Interessengemeinschaft statt Avantgarde
Kommunismus wird als universale Befreiung der Menschheit vom Kapitalismus beschrieben. Doch kann dem Kapitalismus, der sich nur durch unvorstellbare Gewalt global ausbreiten konnte, eine globale gewalt- und herrschaftsfreie Gesellschaft folgen? Einige Überlegungen zu einem partikulären Verständnis von Kommunismus.
Der Kapitalismus ist die erste gesellschaftliche Struktur, die sich auf dem gesamten Globus ausgebreitet hat. Folgt man Immanuel Wallersteins Argumentation der Weltsystemtheorie so liegt dies darin begründet, dass die kapitalistische Ökonomie nicht in ein Reich wie bspw. das Römische umgewandelt wurde. Bis heute ist sie in Nationen organisiert.1 Der Kapitalismus erscheint ideologisch als die natürliche und universelle Wirtschaftsform der Menschheit. Diesem Universalismus folgt die antikapitalistische Kritik im Internationalismus verschiedener marxistischer Strömungen oder in globalen Visionen utopischer Entwürfe postkapitalistischer Gesellschaften. Oft nicht explizit ausformuliert folgt dem Kapitalismus in der Vision eine globale kommunistische Gesellschaft.2
Hier stellt sich jedoch die Frage, ob dem kapitalistischen Universalismus, der nur durch unvorstellbare koloniale und imperiale Gewalt möglich geworden ist, eine universale befreite Gesellschaftsordnung folgen kann. Sollte die Antwort auf den gewaltförmigen kapitalistischen Universalismus nicht gerade ein partikulärer Kommunismus sein. Ich gehe hier den geschichtlichen Ursprüngen der Universalität der kommunistischen Idee nach: monotheistische Paradiesvorstellungen und christlicher Missionsgedanke. Und ich plädiere für eine partikuläre Version eines postkapitalistischen Gesellschaftsentwurfs und schlage eine mögliche Fassung dieser vor: Kommunismus als offene Interessengemeinschaft.
Paradies
Ja, vergessen sind die früheren Nöte, sie sind meinen Augen entschwunden. Denn schon erschaffe ich einen neuen Himmel und eine neue Erde. Man wird nicht mehr an das Frühere denken, es kommt niemand mehr in den Sinn. Jes 65,17
Alle monotheistischen Religionen warten. In den Vorstellungen des heutigen Judentums wird der Messias an der Stelle des ersten und zweiten Tempels in Jerusalem niederkehren. Dieser bringt Shalom – Frieden und Wohl für alle –, das Paradies, aus dem Adam und Eva verbannt wurden. Im Tanach wird ein Messias nur an sehr wenigen Stellen erwähnt. Die theologische Forschung zum Alten Testament bzw. seiner Vorlage, der Hebräischen Bibel, geht davon aus, dass der Untergang des Reiches Juda 587 v. Chr. hier einen entscheidenden Einfluss hatte. Die Natanweissagung in 2.Samuel 7 spricht von einem jüdischen Thron, der ewig Bestand haben wird. Da dies aber nicht der Fall und das Reich Juda untergegangen war, wurde diese Stelle aus der Natanweissagung auf einen noch kommenden Messias bezogen. Die Gleichsetzung von König und Messias besteht dabei bereits auf begrifflicher Ebene, „Messias“ bedeutet „der Gesalbte“, etwas, was damals allen Königen zuteil wurde. Das Christentum, welches im ersten Jahrhundert als Teil der Pluralität des Judentums anzusehen ist, hat seine Messianismus aus dieser jüdischen Tradition geschöpft. Zwar kam nach christlicher Auffassung der Messias mit Jesus bereits, doch steht seine zweite Wiederkehr an, die das jüngste Gericht einläutet, auf welches das Reich Gottes folgt. Eng verbunden mit der Messiaserwartung ist die literarische Gattung apokalyptischer Schriften, die das Erscheinen bzw. die Wiederkehr des Messias mit dem Ende der Welt verknüpfen. Der Messias bringt keine Verbesserung der Welt, sondern eine Erlösung von der Welt. Am Ende der Offenbarung des Johannes ist die Welt untergegangen und das neue Jerusalem schwebt vom Himmel herab.
Von verschiedenen Autorinnen ist auf die Parallelen zwischen monotheistischen Paradiesvorstellungen und Marxismus hingewiesen worden. Sabine Brächter sieht in den marxistischen Vorstellungen der Weltgeschichte ein missionarisches Projekt, in dem das Proletariat als Heilsbringer erscheint, „das als ein auserwähltes Werkzeug der Geschichte, das mit einer ganz besonderen Aufgabe im vorherbestimmten Heilsplan betraut ist, eine universale Mission erfüllt.“3 Im orthodoxen Marxismus war dies in den Bildern des kommenden Kommunismus zum Teil noch deutlicher zu sehen als heute. Chantal Mouffe und Ernesto Laclau haben in Hegemonie und radikale Demokratie dem orthodoxen Marxismus eine illusorische Erwartung eines einheitlichen und gleichartig kollektiven Willens attestiert, der das Moment der Politik sinnlos mache.4 In After Marxism stellt Ronald Aronson den Marxismus nicht einfach als ein wissenschaftliches Projekt dar, vielmehr beinhalte es prophetische und eschatologische Dimensionen. Die Behauptungen über die kommende proletarische Revolution gingen weit über das hinaus, was auch zu Marx‘ Zeit für wissenschaftlich haltbar gegolten hatte.5
Viele der verschwommenen Bilder einer postkapitalistischen Gesellschaft in vergangen und gegenwärtigen antikapitalistischen Diskursen und Kämpfen sind von diffusen Vorstellungen der Harmonie und Glückseligkeit bestimmt. Die postkapitalistische Gesellschaft erscheint als ein Ort, der befreit ist vom Negativen, von Widersprüchen. In den monotheistischen Religionsvorstellungen sind die Menschen nicht an der Gestaltung des Paradieses beteiligt, denn dieser Ort ist in einer neuen Welt, mit welcher Gott die jetzige ersetzt. Ähnlich scheinen die gegenwärtigen Vorstellungen vom Kommunismus bestimmt zu sein. Auch hier sind die Menschen wenig beteiligt, denn der Kommunismus folgt der Befreiung von den Widersprüchen des Kapitalismus. Kommunistinnen benennen zwar die normative Rahmung des postkapitalistischen Entwurfs – eine bedürfnisorientierte Ökonomie und die Abwesenheit von Ausbeutung, Herrschaft und Diskriminierung. Die konkrete Gestaltung bleibt im marxistischen Diskurs im Großen und Ganzen jedoch vage, was meines Erachtens nicht nur in dezidierten Überzeugungen wie Adornos Bilderverbot begründet liegt. Vielmehr gibt es weitere, weniger offen liegende Gründe dafür, auf die noch weiter eingegangen wird.
Grundsätzlich beinhaltet der Begriff der Befreiung die problematische Vorstellung einer natürlichen, reinen, unberührten Essenz, die befreit werden und auf die sich bezogen werden könnte. Diese Essenz sitzt im Gefängnisgebäude der kapitalistischen Verwertung des Werts und muss nur freigelegt werden. Poststrukturalistische Subjektverständnisse haben solche Vorstellungen hinterfragt und begonnen, Macht als produktiv zu verstehen: Das Subjekt wird erst dann handlungsfähig, wenn es durch die Gesellschaft, die es unterdrückt, hervorgebracht wird. In diesem Verständnis gibt es keine Befreiung, keine Essenz des Subjekts, auf die man sich beziehen könnte. Folgt man dieser Denkfigur, dann tritt an die Stelle von „Befreien“ die Ersetzung kapitalistischer Prinzipien durch neu entwickelte, denen keine Natürlichkeit innewohnt.
Dennoch sind religiöse und säkulare Paradiesvorstellungen zweischneidig. Schon im antiken Juden- und Christentum enthielten sie eine dezidierte Gesellschaftskritik. In der Johannes-Offenbarung zum Beispiel verbindet sich das kommende Reich Gottes mit dem Kampf gegen die römische Herrschaft. Auch die säkularisierten gegenwärtigen utopischen Vorstellungen sind Kritiken an herrschenden Verhältnissen wie Kapitalismus, Sexismus oder Homophobie. Doch ihnen fehlt oft das Moment des Politischen, sie zeichnen sich aus durch die Inexistenz gegensätzlicher politischer Lager und das Fehlen von Links und Rechts. Auch mit dem Bilderverbot enthielt der orthodoxe Marxismus dieses Moment. Ein Grund, weswegen im Realsozialismus das Streikrecht, eine Errungenschaft jahrzehntelanger Kämpfe der Arbeiterklasse, abgeschafft wurde, weil man dieses nicht mehr für nötig erachtete.
Zudem ist die Ansicht des Paradieses als etwas Jenseitiges, als etwas, das diese Welt ersetzt, im Christentum auch immer wieder hinterfragt worden. Die Befreiungstheologie und die religiös-sozialistische Bewegung hat für ein Verständnis des Reich Gottes als etwas Diesseitigem argumentiert, auf das wir schon in der heutigen Welt hinarbeiten müssen. Urs Eigenmann schreibt, dass die 95 Stellen zum Reich Gottes in den synoptischen Evangelien genau dies beschreiben. Mit Stellen wie „wie im Himmel, so auf Erden“ sind Christinnen und Christen aufgefordert, für Gleichheit, Gerechtigkeit und gegen Armut schon vor dem jüngsten Gericht zu kämpfen.6
Bekehrung
Lasst uns auch beten für die Juden, auf dass Gott, unser Herr, ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Retter aller Menschen.
Allmächtiger ewiger Gott, Du willst, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Gewähre gnädig, dass beim Eintritt der Fülle aller Völker in Deine Kirche ganz Israel gerettet wird. Durch Christus, unseren Herrn.
Karfreitagsfürbitte für die Juden in der Neuformulierung Benedikt XVI. von 2008
Der jüdischen Religion ist das in der christlichen Heilslehre so zentrale Motiv der Missionierung fremd. Israel hat den Bund mit Gott angenommen – der wohl auch allen anderen Völkern angeboten wurde – und ist damit zum auserwählten Volk geworden, das nun nach dem Gesetz, den Geboten und Verboten lebt, die in der Thora niedergeschrieben sind. Eine der Hauptideen der jüdischen Gruppierung des Urchristentums war nun, dass jeder Mensch in diesen Bund mit Gott treten könne. Dafür sollte zudem nicht mehr die Befolgung der Gebote und Verbote der Thora nötig sein, sondern der Glaube, die Nächstenliebe und die Gnade Gottes. Wie Schriften älter als das Christentum belegen, gab es diese Motive im Judentum bereits vor der Entstehung der Texte des Neuen Testaments.7 Das Christentum des ersten Jahrhunderts wird deswegen in den theologischen Theorien der letzten Jahrzehnte immer stärker als Teil der antiken Pluralität des Judentums verstanden. Paulus‘ Vorhaben, den Bund zu Gott auch Nicht-Jüdinnen zugänglich zu machen, eine Universalisierung des Judentums anzustreben und damit die Missionsidee entstehen zu lassen, muss als innerjüdischer Reformversuch verstanden werden. Könnte man diese Idee der Universalisierung aus Perspektive des antiken Judentums durchaus als emanzipatorisch werten, so führte das missionarische Motiv vor allem im zweiten Jahrtausend christlicher Geschichte dazu, dass diese zur gewaltförmigsten aller Religionen wurde, wenn man sich die mit ihr verwobene Geschichte der Kolonialisierung vor Augen führt.
Diesem Universalismus möchte ich mit der Überlegung nachgehen, dass er sich im Marxismus und in kommunistischen Ideen niedergeschlagen hat, da es sich mit der Abschaffung des Kapitalismus und der Weltrevolution um Forderungen handelt, die explizit oder implizit die Menschheit an sich betreffen sollen. Der Ursprung des Universalismus kann in Teilen auf das antike Judentum als erste monotheistischer Religion zugeschrieben werden – ein Gott der gesamten Menschheit. Jedoch hat sich der Monotheismus im antiken Judentum erst nach und nach herausgebildet. Die als monotheistischen Forderungen ausgelegten Stellen widersprechen oft nicht der Existenz anderer Götter, vielmehr halten sie das Volk Israel an, nur jenem einen Gott zu dienen, dessen Name nicht auszusprechen ist.
Erst in der Bedeutsamkeit der Mission im Christentum und im damit verbundenen Bild eines einzigen Gottes aller Menschen hat sich die universalistische Idee entfaltet. Paulus brach im ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung wohl am vehementesten mit der Idee des auserwählten jüdischen Volkes. Er unternahm zahlreiche beeindruckend erfolgreiche Missionsreisen und gründete viele christliche Gemeinden auf dem Gebiet des damaligen römischen Reiches. Nicht zuletzt ist die Sprache des Neuen Testaments, Griechisch, im Gedanken der Missionierung begründet: Es war in der Zeit seiner Entstehung aufgrund des Hellenismus die einflussreichste Sprache im Römischen Reich. Wollte man viele Menschen erreichen, war Griechisch das Mittel der Wahl. Der Erfolg des Christentums liegt aber nicht zuletzt auch darin begründet, dass Paulus‘ Universalisierung des Judentums an die Überwindung des jüdischen Gesetzes gebunden war. So konnten insbesondere am Judentum interessierte Männer ohne Beschneidung Teil der ersten Gemeinden des Urchristentums werden.
Auch die Emanzipation der Arbeiterklasse sollte Marx und Engels zufolge die gesamte Menschheit umfassen (zunächst jedoch alle „fortschrittlichen“ Länder), ein Ansatz, der Teil der holistischen Idee des Marxismus war und ist. Die Idee der Weltrevolution findet sich später im Konzept der „Permanenten Revolution“ Leo Trotzkis wieder. Zwar sei eine nationale Revolution hin zum Kommunismus möglich, doch diese kann nie Endpunkt sein, sondern Ausgangspunkt und Funken für revolutionäre Umwälzungen in anderen Ländern. Trotzki spricht vom „Sieg der neuen Gesellschaft auf unserem Planeten.“ Das Zitat erinnert an die letzten Passagen der Johannes Offenbarung im Neuen Testament: Nachdem Gott die Erde zunichte gemacht hat, schwebt vom Himmel das neue Jerusalem, Symbol für das neue Reich Gottes, welches die jetzige Welt, die von Gier, Reichtum und Boshaftigkeit durchzogen ist, ersetzt.
Eine weitere frappante Parallele zwischen Marxismus und frühem Christentum ist die Erwartung des unmittelbar kommenden neuen Reiches. Die frühen christlichen Gemeinden haben die baldige Wiederkehr Jesus‘ und das Reich Gottes erwartet. Aus diesem Grund sahen sie zuerst auch keinen Sinn darin, die Geschichte Jesus aufzuschreiben und hielten an mündlichen Überlieferungen fest. Erst einige Jahre nach seinem Tod haben anonyme Schreiber (wer weiß, vielleicht auch Schreiberinnen) begonnen, seine Geschichte aufzuschreiben – ohne ihm je begegnet zu sein.
Ähnlich ging man im orthodoxen Marxismus des 19. und beginnenden 20. Jahrhundert vom baldigen Untergang des Kapitalismus aus. Dies wurde einerseits mit der These des tendenziellen Falls der Profitrate und andererseits dem postulierten sich verschärfenden Widerspruch zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse begründet. Der tendenzielle Fall der Profitrate würde den Kern des Kapitalismus, die Produktion des Mehrwerts, unmöglich machen. Mit der Zuspitzung des Klassenwiderspruchs war vor allem die Verarmung der Arbeiterklasse gemeint, woraus das Revolutionäre in der Arbeiterin erwachsen sollte. Hier entstand auch die deterministische Geschichtsauffassung des Marxismus. Wie in der Vorstellung des baldigen Kommens von Weltgericht und Reich Gottes gab es im orthodoxen Marxismus eine vorbestimmte geschichtliche Entwicklung: Der bürgerlichen Revolution (die den Feudalismus abgeschafft hat) folgt die proletarische Revolution, die den Kommunismus verwirklicht.
Säkularisierung
Man kann ‚Säkularisierung‘ als Überwindung religiösen Denkens bezeichnen; man kann sie aber auch als Verweltlichung religiöser Botschaften definieren. Letzteres charakterisiert vor allem das christliche Denken, das von einer Säkularisierungsgeschichte begleitet wird, die anderen Religionen fremd ist.
Christina von Braun: Gen und bit als Gestalten des corpus Christi mysticum.
