr verbreitete Kapitalismuskritik), so verliert der Kapitalismus an Legitimität, selbst wenn die Kapitalist*innen sich hinstellen und beteuern, dass sie durch ihren Luxuskonsum, den Konsum der anderen erst hervorrufen wollen.
In dem Moment, wo die Überakkumulation ins Krisenhafte übergeht (m.E. ist es eine permanente Krise), werden Produkte unter Wert verkauft, es werden Arbeiter*innen/Lohnabhängige entlassen, es reduziert sich der Anteil, der investiert werden kann, automatisch. Hier wird die Marxsche Darstellung der erweiterten Reproduktion aus dem 2. Band verlassen, denn für die wird ja ein kontinuierlicher ungestörter Fortgang angenommen, den es – wie wir gesehen haben – als Gleichgewicht nur ausnahmsweise gibt. Möglicherweise will ein Teil der Kapitalist*innen seine Kriegskasse gefüllt lassen, damit sie beim Wiederanziehen der Produktion in Vorteil schaffende Innovationen investieren können. Auf Veränderungen der Produktivität hat Marx – Rosa Luxemburg kritisiert das („Die Akkumulation des Kapitals“) – seine Darstellung der erweiterten Reproduktion im 2. Band nicht ausgelegt (siehe dazu auch das Rosdolsky-Zitat).
Es ist aber anzunehmen, dass mit dem Ziel, die Produktivkraft zu verbessern, investiert werden soll, um im anschließenden Konkurrenzkampf einen Vorteil zu erringen. Zu diesem Zeitpunkt scheiden auch Kapitalist*innen aus, die Kredite nicht bedienen können. Die Kredite haben Banken und andere Institutionen von Kapitalist*innen („große Mengen ungebundenen Kapitals“ schreibst du dazu), aber auch von Kleinanlegern eingesammelt. Ich nehme an, dass ein Großteil der Kredite nun abgeschrieben werden muss. Während das die Kleinanleger hart trifft, ist das für die Kapitalist*innen (ärgern tun sie sich trotzdem maßlos) keine Investition, sondern so etwas wie das dazu gehörende Risiko, denn im Gegensatz zu den pleite gegangenen Mitbewerbern können sie in den neuen Zyklus starten. Dabei hat sich die Wertzusammensetzung möglicherweise auch verändert.
Das wäre dann die dritte Abweichung vom Schema der erweiterten Reproduktion: (1) die Mehrwertmasse verkleinert sich durch den Verkauf der Waren unter Wert/ durch Nichtverkauf/ durch kostenträchtige Vernichtung, (2) die Produktivkraftentwicklung bleibt nicht fest, (3) das Verhältnis von toter zu lebendiger Arbeit, die Wertzusammensetzung c/v, erhöht sich. Dies dritte Argument gilt wohl nur teilweise. Du hattest in deinem Kommentar zu Teil I davon berichtet, dass die Wertzusammensetzung „sich schließlich auf einem bestimmten, keineswegs dramatisch hohem Niveau“ einpendelt. Frage: Ist das hier und jetzt bereits der Fall? (Vermutlich eher nicht, sondern das gilt erst, wenn tatsächlich massiv Arbeit durch disruptive Innovationen aus dem System entzogen wird wie in den Szenarien von Frey/Osborne).
Aus all dem wird deutlich, dass ich nicht meine, dass es genug Kapitalist*innen gibt, die statt sich mit den aufgezählten Problemen mit einer Erweiterung ihres Konsums beschäftigen. Du schreibst ja, dass wenn es genug wären, so könnten sie im eigenen Interesse der Überakkumulationskrise begegnen. Davor steht als erstes die Legitimationsideologie und dann alles, was aus Kreditnahme und Abschreibungen folgt. Simpel gesagt, wird kein*e Kapitalist*in, die dir erzählt, dass das Ergebnis der letzten 2 – 5 Jahre weg sei (das war 2008 so), als nächstes in der Yachtwerft anrufen.
