Facebook und die Einhegung der sozialen Beziehungen
Die Bewegung der Einhegung der Allmenden begleitet den Kapitalismus seit seinen allerersten Tagen. Immer neue Bereiche werden der Logik der Verwertung unterworfen. Menschen wurden und werden der Möglichkeiten der Subsistenz beraubt und gezwungen Geld zu verdienen um ihre Bedürfnisse (mehr oder weniger) auf dem Markt zu befriedigen. Wie Rosa Luxemburg entdeckt hat, findet diese Einhegung nicht nur einmal zum Beginn kapitalistischer Produktion statt (wie Marx noch nahelegte), sondern um immer weitere Bereiche seinen Gesetzen unterwerfen zu können, muss er immer neue Felder einhegen. Sie dachte damals, jedoch fälschlicherweise die Kolonien seien das letzte Feld, dass eingehegt werden könnte, weswegen der Kapitalismus verdammt sei.
Die zunehmende Informationalisierung der Produktion war in den letzten Jahrzehnten dabei ein heiß umkämpftes Feld. Zum einen gab und gibt es ein Problem, weil als Bedingung der Verwertung immer Knappheit benötigt wird. Ohne Zaun um die Weide keine Einhegung, keine Knappheit und keine Verwertung. Information ist aber auch im Kapitalismus traditionell nur bedingt knapp. Die unendlichen Möglichkeiten der planetaren digitalen Kopie (genannt „Das Internet“) waren es schließlich, die alte Strategien der Erzeugung von Knappheit immer schwieriger gemacht haben. Musik- und Filmindustrie sind seit dem in eine unendliche Jammerschleife verfallen um die Politik dazu zu bringen immer schärfere Repressionsmaßnahmen zu veranlassen.
In der Vergangenheit gab es im wesentlichen drei Strategien um trotzdem noch eine Verwertbarkeit der informationellen Produktion zu ermöglichen. Ikonenhaft könnte man sie mit den vier Konzernen IBM, Microsoft, Apple und dem alten Google illustrieren. Die Strategie IBM besteht dabei darin, Informationsproduktion nur zu verwenden um etwas anderes zu verkaufen, früher Hardware, heute hauptsächlich Service. Die Strategie Microsoft besteht darin die bestehenden Möglichkeiten von restriktiven Lizensierungen und Monopolbildung auszureizen, um die eigenen Informationsprodukte unentbehrlich zu machen. Die Strategie Apple schließlich besteht darin, nicht wirklich Informationsprodukte zu verkaufen, sondern einen Lifestyle. Google schließlich verwendet seine Informationsprodukte dazu um den Zugang zu anderer Leute Informationsprodukte zu ermöglichen und dabei einen kleinen Aufmerksamkeitswegezoll in Form von Werbung zu erheben. Wenn die Datenbank nur groß genug ist, dann sind die Krümelchen, die da abfallen in der Summe eben auch ein Berg. Das hat sich in den 0er Jahren bis noch vor kurzem vor allem in dem Spruch „Was gut fürs Internet ist, ist gut für Google“ manifestiert (tatsächlich ändert Google aber möglicherweise gerade seine Strategie, wohin ist noch unklar und soll hier nicht Thema sein).
Für die Einhegungsbewegung hatten all diese Strategien unterschiedliche Bedeutungen. IBM fördert die Produktion von Code in den Commons (also Freie Software) massiv, weil dank ihrer Strategie sie dennoch in den bereits stärker eingehegten Bereichen von Hardware und Service so zusätzlich verdienen können. Microsoft bekämpft die Produktion von Code in den Commons fast überall, weil sie in direkter Konkurrenz dazu agieren. Apple benutzt Code aus den Commons so weit das möglich ist um die eigene Strategie zu ermöglichen, hat aber im Gegensatz zu IBM ein parasitäres Verhältnis dazu. Das alte Google schließlich war ein großer Förderer der Commons, weil die Commons „gut für das Internet“ sind.
Mit der zunehmenden Beliebtheit von sozialen Netzwerken hat sich nun eine neue Strategie etabliert, Verwertung zu ermöglichen. Facebook war nicht die erste Firma, die sich darin versucht hat, aber sie ist auf dem besten Weg zum Monopolisten und deshalb soll sie unser Namensgeber für diese Strategie sein.