Sind die Parallelen zwischen monotheistischen Heilsbotschaften und marxistischer Theorie zufällig? Eine insbesondere in den Kulturwissenschaften vertretene These geht von der Entfaltung christlicher Topoi in weltlichen, modernen Denkweisen aus. So hat sich – um einem konkreten Beispiel von Christina von Braun zu folgen – die Blutsmetapher des christlichen Abendmahls, das die Einigkeit der Gemeinschaft symbolisiert, in der Blutsmetapher der Rassentheorien und -diskurse wiedergefunden, was in den nationalsozialistischen Verordnungen zur „Reinhaltung des deutschen Blutes“ gipfelte.8
Gäbe es mit einem solchen Zusammenhang zwischen Christentum und Marxismus ein Problem? Unsere heutigen ethischen und moralischen Vorstellungen haben ihren Ursprung im antiken Judentum; viele der jüdischen Propheten bis hin zu Jesus von Nazaret haben sich deutlich sozialkritisch geäußert; in Theologie des Kommunismus geht Konrad Farner so weit, Juden- und Christentum eine grundsätzlich kommunistische Einstellungen zu attestieren.9 Dafür führt er zahlreiche insbesondere alttestamentarische Textstellen an, die sich in (nicht nur) seiner Interpretation gegen das Privateigentum aussprechen. Die Johannes-Offenbarung beinhaltet neben der bereits erwähnten Kritik an Reichtum auch einen deutlichen Aufruf zum Klassenkampf. Beides sind Gründe, warum dieser – im Neuen Testament ungeschlagen schönste – Text immer wieder religiös-sozialistischer Exegese diente.
Angenommen, die Paradiesvorstellungen und Missionierungstopoi haben sich im marxistischen Universalismus säkularisiert, dann würde das darauf hindeuten, einer in den Grundzügen ähnlichen Phantasie verfallen zu sein wie das Christentum – Missionierung aller, Ersetzung der irdischen Welt durch Gott, Paradies als jenseitige Welt –, die aus atheistischer Sicht schlicht falsch und agnostischer Sicht höchst unwahrscheinlich ist. Der Marxismus wäre damit in einem ähnlichen niemals real werdenden Phantasma verfangen.
Zudem könnte dies ähnliche Probleme beinhalten wie die gewaltvolle Geschichte christlicher Missionierung. Autorinnen wie Horst Gründer gehen von einer grundsätzlichen Verwobenheit von Kolonialismus und christlicher Missionsidee aus.10 In Bezug auf Kommunismus sollten wir uns fragen, ob der Kapitalismus, der sich erfolgreich als universelles gesellschaftliches System mit unvorstellbarer Brutalität durchsetzen konnte, durch ein anderes universales System ersetzt werden kann, das diese Gewalt nicht weiterführt. Auch kann in Bezug auf die Geschichte des Kommunismus gefragt werden, inwieweit die entsetzliche Gewalt, mit der sich der Stalinismus auf dem Gebiet der Sowjetunion ausgebreitet hat, in den holistischen, universalistischen Ideen des orthodoxen Marxismus ihren Anfang nahm.
In den zeitlich kürzer zurückliegenden kommunistischen Debatten ist die beschriebene Paradieshaftigkeit in den Vorstellungen postkapitalistischer Gesellschaften und das Postulat, sich kein Bild von der kommenden Gesellschaft machen zu können immer wieder thematisiert und kritisiert worden.11 Neben der zunehmenden Kritik am Bilderverbot gibt es auch einige jüngere Versuche, konkretere Strukturen einer postkapitalistischen Gesellschaft zu zeichnen. Dennoch passiert dies stets sehr zaghaft. Entwürfen konkreter Bilder wohnt eine Unbehaglichkeit inne, die sich schwer fassen lässt. Bedienen sich die marxistischen Befreiungserzählungen monotheistischer Paradieserzählungen in ihrem Absolutsein und ihrer Abstraktheit – die „herrschaftsfreie Gesellschaft“ –, verliert in der konkreten Planung die Utopie diese Transzendenz. Die Utopie ist dann nicht mehr ein Jenseits, eine Welt, welche die irdische ersetzt. Wenn konkreter darüber nachgedacht wird, stellen sich die ganzen unangenehmen Fragen. Wie geht man nach der Revolution mit Menschen um, die sich nicht an die neuen normativen Setzungen halten oder diese grundsätzlich ablehnen? Wie werden die unzähligen unerfreulichen Arbeiten verteilt? Was wird aus Gefängnis und Polizei? Fragen, die den Zauber der unschuldigen, unkonkreten Utopie zerstören.
Gewiss lässt sich die Utopie nicht am Reißbrett entwerfen. Uns ist kein Blick in die Zukunft möglich, da Geschichte nicht nach Gesetzen funktioniert. Was wird passieren, wenn wir uns nicht mehr als in Konkurrenz stehende Subjekte begegnen? Wie werden wir uns daran gewöhnen, ohne kapitalistische Existenzangst zu arbeiten, weil wir den kapitalistischen Arbeitsethos in die neuen Geschichtsbücher verfrachtet haben? Den Kapitalismus abzuschaffen und eine kommunistische Gesellschaft zu verwirklichen bedeutet, den Mut und die Bereitschaft aufzubringen, sich auf ein Experiment einzulassen. Doch damit sich dieses Experiment möglichst weit in die Richtung der normativen Rahmung entwickelt und wir nicht Realsozialismus 2.0 erleben, müssen wir uns trotz des unmöglichen Blicks in die Zukunft über mögliche Strategien der Realisierung einer kommunistischen Utopie bereits in der Gegenwart machen. Anders formuliert: Wenn wir nach dem stalinistischen Terror weiterhin für den Kommunismus kämpfen, müssen wir bereits im Vorfeld sehr konkret wissen, wie sich diese Geschichte nicht wiederholt und wie anders mit einer Konterrevolution umgegangen werden kann.
Abschied von Paradies und Mission?
Schlaraffia und Kanaan,
Ardistan, Kommunistan,
wo ist das gelobte Land?
Klaus Degenhardt
Chantal Mouffe und Ernesto Laclau sind Fans von Antonio Gramsci. Während alle anderen Marxistinnen insbesondere der Zweiten Internationalen völlig zunichte gemacht werden, bleibt das Hegemonieverständnis des italienischen Kommunisten zentrales Standbein ihrer postmarxistischen Theorie. Der Weg zur Überwindung des Kapitalismus ist hier keiner der Befreiung mehr, sondern einer der Erlangung von Hegemonie. Den Kapitalismus zu überwinden bedeutet dann weiterhin politische Auseinandersetzung zwischen politischen Gegnern in einer postkapitalistischen Gesellschaft. Zudem ist Hegemonie in Gramscis Konzeption auch nach der Revolution weiterhin etwas Brüchiges, nichts von Überzeitlichkeit Geprägtes. Das ist ein wichtiger Punkt, da der Kommunismus – trotz viel beschworener Kritik an Fukuyamas Postulat des Kapitalismus als Ende der Geschichte – oft selbst als eine Art Ende der Geschichte, Ende des Politischen, letzte Harmonie dargestellt wird. Zwar gerät das monotheistische Paradies-Motiv ins Wanken, doch scheint in der marxistische Debatte die Frage nach Mission und Universalität weiterhin umschlängelt zu werden.
Spielen wir das avantgardistische Szenario einmal anhand P.M.‘s utopischen Roman Manetti lesen durch. Er argumentiert dagegen, sich als kommunistische Linke in Institutionen wie Parteien und Gewerkschaften zu organisieren. In dem von ihm beschriebenen Projekt plädiert er dafür, wieder mit den Menschen direkt zu sprechen, vielleicht einfach von Haustür zu Haustür zu gehen. Wie könnte mit einem solchen Vorhaben die Entstehung einer kommunistischen Hegemonie, die zur Überwindung des Kapitalismus und zur Etablierung einer nach Bedürfnissen organisierten Ökonomie führt, aussehen? Nehmen wir an, es machen sich tausend Kommunistinnen auf den Weg, die frohe Botschaft zu verkünden. Jede überzeugt pro Monat eine Person von der kommunistischen Idee. Die neu Hinzugewonnenen machen sich auch auf den Weg, man ist also nach einem Monat schon zweitausend. Wenn sich das dann so fortsetzt, dann hat man nach 22,61 Monaten achtzig Prozent der Weltbevölkerung überzeugt. Sagen wir, die Leute werden zwischendurch noch krank oder wollen auch mal Urlaub von den Überzeugungsstrapazen nehmen, für manche braucht man auch ein bisschen länger. Dann können wir für das Projekt, eine globale kommunistische Hegemonie zu erreichen, mit drei Jahre rechnen. Überschaubar.
Unsere alltäglichen Erfahrungen lehren uns, dass ein solches Projekt nicht zu funktionieren scheint. Es gibt einen Widerstand, der die Subjekte davon abhält, sich von der doch so einleuchtenden kommunistischen Idee überzeugen zu lassen. War man im orthodoxen Marxismus noch davon ausgegangen, dass sich das Proletariat durch Gesetzmäßigkeiten zum revolutionären Subjekt entwickelt, so zeigte die weitere historische Entwicklung des Kapitalismus eine faszinierende soziale Beständigkeit. Im Marxismus wird vor allem mithilfe der Kritischen Theorie und des Ideologiebegriffs versucht, diese Beobachtung theoretisch zu erklären. Die Kritische Theorie erweiterte das marxistische Projekt um die Psychoanalyse, um die sozialen Auswirkungen der kapitalistischen Produktionsweise zu erklären. Mit den „Verblendungszusammenhängen“ etablierte sich hier ein Begriff, der die Stabilisierung der herrschenden Verhältnisse beschreiben sollte.
Der Begriff der Ideologie (und der damit eng verbundene Begriff der Entfremdung) ist im Marxismus immer wieder für eine Analyse der Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse, insbesondere die Reproduktion von Herrschaft, genutzt worden. Der Begriff ist sehr unscharf und mit zahlreichen unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen. Im früheren Marxismus hat man Ideologie als für die Sicherstellung von Herrschaft „notwendigen falschen Bewusstsein“ verstanden. Dies hat sich inzwischen geändert und es wird häufiger die Frage gestellt, wem ein bestimmtes Wissen im Sinne von Herrschaft nützt. Auch begegnete die Ideologie bei Louis Althusser der Subjektwerdung. Er hat mit der Anrufung eine Denkfigur eingeführt, in der das Subjekt nicht einfach nur durch Herrschaft unterdrückt, sondern sie und ihre Ideologie erst hervorgebracht wird. Subjekte unterwerfen sich den herrschenden Verhältnissen, weil sie von ihnen hervorgebracht werden. Darin liegen die Widerstände gegen emanzipatorische Ideen begründet.
Hier findet sich eine bedenkliche Figur der Avantgarde: Jan Rehmann weist in seiner Einführung in die Ideologietheorie auf das Problem hin, dass die Ideologiekritikerinnen als jene erscheinen, die die Sache durchblicken, während andere als dümmlich, der Ideologie aufgesessen, noch nicht richtig denkend erscheinen.12 Das Konzept der Ideologie bietet nicht nur die Möglichkeit, das Funktionieren von Herrschaft zu verstehen. Auch hilft es zugespitzt formuliert, anti-kommunistische Positionen als reaktionär, anachronistisch und hoffentlich bald überholte Positionen zu verstehen. Diese Denkfigur sei nun mit den Überlegungen zu radikaler Demokratie kontrastiert.
Laclau und Mouffe stellen Nicos Polantzas folgend („Der Sozialismus wird demokratisch sein oder gar nicht“) und unter Betonung von Gramscis Hegemoniebegriff radikale Demokratie in einen engen Zusammenhang mit Sozialismus. Ein Ansatz, den Mouffe in späteren Schriften noch expliziter formuliert: das Anerkennen der steten Existenz antagonistischer, sich gegenseitig ausschließenden Positionen, vor allem Links und Rechts, innerhalb einer Gesellschaft.13 Die Aufgabe der Demokratie sei es nun, „Kanäle“ zu finden, die diese antagonistischen Positionen in agonistische Positionen umwandelt. Agonistische Positionen stehen sich nicht mehr feindlich gegenüber, sondern erkennen sich einerseits als Gegner an und andererseits das demokratische System, das sie vermittelt.
Dieser Überlegung folgend zieht sie auch den Schluss, dass es kein jenseits von Hegemonie geben wird. Auch ein postkapitalistischer Kommunismus wird ein hegemoniales System sein, welches auf Ausschlüssen basiert. Folgt man dieser Position, ergeben sich hinsichtlich der Vorstellungen und Konzepte zum Kommunismus nicht triviale Konsequenzen, denn es bedeutet, dass man sich Gedanken darüber machen muss, welchen Platz in der „herrschaftsfreien“ Gesellschaft bzw. „freien Assoziation“ Lager und Menschen haben, die den Kommunismus grundsätzlich ablehnen.
Kommunismus ist nicht einfach die Befreiung von den Übeln des Kapitalismus, sondern eine neue Form von Gesellschaft, die wie die bürgerliche Demokratie normative Grundsätze beinhaltet: den Grundsatz der weitest möglichen Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, den Grundsatz einer bedürfnisorientierten Ökonomie, das Gewilltsein der weitest möglichen Abschaffung von Herrschaft und Hierarchie. Auch bezüglich dieser Grundsätze stellt sich die Frage, wie sie demokratisch ausgehandelt werden. Den Kommunismus demokratisch denken heißt auch, diese Grundsätze nicht als der Befreiung innewohnende Natürlichkeit zu verstehen, sondern als von Menschen erfundene, gemachte normative Praxis.
Stellen wir uns den zukünftigen Kommunismus als eine Hegemonie jener vor, die den Grundsätzen der Bedürfnisökonomie, dem Streben nach Herrschaftsfreiheit und gegen Ausbeutung zustimmen. Dann müsste ja ‚nur‘ noch überlegt werden, was mit der konservativen Minderheit geschieht, die vielleicht Hierarchie und Konkurrenz gut findet und versucht, diese Prinzipien durchzusetzten. Dies könnte zum einen heißen, eine Minderheit zu ihrem Glück einer kommunistischen Gesellschaft zu zwingen, was insbesondere vor dem Hintergrund des stalinistischen Terrors eine problematische Position ist. Zum anderen könnte es heißen, antikommunistische Positionen als Teil einer kommunistischen Demokratie zu sehen. Dies beinhaltet auch das Phänomen, dass Demokratie nicht heißt, dass sich die sinnvolle, rationale oder emanzipatorische Entscheidung durchsetzt.
Meines Erachtens stellt die Frage nach der Aushandlung der grundsätzlichen Ausrichtungen einer kommunistischen Gesellschaft ein grundsätzliches Problem dar, dem sich bisher wenig gewidmet wird. Denn die kommunistische Idee ist, grobschlächtig betrachtet, bisher ein evolutionäres Gesellschaftsbild – ist die Gesellschaft bisher nicht reif, entwickelt sie sich in der Zukunft hin zum Kommunismus. Sie ist ideologietheoretisch – die Entwicklung wird durch die ideologische Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse verhindert. Zudem basiert die kommunistische Idee auf dem Konzept der Aufklärung – die sich der Ideologie entgegensetzt und den Weg hin zum Kommunismus ebnet. Mit dem ideologietheoretischen Zugang und dem bequemen Standpunkt der Kritik machen es sich Kommunistinnen einfach damit, die anti-emanzipatorischen Phänomene dem (diesseitigen) Kapitalismus zuzuschreiben, die es im (jenseitigen) Kommunismus nicht mehr gibt.
Den Kommunismus demokratisch denken hieße, antikommunistische und anti-emanzipatorische Einstellungen nicht als ausschließlich zurückgeblieben, von Ideologie durchdrungen und zur Aufklärung bereitstehend zu begreifen. Vielmehr würden diese Positionen auch als ernstzunehmende in die zukünftige Aushandlung grundlegender Aspekte einer kommunistischen Gesellschaft einfließen. Aus marxistischer Perspektive gibt es unzählige Gründe, die gegenwärtigen ökonomischen Verhältnisse als gesellschaftliche Krise zu beschreiben, als Verhältnis voller Widersprüche und unerträglicher Widersinnigkeit. Ein individuelles Bedürfnis nach dem Überwinden dieser Verhältnisse erscheint als einzig mögliche Schlussfolgerung. Doch bietet ein individuelles Festhalten an den gegenwärtigen Verhältnissen vielleicht auch Vorteile, die aus marxistischer Perspektive schwer begreifbar sind: Sicherheit, Einfachheit, etwas, das irgendwie funktioniert. Für eine neue Form der Gesellschaft zu kämpfen und diese auszuprobieren hieße, sich auf ein bisher nicht dagewesenes Experiment einzulassen, dessen Ausgang sich nicht vorhersagen lässt. Müssen Kommunistinnen lernen, antikommunistische, systemunkritische Positionen ernst zu nehmen? Was hieße „ernst nehmen“?
In ihrer Kritik an den kosmopolitischen Theorien heutiger Soziologinnen macht Mouffe auf zwei weitere wichtige Aspekt aufmerksam: die Probleme, die sich aus einem unipolaren, globalen Gesellschaftssystem ergeben und die Notwendigkeit einer Multiplizierung von Hegemonie. Der heutigen weltweiten Hegemonie (laut Mouffe entstanden aufgrund des Neoliberalismus und der Vormachtstellung der USA) wohne eine Tendenz zum Antagonismus und zum Freund-Feind-Schema inne. Den kosmopolitischen Theorien – sie meint bspw. konkrete Vorschläge wie die „Globalen Parlamentarischen Versammlung“, aber auch Ansätze wie die „absolute Demokratie“ bei Hardt und Negri – wohne ein Eurozentrismus inne: Sie gehen von einer richtigen Form der Aufklärung und einer richtigen Form der Demokratie aus. Mit ihrem Postulat einer Vielzahl von Aufklärungen und Formen der Demokratie fordert Mouffe eine Multiplizierung von Hegemonie.