@Wilfried:
Ein interessanter Punkt, aber das wäre ja dann schon die nächste „Drehung“ nach meinem Argument: Die Kapitalist:innen können den Wertverwertungsproblemen zwar durch mehr Luxuskonsum begegnen, aber dadurch untergraben sie dann unfreiwillig die Akzeptanz des Kapitalismus, bis die Massen, angewidert durch so viel demonstrativ zur Schau gestellte Opulenz (bei ihrem gleichzeitig immer größer werdenden Elend), aufstehen und das System wegfegen. Ob es so kommen wird? Ich weiß nicht – die immer extremer werdende Ungleichverteilung des Reichtums ist ja in Oxfam-Berichten o.ä. schon sehr gut dokumentiert, und bislang hat das die Massen nicht wirklich auf die Barrikaden gebracht. (Okay, eine Weile lang gab es die Occupy-Bewegung, aber die ist auch schon wieder Geschichte.) Ich habe nicht dass Gefühl, dass es dafür eine entscheidende Rolle spielt, ob die Reichen ihren Reichtum primär in Aktien oder primär in Villen stecken.
Ansonsten muss eine Überakkumulationskrise ja nicht zwingend dazu führen,
„dass ein Großteil der Kredite nun abgeschrieben werden muss“ – das ist nur dann der Fall, wenn die Kapitalist:innen bereits investiert haben im Glauben, dass die Investition sich lohnt, sich dabei aber verrechnet haben. Das kommt natürlich regelmäßig vor, aber sie sind ja nicht blöd und werden prinzipiell vorher abzuschätzen versuchen, ob die Sache aufgehen dürfte. Eine allgemeine Überakkumulationskrise hätte deshalb den Effekt, das immer mehr potenzielles Kapital erst gar nicht investiert wird, weil seine Eigentümer:innen keine erfolgversprechenden Anlagemöglichkeiten finden. Dann wird es nicht vernichtet (außer dass die Inflation ein wenig an ihm knabbern könnte), aber eben auch nicht verwertet.
Es gibt tatsächlich Anzeichen dafür, dass das in größerem Stil der Fall ist – Apple und Google („Alphabet“) haben z.B. beide extrem hohe Bargeldreserven von jeweils über 100 Milliarden US-Dollar. Ebenso Berkshire Hathaway, die Beteiligungsgesellschaft von Warren Buffett. Das ist theoretisch Kapital, das praktisch aber nicht im Verwertungsprozess steckt, sondern stagniert. Die alle wissen also nicht, wie sie diesen Teil ihres Kapitals verwerten können, und lassen ihn lieber liegen, statt seine Vernichtung zu riskieren.
Apple kann nun nicht einfach Milliarden verplempern, um sich ein neues Hauptquartier zu bauen, das wie ein Ufo aussieht – oh wait, they did that already! Naja, Apple kann so eine Luxusinvestition tätigen, wenn es seinen Investor:innen begreiflich machen kann, das sich das schon irgendwie rechnen wird – offensichtlich haben sie’s geschluckt. Der private Mittelkapitalist, der nur ein paar Millionen auf der Hand hat, steht vor demselben Dilemma: steckt er sie in eine Investition, bei der er selbst damit rechnet, dass der zu erwartende Return-on-Investment negativ sein wird – oder kauft er sich doch lieber eine größere Villa und „legt“ seinen Reichtum so wenigstens auf eine sicht- und genießbare, wenn auch nicht produktive Weise „an“?
Mir hat ein Traditionsmarxist (ML) erklärt, dass die Kapitalist*innen – bevor Maschinen die mensch-liche Arbeit ersetzen und so den Mehrwert zu Fall bringen – schon dafür sorgen würden, dass wie-der mehr menschliche Arbeit in den Prozess eingespeist würde (Kapitalist*innen seien ja nicht so dumm, es sei in ihrem Interesse), dass sozusagen Produktivitätsschritte rückgängig gemacht wür-den. Wie das gehen soll, wurde in dem knappen Wortaustausch nicht angesprochen.
