In der linken Kapitalismuskritik ist es üblich (und auch ich habe das lange so gemacht), Märkte und Kapitalismus weitgehend gleichzusetzen und jede Kapitalismuskritik gleichzeitig als Kritik an Märkten als gesellschaftlichen Vermittlungsinstrument aufzufassen. Üblich ist dieselbe Gleichsetzung – nur nicht kritisch gesehen – aber auch in der Mainstream-Ökonomie (Neoklassische Synthese, auch kürzer und etwas ungenau „Neoklassik“ genannt). In letzterer wird der Begriff „Kapitalismus“ zwar oft vermieden und stattdessen von „Marktwirtschaft“ gesprochen (in Mankiw (2014) fällt der Begriff „market economy/economies“ viele Dutzend Male, während von „capitalism“ nur in ein paar Zitaten die Rede ist) – damit ist aber genau die von ihren Kritikerinnen „Kapitalismus“ genannte Produktionsweise gemeint, andere Spielarten von marktbasierten Ökonomien existieren vermeintlich nicht.
Schlagwort: dezentralisierung
Eine Welt, in der alle gut leben können
Das Potenzial der commonsbasierten Peer-Produktion
[Mein Beitrag zum neuen Sammelband Die Welt reparieren. Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis, herausgegeben von Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller und Karin Werner (Transcript, Bielefeld 2016). Es ist auch möglich, das komplette Buch herunterzuladen (Lizenz: CC BY-NC-ND).]
Die Grundideen des Internets sind Offenheit und Dezentralität – jede soll mitmachen können, ohne erst andere um Erlaubnis fragen zu müssen. Wer heute das WWW benutzt, spürt davon womöglich nicht mehr viel. Wird nicht alles von einigen großen Plattformen wie Google, Facebook, Youtube und Amazon dominiert? Es mag so scheinen, doch ist das WWW nur ein kleiner Teil des Internets und die großen Plattformen sind nur ein kleiner Teil des WWW.
Und was auffällig ist: Auch bei Plattformen wie Facebook, Youtube und Twitter sind es die Benutzer (ich verwende weibliche und männliche Formen zufällig im Wechsel), die alle Inhalte beitragen – anders als beim Fernsehen und bei gedruckten Medien, deren Inhalte von bezahlten Profis erstellt werden. Google ist als Suchmaschine für die Vielfalt des WWW groß geworden, produziert also ebenfalls keine eigenen Inhalte, sondern ermöglicht es, diese zu finden. Beim Onlineshop Amazon spielt der „Marketplace“, auf dem Drittanbieter eigene Produkte verkaufen, eine zunehmend größere Rolle, und eBay lebt komplett von der Vermittlung der Angebote anderer Menschen und Firmen.
Dank Produktivkraftentwicklung zur neuen Gesellschaft?
Trägt jede Produktionsweise ihren eigenen Untergang in sich? Führten die inneren Widersprüche des Feudalismus dazu, dass der Kapitalismus entstand und ihn schließlich ersetzte? Und sorgen dementsprechend auch Entwicklungen innerhalb des Kapitalismus dafür, dass er sich selbst den Boden entzieht und zugleich den Weg für eine neue, zuvor noch nicht realisierte und realisierbare Produktionsweise bereitet?
In letzter Zeit war ich von einem solchen logischen Zusammenhang zwischen zeitlich aufeinanderfolgenden Produktionsweisen ausgegangen. Eine Reihe von Überlegungen, die vor allem durch Ellen Meiksins Woods Buch The Origin of Capitalism (2002) ausgelöst wurden, hat dazu geführt, dass ich diese Annahme nicht mehr plausibel finde.
Free Sources or Why Production No Longer Worries Us (Part 2)
[Part 1 / Diesen Artikel gibt es auch auf Deutsch.]
Meshes and Routes
Re/production used to be a burden which kept countless people busy for most of their lives. No longer. It has become a relatively easy and mostly pleasant affair, not least because of our reliance on mesh networks. Decentralized mesh networks allow everyone to participate. They are organized in ways that avoid asymmetric dependencies and ensure that nobody can acquire a specifically privileged position.
Freie Quellen oder wie die Produktion zur Nebensache wurde (Teil 2)
[Teil 1 / This article is also available in English.]
Maschen und Trassen
Dass die Re/produktion von einer Belastung, der zahllose Menschen einen Großteil ihres Lebens widmen mussten, heute zur relativ mühelosen und meist eher angenehmen Angelegenheit geworden ist, hat auch damit zu tun, dass wir wo möglich auf Maschennetze setzen. Maschennetze (mesh networks) sind dezentrale Netzwerke, die allen die Teilhabe ermöglichen und so organisiert sind, dass niemand in einseitige Abhängigkeit gerät und sich niemand eine besonders privilegierte Position verschaffen kann.
