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Produzieren ohne Geld und Zwang

¿Otros mundos posibles? [1][Versión en español [2]]

Dieser Text ist mein Beitrag für die Konferenz „Andere mögliche Welten?“ [3] (¿Otros mundos posibles?), die im Mai in Medellín (Kolumbien) stattfand. Alle Beiträge der Konferenz werden in einem Sammelband der Rosa-Luxemburg-Stiftung [4] erscheinen, der Ende des Jahres in deutscher sowie in spanischer Sprache veröffentlicht werden soll.

Die Bewegung zum Commonismus

Stellen wir uns eine Welt vor, in der Produktion und Reproduktion bedürfnisorientiert zum Wohle aller stattfinden, organisiert von Menschen, die sich niemandem unterordnen müssen und sich freiwillig in die erforderlichen Tätigkeiten teilen. Ich nenne eine solche Gesellschaft Commonismus, weil ich glaube, dass darin die Commons, die Gemeingüter, eine wichtige Rolle spielen werden.

Man mag einwenden, dass eine solche Gesellschaft unmöglich sei, weil es sie noch nicht gab oder weil sie der Natur des Menschen widerspreche. Doch daraus, dass es etwas noch nicht gab, kann man nicht schließen, dass es unmöglich ist; und Argumente zur „Natur des Menschen“ übersehen, dass die Menschen nicht nur die Gesellschaft machen, sondern umgekehrt auch durch die Gesellschaft beeinflusst und geprägt werden. Ändern sich die Strukturen, ändert sich auch das Verhalten der Menschen.

Der Commonismus bliebe allerdings eine abstrakte Idee, wenn er nicht das Zeug hätte, aus der heutigen Gesellschaft, dem Kapitalismus, heraus zu entstehen. Karl Marx (1859, 9) sagte dazu, dass „die materiellen Existenzbedingungen“ neuer Produktionsverhältnisse „im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet“ werden müssen.

Eine commonistische Gesellschaft hat meiner Ansicht nach zwei wesentliche Voraussetzungen, deren Entwicklung durch die kapitalistische Logik zum Teil begünstigt wird, während ihre vollständige Umsetzung im Widerspruch zum Kapitalismus steht: (1) Menschliche Arbeit verschwindet aus dem Produktionsprozess, sie wird durch Automatisierung und Selbstentfaltung ersetzt. (2) Der Zugang zu Ressourcen und Produktionsmitteln steht allen gleichermaßen offen.

Wie diese Voraussetzungen die Produktionsprozesse verändern, wird bislang im Bereich der digitalen Produktion von Software und anderen Informationsgütern am deutlichsten sichtbar. Die Freie-Software- und Freie-Kultur-Bewegung hat diesen Kernbereich der modernen Produktion so grundsätzlich umgewandelt, dass bestimmte Märkte deutlich geschrumpft oder gar komplett verschwunden sind. Dies betrifft etwa Internetsoftware, Software für Programmierer/innen und Enzyklopädien. In diesen Bereichen haben sich frei verwendbare Programme wie Apache, Firefox, WordPress, frei nutzbare Programmiersprachen wie Python, Entwicklungsumgebungen wie Eclipse sowie die freie Internet-Enzyklopädie Wikipedia durchgesetzt. Konkurrenzangebote, die gemäß der üblichen kapitalistischen Logik nur käuflich erwerbbar sind, haben nahezu keine Chance mehr. Indem sie Märkte zum Verschwinden bringt, weist diese Bewegung über den Kapitalismus hinaus. Zugleich basiert sie aber auf Voraussetzungen, die im Kapitalismus entstehen und der kapitalistischen Logik zufolge entstehen müssen.

Ein Paradox des Kapitalismus ist, dass die menschliche Arbeit einerseits seine Grundlage ist, andererseits aber ein Kostenfaktor, den jedes Unternehmen möglichst stark reduziert. Arbeit ist Quelle des Mehrwerts und damit des Profits, doch zugleich kann jedes Unternehmen seinen Profit zumindest temporär dadurch erhöhen, dass es Arbeit einspart und so gegenüber seinen Konkurrenten einen Kostenvorteil erzielt. Arbeit in Billiglohnländer auszulagern, ist eine Möglichkeit zur Kostensenkung, doch noch besser ist es aus unternehmerischer Sicht, sie durch Maschineneinsatz oder durch von den Kund/innen freiwillig und unentgeltlich übernommene Tätigkeiten zu ersetzen.

