Gegen das digitale Vergessen
Mirko Dölle schrieb auf heise open einen interessanten Artikel zu einem nicht so neuen Thema: dem Archivieren digitaler Daten. Nun leuchtet völlig ein, dass proprietäre Dateiformate eine Pest sind, über deren Langzeitwirkung sich die meisten Leute keinen Kopp machen. Aber sind »offene Formate« wirklich eine Alternative?
Eigene Erfahrungen
Auch ich habe etliche Dokumente aus meiner AtariST-Zeit in diversen proprietären Formaten. Wahrscheinlich kann ich mir abschminken, da jemals wieder ranzukommen. Auch bei meiner Diss im WP5-Format dürfte das schwer werden, zumindest, was die Formeln angeht. Und gar das Buch »Neuronale Netze und Subjektivität« (hierhin gerettet, aber ohne das Mathe-Kapitel) im Word-6-Format wird mir komplett zerhagelt, wenn ich es mit einem alten Word-6 auf einem Antik-Rechner aufrufe, weil die Ausgabe bescheuerterweise vom Druckertreiber abhängt.
Format und Interpret
Aus meiner Sicht sind hier zwei Aspekte zu beachten: das Datenformat und die Interpretationsmaschine. Wenn es sich bei dem Datenformat um ASCII handelt, dann sind die Abhängigkeiten von einer spezifischen Interpretationsmaschinerie gering — nur die Kodierung muss klar sein. Wenn es sich um ein komplexes Format handelt, sagen wir RTF (ein offenes, aber proprietäres Format von Microsoft), dann wird die Situation schon komplizierter. Das Format selbst ist zwar offen gelegt, aber die Kontrolle des Formats ist nicht frei im Sinne Freier Software, sondern liegt bei einer Firma, die jede Chance nutzt, Freier Software zu schaden. So liegt die Interpretationsmaschine keineswegs offen. Noch prekärer wird es, wenn sowohl Dateiformat wie Interpretationsmaschine proprietär sind.
Frei statt bloß offen
Es ist also nur begrenzt etwas gewonnen, wenn Dateiformate offengelegt werden. Wenn es keine Referenzimplementation gibt, dann ist es in ferner Zukunft extrem aufwändig, die Interpretationsmaschine allein aus dem Format und der finalen Ausgabe (sofern diese vorliegt) zu rekonstruieren. Deswegen muss die Forderung lauten: Dateiformat und Referenzimplementation müssen FREI sein im Sinne Freier Software — die bloße »Offenheit« der Formate reicht nicht aus. Daher ist auch der von Mirko Dölle so begrüßte Koalitionsantrag keinesfalls ausreichend.
Nun, offen ist ja schon mal besser als völlig proprietär. Frei wäre allerdings besser. Zur Freiheit gehört vor allem auch die Freiheit, die Spezifikation weiter entwickeln zu dürfen und beliebige Umsetzungen der Spezifikation zu entwickeln.
Welche Probleme das macht, wenn das nicht der Fall ist, zeigt beispielsweise Adobe’s offenes und doch nicht freies pdf Format.