Anarres
Ihr könnt die Revolution nicht kaufen. Ihr könnt die Revolution nicht machen. Ihr könnt nur die Revolution sein. Sie ist in euch oder sie ist nirgends.
Ursula Le Guin, Planet der Habenichtse
In ihrem Science-Fiction-Roman Planet der Habenichtse stellt Ursula Le Guin den kapitalistisch organisierten Planet Urras vor, der einen Aufstand erlebt, der zu mächtig war, um erstickt zu werden, und zu schwach, um die Revolution herbeizuführen. Man fand einen Kompromiss: Es wurde den Odoniern, wie sich die Aufständischen nach ihrer Anführerin nannten, gestattet, zum Schwesterplaneten Anarres auszuwandern, einer kargen, knochentrockenen, menschenfeindlichen Welt, um dort eine freie, klassenlose Gesellschaft zu gründen. Nach 160 Jahren existiert diese Gesellschaft allen Voraussagen zum Trotz immer noch. Das Projekt, an dem der Protagonist und Odonier Shevek arbeitet, findet auf Anarres wenig Anerkennung, da die auf Quantenphysik basierende Technologie interstellare Kommunikation ermöglichen würde, an der auf dem abgeschotteten anarchistischen Planeten wenig Interesse besteht.
Le Guin beschreibt eine zukünftige anarchistische Utopie, die nicht den Befreiungsbildern des orthodoxen Marxismus entspricht. Eine Fiktion, in der die Alternative zum Kapitalismus in einer ähnlichen Konstellation passiert wie in den Staaten des Realsozialismus. Der Kapitalismus existiert weiter, die anarchistische Alternative schottet sich ab und lebt in der kargen Umgebung, die für die Mehrwertproduktion wenig interessant zu sein scheint.
Doch vielleicht ist diese Geschichte nicht einfach nur als Scheitern der Revolution zu interpretieren, sondern vielmehr als generelle Situation von Kommunistinnen bzw. Anarchistinnen? Anarres als Vorlage eines kommunistischen aber partikulären Projekts ohne Weltrevolution? Von der Idee abgewichen, den einen Kapitalismus durch den einen Kommunismus ersetzen zu wollen?
Eine mögliche Version eines partikulären Kommunismus sei hier zur Diskussion gestellt: eine offene Interessengemeinschaft statt einer Avantgarde. Das kommunistische Projekt als Suche nach und Kampf um ein Anarres. All jene, die geplagt sind von einem kommunistischen Begehren, von dem Unbehagen mit dem jetzigen Irrsinn, finden sich zusammen und reißen sich einen Raum unter den Nagel, der gross genug ist, um eine Ökonomie zu verwirklichen, die bedürfnisorientiert organisiert ist. „Arbeiter aller Länder, vereinigt euch“ vielleicht umgewandelt in „Kommunist*innen aller Länder, vereinigt euch“? Das hieße nicht, mit den „besseren Menschen“ eine paradiesische Gesellschaft zu errichten. Es ginge darum, Partikularität mit Gesellschaftsentwürfen zu verbinden. Natürlich wäre eine als Interessengemeinschaft etablierte Gesellschaft eine Hegemonie, die auch weiterhin Ausschlüsse produziert.
Es wäre eine Interessengemeinschaft, welche spezifische normative Grundsätze einer bedürfnisorientierten, ausbeutungs- und herrschaftsfreien Ökonomie vertritt und umzusetzen versucht. Der Begriff Interessengemeinschaft könnte auf Menschen verweisen mit nicht nur einem diffusen Unbehagen mit den heutigen Verhältnissen, sondern auch der Motivation, sich auf ein Experiment Kommunismus einzulassen. Denn das würde Kommunismus sein, ein gesellschaftliches Experiment von etwas noch nie Dagewesenen und Vorhersagbaren. Kommunismus als Interessengemeinschaft würde einen Abschied von der Missionsidee im Umfang von Weltrevolution und Weltkommunismus bedeuten. Das kommunistische Projekt als offene Interessengemeinschaft zu verstehen hieße, eine Hegemonie (oder mehrere) einer multipolaren Welt zu werden. Kampf für einen eigenen Raum, der groß genug ist, um eine funktionierende bedürfnisorientierte Ökonomie etablieren zu können. Auch würden wir uns von der Vorstellung verabschieden, als Kommunistinnen historisches Subjekt zu sein, das die Zukunft der Menschheit vorausdenkt.
„Offen“ in Bezug auf eine Interessengemeinschaft beherbergt hier zwei Bedeutungen. Zum einen den Zugang – Anarres sollte ein Raum sein, der zugänglich ist. Zum anderen die Unschärfe, wer die Kommunistinnen sind und ob das Ganze überhaupt als kommunistisch beschrieben wird.
Sozialismus in einem Land
Kommunismus ohne Territorium
Postkapitalistische Multipolarität
Es ist dies die Frage: ob der Sozialismus zur Durchführung seiner wirtschaftlichen Pläne in der ganzen zivilisierten Welt bzw. bei allen ökonomisch entwickelten Völkern zugleich zur Herrschaft gelangen müsse, oder ob auch ein einzelner sozialistisch organisierter Staat möglich und lebensfähig sei?
Georg von Vollmar, Der isolierte sozialistische Staat
Der gemachte Vorschlag ist natürlich nicht völlig neu und wurde im Marxismus bereits unter der Rubrik Sozialismus in einem Land diskutiert. Der Begriff ist vor allem durch Stalin bekannt geworden und diente als Begründung des Kommunismus in der Sowjetunion. Mit der Devise, die mit der Zeit Eingang in die staatliche Politik fand, wurde einerseits auf die scheiternden Revolutionen in Westeuropa reagiert. Andererseits muss sie wohl auch als Schritt in der sowjetischen Außenpolitik kontextualisiert werden. Denn ein Land, das offiziell die Weltrevolution anstrebt, hätte in anderem Maß als Bedrohung wahrgenommen werden können.
Die Diskussion um den Sozialismus in einem Land ist aber noch älter als die russische Revolution, initiiert wurde sie von einem deutschen Sozialdemokraten. Georg von Vollmar diskutiert in seiner 1878 erschienenen Schrift Der isolierte sozialistische Staat diese Frage insbesondere in technischer Hinsicht. Er plädiert für eine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit der Realisierung des Sozialismus in begrenztem Rahmen, da eine Weltrevolution schlicht unrealistisch sei und die Revolution in einem Staat deutlich wahrscheinlicher. Der Text nimmt bereits vieles vorweg, was später in Russland erneut diskutiert wurde. Von Vollmar beurteilt die Möglichkeit eines isolierten sozialistischen Staates als realistisch. Er argumentiert mit beschönigenden und zum Teil schlicht realitätsfernen Bildern, trägt dabei aber wichtige Aspekte zusammen, die für eine solche Diskussion von Relevanz sind.14
Von Vollmar malt ein vergleichsweise konkretes Bild eines solchen Staates: Sämtliche Produktionsinstrumente gehen in einem gesetzgeberischen Akt in den Besitz der Gesamtheit über, dafür gibt es im Gegenzug zwar Entschädigung, diese soll aber eher symbolisch sein. Es gibt einen Wirtschaftsplan. Bezüglich Privateigentum orientiert er sich am Forstrecht, das Besitzenden Pflichten zuschreibt, aber auch Genehmigungen für bestimmte Dinge vorsieht, ein dem Allgemeinwohl nutzendes Eigentumsverständnis. Auch hinsichtlich der internationalen Beziehungen hat von Vollmar konkrete Vorstellungen. In der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung des ausgehenden 19. Jahrhunderts sah er die Notwendigkeit begründet, internationalen Handel mit dem kapitalistischen Ausland zu betreiben – das Recht sollte allein dem Staat vorenthalten bleiben. Dies betrachtete er als nicht problematisch. Da die sozialistische Produktion keine Ausbeutung kenne und alles organisierter zugehen würde als im Kapitalismus, würden Produkte auf dem Weltmarkt viel billiger angeboten werden können und es dem sozialistischen Staat ein Leichtes sein, als Konkurrent auf dem Weltmarkt zu bestehen. Ähnlich argumentiert er hinsichtlich der militärischen Verteidigung. Weil das Volk befreit sei, würden die Leute motivierter sein und ein militärischer Apparat viel besser funktionieren.
Es gibt unzählige Argumente, warum der Sozialismus in einem Land so, wie er von Vollmar beschrieben wird, zum Scheitern verurteilt ist. Insistierend hatte Trotzki die Unmöglichkeit sozialistischer Inseln im Meer des Imperialismus beschrieben. Ein Land, welches von der Konterrevolution umgeben sei, könne nicht überstehen. Schon bei Marx und Engels waren die Überlegungen zur globalen Revolution – „Proletarier aller Länder“ – Grundsatz, den Trotzki in seine Theorie der Permanenten Revolution einfließen ließ: „Der Marxismus geht von der Weltwirtschaft aus nicht als einer Summe nationaler Teile, sondern als einer gewaltigen, selbständigen Realität, die durch internationale Arbeitsteilung und den Weltmarkt geschaffen wurde.“15
Aus heutiger Perspektive lassen sich Trotzkis Argumente mit den Ereignissen des Realsozialismus in ein besseres Licht rücken. Die Planwirtschaften der Länder des Ostblocks sind an Konkurrenz auf dem kapitalistischen Weltmarkt gescheitert. Sie standen in den 1980er Jahren vor einem Bankrott, den es in einer geplanten Ökonomie prinzipiell nicht geben kann. Ist der Bankrott doch ein Phänomen kapitalistischer Ökonomien. Wie war das möglich? Der Ostblock war auf Im- und Exporte angewiesen, was aus heutiger Perspektive auch sein größtes Problem darstellte. Ähnlich wie von Vollmar beschrieben, wurde in den Anfängen der Planwirtschaft noch sehr verheißungsvoll in die Zukunft geblickt, denn die sozialistische Produktion erachtete man als deutlich produktiver als das kapitalistische Modell. Kapitalismus zeichnet sich durch einen großen Anteil unproduktiver Arbeit aus, denkt man allein an den Finanzsektor oder den Bereich der Werbung.
Doch hier wurde nicht bedacht, welche produktive Kraft darin steckt, Menschen bei ständiger Existenzdrohung arbeiten zu lassen und das Konkurrenzprinzip, die Leistungssteigerung und den Arbeitsethos auch im letzten Winkel der Gesellschaft zu implementieren. Rüdiger Mats beschreibt, wie sich bereits das frühe sozialistische Russland vom Import abhängig machte. Um das Transportsystem zu sichern, bestellte Russland tausende Lokomotiven im kapitalistischen Ausland und begann damit die später zum zentralen Problem werdende Abhängigkeit des Ostblocks vom Westen auch in Bezug auf essentielle Güter. Denn dafür mussten wiederum Dinge produziert werden, die nicht einfach nur brauchbar waren, sondern deren Gebrauchswert mit kapitalistischen Gütern mithalten musste. Das hat, wie wir gesehen haben, nicht funktioniert, denn die realsozialistische Planwirtschaft hinkte den westlichen Produktivkräften entscheidend hinterher.16
Neben der materiellen Konkurrenz auf dem Weltmarkt muss der Realsozialismus auch auf einer symbolischen Ebene in ein Verhältnis mit dem Sozialismus gesetzt werden. Für die kapitalistische Produktionsweise ist die Produktion von Bedürfnissen nach neuen Waren von zentraler Wichtigkeit, denn die Mehrwertproduktion bringt Unmassen an Gütern und Dienstleistungen hervor, die veräußert werden müssen. Diese Bedürfnisproduktion hat an den Grenzen zum Ostblock nicht Halt gemacht. Das Bild vom „goldenen Westen“, vom materiellen Wohlstand wurde zu einem zentralen Problem, denn es hat sich in den Bedürfnissen der Bewohnerinnen der realsozialistischen Länder niedergeschlagen – die damalige BRD ließ es sich auch einiges kosten, die Ossis mit Westfernsehen zu versorgen.
Vor dem Hintergrund von Trotzkis Argumentation, aber auch den Arbeiten, die bisher zum Realsozialismus entstanden sind, liegt der Schluss nahe, für eine weltweite „Befreiung“ vom Kapitalismus zu kämpfen. Einleuchtend wäre ein global konzipierter Entwurf, wenn man den Realsozialismus bedenkt, der wirtschaftlich daran gescheitert ist, auf dem kapitalistischen Weltmarkt nicht mehr mitkonkurrieren zu können. Dass die meisten realsozialistischen Länder Bankrott gegangen sind, verdeutlicht die staatskapitalistische Struktur nur zu deutlich. Die realsozialistischen Ökonomien haben durch den Ex- und Import in der kapitalistischen Konkurrenz mitgemischt und sind daran gescheitert. Somit: Will man sich im Kommunismus nicht mehr mit dem kapitalistischen Wahnsinn rumärgern, wäre es doch naheliegend, durch eine Weltrevolution den anschließenden Weltkommunismus zu etablieren.
Zudem böte der isolierte sozialistische Staat keine Lösung für eines der großen Probleme des Kapitalismus: die ökologischen Krise. Ein Anarres wäre von vielen Auswirkungen dieser Krise betroffen, da zahlreiche Formen der Umweltverschmutzung eine globale Dimension haben und nicht an geographischen Grenzen Halt machen. Chris Williams sieht keine Möglichkeit einer Lösung dieser Krise innerhalb des Kapitalismus: Das Phänomen des Wirtschaftswachstums, welches mit Anwachsen von Ressourcenverbrauch, Abfällen und Verschmutzung korreliert, ist zwangsläufig in der kapitalistischen Konkurrenz angelegt. Um in ihr bestehen zu können, müssen Unternehmen einen größtmöglichen Gewinn erwirtschaften und diesen reinvestieren. Gleichzeitig üben sie selbst diesen Druck auf andere aus. So wenig, wie sich Unternehmen einzeln entscheiden können, an der Wachstumsspirale nicht mehr teilzuhaben, so wenig gibt es die kapitalistische Produktionsweise ohne Wachstum.17 Für einzelne Aspekte der ökologischen Krise, die sich eher lokal äußern, wie die Verschmutzung eines einzelnen Flusses, gäbe es Möglichkeiten einer Anarres’schen Lösung. Globalen Phänomenen, wie dem Ozonloch oder dem Klimawandel wäre ein isolierter sozialistischer Staat ebenso ausgeliefert.
Ich muss zugeben, die Argumente gegen die Verwirklichung einer partikulären kommunistischen Gesellschaft sind bestechend und erschlagend. Eine universale Perspektive, die Abschaffung des Kapitalismus und seine Ersetzung durch den Kommunismus böte die Möglichkeit, sich sehr viele Probleme ersparen zu können. Wie andere auch spricht P.M. sehr deutlich von der Unmöglichkeit der Koexistenz umfassend post-kapitalistischer Strukturen mit einer virulent kapitalistischen Großmacht, was er vor allem im Umfang der Militärausgaben der USA begründet sieht.18
Dennoch könnten die Befunde, wie invasiv die kapitalistischen Verkehrsformen sind, in eine zweite Richtung interpretiert werden. Statt darin die Unmöglichkeit eines parallel existierenden Kommunismus zu sehen, könnten sie auch als genau die Probleme betrachtet werden, denen sich Kommunistinnen stellen müssen. Zwar ist der Realsozialismus (so wenig er auch Sozialismus war) genau in der Konkurrenz zum Kapitalismus untergegangen. Doch da sich der Kapitalismus nicht von heute auf morgen verabschieden wird, kommen wir wahrscheinlich sowieso nicht umhin, über eine nicht-kapitalistische Ökonomie parallel zu jener mit Mehrwerproduktion nachzudenken – mit allen unschönen Aspekten.
Allen voran der militärischen Verteidigung. Entweder müsste man mit der im Kapitalismus entwickelten Militärtechnologie auf Augenhöhe sein. Oder man müsste sich ein Anarres auszusuchen, was für die Kapitalverwertung höchst uninteressant ist und einer eher einfachen militärischen Verteidigung bedarf. Eine Lehre aus den Problemen des Realsozialismus könnte sein, so wenig wie möglich im ökonomischen Austausch mit dem Kapitalismus zu sein. Was dann bedeuten würde, auf Öl zu verzichten und damit momentan auf den größten Teil der heutigen Technologien.