Bis vor einigen Jahrzehnten ging der Einsatz von Maschinen und menschlicher Arbeit meist Hand in Hand, etwa bei der Fließbandarbeit. Doch mit zunehmender Automatisierung wird die menschliche Arbeit bei Routinetätigkeiten immer entbehrlicher. Übrig bleiben Arbeiten, die sich kaum automatisieren lassen, weil sie Kreativität, Intuition oder Einfühlungsvermögen erfordern. Deshalb ist in Bezug auf den modernen Kapitalismus oft von „Dienstleistungs-“ oder „Informationsgesellschaft“ die Rede, weil die meisten nicht automatisierbaren Tätigkeiten in diese Bereiche fallen.

Zudem werden Aufgaben an die Kund/innen selbst delegiert, was weitere Arbeitskräfte einspart. Dank Selbstbedienung brauchen Supermärkte weniger Verkäufer/innen; beim Online-Shopping und Online-Banking werden die Verkäufer bzw. Schalterangestellten ganz überflüssig; Ikea überlässt den Kund/innen das Zusammenbauen ihrer Möbel und spart so Personal und Transportkosten.

Doch diese Entwicklungen verändern zugleich den Charakter des Tuns. Als Angestellter arbeite ich, um Geld zu verdienen. Wenn ich jedoch meine eigenen Möbel zusammenbaue oder im Internet nach für mich geeigneten Produkten suche, dann interessiert mich das Ergebnis meines Tuns. Und durch die zunehmende Automatisierung werden langweilige Routinetätigkeiten, die man nur gegen (Schmerzens-)Geld erledigt, zunehmend durch kreativere und daher auch inhaltlich interessantere Tätigkeiten ersetzt.

Für letztere ist eine Bezahlung zwar (sofern man noch Geld braucht) ein netter Pluspunkt, aber – wie sich in den letzten Jahrzehnten zur Überraschung vieler Ökonom/innen gezeigt hat – keineswegs eine notwendige Bedingung. Seit das Internet es immer mehr Menschen ermöglicht, andere mit ähnlichen Interessen auch über größere Entfernungen hinweg zu finden, sind viele Projekte entstanden, in denen Menschen gemeinsam an Dingen arbeiten, die ihnen wichtig sind. Dazu gehören Freie Software, Freie Inhalte wie die Wikipedia und Open-Hardware-Projekte, in denen die Beteiligten gemeinsam materielle Dinge entwerfen und die Baupläne mit der ganzen Welt teilen. Beim Freifunk-Projekt, das offene Funknetzwerke aufbaut, und bei Gemeinschaftsgärten, wo Menschen gemeinsam städtische Freiflächen in offene Gärten umgestalten, steht dagegen die Zusammenarbeit vor Ort im Mittelpunkt. All diese Projekte haben zwei Grundlagen: zum einen die freiwillige, bedürfnisorientierte Zusammenarbeit der Beteiligten; zum anderen die Gemeingüter – Software, Wissen, Netzwerke oder Orte –, die sie nutzen, pflegen oder hervorbringen.

Manchen der Beteiligten geht es dabei ums Geldverdienen oder die Verbesserung ihrer Berufschancen, aber viele engagieren sich aus anderen Gründen: Weil sie selbst an dem entstehenden Werk Interesse haben, weil sie dabei Aufgaben übernehmen können, die ihnen Spaß machen, oder weil sie den anderen etwas zurückgeben möchten (ohne dazu verpflichtet zu sein). Arbeit zum Zweck des Geldverdienens wird so ersetzt durch Tätigkeiten, die man gerne um ihrer selbst willen, aufgrund ihres Ergebnisses oder den anderen Beteiligten zuliebe übernimmt: Selbstentfaltung.