Die Strategie Facebook basiert darauf nicht Informationen einzuhegen, sondern etwas noch flüchtigeres, nämlich den informationellen Ausdruck sozialer Beziehungen, in einem gewissen Sinn also die sozialen Beziehungen selbst. Sprich: das vollkommen alltägliche Gespräch, den Klatsch auf dem Büroflur. Nun sind soziale Beziehungen etwas sehr kompliziertes und deshalb sehr schwer zu handhaben für Verwerter. Das erste was die Strategie Facebook machen muss, ist also einen großen Zaun um einen Garten ziehen, in dem sie definiert, was erlaubte soziale Beziehungen sind und was nicht. Wenn dieser sogenannte „walled garden“ errichtet ist, dann gilt es sich irgendwelche Tricks einfallen zu lassen, die Menschen in diesen Garten zu locken um dort ihren Klatsch und ihre Albernheiten abzusondern und nicht mehr auf anderen Seiten oder gar „in real life“. Dies alles ist Facebook offensichtlich besser gelungen als anderen, so dass wir jetzt in der Situation sind, dass man um einen Facebook-Account schon kaum noch drum rum kommt. Selbst ein Freund von mir, der ein wirklich hartnäckiger „late adopter“ sein kann und sich erst vor kurzem überhaupt ein Handy angeschafft hat, hat jetzt auch schon einen Account bei Facebook. Nun ja, ihr kennt das, es wird wohl kaum jemanden hier geben, der sich nicht schon dutzende Male „bist Du eigentlich auch bei Facebook?“ anhören musste. Jede dieser Fragen ist ein kleiner Stein in der Mauer um den Garten der sozialen Beziehungen, oder wie es gerne zusammen gefasst wird: Du bist nicht der Kunde, sondern das Produkt.
Einerseits.
Andererseits gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen der Verwertung von Informationsproduktion in den Strategien IBM, Microsoft, Apple, Google und der Verwertung von sozialen Beziehungen in der Strategie Facebook. Die alten Strategien haben auf jeweils ihre Weise das Problem der Kopie gelöst. Sie haben Knappheit erzeugt oder Überfluss in einem Bereich zur Erzeugung von Knappheit in anderen Bereichen genutzt um so den Reichtum der Kopie verwertbar zu machen. Das hat auch da schon nur teilweise geklappt, wie der Erfolg von Freier Software, Wikipedia und den vielen anderen Beispielen von gelingender commons based peer production gezeigt hat.
Soziale Beziehungen aber sind nicht kopierbar.
Das macht es der Strategie Facebook auf eine Art leichter. Sie brauchen nicht wirklich Angst vor Kopien haben. Selbst wenn heute jemand die komplette Datenbank und den kompletten Code von Facebook klauen würde, wäre das zwar sicher ein harter Schlag für die Firma, aber kein grundsätzlich strategisches Problem. Facebook wäre immer noch Facebook und die Kopie wäre immer noch die Kopie und nicht identisch mit Facebook. Niemand oder fast niemand würde dann plötzlich seine Freunde fragen „He, bist Du eigentlich schon bei der Facebook-Kopie?“.
Aber soziale Beziehungen haben ein ganz anderes Problem für die Verwerter: Sie sind unberechenbar.
Die gesamte Geschichte des Kapitalismus wird von dem Versuch begleitet, soziale Beziehungen berechenbar zu machen. Von den ersten Armen- und Arbeitshäusern bis zu Hartz4, immer geht es darum, Menschen in die Arbeit zu zwingen, ihren Reichtum an sozialen Beziehungen kontrollierbar zu machen, Disziplin zu erzeugen. Mal mehr mal weniger subtil. Auch die Strategie Facebook steht in dieser Tradition. Aus Empfehlungen werden Likes und aus Gerüchten Shares, auf Fotos werden Menschen maschinell erkannt, damit die Datenbank sie versteht, usw. ihr kennt das.
Andererseits.
Würde Facebook ihren Garten komplett von allem unberechenbaren reinigen, würde es die eigene Strategie torpedieren, eben weil soziale Beziehungen auf einmal nicht mehr nur lästige Störung beim Versuch der Verwertung sind, sondern weil der Stoff der Verwertung selbst betroffen ist. Niemand kauft Autos, wenn sie mit festgeschweißter Handbremse verkauft werden.
