Sortierungen zum Wert
[Kolumne Immaterial World in der Wiener Zeitschrift Streifzüge]
Um welche Art von Begriff handelt es sich beim Wert, so wie ihn Karl Marx entwickelte? Schnell wird klar, dass es nicht um oberflächliche Beschreibungen geht. Der Wert ist also nicht etwas einfach Daseiendes, (An-)Fassbares oder bloß subjektive Präferenz als „Ausdruck der Wichtigkeit eines Gutes, die es für die Befriedigung der subjektiven Bedürfnisse besitzt“ (Gabler Wirtschaftslexikon), wie etwa die bürgerliche Ökonomik meint. Marx entwickelte den Begriff Wert als objektive Kategorie.
Eine Kategorie entsteht nicht durch schrittweise Abstraktion von Konkretem, etwa um ein in dem bunten Erscheinenden verborgenes Allgemeines hervorzulocken. So könnte ich auf die Idee kommen, einen objektiven Wert in den vielen subjektiven Werten, den oben genannten konkreten einzelnen Präferenzen, zu finden. Schrittweise würde ich die individuellen Besonderheiten wegstreichen und erhielte am Ende – eine leere Menge. Ich erkenne, was ich hineingesteckt hatte: Es sind subjektive Präferenzen.
Marx macht es anders. Er abstrahiert nicht von den Einzelhandlungen, sondern rekonstruiert die typischen gesellschaftlichen Handlungen und bestimmt ihre konstitutiven Aspekte. Konkrete einzelne Handlungen haben für Marx nur illustrativen Charakter. Was ihn interessiert, ist der ideale gesellschaftliche Durchschnitt, denn nur darin findet der Wertbegriff seinen Ort. So rekonstruiert Marx den Wert als gesellschaftliches Verhältnis.
Was bedeutet Wert als Verhältnis? Das wird deutlich, wenn wir uns den Charakter der Tauschhandlungen vor dem Kapitalismus klarmachen. Hier stand jeder einzelne Tauschakt für sich. Relevant war, was jede Seite von der anderen für den je eigenen Gebrauchszweck bekommen wollte und ob sich der Tausch fair anfühlte. Das war jedes Mal neu anzuschauen, neu auszutarieren, neu auszuhandeln. Ob dabei ein vermittelndes Drittes (Münzen oder anderes) im Spiel war, war nicht wesentlich.
Das stimmt ziemlich gut mit dem oben zitierten bürgerlichen Begriff vom Wert als Präferenz überein, der ja gerade keinen objektiven Charakter hat. Objektiven Charakter und allgemeine Existenz bekommt der Wert erst, wenn nicht die einzelne Tauschhandlung der für sich abgeschlossene Bezugsrahmen ist, sondern jeder Tausch gleichsam die ganze Gesellschaft einbezieht. Der einzelne Tausch wird damit Aspekt der gesellschaftlichen Gesamtheit aller Warenvergleiche, in welcher die einzelne Ware ins Verhältnis zu allen anderen Waren gesetzt wird. Nun erst manifestiert sich Wert. Doch was konstituiert sich da als Wert? Das ist die Frage nach dem Inhalt oder der Substanz.
Das Wort Substanz hat schon viele in die Irre geführt. Einige sehen darin eine physiologische Quantität, was Marx’sche Formulierungen auch nahelegen, denn Substanz klingt so physisch. Doch Marx hat Hegel im Denkgepäck, und bei der Substanz kommt das zum Tragen. Traditionell ist die Fassung von Etwas als Substanz der Versuch, dieses Etwas ontisch zu fixieren und als von den Menschen unabhängig Seiendes zu fassen – anstatt dieses Etwas als von den Menschen Gemachtes, etwas durch die Menschen Seiendes zu begreifen. Auch die Substanz entpuppt sich so als ein Verhältnis, als eines des Machens und des Gemachten, das nicht starr, sondern sich permanent ändernd in Bewegung befindet.
Die Substanz des Werts ist bei Marx die abstrakte Arbeit oder genauer: die allgemeine Dimension menschlichen Arbeitens, die Zeitdauer. Doch beim Warentausch werden nicht nur die unmittelbaren Herstellzeiten der Waren verglichen, es ist komplizierter. Da die konkreten Arbeiten jeweils ihre Voraussetzungen benötigen wie Produktionsmittel und -material und qualifizierte Arbeitskraft, die ihrerseits Herstellzeit kosten, erstreckt sich das genannte Substanzverhältnis nicht nur auf die unmittelbaren Aufwände bei der Herstellung der Waren, sondern ebenso auf die mittelbaren Aufwände der Produktionsvoraussetzungen (Ressourcen, Technik, Qualifikation). So kommt es, dass global Aufwände mit geringen Voraussetzungen (Low-Tech) und niedrig bezahlten langen Arbeitszeiten mit solchen mit hohen Voraussetzungen (High-Tech) und höher bezahlten kurzen Arbeitszeiten gleichgesetzt werden, also den gleichen Wert haben. Die Folge: Ungerechtigkeit durch gerechten Tausch.