Möglich ist das nur, weil die Beteiligten Zugang zu den benötigten Produktionsmitteln – wie Computern und Internetzugang – haben. Das mag als Begrenzung dieser freien, commonistischen Produktionsweise erscheinen, da die Konzentration der meisten Produktionsmittel in den Händen weniger für den Kapitalismus charakteristisch ist. Gemeinschaftlich produzieren kann man Software und Wissen, wo nur kleine, schon weit verbreitete Produktionsmittel nötig sind, aber wie steht es um Dinge, die riesige Fabriken erfordern?

Glücklicherweise treibt auch hier die Produktivkraftentwicklung den Kapitalismus in eine Richtung, die seine eigene Überwindung erleichtert. Ähnlich wie die heutigen Personalcomputer Nachfolger der Millionen kostenden und Räume füllenden Großrechner des letzten Jahrhunderts sind, werden auch andere Produktionstechniken immer günstiger und für Einzelne oder kleine Gruppen erschwinglicher. Kostengünstige, aber flexible computergesteuerte (CNC) Maschinen ersetzen in der industriellen Produktion zunehmend schwerfällige Großanlagen. Gleichzeitig hat sich rund um diese Maschinen eine Bewegung von Hobbyisten gebildet – die sogenannte „Maker“-Szene –, die sie nicht zum Geldverdienen benutzen, sondern um bedürfnisorientiert zu produzieren, zu experimentieren und Spaß zu haben.

In diesem Kontext sind auch erste Open-Hardware-Projekte entstanden, die selbst solche Produktionsmaschinen entwerfen und ihr Wissen als Gemeingut teilen. Damit werden die Grundlagen für eine bedürfnisorientierte, auf Gemeingütern basierende Produktionsweise gelegt.

Die Organisation einer Welt ohne Geld

Im Kapitalismus hat die Produktion gesellschaftlichen Charakter – man produziert immer für andere, nicht für sich selbst. Allerdings stellt sich der gesellschaftliche Charakter der Produktion erst im Nachhinein – und auch keineswegs in allen Fällen – heraus, da die Güter zunächst privat (in Firmen) produziert werden. Zur Vermittlung zwischen privater Produktion und gesellschaftlicher Nutzung (durch andere) bedarf es des Markts und des Geldes. Verkaufen kann man nur, was einem formell gehört, deshalb braucht es das Privateigentum und den Staat, der es durchsetzt und auch sonst darauf achtet, dass sich alle an die „Spielregeln“ halten.

Im Commonismus wären alle diese Institutionen überflüssig, weil die Produktion von Anfang an gesellschaftlich und bedürfnisorientiert erfolgt. Im Folgenden soll dies vor allem anhand des Geldes durchgespielt werden, denn das Geld spielt in unserer Gesellschaft eine so große Rolle, dass es schwierig ist, sich eine Welt ohne Geld vorzustellen. Arbeiten die Menschen nicht nur, um Geld zu verdienen? Produzieren die Firmen nicht nur, um Gewinne zu machen? Würde ohne Geld nicht alles zum Stillstand kommen?

Zweifellos würden Firmen ohne Erwartung von Profiten nicht produzieren, doch für das Tun der Menschen spielt das Geld keine so große Rolle, wie man gewöhnlich denkt. So werden weniger als 40 Prozent der in Deutschland geleisteten Arbeiten bezahlt, der größere Teil wird nicht entlohnt: Tätigkeiten im Haushalt, private Pflege- und Betreuungsleistungen sowie ehrenamtliche Tätigkeiten (vgl. Meretz 2010). Gerade weil sie unbezahlt sind, werden diese Tätigkeiten in unserer Gesellschaft meist nicht sehr ernst genommen, doch ohne sie würde alles zusammenbrechen. Und sie demonstrieren eindrucksvoll, dass Menschen für andere nützliche Dinge tun, auch wenn sie nicht mit Geld „bestochen“ werden.

Auch im Internet spielen weitgehend geldfreie Formen der Produktion eine wichtige Rolle. Für Freie Software, wie das Betriebssystem Linux oder den Browser Firefox, und Freie Inhalte, wie die Internet-Enzyklopädie Wikipedia oder das OpenStreetMap-Projekt, muss ich nichts bezahlen. Ich darf sie nutzen, an andere weitergeben, und sogar – wenn ich die entsprechenden Kenntnisse habe – erweitern und verbessern; und das alles kostet mich keinen Cent.