Kann es sein, dass der Vorschlag, mittels Ausdehnung des Kapitalist*innen-Konsums den Kapitalis-mus retten zu wollen, auf ähnlicher Ebene liegt?
Nach 2008 haben sich Kapitalist*innen empirisch jedenfalls nicht rettend verhalten (m.W. weder vorher noch nachher). In die Empirie, die Welt unmittelbarer Erfahrung, hat es der Ansatz noch nicht so ganz geschafft (oder?). Insofern ist ein Einpendeln zwischen Investition und Luxuskonsum („lange vor Erreichen dieses Extrems“ ergebe sich ein Gleichgewichtspunkt, „wo das Wachstum des kapitalistischen Privatkonsums und des neu akkumulierten Kapitals im richtigen Verhältnis zueinan-dersteht“ /Siefkes, Produktivkraft als Versprechen/) nicht gegeben.
Mit der Kategorie „Geld sammeln und zurückhalten“ ergibt sich scheinbar eine dritte Variante: Die Kapitalist*innen lassen offen, ob sie das Geld unproduktiv verjubeln oder ob sie es verwerten.
Was spricht dafür, dass das Geld unter dem Kopfkissen oder auf einem Tagesgeldkonto aufbe-wahrt wird? Vermutlich wird es stattdessen in Wertpapiere, Aktien, ETFs (heißt das so?) investiert (in das berühmte Portfolio) auch von „Mittelkapitalisten“. Bei dem Verwertungsversuch wird es in Teilen vernichtet. Am Ende einer ganzen Kette von Kreditformen sollte allerdings reale Arbeit ste-hen (auch wenn die in diesem Fall entwertet).
Wenn diese Nutzung des Mehrwerts (Aktien und Co.) viel von Luxuskonsum an sich hat – spekula-tiver Umgang, Spiel mit dem Risiko, Casino auf anderer Ebene -, so bleibt das trotzdem Investition.
Die dritte Variante („dritte Personengruppe“ in anderem Zusammenhang bei Marx) sind Kapita-list*innen, die sich wie Normalsparer*innen verhalten (die Anzahl tendiert gegen Null, gell?). Die Aussage „Die lassen diesen Teil ihres Kapitals lieber liegen, statt seine Vernichtung zu riskieren“ ist deshalb zu hinterfragen.
Eine Aussage darüber, wie groß prozentual der Kapitalist*innen-Konsum vs. akkumuliertes Kapital („Investition“) ist, existiert nicht. Die Aussage, es gebe „lange vor Erreichen dieses Extrems“ einen Gleichgewichtspunkt, „wo das Wachstum des kapitalistischen Privatkonsums und des neu akkumu-lierten Kapitals im richtigen Verhältnis zueinandersteht“ ist eher vage. Sie gilt vermutlich in jeder Situation neu und ist erst im Nachhinein zu bestimmen. Für eine nach vorne gerichtete Arbeit zur Rettung des Kapitals wäre das also nicht zu gebrauchen.
Zu Massen und Barrikaden: Ich hatte weder das eine noch das andere gemeint.
@Wilfried: Nein, der kapitalistische Luxuskonsum nimmt nicht deshalb zu, weil die Kapitalist:innen den Kapitalismus „retten“ wollen und diesem „höheren“ Ziel ihre eigenen Interessen unterordnen, sondern weil das für sie selbst zweckmäßiger wird, wenn andere Möglichkeiten (wie die Chance auf eine erfolgreiche Wertverwertung) zunehmend unplausibel und unsicher werden. Die persönlichen Umstände und Interessen, nicht irgendwelche abstrakten gesellschaftlichen Zielsetzungen, bestimmen das Verhalten auch der Kapitalist:innen.