Das globalgesellschaftliche Wertverhältnis ändert sich permanent – und darin schwimmt die einzelne Ware. Wie kann sie einen festen Preis haben, jedenfalls für eine gewisse Zeit? Um ein hochdimensionales Verhältnis in Raum und Zeit auf eine raum- und zeitlose Dimension abzubilden, braucht es das Geld. Das Geld ist eindimensionale reine Quantität, es ist das Dritte, auf das sich alle Waren beziehen. Aus einer Megarelation der Aufwände wird so ein simpler Geldwert und schließlich ein Preis. Damit ist das Geld logisch dem Wert vorausgesetzt, und gleichzeitig ist es als allgemeine Ware sein Produkt. Folglich sind Geld und Wert gleichursprünglich und erst mit dem Kapitalismus in die Welt gekommen.
Missverständnisse sind an der Tagesordnung (wer weiß, welchen ich aufsitze). Eines besteht darin, Wert und Geld zu ontologisieren, also zu Seinsweisen jeglicher Produktion zu erklären. So wird rückprojizierend auch für den antiken Tausch ein Wertvergleich angenommen, den es dort noch gar nicht geben konnte, weil sich noch kein gesellschaftliches Aufwandsverhältnis herausgebildet hatte. Ebenso wird in frühen Münzen oder Muscheln etc. das Geld vermutet, das erst mit dem Kapitalismus aus Vorformen hervorging. Die Summe der Einzeltausche, ob mit oder ohne Tauschmittel, ergaben vor dem Kapitalismus noch lange kein objektives Gesamtverhältnis, sondern blieben von subjektiven Präferenzen und kulturellen Gepflogenheiten bestimmte Einzelhandlungen.
Erst der Kapitalismus machte mit allem Besonderen, allem Einzelnen, allem Lokalen Schluss und schuf damit umgekehrt erst die Voraussetzung für die Entstehung von Individualität, Anonymität und Autonomie. Paradoxerweise ist es eine Individualität der Uniformität des immer gleichen Warenhandelns, denn wir alle müssen Ware, Wert und Geld täglich aufs Neue reproduzieren, um unsere Existenz zu sichern. Es ist die Individualität der traurigen Getrenntheit des isolierten Einzelnen in einer Welt wahnwitzigen Wachstums, das allein der abstrakten Form des Reichtums entspringt. Ohne ein Ende von Ware, Wert und Geld ist nichts anderes zu haben.
Im Gegenteil scheint mir „neu auszuhandeln“ eher für den Kapitalismus typisch – so stellt sich der Wert ja gerade her. Klar, an der Supermarktkasse wird nicht gehandelt, aber dieser Aushandlungsprozess findet vorher statt – sei’s wenn der Supermarkt mit Großhändlern verhandelt, immer wenn außertarifliche Arbeitsverträge ausgehandelt werden, wenn ein Haus verkauft wird, oder auch wenn ich mich im Supermarkt für eins der unzähligen Konkurrenzprodukte entscheide, die alle um meine Kaufkraft werben. Vor dem Kapitalismus waren Preise hingegen in vielen Fällen konventionell – sie wurden durch die Regierung, durch eine Gilde oder durch Gewohnheit festgesetzt. Natürlich gab es auch Aushandlungen und Feilschen, aber wo das dominant wird, würde ich das eher als Zeichen dafür sehen, dass sich ein Wertverhältnis gerade herauszubilden beginnt.
Seriously? Von (Wirtschafts-)Geschichte keine Ahnung zu haben, ist ja keine Schande, aber so tun als ob ist dann doch problematisch. Und du berufst dich zwar auf Marx, aber du zitierst ihn nicht, und mit Sicherheit wirst du bei Marx keine Stelle finden, wonach das „Geld … erst mit dem Kapitalismus in die Welt gekommen“ sei.
Theorie ist ja schön und gut, aber in dem Moment wo die Theorie der empirischen Erkenntnis allzu sehr widerspricht, wird das irgendwann ein größeres Problem für die Theorie als für die Empirie.
Also auch wenn ich Christians Tonfall nicht angemessen finde, fürchte ich, dass er in der Sache Recht hat. Also es ist natürlich das immer gleiche semantische Spiel und Du wirst uns entgegenhalten, dass eben nur das kapitalistische Geld das „echte“ Geld ist. Klassischer Fall von „True Scotsman“ https://de.wikipedia.org/wiki/Kein_wahrer_Schotte wenn Du mich fragst 😉
Zusätzlich verquickst Du auch noch die logische und die historische Dimension unzulässig, wenn Du daraus, dass Geld und Wert (und Arbeit und …) im Kapitalismus sich logisch bedingen, daraus auch ein historisch gemeinsames Auftreten folgerst.