Bedürfnisorientierte Produktion

Bisweilen wird Freie Software von Firmen produziert, die damit auf indirektem Weg Geld verdienen, z.B. über den Verkauf von Supportverträgen, Dokumentation oder passender Hardware. Doch in vielen Fällen steht hinter solchen Projekten eine Community von Menschen, die sich freiwillig und unentgeltlich engagieren, weil ihnen das dort entstehende Produkt wichtig ist oder weil sie die Tätigkeit genießen. Anderen geht es darum, etwas zu lernen, ihre Kenntnisse zu demonstrieren oder der Community etwas zurückzugeben. Es gibt viele Gründe, warum Menschen sich engagieren – auch ohne Geld.

Entsprechend den Vorstellungen der modernen, neoklassischen Wirtschaftstheorie entstehen Firmen zur Reduzierung von sogenannten Transaktionskosten (Coase 1937). Das heißt, als Unternehmer meine Angestellten zu beauftragen, ist für mich günstiger, als jede einzelne Leistung einzukaufen. Die Angestellten haben den Vorteil, im Voraus zu wissen, welche Einnahmen sie erwarten können, statt sich täglich auf dem Markt bewähren zu müssen, aber sie sind Teil eines hierarchischen Systems und müssen den Anweisungen der Geschäftsführung folgen. Beziehungen auf dem Markt spielen sich dagegen zwischen formell Gleichberechtigten ab, sind jedoch rein funktionell: Die anderen interessieren mich nur als Tauschpartner, die mir etwas verkaufen oder abkaufen können.

Die Neoklassik kennt keine anderen Formen außer dem Markt und der Firma, doch die Communities von Menschen, die gemeinsam produzieren, zeigen, dass es auch anders geht. Anders als in Firmen sind alle freiwillig dabei, niemand erteilt den anderen Befehle. Deshalb wird diese Produktionsweise als Peer-Produktion bezeichnet: Die Beteiligten arbeiten auf gleichberechtigter Basis (als „Peers“) zusammen.

Und anders als auf dem Markt sind die anderen keine potenziellen Tauschpartner, sondern Menschen, die mit mir zusammen zu einem Ziel beitragen, das uns wichtig ist. Bei solchen Projekten geht es also ums Beitragen statt ums Tauschen. Beitragen ist im Gegensatz zum Tauschen kein Nullsummenspiel: Wenn ich beim Tauschen bzw. (Ver-)Kaufen ein „gutes Geschäft“ gemacht habe, bedeutet dies allzu oft, dass jemand übers Ohr gehauen wurde. Wenn dagegen jemand gute Beiträge liefert, gewinnen alle Beteiligten.

Solange die Produzent/innen Verkäufer sind und die Nutzer/innen Käufer, arbeiten alle tendenziell gegeneinander: Die Einnahmen der einen sind die Kosten der anderen. Und ein höherer Marktanteil für einen Produzenten schmälert die Einnahmen derjenigen, die dasselbe produzieren, weshalb die Produzenten zwangsläufig in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. Derselbe Interessengegensatz wie zwischen Verkäufern und Käufern besteht zwischen Angestellten und Inhabern bzw. Geschäftsführung einer Firma: Erstere wollen zu möglichst günstigen Konditionen ihre Arbeitskraft verkaufen; letztere wollen ein Maximum an Arbeitskraft für möglichst wenig Geld erhalten. Diese Gegensätze fallen bei der bedürfnisorientierten Peer-Produktion weg, da meine Bedürfnisse nicht auf Kosten der Bedürfnisse anderer gehen müssen. Im Gegenteil: Alle Beteiligten unterstützen sich gegenseitig bei der Befriedigung ihrer Bedürfnisse, was für alle von Vorteil ist.

Ungezwungene Produktion für andere

Bedürfnisorientierte Produktion darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass jede und jeder nur für sich produziert. Peer-Produktion beginnt zwar oft dort, „wo’s ihre Entwickler/in juckt“, wie Eric Raymond (2001), einer der Pioniere der Freien Software, sagte, aber gleichzeitig entstehen dabei immer auch für andere nützliche Güter. Und häufig beteiligen sich Menschen nicht aufgrund konsumtiver, sondern aufgrund produktiver Bedürfnisse: Sie machen etwas, weil sie es gerne machen, weil sie etwas lernen oder weil ihnen die Menschen wichtig sind, für die sie es machen.