Ein anderer Schluss aus dem Realsozialismus könnte aber auch sein, Anarres ohne Territorium zu verwirklichen. Denn viele Probleme, vor allem die militärischen, sind daraus erwachsen, dass der Ostblock in Staaten organisiert gewesen ist. Viele heutige Landkommunen helfen sich gegenseitig bei ihren Arbeiten, ohne das in Geldwerten zu verrechnen. Könnte dies zu einem Kommunismus ohne Territorium ausgebaut werden? Als Netzwerk von Halbinseln – Kommunen, alternative Landwirtschaft, alternative Warenproduktion –, das groß genug ist, um weitgehend unabhängig, ohne Geld, Konkurrenzprinzip und Mehrwertproduktion eine eigene materielle Grundlage zu bieten. Eine solche Version böte einerseits sehr viele Vorteile – bspw. keine territoriale militärische Verteidigung. Andererseits ist schwer vorstellbar, wie man auf dem Territorium des Kapitalismus so wenig wie möglich Teil des Kapitalismus sein kann. Bleiben würde man ja Staatsbürger, steuerpflichtig und der Staatsgewalt unterstellt.
Natürlich könnten P.M. und andere mit der Behauptung einer Unmöglichkeit des Kommunismus parallel zum Kapitalismus Recht behalten. Dann würde sich die Frage stellen, wie Kommunismus ein Teil der multipolaren postkapitalistischen Welt, so wie sie Chantal Mouffe gefordert hat, sein kann. Ein partikulärer Kommunismus neben anderen Formen von Gesellschaften, Demokratien und ökonomischen Systemen. Kommunismus ohne den Anspruch, die Verkehrsform der Menschheit zu werden. Natürlich kann dieser partikuläre Kommunismus inspirieren und Vorlage sein für andere Revolten und Umstürze, dies würde jedoch weder erwartet werden noch ein Anspruch darauf formuliert werden.
Der Philosoph Carlo Strenger hat mal in einem Zeitungskommentar die Vier-Staaten-Lösung für Israel vorgeschlagen: ein Königreich für die Zionisten, ein ultraorthodoxer Staat, ein Staat für die arabische Bevölkerung und einen für liberale Jüdinnen und Juden (ein sehr Israel fokussierender Vorschlag, der die arabische Bevölkerung als einheitlichen Block betrachtet). „We will feel a lot better when we no longer have to explain to totalitarian minds why liberty is important. What a relief!“ Was könnte es auch für eine Befreiung sein, sich von der Strategie der Aufklärung zu verabschieden und an deren Stelle eine Auseinandersetzung mit an Kommunismus Interessierten zu setzen. Vielleicht könnte ein positiver Aspekt der heutigen globalisierten Welt sein, dass wir anfangen können, Gesellschaften mit politischen Interessen, Einstellungen, Entwürfen zusammen zu denken? Zwar hat der Zionismus mit der Idee des Schutzes vor antisemitischer Verfolgung ein anderes Grundmotiv als ein mögliches Anarres. Doch stehen mit Israel auch Ideen jenseits von Volk und Abstammung in Zusammenhang, Ideen, die vielleicht auch als kollektive Interessen beschrieben werden könnten.
Auch wenn es total sinnvoll erscheint und sich schön anfühlt, die Mehrheit der Menschen wäre für ein kommunistisches Gesellschaftsmodell zu haben, müssen wir für die antikommunistischen, in unseren Augen rückschrittlichen, dummen, widersprüchlichen, selbstzerstörerischen Positionen einen Platz in den utopischen Vorstellungen einräumen, solange dieser politisch und nach demokratischen Prinzipien funktionieren soll und nicht nach einem Diktat des Rationalen. Partikulärer Kommunismus statt Avantgarde.
to be continued…
(die gekürzte Fassung des Artikels erschien in Neue Wege. Zeitschrift für Religion und Sozialismus, Nr. 1/2016, www.neuewege.ch)
_________
1 Immanuel Wallerstein, Kapitalistische Landwirtschaft und die Entstehung der europäischen Weltwirtschaft im 16. Jahrhundert, Das moderne Weltsystem / Immanuel Wallerstein (Frankfurt am Main: Syndikat, 1986).
2 Obwohl uns der Stalinismus allen Grund für einen Abschied gibt, bleibe ich dennoch bei „Kommunismus“. Kein anderer Begriff beschreibt so klar, dass man wirklich was anderes als die kapitalistische Produktionsweise meint. Und man befindet sich ideengeschichtlich nicht außerhalb der russischen Oktoberrevolution und ihrer schwer in Worte zu fassenden Folgen. Sondern befindet sich innerhalb einer marxistischen Tradition, zu der auch die sowjetischen Gräueltaten gehören.
3 Sabine Brächter, Messianismus – Grundstrukturen einer Geisteshaltung, exemplifiziert anhand des Marxismus und des polnischen Messianismus, Mythos-Magazin (2005).
4 Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, Hegemonie und radikale Demokratie: zur Dekonstruktion des Marxismus, übers. von Michael Hintz und Gerd Vorwallner, 3. Aufl. (Wien: Passagen-Verl., 2006).
5 Ronald Aronson, After Marxism (New York: Guilford Publications, 1994).
6 Urs Eigenmann, Von der Christenheit zum Reich Gottes: Beiträge zur Unterscheidung von prophetisch-messianischem Christentum und imperial-kolonisierender Christenheit (Luzern: Edition Exodus, 2014).
7 Insbesondere mit den Qumran-Rollen, die in der Mitte des letzten Jahrhunderts in der Nähe vom Toten Meer entdeckt wurden, beinhalten antike jüdische Texte Motive, die vorher nur aus den Briefen des Paulus an die ersten christlichen Gemeinden bekannt waren, und ihm zugeschrieben wurden.
8 Christina von Braun, Versuch über den Schwindel. Religion, Schrift, Bild, Geschlecht (Zürich: Pendo, 2001).
9 Konrad Farner, Theologie des Kommunismus? (Frankfurt/M: Stimme-Verlag, 1969).
10 Horst Gründer, Christliche Heilsbotschaft und weltliche Macht: Studien zum Verhältnis von Mission und Kolonialismus; gesammelte Aufsätze (Münster: LIT, 2004).
11 Bini Adamczak, Kommunismus. Kleine Geschichte, wie endlich alles anders wird (Münster: Unrast-Verlag, 2004); Pæris, Spinner, Utopisten, Antikommunisten. Gegen das Festhalten am Bilderverbot und für eine Verständigung über Kommunismus, Phase 2 Nr. 36 (2010); Hendrik Wallat, Transformationsprobleme. Wissenschaft und Utopie, Geschichte und Freiheit, Phase 2 Nr. 45 (2013).
12 Jan Rehmann, Einführung in die Ideologietheorie (Hamburg: Argument, 2008).
13 U.a. Chantal Mouffe, Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion, übers. von Niels Neumeier (Frankfurt, M.: Suhrkamp, 2007).
14 Georg von Vollmar, Der isolierte sozialistische Staat (1878/79), in Reden und Schriften zur Reformpolitik (Berlin; Bonn-Bad Godesberg: Dietz, 1878).
15 Leo Trotzki, Die permanente Revolution (Frankfurt/Main: Fischer-Bücherei, 1929).
16 Rüdiger Mats, Bloß eine neue Maschine aufstellen. Was man aus dem Scheitern des Realsozialismus für die linksradikale Praxis schließen kann – und was nicht, phase 2, Nr. 34 (2009).
17 Chris Williams, Ecology and socialism: solutions to capitalist ecological crisis (Chicago: Haymarket Books, 2010).
18 P.M, Kartoffeln und Computer Märkte durch Gemeinschaften ersetzen (Hamburg: Ed. Nautilus, 2012).
Nein, warum? Marx war dahin gehend schon sehr weitsichtig.
Übrigens beruht die kapitalistische Globalisierung anders als hier mehrmals behauptet keineswegs nur auf Gewalt.
Marx unzählige Zauberlehrlinge haben eine Menge Unsinn verzapft, und wer mag, mag all diesen Unsinn, den es neben zahlreichen brauchbaren Anknüpfungen an Marx/Engels Kommunismus als Wissenschaft gab und gibt, „marxistisch“ nennen. Marx Gedenke war allerdings ein anderer, nämlich den der kollektiven Selbstbefreiung aus der existenziellen Abhängigkeit vom Geldverdienenmüssen und daher Nötigung zur Vermietung des eigenen Arbeitsvermögens, daher deren Unterordnung unter fremde Zwecke ohne nach deren gesamtgesellschaftliche bzw. ökologische Vernunft zu fragen (fragen zu müssen).
Ziel war das Zusammenwachsen der Philosophie oder besser Perspektive dieser kollektiven Selbstbefreiung (die natürlich nur als globale funktionieren kann) mit dem alltäglichen Ringen um mehr Kraft, Würde, Glück, ökologische Kompetenz und Mitmenschlichkeit.
Der Wunsch nach einer bedürfnisorientierten Ökonomie ist in meinen Augen (bzw. nach meinem Verständnis der Sache) ein klarer Indikator für die Abwesenheit von Kommunismus.
Der kann sinnvollerweise nur auf die Möglichkeit zielen, in gemeinschaftlichen (auch weltgemeinschaftlichen) Forschungs, Meinungsbildungs- und Abwägungsprozessen dahin zu kommen, die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten (die jeweils gegebenen und gegebenenfalls noch zu entwickelnden) mit den sozio-ökologisch reflektierten Kosten ihrer Befriedigung ins Benehmen bringen zu können. Das heißt, ein (welt-) gemeinschaftliches Ressourcen- bzw. Nachhaltigkeitsmanagement zur Grundlage des menschlichen Für- und Voneinanders zu machen.
Dem scheint allerdings selbst eine recht problematische Vorstellung von der natürlichen Reinheit und unberührten Essenz dessen zugrunde zu liegen, was der Begriffs der Befreiung grundsätzlich beinhaltet.
Zum Mittel einer Religion werden Begriffe durch die Befreiung vom Kontext und folglichen Aufladung mit vermeintlich intrinsischem Geist.
Siehe:
Nach Marx/Engels soll da gar nichts die Menschheit umfassen. Sie haben gesehen, dass die Entwicklung der menschlichen Schaffenskräfte immer wieder an einem Punkt kommt, wo die etablierten Weisen ihrer Regulierung in die Krise kommen und neue Produktionsweisen zur Grundlage des gesellschaftlichen Wirkens werden.
Sie hielten es für wahrscheinlich, dass das auch in Zukunft so sein dürfte. Und sie fanden eine Menge Anlagen einer weiteren Umwälzung der historischen (Re-) Produktionsbedingungen. (Eine davon: Die systematische Entwertung und der Tauschwerte und ein daraus folgender Wachstumszwang)
Sie sahen, dass die kapitalistischen Bedingungen der Produktivkraftentwicklung sowohl die Notwendigkeit als auch die Möglichkeit der Herausbildung einer als eine solche tatsächlich handlungsfähigen Menschheit schaffen werden, die die Globalisierten dieser Erde in die Lage versetzt, ihr produktives Miteinander anhand gemeinsamer Entwicklungsziele auszurichten.
Siehe: https://oekohumanismus.wordpress.com/about/marx-ueber-die-aufhebung-materieller-verhaeltnisse-und-darin-wurzelnde-rechtsauffassungen/
Letzteres ist klar ein intellektueller Rückschritt in einen platten Utilitarismus, der oft genug zur Grundlager kruder Verschwörungstheorien wird. Die von Marx entdeckte Notwendigkeit eines falschen Bewusstseins (= eines systematischen Verkennens) der Interaktionsbedingungen bzw. -zwecke des kapitalistisch strukturierten Für- und Voneinanders ist kein Herrschaftsinstrument, das eine ominöse „Herrschaft“ (die in der anti-kapitalistischen Ideologie oft sämtlicher Hinhalte beraubt ist) notwendig findet um sich an der Macht zu halten.
Notwendig falsch nennt Marx die falschen bzw. ungeprüften, nicht wissenschaftlich ergründeten Vorstellungen gerade, weil sie aus den kapitalistischen Behauptungsbedingungen unwillkürlich, d.h. ohne jede politische Absicht immer wieder neu hervorgehen, so zu sagen als ein Naturprozess.
Ich habe mich bemüht, die dabei wirksamen Mechanismen anhand des Konsumentenbewusstseins aufzuzeigen: https://oekohumanismus.wordpress.com/2008/11/23/sind-wir-des-warensinns/
Das ist nur für die Vorstellung einer „marxistischen Perspektive“ schwer vorstellbar, die völlig losgelöst von Marx „historischen Materialismus“ entstanden ist und mit der sich „anti-kommunistische“ Beharrungskräfte deshalb nur als ideologische Verblendung vorstellen lassen.
Das idealistisch konstruierte Heil wird folglich in Ideologiekritik gesucht statt die unterschiedlichen (materiellen, d.h. durch individuelle Willensakte nicht ohne weiteres zu ändernden) Bedingungen der menschlichen Exisistenzsicherung und Bereicherung als Basis der geistigen Orientierung unter die Lupe zu nehmen – und dabei insbesondere darauf zu achten, welche möglichen Widersprüche (und Möglichkeiten ihrer öko-kommunistischen Aufhebung) sich aus der kapitalistisch vorangepeitschten Produktivkraftentwicklung ergeben – könnten.
Nun wird es komplett irre. Die Kommunisten haben sich doch immer wieder als die größten Feinde des Kommunismus erwiesen. Und die sollen sich nun irgendwelche Gebiete der Erde „unter den Nagel reißen“ um ihre wirren Bedürfnisse nach paradiesischen Zuständen auszuleben? Na, danke. Ohne mich!
Kommandowirtschaft ohne die Möglichkeit einer öffentlichen, herrschaftsfreien, Debatte um Ziele (bzw. breiteste Mitwirkung an die Formulierung von Zielen) und Methoden des Wirtschaftens und wie diese weiter zu entwickeln wären, hat mit Sozialismus, verstanden als Gesellschaft im Übergag zum Miteinanderwirtschaften, das auf auf gemeinschaftlich erarbeitete und verfolgte Entwicklungszielen basiert, absolut nichts am Hut.
Die Sache hat nicht in erster Linie wegen der Konkurrenz zur auf Konkurrenz freier Unternehmen um die Befriedigung privateigentümlich bestimmter Bedürfnisse nicht funktioniert, sondern weil Kommunismus sich nun einmal nicht mittels Geheimeinpolizei, Straflager, Staatsparteiadelsherrschaft und vom Parteiadel monopolisiertem Produktions- und Kommunikationsmittelbesitz entwickeln lässt.
Ich finde die Beiträge auf keimform immer wieder spannend – auch oder gerade weil manche Erkenntnis hier zu den anarchistischen Gemeinplätzen von vor 100 Jahren gehört. Wünschenswert wäre eine intensivere Beschäftigung mit anarchistischen KommunistInnen und ihren Ideen, wie bereits am Beispiel Errico Malatesta geschehen – es gibt hier viele Überschneidungen. So entspricht etwa Poulantzas „Der Sozialismus wird demokratisch sein oder gar nicht“ den Ideen von Rudolf Rocker (1873 – 1958 – „Der Sozialismus wird frei sein oder er wird nicht sein!“), mit denen die AnarchosyndikalistInnen der FAUD der 1920er-Jahre sich gegen die marxistische Orthodoxie und die Vorstellungen eines staatlich-zentralistischen „Kommunismus“ wendeten.
Aha, die Sowjetunion ist also daran gescheitert, dass die Herren Kommunisten nicht auf die Idee verfallen waren, ihre Güter mit Ochsenkaren durchs Land zu schaffen. Deshalb also die Idee mit der kommunistischen Interessengemeinschaft, die sich irgendwo ein Gebiet krallt und dann per „bedürfnisorientierter Wirtschaft“ ihrem Bedürfnis nachgehen kann, Karren aus dem oder durch den Dreck zu ziehen. Die chinesischen Genossen waren da doch viel weiter: https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fer_Sprung_nach_vorn
Interessanter Artikel. Aber als erklärter Universalist kann ich natürlich nicht zustimmen. Ja, man muss im Kleinen anfangen, aber das kann nur als strategische Option für eine Übergangszeit funktionieren. Die Idee des Kommunismus ist nunmal eine universale. Es geht um alle Menschen um jedes erniedrigte und geknechtete Wesen.
Das Bild mit Anares gefällt mir aber trotzdem. Immerhin kommt es dort am Ende doch noch erneut zu einem Aufstand auf Urras 😉
Unabhängig von der grundsätzlichen Differenz sind mir zwei Details etwas aufgestoßen. Das erste schon im ersten Satz: „Der Kapitalismus ist die erste gesellschaftliche Struktur, die sich auf dem gesamten Globus ausgebreitet hat.“ Das ist einfach nicht korrekt. Das Patriachat hat das schon vorher geschafft. Und ohne diese Vorarbeit wäre der kapitalistische Siegeszug auch nicht möglich gewesen.
Außerdem zu „“Grundsätzlich beinhaltet der Begriff der Befreiung die problematische Vorstellung einer natürlichen, reinen, unberührten Essenz, die befreit werden und auf die sich bezogen werden könnte. „: Ja? Wieso denn? Ich kann doch auch unnatürliche, schmutzige und berührte Existenzen befreien wollen.
ich bin ein Anfänger, ich habe Anfängerfragen: Ich lese im Artikel „Kommunismus“ und weiss nicht, was soll es bedeuten. Der Vergleich mit der Religion gibt darauf eine sehr spezifische Antwort: Kommunismus IST eine Religion, oder etwa nicht?