Doch, insofern sicherlich, als der Markt für Luxusgüter überdurchschnittlich stark wächst – von 2005 bis 2015 z.B. um 72 %, d.h. 5,6 % pro Jahr. Auch die seit Jahren stark steigenden Immobilienpreise würde ich als Anzeichen in diese Richtung sehen – klar werden manche Immobilien auch als Renditeobjekte genutzt, aber der Trend gerade bei Neubauten geht doch sehr stark in Richtung schicker Eigentumswohnungen (bis hin zu luxuriösen Villen), die für die Eigennutzung und nicht als schnöde Renditeobjekte gedacht sind. (Dass da die Hoffnung mit verbunden ist, diese Immobilien irgendwann später auch wieder gewinnbringend verkaufen zu können, will ich gar nicht bestreiten – persönlicher Luxus und die vage Hoffnung auf eine spätere Wertverwertung schließen sich nicht aus.)
@ Christian: Bei der Diskussion geht es um das Verhältnis zwischen Investition und Luxuskonsum beim Mehrwert. Das der so aufgeteilt wird, ist wesentlich für die Erweiterte Reproduktion bei Marx (MEW 24). Zu dem von dir angenommenen Einpendeln – habe ich jedenfalls so verstanden – hatte ich Folgendes angemerkt:
Darauf bist du nicht eingegangen.
Dass persönliche Umstände und Interessen, nicht eine abstrakte gesellschaftliche Zielsetzung wie der Erhalt des Kapitalismus, das Verhalten der einzelnen Kapitalistin bestimmen, ist richtig, es geht ja auch aus meinem Beispiel mit dem Traditionsmarxisten hervor.
Aus Aussagen des Zukunftsinstituts von Matthias Horx (Link), schließt du, der Luxuskonsum habe sich in zehn Jahren um 72% erhöht. Ich glaube, dass der Markt für Luxusgüter (Horx und Co.) und der Luxuskonsum der Kapitalist*innen (Marx, Siefkes) nicht dasselbe ist. Das Zukunftsinstitut und Horx sind Trendforscher. Ihr Artikel trägt den Titel „Der neue Luxus-Markt“. In dem Text findet man folgende Passage:
Ich befürchte, dass die Vermengung von Marx und Horx ausschließlich zu Murcks führt. Der in dem Artikel beschriebene Massen-Luxuskonsum wird von dir an anderer Stelle als ALm beschrieben (als Konsum der Arbeiter*innen). Das ist natürlich das Gegenteil von KK, dem Kapitalist*innen-Konsum, um den es in dieser Diskussion geht.
Zu der Immobilienfrage wäre auch einiges zu sagen. U.a. geht das wohl auch um das Wort „Betongeld“. In den Kontexten, in denen ich das gehört habe, ging es eher nicht um den persönlichen Kapitalist*innen-Konsum.
@Wilfried: Ich habe das Gefühl, du liest in meinen Artikel Dinge, die da gar nicht drinstehen, z.B. das „von [m]ir angenommene[] Einpendeln“. Tatsächlich weise ich darauf hin, dass ein solches Einpendeln theoretisch möglich ist – was wohl auch niemand ernsthaft bestreiten würde –, gehe aber auch davon aus, dass es in der Praxis eben NICHT stattfindet. Ich frage in dem Artikel: „Ist es realistisch, das seit 2007 andauernde Schwächeln des kapitalistischen Wachstums als Überakkumulationskrise zu interpretieren und ein zu zögerliches Konsumverhalten der Kapitalist_innen als wesentliches auslösendes Element?“ Und komme zu der Antwort, dass es ganz danach aussieht – sprich dass gerade KEIN Einpendeln stattfindet.
Ich schreibe auch von „dem Szenario, das wir heute beobachten: Große Mengen ungebundenes Kapital sind global auf der verzweifelten Suche nach aussichtsreichen Investitionsmöglichkeiten, die sich aber kaum finden.“ Würde sich die Sache einpendeln, wäre das anders. Aber geht der Kapitalismus an dieser „verzweifelten Suche“ zugrunde? Nein, natürlich nicht – niemand hat jemals gesagt, dass er alle glücklich machen müsste. Alle Menschen sowieso nicht, aber auch nicht alle Kapitalist:innen.