Dass Peer-Produktion immer auch Produktion für andere ist, widerspricht gängigen ökonomischen Vorstellungen, wonach die Alternative zum Markt eine Art Robinson-Modell ist: Alle würden nur noch für sich oder ihre Familie produzieren; Kooperation größeren Stils fände nicht mehr statt. Dass man mit so einem isolierten Modell nicht weit kommt, ist klar. Als weitere Alternative wird die zentralisierte Planwirtschaft – der verflossene „Realsozialismus“ – genannt: Die ganze Gesellschaft funktioniert nach dem Modell einer Firma. Das Management, die Planerinnen und Planer geben vor, was alles zu tun ist, verteilen die zu erledigenden Aufgaben und überwachen, dass sie ordnungsgemäß erledigt werden. Diese Alternative hat historisch nicht sonderlich gut funktioniert und klingt wenig attraktiv: Man ist weiterhin abhängiger Angestellter, jetzt allerdings des Staats, und muss tun, was die Vorgesetzten sagen.

Peer-Produktion ist dagegen Produktion für andere, die nicht erzwungen wird und nicht um des Geldes willen stattfindet. Peers produzieren für andere, weil sie es können und weil es eine Möglichkeit ist, weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu finden. Denn je mehr Menschen die Ergebnisse eines Projekts nutzen, desto mehr potenzielle Beitragende gibt es, da die Beitragenden meist nach und nach aus dem Kreis der Nutzerinnen und Nutzer dazustoßen. Wenn ein Projekt nicht mit anderen teilt und für andere mitproduziert, nimmt es sich die Chance, „Nachwuchs“ zu gewinnen.

Die Aufgabenverteilung bei Peer-Projekten erfolgt in einem offenen Prozess, für den sich der Begriff „Stigmergie“ etabliert hat (vgl. Heylighen 2007). Die Beteiligten hinterlassen Hinweise (griechisch stigmata) auf begonnene oder gewünschte Arbeiten, die andere dazu anregen, sich darum zu kümmern. Diese Zeichen, etwa To-Do-Listen und Bug-Reports in Softwareprojekten oder „rote Links“ auf noch nicht existierende Artikel in der Wikipedia, bilden einen wichtigen Teil der Kommunikation.

Alle Beteiligten folgen den Zeichenspuren, die sie am meisten interessieren, und sorgen auf diese Weise sowohl für eine automatische Priorisierung der offenen Aufgaben – was mehr Menschen am Herzen liegt, wird im allgemeinen schneller erledigt – als auch dafür, dass die unterschiedlichen Kenntnisse und Fähigkeiten der Beitragenden nahezu optimal eingesetzt werden. Man arbeitet zumeist an dem, was man sich am ehesten zutraut. Und da man sich aussucht, ob und wo und wie viel man mitarbeitet, sind die Beteiligten motivierter als Menschen, denen eine Aufgabe zugeteilt wird oder die als Angestellte oder Selbständige auf dem „freien Markt“ nur wenig Alternativen haben.

Die unangenehmen Aufgaben

Aber reicht das? Was passiert, wenn man das Modell der Peer-Produktion auf alle Bereiche der Gesellschaft projiziert? Was wäre, wenn sich für bestimmte Aufgaben keine Freiwilligen finden, weil sie von allen als unangenehm, gefährlich oder aus anderen Gründen unattraktiv empfunden werden? Ein geldbasiertes System zwingt die schwächsten Glieder der Gesellschaft zur Übernahme solcher Aufgaben – diejenigen, die keine anderen Möglichkeiten zum Geldverdienen haben. Dass das eine gute Lösung ist, würden nur Zyniker behaupten – aber wie geht es anders?

