- keimform.de - https://keimform.de -

COM’ON: Produktionsstrukturen transformieren

[1]Einen der besten Aspekte des COM’ON—Workshop [2] vom letzten Samstag fand ich die Art und Weise der Durchführung. Das übliche Vortrags- und Fragen+Antworten-Spiel im großen Kreis fehlte fast völlig, stattdessen gab es nach den vier kurzen (je 15 Minuten) Inputvorträgen zu Beginn nur Diskussion in wechselnden Kleingruppen von je etwa zehn bis fünfzehn Leuten. Nachmittags fand ein World-Café [3] statt, wo an fünf Tischen parallel unterschiedliche Aspekte der Commons diskutiert wurden. Dieser Beitrag dokumentiert die Debatte an „meinem“ Tisch zum Thema: „Was passiert mit den bestehenden Produktionsstrukturen im Falle einer gesellschaftlichen Transformation?“

An jedem Tisch ging es zunächst 30 Minuten lang darum, wie die Anwesenden praktisch-alltäglich in Commons verwickelt sind; anschließend gab es zwei ebenso lange Runden zu der speziellen Frage des Tisches. Nach jeder Runde konnte man den Tisch und damit das Thema wechseln; nur die jeweilige „Gastgeber/in“ und die Protokollant/in bleiben, um für Kontinuität zu sorgen. Das folgende Protokoll stammt von Katja aus Jena (vielen Dank!); es wurde von mir etwas erweitert und ergänzt.

Erste Runde

Konkretisierung:

  • Könnten die vorhandenen Produktionsmittel und -strukturen von einer commonsbasierten Gesellschaft einfach nur übernommen und quasi unverändert weiter genutzt werden („Enteignung/Vergesellschaftung“)?
  • Oder sind sie so kapitalistisch überformt, dass Commoners quasi komplett von vorne anfangen und alles neu machen müssten?
  • Oder gibt es Zwischenwege – teilweise Übernahme, Weiterentwicklung, Anpassung und Umnutzung der vorhandenen Produktionsmittel?

Positionen:

  • Es kann jedenfalls nicht alles übernommen werden, da die jetzige Produktion profitorientiert ist und damit nicht für eine commons-basierte Gesellschaft geeignet: „Kann es ein Commons-Fließband geben? Nein!“ Es wird bei commonsbasierter Peer-Produktion also andere Produktionsmittel (PM) und Arbeitszusammenhänge geben.
  • Commons und Peer-Produktion erfordern die Neuentwicklung von Produktionsmittel, die Selbstentfaltung unterstützen und zugleich Ergebnis von Selbstentfaltung sind (Bsp. Wikipedia).
  • Umwidmung ist aber auch möglich, wie die Computer als altes PM zeigen, die Selbstentfaltung ermöglichen, ohne aber selber Ergebnis von Selbstentfaltung zu sein (heute). Ohne Computer u.ä. wird es nicht gehen, es geht also darum, ihre Herstellung so umzuorganisieren, dass sie ebenfalls selbstentfaltet erfolgt.
  • Was mit Produktionsstrukturen konkret gemeint ist und wie sie aussehen werden, werden die Commoners vor Ort selbst entscheiden, hier können wir nur allgemeine Faustregeln diskutieren. Grundsätzlich sind die PM niemals von der Gesellschaft trennbar, die sie hervorgebracht hat.
  • Gegenposition: Es ist (zumindest auch) eine Eigentumsfrage, wir könnten schon jetzt die bestehenden PM nutzen und einfach selbst damit loslegen – wenn wir darauf Zugriff hätten.
  • Eine heutige Produktionsstruktur, die abgeschafft/aufgehoben werden muss, ist das Geld als allgemeiner Anreiz und Vermittlungselement der Produktion. Daraus ergibt sich eine Diskussion über die Funktionen von Geld im Kapitalismus und „außerhalb“ – kann/wird/muss es tatsächlich mit dem Kapitalismus verschwinden?
  • Commoners produzieren jedenfalls nicht des Geldes/Profits wegen, sondern nach Bedürfnissen.
  • Frage des Menschenbilds: Ohne Geld/Profit wird nicht alles zusammenbrechen (weil alle nur faul und egozentriert sind), denn wenn Menschen selbstbestimmt handeln können und ihre Existenz gesichert ist, werden sie mit viel Energie schöpferisch tätig.
  • Die heutigen unangenehmen Arbeiten, die Leute nur übernehmen, wenn sie Geld verdienen müssen und keine Alternativen haben, müssen so umstrukturiert werden, dass jemand sie machen will, auch wenn es keinen individuellen Arbeitszwang mehr gibt.
  • Verweis auf Marx/Maschinenfragment: Mit der zunehmenden Entwicklung der Produktionsprozesse (Automatisierung) werden die Menschen mehr und mehr aus der alltäglichen Produktion verdrängt. Dies verstärkt die Widersprüche des Kapitalismus, der immer weniger Menschen eine nicht-prekäre Lebensgrundlage bieten kann. Gleichzeitig verstärkt es das Bedürfnis nach commonsbasierten, selbstorganisierten Arbeiten, um sich selbst zu entfalten zu können.