Oberflächlicher Ausdruck dieses Problems ist die Verwendung der sozialen Netzwerke bei den Revolutionen, Rebellionen und Aufständen des vergangenen Jahres oder die neue Kulturtechnik des Internet-Mems. Meiner Meinung nach ist das aber erst der Anfang. Ich halte es für durchaus möglich, dass wir gerade Zeuge der letzten Einhegung sind, und Facebook sich bald in der Rolle des Zauberlehrlings finden wird, der die Geister nicht mehr los wird, die er rief. Ebenso kann es natürlich sein, dass ich mich in der Rolle von Rosa Luxemburg wiederfinde (ich hoffe jedoch, dass mir wenigstens das Erschießen erspart bleibt).
Wie immer ist die Geschichte offen und es hängt von uns ab, was wir draus machen. Nur sollte uns die obige Analyse zeigen, was ein wichtiges (vielleicht das wichtigste?) Feld für Aktivismus der Commoner sein sollte. Baut Freedom Boxes, baut eigene Gärten ohne Mauern (Die beiden zur Zeit populärsten Beispiele sind Diaspora und status.net), benutzt aber auch Facebook und Twitter für die Organisation des Aufstands.
2012 könnte das Jahr sein, in dem sich die Zukunft unserer sozialen Beziehungen entscheidet. Möget ihr in interessanten Zeiten leben.
Danke für diesen richtig guten Artikel.
Es gibt noch eine alternative Plattform zu nennen, auf den auch gut Projektarbeiten druchgeführt werden können:
http://n-1.cc
@Martin: „Error 503 Service Unavailable“
Was allerdings auch immer wieder aus unerträglich bornierten Verhältnissen befreit(e), oder?
Kann ich nicht so ganz nachvolllziehen. Lässt sich aus dem MEW m.E. nicht herauslesen.
@Hans-Herman dafür dass es da so schlimm ist in der Subsistenz, haben die Menschen sich aber ziemlich oft gewehrt, wenn sie ihnen genommen wurde. Aber klar, auch bornierte Subsistenz gibt es und wird es gegeben haben, so wie es auch mehr oder weniger bornierten Kapitalismus gab und gibt.
Und was Deinen marxologischen Einwand angeht: Mag sein, mir ist das so beigebracht worden, aber das ist ja für die weitere Argumentation auch nicht wirklich relevant.
@Hans-Herman
Was allerdings auch immer wieder aus unerträglich bornierten Verhältnissen befreit(e), oder?
Das kommt dann aber auf die Ressourcen an über die man verfügt (Geld)
oder die Wege und Mittel die man beschreitet um an die Ressourcen zu gelangen (ausserhalb der Kapitalistischen-Gesellschaft)
@Benni
…dafür dass es da so schlimm ist in der Subsistenz…
wenn einem keine Alternativen geboten werden und/oder das Verständnis
und/oder die Akzeptanz für diese Alternativen fehlt schaltet der konservative/praktisch veranlagte Mitmensch auf stur.
Facebook vereinigt diverse Kommunikationstechnologien, die es größtenteils vorher gab: zum Chatten gab es IRC und Jabber, für persönliche Mitteilungen E-Mail, für Bildtelefonie SIP, zum Veröffentlichen von Privatkram mit Kommentierfunktion Weblogs, zum Abonnieren von Weblogs RSS…
Der Vorteil ist, dass man nicht zig Programme installieren und konfigurieren muss, wozu manche User auch gar nicht in der Lage sind, sondern alles fertig im Browser bekommt.
Der Nachteil ist, dass nun alles über einen einzigen, zentralen Server läuft, auf dem sich alle einloggen müssen. Dies ist ein Rückschritt zu BTX. Der eigene Rechner wird ferner zum dummen Terminal, von dem aus man auf einem entfernten Rechner proprietäre Software fernsteuert. Der einzelne User hat seine persönlichen Daten, seine Kontakte, seine Nachrichten usw. nicht auf dem eigenen Rechner, sondern auf einem entfernten Server. Auch dies ist alles sehr BTX-mäßig.
Facebook sägt somit an der Selbstbestimmung des Computer-Users in ähnlicher Weise wie das iPad. Hier seh ich eine große Gefahr.
Lieber Benni, sehr interessanter Artikel. Im Prinzip geht es dabei darum, Kapitalismuskritik am Beispiel Facebook zu betreiben, oder? Kennst Du zu diesem Thema auch die Arbeit von Caro Wiedemann? Subjektivierungsformen mittels Facebook und so, solltest Du unbedingt lesen.
http://universaar.uni-saarland.de/monographien/volltexte/2010/11/pdf/wiedemann_ebook.pdf