Eine andere Aussage darüber, was im Artikel als Kommunismus bezeichnet wird, kann ich nicht finden. Soweit ich sehe, geht es darum, einen Staat (global oder nicht) einzurichten, in welchem alles in guter Ordnung ist. Der Artikel befasst sich damit, dass wir nicht wissen, wie dieser Staat mit allenfalls auftretenden Problemen (nicht mitmachende Staatsbewohner) umgehen soll. In dieser Hinsicht lese ich von einem „kommunistischen“ Staat und denke, soll das Kommunismus sein?
K. Marx hat viel geschrieben. Am Schluss hat er den 1. Band „Das Kapital“ geschrieben. Dann hat er sich – was Engels kritisierte – sehr stark mit praktischen Fragen der materiellen Organisation beschäftigt, statt das Kapital fertig zu schreiben.
Im 1. Band spielt der Kommunismus schlicht keine Rolle. Es geht um Lohnarbeit. Marx hat sogar bewusst auf die Grundrentenanalyse verzichtet, um seine Analyse einfach zu halten.
In diesem Sinne meine ich, es ist möglich ein „Das Kapital“-Marxist zu sein und von Kommunismus keine Ahnung zu haben. Und umgekehrt kann man wohl ein Kommunismus-Marxist sein, und dann „Das Kapital“ nicht so wichtig finden.
Mir würde einfach helfen, wenn mir gesagt würde, was Kommunismus sein soll….
Nein, Kommunismus ist ebenso wenig eine Religion wie etwa Nächstenliebe oder Kapitalismus.
Gut, aber was genau ist an den gegenwärtigen Zuständen aufhebenswürdig? Was könnte das bewerkstelligen? Und woran ließe sich die Realität einer kommunistischen (bzw. öko-kommunistischen) Aufhebung der gegenwärtigen Zustände erkennen?
Eine rationale, das heißt zweckgerichtete Erörterung dieser Frage
setzt ein Minimum an Klarheit darüber voraus, was wer unter Kommunismus
versteht bzw. unter Garantie nicht versteht.
Zwei Zitate aus dem ersten Band
Marx: Das Kapital, MEW Bd. 25, S. 784
@HHH – danke, ich schätze das Bemühen, auch wenn es mich inhaltlich nicht weiter bringt.
In den beiden Zitaten kommt ja der Ausdruck Kommunismus gar nicht mal vor. Und die Deutsche Ideologie kann ich gut als Beitrag zum Kommunismus im Sinne des Manifestes lesen, also als politische Agitation eines Kommunisten namens Marx, der noch kein Marxist war.
Aber sehr einverstanden wäre ich damit:
Eine rationale, das heißt zweckgerichtete Erörterung dieser Frage
setzt ein Minimum an Klarheit darüber voraus, was wer unter Kommunismus verstehtfalls es nicht sinnvoller wäre, beim Das Kapital zu bleiben und über die Aufhebung der Lohnarbeit nachzudenken. Auch hätte ich gar keine Einwände, diesen Prozess, wenn er dann in Gang kommt, als Kommunismus zu bezeichnen.
Aus meiner Sicht reichen normative Ansätze nicht weit, mehr noch, sie schlagen notwendig ins Gegenteil um (Stalinismus). Das zeigen die Fragen:
Das verweist darauf, dass Kommunismus als etwas den Menschen äußerliches gedacht wird. Genau jene Äußerlichkeit entspricht aber fetischistischen Konstition der Gesellschaftlichkeit, die der Kapitalismus zur Kenntlichkeit entwickelt hat: Da ist etwas außerhalb unser selbst, das die Gesellschaft macht, z.B. der Staat, der Markt etc. Innerhalb dieser Denk-, Fühl- und Handlungform gibt es kein Entkommen, also auch kein Kommunismus. Doch der Kapitalismus produziert auch jene Formen, die ihn schließlich überschreiten, dies jedoch als bewussten Prozess. Das heißt für mich: nicht normativ.
Kommunismus ergibt für mich nur Sinn als unbeschränkt entfaltete Potenz des Menschseins – samt seines historischen Prozesses der Entfaltung. Kommunismus ist Menschwerdung und Menschsein. Also eigentlich nichts besonderes.
Kommunismus ist Menschwerdung und Menschsein. Also eigentlich nichts besonderes.
Das gefällt mir sehr gut. Dann brauchen wir aber das Wort Kommunismus nicht, wie es Marx im „Kapital“ auch nicht mehr brauchte, weil wir wissen, wovon wir reden. Und insbesondere brauche ich dann auch keinen Abgleich mit unverdauten Religionsvorstellungen – wie sie hier Thema sind. Auch „normativ“ gehört in diesen Moralmorast. Ich brauche also auch kein Nicht-normativ. Ich spreche darüber, was mir gefallen würde, ohne daraus eine Norm abzuleiten.
Im Kapitalismus (so wie er von Marx im Kapital Band 1 beschrieben wird) ist die Menschwerdung und das Menschsein im Sinne einer Vision entscheidend eingeschränkt und behindert durch das Lohnverhältnis. Es geht dabei nicht um „unerfreuliche Arbeiten“. Welche Arbeit ist nicht unerfreulich? Es geht dabei darum, dass die einen unerfreulicherweise gegen Lohn für andere arbeiten. Wenn wir dem Menschsein, das ich mir jenseits von normativ vorstelle, näher gekommen sind, arbeitet kein Mensch mehr für Lohn.
Damit ist kein pseudoreligöses Paradies beschrieben, sondern die Aufhebung einer ganz konkreten Behinderung des Menschseins im hier und jetzt. Wer dannzumal noch Polizei und Gefängnisse braucht, weiss ich nicht. Ich weiss auch nicht, ob es nach der Aufhebung der Lohnarbeit noch Menschen gibt, die die Lohnarbeit wieder einführen wollen. Wir werden das alles sehen – wenn der Kommunismus gekommen ist.
Zunächst sehe ich aber, dass die Menschwerdung sehr verschieden gesehen wird, was ich normal und gut finde. Ich sehe auch, dass das Buch von Marx sehr verschieden interpretiert wird. Dass es darin um Lohnarbeit gehe, ist meine Leseweise, mit welcher ich mich einsam fühle. Dass darin Religion oder religiöse Denkmuster propagiert werde, lese ich nicht nur hier, sondern im Commonsense generell.
Wow! Eine steile These von wahrhaft orwelscher Qualität! Würde sie stimmen, müsste sie allerdings selber notwendig zum Stalinismus führen, denn natürlich ist auch diese Behauptung eine normative Aussage zum Thema, sogar eine extrem heftige (von der Sorte der Todschlagargumente).
Normativ ist übrigens auch die Meinung, dass Kommunismus Menschwerdung und Menschsein ist. Das schließt eine normative Bestimmung von Menschwerdung und Menschsein ein. Daran ändert die Tatsache nichts, dass die normative Bestimmung hier hübsch in Dunkeln gelassen wird.
Meine These ist übrigens, dass Kommunismus die Menschwerdung per Menschheitswerdung voran bringt. Näher erläutert unter anderem hier:
https://oekohumanismus.wordpress.com/2015/11/26/kritik-des-warensinns-schoen-und-gut/
Weitere Thesen über die sich diskutieren ließen:
1.) (Öko-) Kommunismus ist keine Ware, die auf dem Weltmarkt der
historischen Möglichkeiten angeboten wird und nur noch “die Massen
ergreifen” (Anm. 1) müsste. Die Bestimmung dessen, was eine (öko-)kommunistische Perspektive sozialer Bewegungen sein
soll, bedarf streitbarer philosophischer und praktischer, sozialer bzw.
(welt-) politischer Anstrengungen, die allesamt auf die Wahrnehmung
hinreichend gemeinsamer, (am Ende
weltgemeinschaftlicher) Verantwortung zielen. Das hier Formulierte kann
deshalb nicht mehr als eine Diskussionsgrundlage unter vielen anderen
bieten. Sie bedarf außerdem einer ständigen Weiterentwicklung .
2.) Als ein historischer Prozess ist (Öko-)Kommunismus
Entwicklung und Verallgemeinerung der Möglichkeiten, das menschliche
Produktivvermögen (und das vom Menschen beeinflussbare
Produktivvermögens der Naturumwelt) (Anm 2) vermittels weltweit
mitbestimmbarer Forschungs-, Reflexions- und Abstimmungsprozesse in
einer gesamtgesellschaftlich bzw. ökologisch rationalen (= zweckgerichteten) Weise entwickeln und anwenden zu können.
3.) Da sich (öko-)kommunistische Perspektiven zunächst innerhalb der typischen Borniertheiten gegebener Verhältnisse und Vorstellungen entwickeln, sind sie niemals frei von ihnen. Kommunistisch (bzw. ökokommunistsch) wird das historisch bornierte Handeln und Bedenken der miteinander und ihrer Naturumwelt interagierenden Menschen und Institutionen stets zur etappenweise durch Zugewinn an Möglichkeiten der Wahrnehmung gemeinsamer Verantwortung für die wesentliche Ziele, Standards, Grenzen, Nebenwirkungen usw. des
menschlichen Produzierens. (Gemeinsam auch im Sinne künftiger
Generationen und unter Einbeziehung von Bedürfnissen der Naturumwelt).
4.) Sich im Gegenwärtigen entwickelnde Ansätze der Wahrnehmung
gesamtgesellschaftlicher bzw. ökologischer Mitverantwortung wie etwa
Ökosteuern, der ökologische Fußabdruck, Ökoaudit, strategischen Konsum,
Menschenrechte, Tarifauseinandersetzungen, Nachhaltigkeitsstrategien,
Green New Deal oder Commons-Nischen von der Erkenntnis sind deshalb
notwendig unvollkommen. Die Erkenntnis der Lücken zwischen der ewigen
Reinheit nackter Kategorien, und der naturgemäß mangelhaften Realität
sozialer Bewegung darf nicht dazu verleiten, diese Ansätze mit dem
Argument links liegen zu lassen, dass sie zu kurz greifende Halbheiten
seien. Es wäre vielmehr darauf zu schauen, was diese “Halbheiten” zu
Zwischenschritten weitergehender Perspektiven in Richtung (welt-)
gemeinschaftlicher Mitverantwortung machen kann.
5.) Die Organisation (öko-)kommunistischer Fortschritte innerhalb bestehender (bornierter) Verhältnisse und Blickwinkel verlangt nichts desto trotz nach zunehmend mehr Individuen und Institutionen, die zielbewusst die Etablieung eines weltgemeinschaftlich abgestimmten Ressourcen- bzw. Nachhaltigkeitsmanagement ansteuern, das einen sozial bzw. ökologisch vernünftigen Stoff(bedeutungs)wechsel erlaubt.
6.)Unabhängig von den dafür gewählten Worten wird menschliche Entwicklung in dem Maße eine in diesem Sinne (öko-) kommunistische, wie es den Globalisierten dieser Erde tatsächlich gelingt, Übereinkommen zu erzielen auf deren Grundlage sie die Entwicklung ihrer sehr unterschiedlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten mit den regional, weltweit, heute und in Zukunft zu erwartenden Kosten sozialer bzw. ökologischer Natur (Aufwand, Risiken, Schäden wie Diversitäts- und Funktionsverluste, Leid usw.) ins Benehmen setzen – können.
7.) Die Realität eines so bestimmten (Öko-) Kommunismus als ein sozialer Prozess misst sich an erkennbaren (also auch öffentlich anfechtbaren!) Fortschritten in die beschriebene Richtung. Ein (öko-) kommunistisches Für- und Voneinander kann nur auf Grundlage sozialer Bewegung an einzelnen Punkten und der Institutionalisierung deren Erfolge wachsen und gedeihen, insofern sie sich in Richtung moderner, d.h. auf Freiwilligkeit bauender, Eigensinn wahrender Vergemeinschaftungsprozesse der Völker – und deren Elemente – selber
entwickeln – lassen.
8.) Was, wo und wer auch immer zur Entwicklung und Verallgemeinerung des Bedürfnisses, des Willens und der Möglichkeiten zur ökologisch reflektierten Zukunftsbewältigung beiträgt indem es mehr Menschen in größerem Umfang befähigt, Produktionszwecke und deren soziale bzw. ökologische Voraussetzungen und Wirkungen miteinander abzustimmen , muss immer wieder aufs Neue heraus gefunden und entsprechend voran gebracht werden – ohne dass der notwendige Blick auf das aktuell Machbare das ganze Ausmaß der vorgefundenen Problemlagen vergessen lässt und die Suche nach adäquaten Bedingungen ihrer rechtzeitigen Bewältigung aus dem Auge gerät.
9.)Dies setzt die Erkenntnis voraus, dass historische Prozesse nicht
wesentlich als ein Wetteifern fertiger Konzepte oder “Begriffe” funktionieren, die nach Belieben oder infolge entsprechender Belehrungen gegeneinander ausgetauscht werden (etwa indem das vermeintlich fertige Konzept der “nachhaltigen Entwicklung” durch das vermeintlich perfektere des “guten Lebens” oder einer “starken Nachhaltigkeit“)
ausgetauscht wird). Das Neue kann sich am Ende nur aus bestehenden
Bedürfnissen, Erfahrungen, Erkenntnissen, Widersprüchen usw. mit all
ihren Halb- und Widersprüchlichkeiten heraus bilden. Derzeit ist die in einer öko-kommunistischen Perspektive am weitesten fortgeschrittene Zukunftsvision die einer nachhaltigen Entwicklung menschlichen Reichtums, die darauf zielt, dass weltweit alle gut leben können ohne das dies die Grundlagen des guten Lebens aller untergräbt.
10.) Nur in steter Wechselwirkung der Organisation sozialer Fortschritte
und der Reflexion ihrer (möglichen) Bedeutung in Hinblick auf die
darüber hinausgehende Perspektive eines am Ende weltgemeinschaftlichen
Nachhaltigkeitsmanagement als Grundlage des Weltwirtschaftens kann über
einen Kulturalismus mit seinen hilflosen Umdenk-Appellen hinaus gedacht
und ein Miteinander etabliert werden, das tatsächlich auf eine
Weltkultur der nachhaltigen Entwicklung aufbaut.
11.) Nachhaltigkeiten als eine Leitidee zu bestimmen ist eine kulturelle Leistung. Aber nachhaltige Entwicklung als (welt-) gesellschaftliche Praxis kann nicht funktionieren, ohne für diesen Zweck ausreichende
Möglichkeit zur (welt-) gemeinschaftlichen Kontrolle der Entwicklung und
des Einsatzes menschlicher Schaffenskräfte zu etablieren. Das heißt
nicht ohne zu Formen des Weltwirtshaftens zu kommen, die gemeineigentümliche Anreiz- und Santionssystematiken beinhalten, mit
denen die globalisierten Menschen sich gegenseitig nötigen können, ihre unterschiedlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten ins Benehmen mit den Mühen, Risiken oder Schäden zu setzen, die für deren Befriedigung aufzubringenden wären. (Und sei es durch eine Veränderung der Bedürfnisse selbst).
12.) Die reale Existenz (öko-)sozialistischer Formation des gesellschaftlichen /b>Übergangszur Möglichkeit weltkommunistischer Verantwortung bei der Formulierung, Verfolgung bzw. Garantie ökologisch vernünftiger (= zweckgerichteter) Produktionszwecke, -voraussetzungen und -wirkungen zeigt sich im öffentlichen Nachweis (!), dass die Entwicklung und Verallgemeinerung ökologisch reflektierter Mitbestimmungskompetenz tatsächlich der weltweit vorherrschende gesellschaftliche Prozess ist. (Unabhängig von der dafür benutzten Begrifflichkeit).Ohne Möglichkeit zum freien Diskurs, d.h. zur unabhängigen und öffentlichen Untersuchung und Meinungsbildung kann weder ein solcher Nachweis geführt noch dieser Prozess überhaupt zum gesellschaftlich vorherrschenden werden.
Nach dieser Bestimmung würde (Öko-)Kommunismus als (welt-)gesellschaftliche vorherrschende Form des menschlichen Stoff(bedeutungs)wechsels in dem Maße Realität, wie die Teilung von Arbeit, Aneignung/Genuss, Pflege, Verpflichtungen, Privilegien und Mitgestaltungsvermögen auf Basis (welt-)gemeinschaftlicher Abstimmungsprozesse der Völker und deren Elemente selbst funktionierten. Sie misst sich am Nachweis eines (umwelt-)bewussten Zusammenspiels von Produktion, Konsum und Entwicklung (wie von Wissenschaft Entscheidungsfindung und Alltag). Und an überprüfbaren Anzeichen dafür, dass die aus den gegenwärtigen Formen der Arbeitsteilung unwillkürlich hervor gehende Fremdheit (Gleichgültigkeit) gegenüber den Voraussetzungen, Zwecken und Nebenwirkungen der menschlichen Existenzsicherung und Bereicherung überwunden werden können.