Zweite Runde

Konkretisierung mit kurzem Verweis auf Debatten und offene Punkte der ersten Runde. Strittige Frage waren insbesondere:

  • Ist es im Wesentlichen nur eine Eigentumsfrage (wer kontrolliert die PM) oder muss sich die ganze Art zu produzieren ändern?
  • Braucht es nach dem Kapitalismus noch einen Arbeitszwang?

Positionen:

  • Abstrakter Arbeitszwang ist unnötig, da sich die Betroffenen/Commoners selbst Regeln setzen können und werden, wie mit problematischen Aufgaben umgegangen wird (z.B. aufteilen, oder auch verstärkte Automatisierung, deren Potential noch längst nicht ausgereizt ist).
  • Die heutigen Produktionsstrukturen können nicht einfach übernommen werden, da sie profit- und nicht bedürfnisorientiert sind. Frage dazu: Was sind (jenseits des Kap.) überhaupt Bedürfnisse, welche Bedürfnisse sind dann wichtig? (Gesundheitsschutz, Zufriedenheit, Lernmöglichkeiten…)
  • Wichtig sind auch Kommunikationsprozesse: Wie werden Bedürfnisse überhaupt formuliert? Wie wird auf lokaler, regionaler und globaler Ebene kommuniziert? Insbesondere bei komplizierten Sachverhalten?
  • Produktionsstruktur ist auch abhängig von der Art des „Lebensmittels“ (ob iPhone oder Gurke). Öffentliche verfügbare Bauanleitungen (Freies Design, Open Hardware) und FabLabs [4] mit z.B. 3D-Druckern [5] (gibt es für Kunststoffe, Metalle und Keramiken) können auch viele „Hightech“-Dinge weitgehend dezentral und ohne große Fabriken produzierbar machen.
  • Für bestimmte Bereiche (Bergbau, Computerchipherstellung) wird nur zentrale Organisation (und Verteilung) möglich sein. Dies kann eventuell über Automatisierung oder Rotationsverfahren im Arbeitseinsatz (Transportmöglichkeiten nicht geklärt …) gelöst werden, damit nicht immer nur die in der Nähe einer Computerchipfabrik wohnenden Menschen für andere Computerchips herstellen „müssen“.
  • Zentralisierung hat aber ihre Risiken – sie führt eventuell zu Abhängigkeit, Gefahr der Elitenbildung und des Machtmissbrauchs.
  • Da Menschen sich selbst nach ihren Bedürfnissen organisieren, dürften sich bei Commons eher dezentrale Strukturen entwickeln. Abstimmungsprozesse, direkte Mitbestimmung etc. sind auf lokaler und regionaler Ebene einfacher. Dies darf aber nicht zu Abkapselung („Autarkie“) führen, da dies die Menschen in ihren Möglichkeiten beschränken wurde. Liegt der Augenmerk auf Offenheit und Vernetzung (viele dezentrale Gemeinschaften, aber alle sind offen für andere und mit den anderen in Verbindung), dann sollte es kein Problem sein.
  • Eine weitere Begrenzung der Dezentralität ergibt sich daraus, dass viele Ressourcen nicht überall gleich vorhanden sind, also unter Umständen nicht dezentral verfügbar sind.
  • Die Ressourcen müssen also so umverteilt/aufgeteilt werden, dass alle Zugriff haben. (Auch als „Schuld“, Ressourcenumverteilung vom „reichen“ Norden an den „armen“ Süden?)
  • Einwand: Ist die Bedürfnisorientierung überhaupt der richtige Fokus? Müssen wir nicht vielmehr alle Verzicht üben, weil nicht alle so leben können wie wir im reichen Norden, und weil es ungerecht wäre, wenn nur einige so leben?
  • Gegenposition: ein gutes Leben für alle ist nicht grundsätzlich unmöglich, es wird nur durch die heutige Produktionsweise verhindert, die sich nicht um Bedürfnisse, sondern um Profit dreht, und unnötig verschwenderisch und zerstörerisch mit Ressourcen umgeht. (Je mehr verkauft wird und je schneller Dinge weggeschmissen und ersetzt werden, desto besser für den Profit.)

Zusammenfassung