Manche dieser Aufgaben würden sich wahrscheinlich als verzichtbar erweisen; wo das nicht der Fall ist, bleiben Automatisierung, Umorganisation und faire Aufteilung als Lösungen. Die Automatisierung hat seit Beginn der „industriellen Revolution“ schon enorme Wirkungen entfaltet; immer größere Teile der Produktion werden ganz oder teilweise automatisiert.

Allerdings stellt im Kapitalismus der Lohn eine Grenze der Automatisierung dar. Je schlechter bezahlt ein Job ist, desto schwieriger wird es, ihn ohne Mehrkosten zu automatisieren. Deshalb lohnt sich dies bei vielen undankbaren Tätigkeiten, wie etwa Putzen, gemäß der kapitalistischen Kalkulation nicht. Anders bei der Peer-Produktion: Wenn es hier Aufgaben gibt, an deren Erledigung alle oder viele interessiert sind, die aber niemand selbst tun will, dann ist der Anreiz, sie zumindest teilweise zu automatisieren, sehr hoch. Und da die Automatisierung von Tätigkeiten selbst eine spannende und herausfordernde Beschäftigung ist, sind die Chancen, dafür Freiwillige zu finden, sehr viel besser.

Wo dies unmöglich ist, dürften sich Tätigkeiten häufig so umgestalten lassen, dass sie angenehmer werden. Im Kapitalismus finden manche Arbeiten unter sehr schlechten Bedingungen statt. Man denke an eine Angestellte, die um vier Uhr morgens Büros putzen soll. Das würden gleichberechtigte, freiwillig kooperierende Menschen von sich aus nicht so organisieren.

Automatisierung und Umorganisation lassen sich auch kombinieren. Beispielsweise werden in einigen spanischen Städten heute Müllautos mit Greifarmen eingesetzt, mittels derer die Mülltonnen vom Fahrerhaus aus ferngesteuert aufgenommen und geleert werden. So kommt niemand mehr mit dem Müll direkt in Berührung, und die Müllabfuhr wird zu einer einem Videospiel ähnlichen Geschicklichkeitsaufgabe, für die sich leicht Freiwillige finden.

Falls weder Automatisierung noch Umorganisation greifen, ist ein Pool von unangenehmen Aufgaben denkbar, von denen jede und jeder anteilig einige übernimmt. Wenn sich so alle oder die meisten an der Erledigung dieser Aufgaben beteiligen, hat niemand lange damit zu tun, und was alle machen müssen, ist erfahrungsgemäß auch weniger schlimm.

Gemeingüter und Besitz produzieren

In jeder Gesellschaft verhalten sich die Menschen zur Natur und zu den Produkten ihres Tuns in einer Weise, die dieser Gesellschaft entspricht. Im Kapitalismus werden Ideen, Produkte und natürliche Ressourcen vorwiegend als Privateigentum betrachtet, das nur mit Zustimmung der Eigentümerin oder des Eigentümers – und in aller Regel gegen Geld oder eine andere Gegenleistung – den Besitzer wechseln kann. Im Commonismus werden sie dagegen zu Gemeingütern und Besitz, denn wo das Geld überflüssig wird, verliert auch das Eigentum, also die Berechtigung, Dinge „zu Geld zu machen“, seine Bedeutung. Etwas zu besitzen, bedeutet dagegen, es zu benutzen: Die Wohnung, die ich gemietet habe, ist mein Besitz, aber das Eigentum meines Vermieters.

Gemeingüter (englisch commons) sind Güter, die von einer Gemeinschaft produziert oder gepflegt werden und die für die Nutzerinnen und Nutzer nach gemeinsam festgelegten Regeln verfügbar sind. Freie Software und Freie Inhalte sind Gemeingüter, die alle nicht nur nutzen, sondern auch verändern und weiterentwickeln dürfen. Wasser, Luft, Wälder und Land galten oder gelten in vielen Gesellschaften als Gemeingüter, die von größeren oder kleineren Gruppen genutzt und gepflegt werden.