Alle bisherigen Sozialismusversuche, die sich als
Übergangsgesellschaften zum kommunistischen Für- und Voneinander
verstanden haben (bzw. sich im Falle von China so verstehen), sind aus
dieser Sicht nicht am Überfluss sondern am Mangel an
Bewegung in Richtung eines so verstandenen (Öko-) Kommunismus
gescheitert, d.h. an Möglichkeiten zur gemeinsamen (!) und (gerade in
ökologisher Hinsicht) umweltbewussten Bestimmung der Produktionszwecke,
-mittel, -orte, -methoden oder -mengen – und welche Risiken oder Schäden
dafür in Kauf genommen werden dürfen und welche nicht.
13.) Künftige Bemühungen können versucht sein, sich aus der Verantwortung für die historischen Mängel, Irrtümer und Verbrechen bisheriger Sozialosmusversuche zu stehlen, indem sie sich des “K” Wortes entledigen. Es mag verständlich und hier oder dort auch unumgänglich sein, die beschriebe Perspektive mit einem unbelasteteren Begriff zu umschreiben. Die intendierte Wiedergewinnung der verlorenen Unschuldsvermutung könnte sich am Ende aber als Bumerhang erweisen. Die Opfer des Stalinismus mahnen zum Nachdenken über jegliche Säuberungsabsichten.
Alle politischen Orientierungen haben ihre Dispositive zur totalitären Menschenfeindlichkeit. Und es gehört zu den vornehmsten Aufgaben jeglicher Bemühungen um “kommunistische” (Mit-)Gestaltungskompetenz, das in den eigenen guten Absichten steckende Gefahrenpotenzial rechtzeitig zu orten und publik zu machen.
@HHH – viele interessante Thesen zu Öko- und Kommunismus. Das Zusammensehen von ÖkoKommunismus ist auch eine verbreitete Variante zu Kommunismus. Vielleicht kommt daher auch die Idee der Religion, mit dem (gepredigten) Nahparadies einer wieder grünen Welt.
In diesem Kommunismus erkenne ich eine Bewegung, die sich viel mehr mit der Umwelt-Wiederwerdung, als mit der Menschwerdeung befasst. Zur Umwelt gehört dann auch ein politisches Programm, das die Umwelt schützt, zum Wohl der MenschHEIT nicht zum Wohl der Menschwerdung.
In diesem Sinn finde ich die Bezeichnung Ökokommunismus sehr gut, weil ich darin sofort erkennen kann, worum es geht (und dass es nicht um Lohnarbeit geht).
Von meinen Thesen? Glaube ich nicht 🙂
Das verstehe ich jetzt nicht. Was soll das sein, eine Umweltwiederwerdung? Sehr rätselhaft.
Fortgesetzte Menschwerdung im Sinne Engels‘ Aufsatz (Spätwerk) über „den Anteil der Arbeit für die Menschwerdung des Affen“ ist Weiterentwicklung der spezifischen Fähigkeit, Vorgefundenes zugunsten eines von Mitmenschen als nützlich anerkannten Zustands oder Potenzials umgestalten und das angestrebte Ergebnis bereits vor und während des Herstellungsprozesses im Kopfe vorwegnehmen zu können.
An Marx/ Engels (öko-) kommunistischen Humanismus anknüpfend ist Kommunismus für mich die mit dem heutigen Entwicklungsgrad der menschlichen Schaffenskräfte zugleich notwendig als auch prinzipiell möglich werdende Aufhebung des mit der kapitalistischen Ära gegebenen Widerspruchs zwischen dem (welt-) gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der privateigentümlichen (und vor allem nationalstaatlich regulierten) Aneignungsformen als Grundlage des (welt-) gesellschaftlichen Für- und Voneinanders.
Die Möglichkeit der weiteren Menschwerdung, d.h. die Möglichkeit der weiteren Entwicklung der spezifisch menschlichen Fähigkeit zum vorausschauenden, verantwortlichen Produzieren der zur Existenzsicherung und Bereicherung notwendigen Mittel bedarf der weiteren Menschheitswerdung, das heißt die Herstellung einer als solche tatsächlich handlungsfähigen vereinigten Menschheit, die es möglich macht, den Stoffwechsel mit der Natur in einer gesamtgesellschaftlich bzw. ökologisch ratinalen Weise zu regeln.
Öko-kommunistische Mensch(heits)werdung geht natürlich nicht ohne Befreiung aus der Notwendigkeit, seine Arbeitskraft gegen Lohn- und Gehaltzahlungen fremden Zwecken unterordnen zu müssen.
@HHH #21
„Die Möglichkeit der weiteren Menschwerdung, d.h. die Möglichkeit der
weiteren Entwicklung der spezifisch menschlichen Fähigkeit zum
vorausschauenden, verantwortlichen Produzieren der zur Existenzsicherung
und Bereicherung notwendigen Mittel bedarf der weiteren
Menschheitswerdung, das heißt die Herstellung einer als solche
tatsächlich handlungsfähigen vereinigten Menschheit“
Ich kapier’s immer noch nicht. Willst du wirklich eine „tatsächlich handlungsfähige vereinte Menschheit“ herstellen? Hast du göttliche Begabungen oder machst du jetzt auf Don Quichotte?
„Wenn wir nicht in der Gesellschaft, wie sie ist, die materiellen
Produktionsbedingungen und ihnen entsprechende Verkehrsverhältnisse für
eine klassenlose Gesellschaft verhüllt vorfänden, wären alle
Sprengversuche Donquichoterie.“ (MEW 42, S.93)
Das kommt dabei heraus, wenn man in früheren Jahren zu viel John Wayne Western geguckt hat. Wie kommst du darauf, dass eine einzige Person kommunistische Interaktionsbedingungen herbeizaubern könnte? Oder dass ich so etwas für möglich hielte?Bestehende Gesellschaften sind ja immer auch sich (d. h. ihre Produktivkräfte) entwickelnde, d.h. in Veränderung befindliche bzw. auf Veränderung drängende, den Keim ihrer Aufhebung in sich tragende Gesellschaften.
Die in den materiellen Produtionsbedingungen der bestehende Weltgesellschaft (wie sie bekanntlich vom Widerspruch zwischen dem (welt-) gesellschaftlichen Charakter des kapitalistischen Produzierens und dessen privateigentümlichen Aneignungsformen gekennzeichnet ist) verhüllt angelegten Dispositive ihrer welt- bzw- ökokommnistiscjhen Aufhebung gilt es in der Tat herauszuarbeiten und deren Transformationspotenzial gezielt weiterzuentwickeln bzw. zu stärken.
Siehe auch:
Ja was denn nun: herausarbeiten, weiterentwickeln, stärken oder herstellen? Form als Keim oder Keim als Form? Das Mysterium der Keimform erweist sich tatsächlich immer mehr als eine Art Religion.
Die Keimform bei K. Holzkamp ist ein evolutionstheoretisches Konzept, das heisst ist nur zurückschauend erkennbar, so wie ich nach K. Marx den Menschen kennen muss, um die Antomie des Affen zu verstehen.Die Keimform, die ich vorausschauend erkennen kann, ist ein in der Tat ein religiöses Konzept, weil dazu die Zukunft bekannt sein muss.
Jedes Herstellen folgt aber einem Plan, das unterscheidet mich als Baumeister von der mir bekannten Biene. Herstellen kann ich nur Artefakte. Aber ob ich jemandem Lohn gebe oder nicht, kann ich jenseits von Herstellen entscheiden. Ich würde es so wenig tun, wie ich einen Sklaven halten würde.
@Rolf #25
Da hast du ja ganz gut die Hermeneutik der Phänomenologie beschrieben, wenn man „den Menschen kennen muss, um die Antomie des Affen zu verstehen“. Husserl bezeichnete das als „eidetische Reduktion“. Und Holzkamp verstand seine Methode auch in dem entsprecheden Hermeneutischen Zirkel. Es ist dasselbe, was für die Religion die Ursprünglichkeit der Schöpfung ist, wonach man Gott kennen muss, um Paradies und die Erbsünde der Menschheit zu verstehen.
Nur: Marx war kein Phänomenologe und er kritisierte Religion bis in ihre tiefsten Gründe: „Die Religion ist das Selbstbewußtsein und das
Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht
erworben oder schon wieder verloren hat… Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck
des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das
wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten
Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist
geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“ (MEW
1, S. 378f)
Marx ging davon aus, dass man nichts herstellen muss, sondern dass mit der praktischen Kritik einer verkehrten Welt ihr menschliches Wesen emanzipiert wird, dass in der Kommune (und nicht in Commons) die Negation der neuen Gesellschaft schon da ist.
„Die Kommune war eine Revolution gegen den
Staat selbst, gegen diese übernatürliche Fehlgeburt der
Gesellschaft; sie war eine Wiederbelebung durch das Volk und des
eigenen gesellschaftlichen Lebens. Sie war nicht eine
Revolution, um die Staatsmacht von einer Fraktion der
herrschenden Klassen an die andere zu übertragen, sondern eine
Revolution, um diese abscheuliche Maschine der Klassenherrschaft
selbst zu zerbrechen. … Die Kommune war die entschiedene
Negation jener Staatsmacht und darum der Beginn der sozialen
Revolution des 19. Jahrhunderts. Was daher immer ihr Geschick in
Paris ist, sie wird ihren Weg um die Welt machen.“ (K.
Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, 541f.)
„Die Anatomie des Menschen ist ein Schlüssel zur Anatomie des Affen. Die
Andeutungen auf Höhres in den untergeordnetren Tierarten können dagegen nur
verstanden werden, wenn das Höhere selbst schon bekannt ist. Die bürgerliche
Ökonomie liefert so den Schlüssel zur antiken etc. Keineswegs aber in der Art
der Ökonomen, die alle historischen Unterschiede verwischen und in allen
Gesellschaftsformen die bürgerlichen sehen.“ – Grundrisse, Einleitung [zur
Kritik der Politischen Ökonomie], 1857, MEW 13, S. 636
ABER, das interessiert mich wirklich nicht, weil das nicht im Kapital steht. Ich habs hier nur wegen Holzkamps Keimform gebracht, die meines Erachtens auch gar nicht mit HusserlZeugs zu tun hat, was mir aber auch egal ist.
Die Erwähnung von Religion im obigen Artikel – den wir hier ja kommentieren – kann ich eben in Bezug auf Kommunismus und Commons halbwegs nachvollziehen, aber in keiner Weise auf „Das Kapital“ von K. Marx.
Und Keimformen muss ich wohl auch daran unterscheiden, ob sie evolutionstheoretisch oder hellsichtig für die Zukunft gemeint sind.
@Rolf #27
Na ja, ob ein Schüssel dasselbe wie eine Kennen ist? Aber ist ja egal. Und wenn es um eine Hellseherei der Evolutionstheorien gehen soll, dann bleibt mir nur der Verweis auf http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=evolution.
@Wolfram – vielleicht gehts hier etwas zu schnell. „… Schlüssel … können dagegen nur verstanden werden …“
habe ich übersetzt mit:
“ .. kennen muss, um die Antomie des Affen zu verstehen ..“und von „Hellseherei der Evolutionstheorien“ habe ich gerade NICHT
geschrieben, sondern genau im Gegenteil:
„.. ob sie evolutionstheoretisch ODER hellsichtig für die Zukunft gemeint sind.“Evolutionstheorie schaut ausschliesslich zurück und stützt keinerlei
Prognosen (ist also gar keine naturwissenschaftliche Theorie, sondern
eine Art Rationalisierung des Jetztzustandes), während HIER IN DIESEM
BLOG oft Keimformen der Zukunft gesucht werden, wobei quasi auf
den Niveau des Affen der Mensch vorhergesehen werden will.
Die Commmons und der Kommunismus fungieren als Heilsversprechungen
auf eine bessere Welt.Analytisch – also im Das Kapital, Band1 – wird nicht die gute Gesellschaft,
sondern Kapitalismus als massenhaftes Lohnverhältnis beschrieben.
Wenn wir das Lohnverhältnis abschaffen, schaffen wir tautologischerweise
DIESEN Kapitalismus ab, ohne schon jetzt zu sehen, ob das gut kommen
wird. Wird sollten genau das versuchen, statt religiös über gute Welten zu spekulieren.
@#29
„Wenn wir das Lohnverhältnis abschaffen, schaffen wir tautologischerweise
DIESEN Kapitalismus ab, ohne schon jetzt zu sehen, ob das gut kommen
wird. Wird sollten genau das versuchen, statt religiös über gute Welten zu spekulieren.“
Ja ok. Das ist jetzt etwas klarer, auch wenn es m.E. besser wäre, das Lohnverhältnis als die Erscheinung eines verkehrten Eigentumsverhältnisses zu diskutieren, das Marx ja in diesem Buch als Erscheinung von vorhandenem Reichtum in der Form einer Warensammlung beschrieben hat. Nur: warum dann diese Diskussion?
Im Übrigen bezieht sich Holzkamp ganz ausdrücklich auf die Phänomenologie von Husserl und da liegt meines Erachtens auch der Hase der Keimformtheorie begraben.
@Wolfram„Warum dann Diese Diskussion?“
1) Weil das HIER in dem Beitrag, den wir kommentieren Thema ist !
2) nebensächlicher: Weil ich HIER eine Differenz zwischen Commons/Kommunisimus als Religion zum Inhalt von „Das Kapital“ vorgeschlagen habe.
„… Erscheinung von vorhandenem Reichtum in der Form einer Warensammlung beschrieben ..“
Im Kaptital ist der Reichtum als Warenansammlung eine ERSCHEINUNG die dann durch das Lohnverhältnis erklärt wird. Es geht nicht um die Erscheinung, sondern darum, was so erscheint.Und zu
Holzkamps Bezug auf Husserl hätte ich sehr gerne eine Textstelle, weil ich genau das Gegenteil – aber nur – in meinem Kopf habe
@ Wolfram Pfreundschuh Com 24
Schönes Beispiel für philosophische Mystifikation mittels Ausradierung des Kontextes, was ja Grundlage einer religiösen Betrachtung ist.
Das bestätigt meinen Eindruck, dass nicht nur der sich an der Illusion der Möglichkeit eines richtigen Lebens im falschen klammernde Antikommunismus und die schlechte Erfahrungen mit Marx Zauberlehrlingen des Sowjetreiches einen herrschaftsfreien Diskurs über (öko-) kommunistische Perspektiven erschweren sondern insbesondere auch mit der anti-kapitalistischen Ecke in der Angelegenheit nicht gut Kirschenessen ist.
Ziel: Änderung der Vergesellschaftungsformen, d.h. welt- bzw. ökokommunistische Aufhebung der kapitalistischen Vergesellschaftungsformen.
Mittel: Das in diese Richtung Gehende bzw. Bewegbare herausarbeiten und deren Weiterentwicklung in die gewünschte Richtung förderlich sein.
Das ist vor allem eine Frage der Inhalte bzw der sich mit den und durch die alten Vergesellschaftungsformen auftürmenden Probleme bzw. Bemühungen, sie zu bewältigen. Aufgabe: Ein zum Formwechsel drängender bzw. ihn möglich machender Aufbau von Problemlösungskompetenz.
Form follows funktion!
Friedrich Engels: „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“, in: Karl Marx/Friedrich Engels – Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 19, 4. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 189-201.
http://www.mlwerke.de/me/me19/me19_202.htm
@ #18
Was ist hier mit „Menschwerdung und Menschsein im Sinne einer Vision“ gemeint?
In Engels Text über „den Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“ ist die Vision die Etablierung von Produktionsverhältnissen, die es den (globalisierten) Menschen erlauben, die gesellschaftlichen bzw. ökologischen Voraussetzungen und Wirkungen des Füreinanderproduzierens gemeinschaftlich zu regeln und damit zu beherrschen, oder besser: ist die Erwartung, dass die von der kapitalistischen Konkurrenz voran gepeitschten Produktivkraftentwicklung dies nicht nur notwendig sondern auch möglich machen wird.
Existenziell darauf angewiesen zu sein, sein Arbeitsvermögen fremden Interessen unterzuordnen ist ein zu überwindendes Hindernis, aber es ist beileibe nicht das einzige. (Es sind auch durchaus Formen der Auflösung von Lohnarbeitsverhältnissen vorstellbar, die kein Fortschritt sondern ein gewaltiger Rückschritt in Richtung Mitmenschlichkeit bedeuten würden).
Zu überwinden ist (nach Marx/Engels) wie gesagt, vor allem der dem kapitalistischen Für- und Voneinander eigene Widerspruch zwischen dem (welt-) gesellschaftlichen Charakter des Produzierens und der privat (bzw. national) bornierten Form der Aneignung.
Und die kapitalistischen Interaktionsbedingungen sind historisch keineswegs nur eine Einschränkung bzw. Behinderung der (kommunistischen) Mensch- bzw. Menschheitswerdung sondern eben auch deren Vorbedingung.
Was ist hier mit „Menschwerdung und Menschsein im Sinne einer Vision“ gemeint?
Damit ist nichts bestimmtes gemeint, die hier gemeinte Vision ist negativ bestimmt: keine Lohnarbeit.