Beyond Digital Plenty (2)
Building Blocks for Generalized Peer Production
If we consider at contemporary forms of peer production, we find that the used resources and means of production tend to be commons or distributed widely. For digital peer production, knowledge and information are the most important resources. They are generally treated as commons that everybody can use, share and improve. This philosophy is nicely expressed by the Wikimedia Foundation (2011), the organization running the Wikipedia and related wikis:
Imagine a world in which every single human being can freely share in the sum of all knowledge. That’s our commitment.
Open design (also called open hardware) is the kind of knowledge most important for producing physical things. (mehr …)
Kapitalistische Keimzellen? – Bemerkungen zu Defiziten der Commons
Ich werde versuchen, auf einige Fehlentwicklungen in den Keimformen hinzuweisen. Die Gemeinschaften der Peerökonomie scheitern daran, einen Kurs in eine nicht-kapitalistische Ökonomie einzuschlagen. Die Gründe dafür sind, dass ihre Theorie keinen prinzipiellen Widerspruch zwischen der commonistischen und der kapitalistischen Ökonomie erkennt, eine Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln nicht vorsieht und eine Überwindung der Herrschaft einer Klasse und des Staates nicht anstrebt. Entsprechend fehlt auch eine revolutionäre Praxis. Eine Kritik der Commons scheint mir angebracht, weil die Commons als emanzipatorische Bewegung in den dominierenden kulturellen Modus unserer Zeit eingepasst sind. Diese Bewegung ist zu aussichtsreich geworden, um über ihre Nachlässigkeiten noch hinwegzusehen. Derzeit dürfte mit den Commons eine alternative Ökonomie gedacht und praktiziert werden, die das Potenzial hat, revolutionären Charakter anzunehmen. (mehr …)
Energieautonomie statt grüne Titanenprojekte
Die Frage, ob die Energieversorgung als Commons organisiert werden kann, hat mich schon einmal beschäftigt. Dabei ging es mir zunächst mal darum zu verstehen, wie die alte Logik der Energiemärkte funktioniert und welche Rolle die Erneuerbaren Energien darin spielen. Annette Schlemm hat diese Gedanken in einer ausgezeichneten Analyse der sogenannten »Energiewende« aufgenommen und weiter getrieben. Sie fasst zusammen:
Während sich bisher die meiste Aufmerksamkeit auf die Laufzeitlänge der Kernkraftwerke konzentriert, ist im Hintergrund der um die Energienetzarchitekturen eröffnet. Und dabei geht es selbstverständlich nicht nur um die Alternative zwischen zwei Techniken (zentrale oder dezentral orientierte Netze), sondern um soziale Praktiken: Machen wir uns in der Energieversorgung auch auf Basis der Erneuerbaren von großtechnischen, monopolistischen Strukturen abhängig oder übernehmen wir auf regionaler, bzw. kommunaler Basis den Großteil unserer Energieversorgung selbst?
DESERTEC und andere grüne Titanenprojekte (wie der umstrittenen Hochspannungstrassen) haben die Funktion, frühzeitig neue zentralistische und kapitalintensive Megastrukturen zu etablieren, die langfristig Fakten setzen werden. Das und mehr ausführlich im Philosophenstübchen lesen.
Energie-Commons als P2P-Netzwerk
Es ist schon einige Zeit her, dass ich bei der Böll-Stiftung zu einem Tages-Workshop zur Frage eingeladen war, ob die Energieinfrastruktur als Gemeingut organisiert werden könne. Dort habe ich gelernt, wie die Strombörse funktioniert und vor allem, was der Ausbau der EE (Erneuerbaren Energien, hier nur Strom) bedeutet. Die Strombörse ist ein Marktplatz, an dem Strom gehandelt wird. Angebote treffen hier auf Nachfragen. Dort, wo sich Angebot und Nachfrage decken, wird der Preis festgelegt. Die beiden Kurven für Angebot und Nachfrage sehen so aus (meine schematische Zeichnung aus dem Gedächtnis, klicken zum Vergrößern):
Das gute Leben produzieren
[aus: Streifzüge Nr. 51]
Wenn wir über das gute Leben nachdenken, stellen wir uns ein Leben in Fülle vor – wo niemand Not leiden muss, wo es genug für alle gibt und jede/r seine oder ihre Bedürfnisse befriedigen kann. Aber geht das überhaupt? Scheitert die Möglichkeit eines Lebens in Fülle nicht zwangsläufig an der Endlichkeit der Erde? Und wo soll die Fülle herkommen? Kommt nicht vor den Freuden des Konsums die Mühsal des Produzierens, vor dem angenehmen „Reich der Freiheit“ das weniger erfreuliche „Reich der Notwendigkeit“? Um diese zwei Herausforderungen für die Vision eines guten Lebens für alle soll es im Folgenden gehen.