Peer-Produktion basiert auf Gemeingütern und bringt ihrerseits neue Gemeingüter hervor. Deswegen spricht der US-amerikanische Jurist Yochai Benkler (2006), der den Begriff geprägt hat, auch von commons-based peer production. Das von Peers produzierte Wissen – ob Software, Inhalte oder Freies Design, freie Bauanleitungen und Konstruktionspläne, die die Herstellung, Nutzung und Wartung materieller Güter dokumentieren – wird zum Gemeingut, das andere anwenden und weiterentwickeln können. Aber Peer-Produktion kann nicht nur Informationen, sondern auch Infrastrukturen und materielle Güter hervorbringen. So sind in vielen Städten Freie Funknetze entstanden, die allen in der Umgebung kostenfreien drahtlosen Internetzugang ermöglichen. Häufig sind diese Projekte als „Mesh-Netzwerke“ organisiert, die ohne privilegierte Server auskommen – alle beteiligten Computer sind gleichberechtigt. Mittels solcher dezentraler, selbstorganisierter Netzwerke können sich die Menschen nicht nur mit Kommunikationsmöglichkeiten versorgen (vgl. Rowe 2010, 2011), sondern auch mit Energie und Wasser. Selbstorganisierte commonsbasierte Projekte zur Wasserversorgung existieren beispielsweise in Südamerika (vgl. De Angelis 2010).

Gleichzeitig sind auch erste offene Einrichtungen für die Produktion materieller Güter entstanden. Hackerspaces und Fab Labs werden von Freiwilligen betrieben und verfügen oft über computergesteuerte Maschinen – z.B. Fräsmaschinen und sogenannte 3D-Drucker oder Fabber –, die eine weitgehend automatisierte Produktion kleiner Stückzahlen ermöglichen. Die Baupläne der verwendeten Maschinen werden nach Möglichkeit selbst als Freies Design offengelegt, und man arbeitet daran, dass sich mit ihnen wiederum mindestens gleichwertige Maschinen herstellen lassen. So schafft sich die commonsbasierte Peer-Produktion selbst die Basis für ihre weitere Ausbreitung und gleichzeitig für die Versorgung der Menschen mit dem, was sie zum Leben brauchen.

Wo die Dinge als Gemeingüter und Besitz produziert werden, wird die Frage der Verteilung viel entspannter. Ich kann beliebig viele Lebensmittel verkaufen, aber nur eine sehr begrenzte Anzahl essen. Dasselbe gilt für alle anderen Güter: Jedes Bedürfnis, sie zu nutzen, ist tendenziell begrenzt. Potenziell grenzenlos ist nur die Möglichkeit und gegebenenfalls das Interesse, sie zu Geld zu machen (sofern es genug Käufer/innen gibt). Aber diese Möglichkeit verschwindet in einer Welt, wo die Produktion bedürfnisorientiert erfolgt und niemand kaufen und verkaufen muss.

Peers produzieren für sich und andere. Ich tue etwas für die anderen und vertraue darauf, dass die anderen etwas für mich tun. Alle suchen sich die Bereiche aus, die ihnen wichtig sind oder gut gefallen. Auch wenn einige gar nichts machen, ist das kein Problem, solange genügend andere aktiv werden. Dabei funktioniert Peer-Produktion immer nur dann, wenn man die anderen tatsächlich als Peers, als ebenbürtig begreift. Einzelne können sich nicht auf Kosten der anderen verwirklichen, weil die anderen nicht dumm sind und sie dabei nicht unterstützen werden – und ohne Unterstützung kommt man nicht weit.

Auch eine commonistische Gesellschaft wird entscheiden müssen, wie die vorhandenen Ressourcen eingesetzt werden – produziert man lieber Lebensmittel für alle oder Biosprit, damit einige nach Erschöpfung der Ölvorräte weiter Auto fahren können? Setzt man für die Energieversorgung auf dezentrale erneuerbare Energiequellen oder auf Atomkraftwerke, deren Abfälle noch für Jahrtausende ein Risiko darstellen? Wie lassen sich die Interessen der Nutzer/innen eines Guts, die sich eine neue Fertigungsstätte wünschen, mit denen der Nachbarn, die sich dadurch gestört fühlen, in Einklang bringen? Wer verstanden hat, wie und warum Peer-Produktion funktioniert, wird sich vorstellen können, wie die Antworten auf solche Fragen ausfallen dürften. Aber das Wichtigste ist, dass sie von denen gestellt und beantwortet werden können, die sie angehen – uns allen.

Literatur