Ich weiss nicht, was Engels und Marx sonst noch alles geschrieben und gemeint haben. Und ich weiss, dass die Aufhebung der Lohnarbeit nicht zwangsläufig ein kommunistisches Paradies bedeutet, in welchem es allen Menschen gut geht. Und ich kenne niemanden, der ein solches Paradies – jenseits von Religion – beschreiben könnte oder gar kennt. In diesem Thread geht es um Religion, im Sinne einer ausgemalten guten Zukunft oder gar einer idealen Endlösung – vielleicht sollte ich den kommentierten Text nochmals anschauen, das mache ich gerne, wenn mir jemand eine andere Interpretation vorschlägt. Ich habe bisher diesen Text mit „Das Kapital, Band 1“ nicht in Verbindung bringen können. Und ich mag auch nicht über kommunistische Visionen nachdenken.
Gut, dann lassen wir das mit der Menschwerdung und dem Menschsein. (War offenbar auch eine eher religiöse Vorstellung) Die Aussage ist also, dass die auf Lohnarbeit basierende Gesellschaft die Vision einer nicht auf Lohnarbeit basierenden Gesellschaft einschränkt und behindert.
Mein Einwand ist wie gesagt, dass dies so nicht stimmt, weil Kapitalismus neben der Notwendigkeit auch die Bedingungen der Möglichkeit eines nicht auf Lohnarbeit aufbauenden (globalen) Für- und Voneinanders schafft.
Mein zweiter Einwand ist, dass die Vision einer nicht auf Lohnarbeit basierenden Gesellschaft ohne eine öko- bzw. weltkommunistische, d.h. auf (welt-) gemeinschaftliche Verantwortung zielende Perspektive nicht unbedingt viel taugt.
Für eine sinnvolle Debatte über den eher religiösen oder eher nicht religiösen Charakter von Zukunftsvorstellungen, ob sie sich als (öko-) kommunistische oder (öko-) humanistische vorstellen, sind Marx/Engels Ausführungen zum Ersatz Gottes durch „den Menschen“ durch die Religionskritik:
Karl Marx: Zur Kritik der Hegel’schen Rechts-Philosophie – Einleitung
https://de.wikisource.org/wiki/Zur_Kritik_der_Hegel%E2%80%99schen_Rechtsphilosophie
Die Aussage ist also, dass die auf Lohnarbeit basierende Gesellschaft die Vision einer nicht auf Lohnarbeit basierenden Gesellschaft einschränkt und behindert.
Also meine Aussage ist das NICHT. Ich sagte, dass die Lohnarbeit das Menschsein behindert. Ich bin aber einverstanden, dass wir die ideologische Umschreibung „Menschsein“ aussen vor lassen. Dann sage ich – wie K. Marx im „Das Kapital“ – Kapitalismus = Lohnarbeit, als muss die Lohnarbeit aufgehoben werden, wenn der Kapitalismus aufgehoben werden soll.
Alles andere mag sinnvoll und wichtig sein – aber nicht mit dem „Das Kapital“ von K. Marx. Was K. Marx, der auch nur irgendein Mensch war, sonst alles auch noch meinte, ist mir egal.
Die Aussage, dass Lohnarbeit das Menschsein behindert ist natürlich eine religiöse Aussage mit „dem Menschen“ als vergöttertes höheres Wesen.
Lassen wir „die ideologische Umschreibung“ beiseite und bemühen uns um eine wissenschaftlich brauchbaren Begriff von Menschengerechtigkeit als Grundlage für die Umschreibung einer gesellschaftlichen Perspektive, der sich etwa auf die spezifisch menschliche Fähigkeit (und Notwendigkeit) bezieht, einen für Mitmenschen als nützlich anerkannten Gegenstand oder Zustand herbeizuführen und das Ergebnis der Mühe bereits vor und währendes Herstellungsprozesses zu antizipieren, so ist Kapitalismus zugleich Voraussetzung und Hemmnis eines so bestimmten Menschenreichs.
gegen Deine Argumentation Hans-Hermann Hirschelmann kann und will ich rein gar nicht sagen. Es ist eine gute Argumentation für etwas, was mich HIER nicht interessiert. Sie zeigt mir aber, dass ich das „Menschsein“ wohl weglassen muss, weil andere darin ohne weiteres etwas Religiöses erkennen können und dann sofort auf einen Ethikdiskurs einschwenken.
Also nochmals von vorn: Als Kapitalismus bezeichne ich – in exklusiver Leseweise des Buches „Das Kapital“ Produktionsverhältnisse, in welchen Lohnarbeit dominiert.
Ob Kapitalismus etwas Gutes, Menschengerechtes oder was auch immer ist, spielt keine Rolle. Wenn der Kapitalismus aufgehoben wird, wird die Lohnarbeit aufgehoben.
Ich rechne dem Kapitalismus einiges Übel zu, weshalb mir daran liegt, den Kapitalismus aufzuheben. Also mache ich mir Gedanken über die Lohnarbeit und dazu, wie diese aufzuheben wäre. Markt, Tausch, Zins, Grundbesitz usw sind dabei alles abhängige Variablen.Und einen wissenschaftlich brauchbaren Begriff von Menschengerechtigkeit brauche ich für mich nicht. Wenn Du einen solchen hast, interessiert mich darin in Bezug auf Kapitalismus ausschliesslich, wie darin die Lohnarbeit aufgehoben ist.
Meine Utopie betrifft kein (religiöses) Paradies (wie es in diesem Thread ganz oben thematisiert wird), ondern nur die Aufhebung der Lohnarbeit. Dazu ginge ich aber auch beliebige Umwege, wenn die das Ziel nicht ganz aus den Augen verlören.
Marx sprach von einer kapitalistischen Formation der Gesellschaft die auf privateigentümliche Produktion (in der Form von Lohnarbeit) für den Austausch gegen mehr Geld (dessen Gebrauchswert es ist, ein universelles Warenaneignungsmittel zu sein) als investiert werden musste, basiert.
Die Lohnarbeit überwinden wollen ergibt m.E. wenig Sinn, ohne auf eine (welt-) kommunistische, d.h. auf (welt-) gemeinschaftliche Zwecksetzung, freiwillige Übereinkünfte usw. basierende Formation der Gesellschaft zu zielen. Sklaverei ist auch „Aufhebung von Lohnareit“.
hmmmm … „Sklaverei ist auch eine Aufhebung der Lohnarbeit“ … meinst Du das wirklich, oder ist das ein schlaues Argument?
W/Sollen wir ernsthaft sprechen?Ich würde für mich sprechen: Ich würde NIE Lohn bezahlen und jedermann der Lohn bezahlt ächten.
Über die Ächtung könnten wir nachdenken, aber ¨über das Lohnverhältnis nicht (weil es Kapitalismus IST)
Was „weltgemeinschaftlich“ heissen soll, weiss ich nicht, aber was Lohn ist weiss ich sehr gut.
Ernsthaft zu reden, wenn man öffentlich über eine „Aufhebung der Lohnarbeit“ nachdenkt, heißt beispielsweise, über die Notwendigkeit, Möglichkeit und mögliche Gestalt deren (welt-) bzw. (öko-) kommunistischen Aufhebung zu reden und dabei die Wiedereinführung der Sklaverei im großen Maßstab in Stalins SU im Hinterkopf zu behalten.
Wer von Zwangsarbeit profitiert ist demnach also, weil er keine Löhne zahlt, nicht zu ächten während jemand, der auf eine umweltschonende Weise super Dinge produzieren lässt und dafür Menschen anständig bezahlt, verachtenswürdig ist? Hmmm.
Da in Hinblick auf den globalen Stoff(bedeutungs)wechsel die Möglichkeit des weltgemeinschaftlichen Erforschens und Entscheidens (über Notwendigkeit, Möglichkeit und möglicher Gestalt einer gesamtgesellschaftlich bzw. ökologisch vernünftigen Umgangs mit den Quellen menschlicher Existenzsicherung und Bereicherung) erst herzustellen wäre, ist das nicht in erster Linie eine Sache des Wissens sondern des Wissen- bzw. Mitgestaltenwollens.
Und eine der spannenden Fragen in der Sache ist, was diesem Wissen- bzw. Mitgestaltenwollen förderlich oder abträglich sein bzw. werden könnte.
Hans-Hermann Hirschelmann – dann sage ich es eben doch ganz explizit, weil Du so sehr danach verlangst mit Deinen unsinnigen Verdächtigungen:
Ich meine Lohnarbeit UND SÄMTLICHE Formen der SKLAVENARBEIT, wenn ich sage, dass die Lohnarbeit aufgehoben werden muss.
Und das ist ganz einfach: Ich gebe keinen Lohn und ächte alle die Lohn geben (oder gar – das schreibe ich nochmals für Dich -andere für sich arbeiten zu lassen, ohne ihnen Lohn zu geben).
Und weil hier so viel Explizitheit notwendig scheint: Ich meine, dass der Markt die beste Form der gesellschaftlichen Planung darstellt. Ich möchte nicht, dass irgendwelche Menschen die Planung des Bedarfes in die Hände nehmen. Schon ganz und gar nicht solche, die meinen, sie würden:
„auf eine umweltschonende Weise super Dinge produzieren LASSEN und dafür andere Menschen anständig BELOHNEN.“
Wenn am Markt nur Menschen teilnehmen, die nicht andere für sich arbeiten (also lohnarbeiten (und für Dich explizit, sklavenabrbeiten) LASSEN, ist der Markt die beste Form zu Bestimmung, was die Menschen brauchen.
Unsinnige Verdächtigungen? Wie kommst du darauf, dass ich dich überhaupt irgendetwas bestimmtes vorzuhaben verdächtige? Ich stelle nirgendwo Vermutungen über Deine möglichen Absichten an.
Was du vielleicht sonst noch alles meinen könntest, wenn du etwas bestimmtes sagst, kann ich, aber auch sonst niemand wissen. Einen rationalen Diskurs kann es doch nur auf der Basis des wirklich Gesagten geben.
Na, dann ächte diese fiesen Lohnbezahler halt weiter. Schön für dich, aber wen soll das interessieren?
Die von mir empfundene Verdächtigung besteht im HIER unsinnigen Argument, dass wenn die Lohnarbeit aufgehoben werde, Sklavenarbeit an deren Stelle trete. Hast Du das nicht mehrmals explizit „GESAGT“?
Und ob ich Lohngeber ächte, muss wirklich niemanden interessieren. Dagegen sollte sich JEDERMEN dafür interessieren, was sie selbst vom Lohngeben und von Lohngebern halten. Mich interessiert sehr, wer was von Lohngeben hält.
In diesem Sinne bin ich froh über das von Dir GESAGTE: Dass es gute Lohngeber gebe, die für gute Produkte ihren Lohnarbeitern einen guten Lohn geben.
Wir müssen in keiner Hinsicht einig sein. Jeder sieht, was er sieht. Ich sehe nie guten Lohn. Und ich sehe, dass kein Mensch Lohn geben müsste.
Leider verfälscht du meine Aussage. Von einer Zwangsläufigkeit ist bei mir nirgends die Rede. Wie soll ein rationales, sachlich-ergebnisoffenes Gespräch mit dir entstehen, wenn für dich nicht das tatsächlich Gesagte sondern dein (wie sich gezeigt hat trügerisches) Gefühl über das Gesagte (oder im anderen Fall was du eigentlich meinst aber so nicht gesagt hast) Gegenstand der Debatte ist?
Das legt den Gedanken nahe, dass es auch dein Gefühl ist, dass dich glauben lässt, aus Marx KAPITAL ließe sich in der Frage der Aufhebung der Lohnarbeit ein ahistorischer Moralismus ableiten, der ohne jeglichen Kommunismus auskommt.
ja, DAS ist in der Tat mein „Gefühl“: aus den Verhältnissen, die im „Das Kapital“ beschrieben (wirklich gesagt) sind, lässt sich NUR und ausschliesslich ableiten, dass Lohnarbeit (und alle Arten von Sklavenarbeit) aufgehoben werden muss, wenn man den Kapitalismus aufheben will.
Von Kommunismus und Geschichten, die fortgeschrieben werden müssen, steht da – soweit ich sehe – kein einziges Wort.
Das Markt und Geld im Kommunismus aufgehoben werden, mag gut sein, aber das folgt nicht aus dem Text „Das Kapital“ sondern aus mir nicht bekannten Theorien.
Aber vielleicht lesen andere Menschen im Kapital etwas ganz anderes. Das würde mich sehr interessieren. Kennst Du im „Das Kapital“ (Band 1)Textstellen (wirklich Gesagtes) über Kommunismus oder gegen den Markt?
Du stellst dir also vor, dass in einer postkapitalistischen Gesellschaft nach Marx weiterhin für den Markt produziert wird, also den Austausch gegen Geld. Nur sollen keine Löhne mehr gezahlt werden. Nun musst du nur noch erklären, woher das Geld kommen soll, um die aus Lust und Laune freiwillig produzierten Dinge einkaufen zu können.
nein, ich stelle mir die Gesellschaft in der Zukunft auf gar keine Weise vor (sowenig, wie es Marx – wirklich ge/beschrieben hat). Ich bin kein Seher.
Ich lese bei Marx und verwende das Wort Kapitalismus für eine gesellschaftliche Produktionsweise, die auf Lohnarbeit beruht. Umgangssprachlich wird das Wort oft für die Folgen der Lohnarebit verwendet (Umweltzerstörung, Kriege, Ungleiche Verteilungen, Abzockerei, usw). Menschen, die das Wort so verwenden, bezeichnen eine schlechte Gesellschaft und wünschen eine gute Gesellschaft, in welcher ALLES anders ist – allerdings ohne zu wissen, wie die Gesellschaft dann aussehen soll.
Wenn wir AUSSCHLIESSLICH das Lohnverhältnis (und die Sklavereien) aufheben, dann bleibt die Gesellschaft ZUNÄCHST so, wie sie JETZT ist. Die „Keimform“ (nicht im Sinne des zurückblickenden Holzkamp, sondern im Sinne dieses Forums) besteht dann in einer Art, die Arbeit ohne Lohnverhältnisse zu organisieren.
Ich gebe ein Beispiel: ein Softwarehause macht – wie jetzt – Software und verkauft sie (oder Lizenzen) am Markt gegen Geld. Es gibt dabei keinen Kapitalisten, weil es keine Lohnarbeit gibt. Alle Menschen, die dort arbeiten, sind gleichberechtigte Mitinhaber, die den Ertrag zu gleichen Teilen teilen (Der Ertrag ist Geld, das auf dem Markt verdient wird, weil genau daran ja nichts geändert wird).
Woher das Geld kommt, ist hier also gar keine Frage (und braucht nebenebei bemerkt auch keine unsinnigen Herleitungen wie sie etwa Fabian hier lieferte).
Wenn immer mehr Menschen auf das Lohngeben verzichten, gerät der Kapitalismus in eine Krise, weil er aus Lohngeben besteht. Arbeitsverhältnisse ohne Lohn (die im 5-Schritt-Modell) anfänglich unbedeutend scheinen, werden in der Krise allenfalls dominat. Der Selektionsdruck, von welchem im 5-Schrit-Modell die Rede ist, besteht in diesem Fall in der für-wahr-genommenen Kritik der politischen Ökonomie, also in der Aufheung der Lohnarbeit. Filosofen können die Ablehnung oder Ächtung der Lohnarbeit als moralisierend auffassen, aber Filosofen interessieren in diesem Prozess, wo es darauf ankommt, die Welt zu ändern, nicht.
Das ist Pipi Langstrumpf Marxismus. Ich baue mir den Marx wieerwieer wie er mir gefällt. Markt ja, Lohn nein, Geld? Egal. Na, dann…
Habe eben mit zunehmendem Kopfschütteln diesen Thread gelesen.
@Todesco:
Also wenn dir die Abschaffung der Lohnarbeit wichtig ist, dann frage ich mich angesichts deiner Ablehnung jeglicher weitergehender Aspekte (z.B. Ökologie), WARUM du eigentlich die Lohnarbeit beseitigen möchtest. Weil es im Kapital Band 1 steht? Das ist ein schlechter Grund, das ist wie die Berufung auf die Bibel, man teilt einen Standpunkt, weil er in einem alten Buch steht. Du polemisierst gegen religiöse Bezüge und merkst nicht, wie du dir selber einen weiterdenk-unwilligen Dogmatismus aufgebaut hast.
Denn: wenn Marx die Lohnarbeit kritisiert, dann nicht, weil er sich in eine fixe Idee verbissen hat. Sondern weil er das brutal findet, was da abgeht, und DESHALB nimmt er es wissenschaftlich auseinander. Nicht zufällig lobt er dabei die Berichte der englischen Fabrikinspektoren, wo die ganze elende Schinderei in den Fabriken geschildert wird. Schufterei, man hat nichts vom Leben, die Gesundheit ist schnell verschlissen, die Lungen von Dämpfen und Qualm verätzt, die Lebenserwartung krass verkürzt, die Kinder krank und so weiter. Irgendwo ist auch von Sägemehl im Brot die Rede: dank Profit minderwertige Lebensmittel, also ist auch schon das ganze Gammelfleisch-Thema mit enthalten. Es geht also um den ganzen Umkreis der Schädigungen, nicht einfach nur um die formale Tatsache, dass gegen Geld Lohnarbeit verrichtet wird, sondern: was damit alles angerichtet ist.