Auch wenn es nicht zum Einpendeln kommt, würde ich aber schon davon ausgehen, dass der Konsum der Kapitalist:innen (inklusive Managern u.ä. „ausführenden Kapitalist:innen“) ein überdurchschnittlich stark wachsendes Marktsegment und damit Wachstumstreiber ist. Klar dürfte es schwer sein, da ganz eindeutige Statistiken zu finden, da es keine klar segregierten Geschäfte für Kapitalist:innen vs. Arbeiter:innen gibt. Grundsätzlich kann sich auch eine Kassiererin einen Porsche kaufen (aber wovon?) und ein Kapitalist bei Aldi shoppen (aber wieso?). Von dem Problem unmöglicher eindeutiger Statistiken mal abgesehen, habe ich aber immer wieder gehört, dass es gerade der gehobene Konsumbereich ist, der ein vergleichsweise starkes Wachstum aufweist – obiger Link ist da nur ein zufällig ergoogelter Treffer von vielen.
Und dass das nicht daran liegt, dass der Kapitalismus seine Arbeiter:innen immer besser bezahlt und ihnen dadurch immer mehr Luxus ermöglicht, davon kann man wohl getrost ausgehen – im Gegenteil, die Schere zwischen arm und reich geht ja immer weiter auseinander. (Natürlich ist nicht jede:r, die reich ist, Kapitalist:in – aber zumindest was die richtig Reichen betrifft, doch die allermeisten.)
@ Christian: Du schreibst:
Dieser gehobene Konsum ist auch Konsum von Nichtkapitalistinnen. Damit ist er nicht das Gleiche wie Kapitalist*innen-Konsum. Das ist aber Voraussetzung. Der Text Horx‘ Trend-Schmiede hat nichts mit dem zu tun, was Marx mit dem Konsum der Kapitalist*innen als Teil des Mehrwerts meint:
„Der Kapitalist kann den Wert seines Mehrprodukts nicht in Konsumtionsmitteln verausgaben und gleichzeitig das Mehrprodukt selbst produktiv konsumieren, d.h. seinem produktiven Kapital einverleiben.“ (MEW 24: 499)
Dieses produktive Konsumieren meint Akkumulation. Die kann auch durch fiktives Kapital geschehen. Das Wachstum des Finanzsektors geht nicht allein auf Transferleistungen der Realwirtschaft zurück. Aktien und Eigentumstitel wurden in dieser Diskussion mehrfach angesprochen. Als Kredit stellen sie Vorgriff auf künftigen Wert statt. Dem Global Wealth Report ist zu entnehmen, dass der Finanzsektor von 1980 bis 2011 von 10 auf 231 Bio. $ gestiegen ist. Lukrative Geschäfte stehen allemal vor Ausdehnung des Konsums.
In der Vergangenheit hielten sich Unternehmen mit Hilfe ihrer Finanzabteilungen über Wasser. Nicht mehr die reale Produktion und deren Erfolg auf dem Markt war der entscheidende Faktor, sondern eine clevere Finanzabteilung, die eine marode Bilanz in die schwarzen Zahlen zocken kann (Robert Kurz, Die Himmelfahrt des Geldes).
Da aus deiner Sicht die Akkumulation im Verhältnis zum Konsum zu umfassend ist, findet für dich ein Einpendeln nicht statt. Dadurch wird ein Ziel verfehlt: nämlich die Realwirtschaft am Leben zu halten und sie vor dem sich ausweitenden Finanzsektor zu retten. Möglicherweise ist der Finanzsektor die Wachstumsbranche par excellence und Ansprüche gegenüber privaten und öffentlichen Schuldnern stehen im Vordergrund. Das würde erklären, warum keine neue Yacht. Krisenfreier ist das nicht, zumal der Vorgriff auf künftigen Wert irgendwann eingelöst werden muss, andernfalls droht eine große Entwertung (siehe SWR Tele-Akademie „Die große Entwertung“ mit Norbert Trenkle) https://www.youtube.com/watch?v=L_K5wjXguZI