Insofern ist es nur konsequent, auch die Zerstörung und Vergiftung der Umwelt mit einzubeziehen in die Erscheinungen, die man beseitigen will. Oder glaubst du im Ernst, Marx wäre einverstanden, die Lohnarbeit abzuschaffen, hätte aber nichts gegen das Weiterbestehen toxischer Müllhalden und pestizidverseuchter Lebensmittel? Du spielst hier Dinge gegeneinander aus, die DENSELBEN GRUND haben, nämlich die Kapitalverwertung.
Am Ende meinst du vielleicht noch, die ökologisch argumentierenden Kritiker in der DDR wären zu Recht als „antimarxistisch“ unterdrückt worden, weil Marx in Band 1 kein Kapitel namens „Ökologie“ eingerichtet hat? War ihm die Gesundheit der Lohnarbeiter also scheißegal? Und hat die Gesundheit der arbeitenden Menschheit wirklich nichts zu tun mit ökologischen Themen?
@Mattis – ich will nicht für oder gegen etwas argumentieren und ich mag auch nicht, wenn mir umkehrschlüsse zugemutet werden.
Ich will nicht darüber befinden, was Marx alles auch gemeint hätte und was alles gut für die Menschen wäre, die das selbst nicht merken.
Ich will einen Begriff von Kapitalismus bezeichnen, weil ich weiss, dass es unzählige Vorstellungen von Kapitalismus gibt. Im Text „Das Kaptial“ Band 1 von Marx, ist genau eine Art von Kapitalismus beschrieben: die Lohnarbeit.
Und wenn die Lohnarbeit aufgehoben würde, würde sich sehr viel ändern, nicht nur die Lohnarbeit. Aber wenn wir sehr viel ändern würden, aber die Lohnarbeit beibehalten, dann würden wir im Kapitalismus bleiben (in jenem Kapitalismus, den Marx beschrieben hat).
Und um auf Deine konkrete Polemik zu antworten: JA, die Gesundheit der Lohnarbeiter ist scheissegal, weil es gar keine Lohnarbeitet geben sollte. Marx meinte auch (etwa gegen Lasalle), dass es für Lohnarbeiter keinen gerechten Lohn geben könne … weil es keine Lohnarbeit geben sollte.
Aber das ist in der Tat eine Frage der Theorie. Wer keine Theorie mag, kann Kapitalismus so oder so oder anders sehen (eindfach nicht mit Marx)
@Ralf Togesko: Dann sind für dich die Zustände in den Textilfabriken von Bangladesch also scheißegal, weil es eh unmoralisch ist, für Geld zu arbeiten? Das gegen eine Theologisierung von Marx ins Feld zu führen wäre tatsächlich … sagen wir besonders. Welche praktische Konsequenz soll so etwas haben? Revolutionsgarden, die arbeiten gegen Geld aufspüren und mit Peitschenhieben bestrafen?
Marx hat sich im Übrigen in den 16 Jahren, die ihm nach Erscheinen des KAPITAL I geblieben waren, und in denen er an den Folgebänden arbeitete (bekanntlich, ohne sie jemals in Form bringen zu können) einen beträchtlichen Teil seiner Forschungsarbeit mit ökologischen Fragen auseinandergesetzt, wie zuletzt die Auswertung seiner Londoner Notizbücher im Rahmen der MEGA Edition zu Tage förderte.
Die Perspektive des grünen Marx (und Engels) war die der (welt-) kommunistische Aufhebung der existenziellen Abhängigkeit von der Vermietung des eigenen Arbeitsvermögens für fremde Zwecke, die an privateigentümliche Behauptungsbedingungen geknüpft sind, aber als ein langerwieriger Prozess gedacht, in dem die Globalisierten dieser Erde die Fähigkeit entwickeln, die Produktionszwecke und -bedingungen (inklusive die Frage der individuellen Belohnung für Geleistetes) auf Basis gemeinschaftlicher (d.h. auch weltgemeinschaftlich bestimmter) Forschung, Entscheidungsfindung und Verantwortung zu regeln.
Das ist keine Frage der moralischen Ablehnung aller Lohnarbeit unabhängig von den historischen Möglichkeiten, sondern eine Frage der notwendigen Anpassung der Produktionsverhältnisse an die den Menschen über den Kopf wachsenden Produktiv- bzw. Destruktivkräfte.
„Interesting read on Marx and ecology.
http://monthlyreview.org/2016/02/01/marxs-ecological-notebooks/
„Die einfachste Frage ist: Warum hat Marx nicht publiziert, nachdem er zuvor so unglaublich vieles publiziert hatte?
@Todesco
„Ich will nicht darüber befinden, was Marx alles auch gemeint hätte und
was alles gut für die Menschen wäre, die das selbst nicht merken.“
Die Menschen merken auch nicht, dass es die Lohnarbeit ist, die ihr Leben beschränkt. Trotzdem bist du für deren Abschaffung. Warum, bleibt unklar. Wenn es nicht das schlechte Lohnarbeiter-Leben mit all seinen Aspekten ist, also Maloche, Gesundheit, Umweltverseuchung etc. ist, was ist es dann?
Diese Frage hat einen ganz ernsten Hintergrund. Es gibt nämlich z.B. auch Leute, die wollen die Lohnarbeit beseitigen, weil sie in der Arbeiterklasse den historischen Auftrag sehen möchten, die Produktivkräfte von den sie hemmenden Produktionsverhältnissen zu befreien. Entsprechend übel sieht dann diese Variante der Abschaffung von Lohnarbeit aus, denen ist die Gesundheit der heroischen Arbeiterklasse dann nämlich auch scheißegal.
Und dann gibt es noch Leute, die wollen einfach nur, dass jeder sein eigener Kapitalist ist und statt Lohnarbeit gleich selber die Konkurrenz mit den anderen Kapitaleignern austrägt.
Du siehst: „Abschaffung der Lohnarbeit“ allein ist irgendwie nicht ausreichend als Losung.
Marx beginnt sein Buch übrigens nicht mit der Lohnarbeit, sondern mit der Ware und deren Austauschverhältnissen. Es ist der Markt, aus dem sich das übrige mit innerer Logik entwickeln lässt, und das solltest du ernst nehmen, das ist nämlich kein didaktischer Dreh von Marx, damit anzufangen.
Überall wo Markt ist, selbst in den kleinsten Formen, entsteht Kapital und Lohnarbeit. Selbst am Ende der Welt: wer in der Konkurrenz auf dem Markt verliert, kann dann als Lohnarbeiter beim Erfolgreicheren antreten, weil er sonst nichts zu beißen hat. Und die erfolgreichen Kapitalisten schlucken die weniger erfolgreichen Konkurrenten, und so weiter, bis Großkonzerne entstehen. – Die Verfechter der „Mikrokredite“ drücken sich vor dieser einfachen Wahrheit.
Also: wer von Markt und Konkurrenz nicht reden will, sollte auch von der Lohnarbeit schweigen.
@Mattis – mir gefällt die Idee, „darüber“ zu reden. Und dann zuerst, darüber „worüber“, dass wir nicht – ohne es zu merken – über ganz verschiedene Dinge reden.
ok, ich hole nochmals etwas aus: Ich gehe – subjektwissenschaftlich – davon aus, dass mein Beobachten bestimmt, was ich wahrnehme, und dass ich deshalb mein Beobachten beobachten muss, was ich als theoria bezeichne. Ich muss mir meine Theorie bewusst machen. Indem ich sie explizit mache, können auch andere erkennen, wie ich worüber spreche – und natürlich auch, was ich durch diese Theorie nicht sehen kann.
Das Kapital (Band 1) von K. Marx ist eine Explikation von Theorie, die ich mir angeeignet habe. Aneignen heisst hier, dass ich die Aussagen, die dort stehen, als meine eigenen Aussagen begreife und die dort verwendeten begrifflichen Kategorien eben auch verwende, was dann meine Wahrnehmung bestimmt. Mithin kann ich meine Theorie und meine durch diese Theorie wahrgenommene Welt anhand dieses Textes erläutern. Ich kenne viele Menschen, die andere Theorien haben, also muss ich auch einen Grund dafür haben, ausgerechnet diese Theorie zu wählen.
Zuerst aber zur so wahrgenommen Welt – die ich als „kapitalistische Gesellschaft“ bezeichne, weil Marx diese Benennung eingeführt hat. Diese – spezifische – „kapitalistische Gesellschaft“ kann ich nur durch diese Theorie sehen, wer andere Theorien hat, sieht diese Gesellschaft und die Probleme dieser Gesellschaft nicht.
In der so gesehenen Gesellschaft werden Waren am Markt getauscht, wobei sich der Tauschwert der Waren im Durchschnittspreis zeigt, aber eigentlich den gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand repräsentiert. Die kapitalistische Gesellschaft – das macht ihr Wesen aus – beruht auf der Fiktion einer Ware, die wir als „Arbeitskraft“ (weil Marx dieses Wort dafür vorgeschlagen hat) bezeichnen. Die Arbeitskraft ist keine Ware, das heisst sie wird nicht gegen andere gleichwertigen Waren, sondern gegen LOHN getauscht, wodurch dem Lohngeber Mehrwert ensteht, den er dem Lohnnehmer im vermeintlichen Tauschen stiehlt.
Mehrwert entsteht ausschliesslich in diesem Verhältnis, also niemals auf dem Warenmarkt oder in der sogenannten Zirkulation. Die Aufhebung des Mehrwertes ist die Aufhebung des Lohnverhältnisses. Menschgewordene Menschen bezahlen keinen Lohn, sowenig, wie sie andere sonst betrügen, bestehlen oder gar umbringen.
Das ist der ganze Inhalt des Textes „Das Kapital (Band 1). Wie wir gut dokumentiert wissen, hat Marx nachher nichts mehr dazugeschrieben, weil er bei seinem Forschen nicht mehr weiter gekommen ist. Und ebenso natürlich wissen wir (mit Marx !), dass dieser spezifische Kapitalismus auf einem feudalen System der Grundrente aufbaut, das eine historische Voraussetzung dieses Kapitalismuses darstellt, aber mit Kapitalismus nichts zu tun hat, weil es keinen Mehrwert produziert. Und schliesslich wissen wir (auch mit Marx), dass im entwickelten Kapitalismus Finanzierungsfiktionen die eigentlichen Tauschhandlungen am Markt bei weitem übertreffen, dass das aber alles Zirkulationsphänomene sind, die keinerlei Mehrwert schaffen.
Fazit: wer die Welt insgesamt – also ohne jede Theorie – vor Augen hat, meint nicht Kapitalismus, auch wenn er den Ausdruck als Schimpfwort für ihm schlechtscheinende Verhältnisse verwendet. Wer „Kapitalismus“ im Sinne von Marx verwendet, meint Lohnarbeit und sonst gar nichts. Vielleicht gibt es auch Theorien zu ganz anderen „Kapitalismen“, ich kenne sie einfach nicht. DESHALB bin ich für die Abschaffung der Lohnarbeit.
PS: ich gehe davon aus, dass sich dann auch das feudale Problem erledigt, und umgekehrt, dass Grundrente (Grundeigentum) auch unabhängig von der Lohnarbeit thematisiert werden können. Ich sehe in den Commons solche Ansätze, ich verstehe nur nicht, was sie mit Marxschem Kapitalismus zu tun haben.
Ehrlich gesagt, klingt das für mich nach einem nicht wirklich gesunden Herangehen.
Arbeitskraft wird durch ihren Verkauf oder besser ihre Vermietung zur Ware. Sie wird gegen die spezifische Ware Geld getauscht, deren Gebrauchswert es ist, den gesellschaftlichen Tauschwert der Waren zu spiegeln, gegen die sie (die Ware Geld) eingetauscht wird und gegen jede andere Ware ausgetauscht werden zu können, also ein Allerweltsmittel zur Aneignung der Gebrauchswerte dieser anderen Waren ist.
Der Mehrwert entsteht nicht durch den Tausch Arbeitskraft gegen Lohn. Er ist überhaupt keine Sache, die zwischen individuellen Vertragspartnern geschieht. Mehrwert entsteht dadurch, dass bei der Herstellung der Waren mehr gesellschaftliche Durchschnittsarbeitszeit verausgabt wird als für die Waren, die zur Reproduktion der Arbeitskraft im gesellschaftlichen Durchschnitt notwendig sind.
Man würde Marx sehr missverstehen, wenn man den Mehrwert als unmoralisch, Diebstahl oder ähnliches betrachtet.
Er entsteht nicht, aber realisiert sich über den Tausch. Jede Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass mehr Dinge erarbeitet werden (Potential erarbeitet wird) als zur Reproduktion derjenigen notwendig ist, die sie erarbeiten. Im Kapitalismus geschieht das über Lohnarbeit für den Verkauf mit dem Ziel am Ende mehr Geld zu besitzen als investiert werden musste. (Private Aneignung)
Lohnarbeit aufheben zu wollen ohne das Arbeiten für den Verkauf auf einen Markt durch ein Füreinanderproduzieren und Voneinanderleben entsprechend gemeinsam ergründeter und verantworteter Produktionszwecke, bzw. -bedingungen zu ersetzen, wird nicht funktionieren (Arbeiter sollen kein Lohn bekommen, müssen aber weiter die notwendigen Dinge kaufen. Wie soll das gehen?)
Das ist wirklich gefährlicher Moralistenunsinn, gefährlich, weil hier die (historisch) notwendige Unterordnung unter die bestehenden Reproduktionsbedingungen zu einer moralischen Verfehlung umgedeutet wird und zwar in der wirklich krassen Form der Aberkennung des Menschseins.
die je eigene theoria zu bezeichnen, kann als Einladung gesehen werden, dass man sich nicht eignen muss, wo die Verschiedenheit der Theorien das gar nicht zulässt.
Der Kapitalismus, den ich im Text von Marx finde, besteht genau und auschliesslich darin, Arbeitskraft als Ware zu sehen – was Kapitalisten genau so tun.
So eine Gebetsmühle ist zugegebenermaßen praktisch 🙂
@Todesco
„die je eigene theoria zu bezeichnen, kann als Einladung gesehen werden,
dass man sich nicht einigen muss, wo die Verschiedenheit der Theorien das
gar nicht zulässt.“
Verschiedenheit der Theorien heißt doch nicht, dass sie alle gleich-gültig zu bewerten sind, wie ein Modegeschmack. Es wäre zum Beispiel Unsinn zu sagen, ich betrachte den Kapitalismus als Feudalismus, weil mir die feudalistische Brille gefällt und diese dann eben „meine Wahrnehmung bestimmt“. Die Krux beginnt doch schon mit der „Brille“. Wenn ein religiöser Fanatiker seine Taten mit irgendeiner heiligen Schrift legitimiert, die er als seine „Brille“ auserwählt hat, dann wird man doch nicht sagen, hey schon okay, du hast eben eine andere Brille auf. Sondern man wird sagen: leg mal die Brille ab und schau dir mal an, was dann noch an sachlichen Argumenten übrigbleibt.
Du spielst im übrigen ein sehr widersprüchliches Spiel mit deinem „subjektwissenschaftlichen“ theoria-Argument. Du hast die Kapitalisten Z.B. moralisch verurteilt, weil sie Lohnarbeit beschäftigen, aber so generell kritik-abweisend wie du selber argumentierst könnte ein Kapitalist sagen: ich hab BWL studiert und das bestimmt meine Wahrnehmung und insofern sind meine Argumente pro Kapitalismus nicht kritikabel, solange ich explizit mache, dass das eben alles aus meinem BWL-Ansatz folgt.
@Mattis –
hmmm … ja, das sehe ich sehr ähnlich. Der Kapitalist KÖNNTE sagen, dass Arbeitskraft in seiner Theorie eine Ware mit einem Marktpreis sei … usw.
Ich sage, dass das kapitalistisches Denken ist, egal wer das sagt.
Und Kapitalisten, also jene die Lohn GEBEN, müssen eigentlich gar nichts sagen, weil sie ja TUN, was sie tun.
Und noch etwas zum „moralisch“. Moral ist ein bürgerlicher Begriff und passt deshalb in eine bestimmte Art zu denken. Wer das Wort verwendet, also nicht über das Wort spricht, zeigt ein bürgerliches Denken.
Ich bezeichne Lohngeben – wie Slavenhalten oder Morden – als Handlungen, die ich ablehne. Sie widersprechen meinen Vorstellungen davon, was menschgewordene Menschen tun. Ich finde es primitiv im Sinne von unentwickelt.
Ja, und viele Bürger bezeichnen das als „moralisieren“, was sie ihrer Moral nach unmoralisch finden.
Du lehnst also Moral aus moralischen Gründen ab. Moral ist in deinen Augen bürgerlich und bürgerlich sein hältst du für unmoralisch. Wer bürgerliche Verbrechen begeht wie das Zahlen von Lohn ist in deinen Augen kein Mensch. Was man mit so einem Gewürm macht, wenn man bürgerliche Moral unmoralisch findet, hat der Stalinismus eindrucksvoll gezeigt. Todesco, mir graut vor dir