Um diese Diskussion sinnvoll zu führen müssten wir wohl erst mal die Eigenschaft(en) von „Geld“ (im üblich verstandenen Sinn) im Kapitalismus benennen, die es vorher nicht hatte. Das ist wohl vor allem die von Dir benannte Funktion den Wert auszudrücken und zu erzeugen. Aber dadurch wird ja alles vorher nicht kein „Geld“. Ich würde eher sagen im Kapitalismus kriegt das Geld einfach eine zusätzliche Funktion. Das ging aber historisch eben nur, weil es schon da war! Weil seine anderen Funktionen eben es erst ermöglichten diese zusätzliche Funktion wahr zu nehmen. Erst ein Geld, dass allgemeines Tauschmittel schon war, dass schon politisch im nationalen Rahmen stabilisiert war, konnte diese Funktion im Kapitalismus wahr nehmen.
Auch die anderen historischen Formen des Geldes kann man nur verstehen, wenn man sie nach ihren unterschiedlichen Funktionen historisch aufdröselt. Das ist dann bei den römischen Sesterzen auch wieder anders als bei den mittelalterlichen Gulden oder den berühmten Muscheln. Aber das führt jetzt vielleicht zu weit. Man findet bei Graeber sehr viel erhellendes und materialreiches dazu. Und das ist auch genau das Gegenteil von ontologisieren übrigens.
@Christian: Dass die Preise stets neu ausgehandelt werden, scheint mir nicht für den Kapitalismus typisch zu sein, sondern für bürgerliche Angebots-Nachfrage-Theorien des Werts im Kapitalismus, die du damit reproduzierst. Ich stimme dir hingegen darin zu, dass es vor dem Kapitalismus neben den lokalisierten Tauschakten/Preisbildungen auch politisch festgesetzte Preise gab.
Was die Gleichurspünglichkeit von Geld und Wert angeht, hängt natürlich alles vom Geldbegriff ab. Ich folge hier (mit Einschränkungen) Eske Bockelmann, vgl. https://www.streifzuege.org/2022/wert-geld-und-kapital/
@Benni: Ja, kann ich annehmen, dass ich (in der Kürze) logische und historische Argumentation verquicke. Logisch scheint es mir jedoch widersprüchlich zu sein, dass die spezifische Funktion, die IMHO Geld erst zum Geld macht (allgemeines Tauschmittel) und die erst mit dem Kapitalismus entsteht, schon vorausgesetzt sein soll.
Solange es sich nicht um ein gesellschaftliches Verhältnis handelt, ist es kein Geld – das ist die Basisthese. Alles andere wäre eine Art Vorgeld, dass in der Tat historisch genauer anzugucken wäre. Ja, da haben Graeber, aber auch Bockelmann einiges an Material zu geliefert – und unterschiedlich bewertet.
@Stefan: Bockelmann ist keine seriöse Quelle, was vorkapitalistische Gesellschaften betrifft. In seinen Büchern geht er äußerst selektiv und interpretierend mit den verwendeten Quellen um. In dem zitierten Streifzüge-Artikel gibt es erst gar keine Quellen an! – wodurch er sich aus jedem ernsthaften Diskurs eigentlich schon selber ausschließt.
Zudem widerspricht er sich in dem Text auch selbst. So schreibt er über die mittelalterlichen Städte: „Sie bilden die ersten Gesellschaften, die von Kauf und Verkauf leben – weil sie davon leben müssen: weil sie der sonst so stabil und konstant vorwaltenden Versorgung beraubt sind.“
Aber später schreibt er: „Der historische Umschlag in dieses neue Verhältnis vollzieht sich gut belegbar im Verlauf des sogenannten ‚langen‘ 16. Jahrhunderts. Jetzt erst, in Europa, wo sich der Umschlag vollzieht, werden Münzen zu Geld – und müssen sie sich daraufhin noch gründlich wandeln, um der Geldform schließlich zu entsprechen.“
OK, das „‚lange‘ 16. Jahrhunderts“ markiert insbesondere in England den Beginn des Kapitalismus, soweit würde ich mitgehen. Aber was ist nun aus den mittelalterlichen Städten geworden? Die gab es ja schon lange vor dem 16. Jahrhundert und sie waren auch damals schon überwiegend geldvermittelt – aber nun hat Bockelmann sie schon wieder vergessen.
Auch dass die mittelalterlichen Städte die „ersten Gesellschaften [waren], die [überwiegend] von Kauf und Verkauf leben“, wie er in dem vorigen Zitat schreibt, haut so nicht hin. Denn Städte gab es auch schon vorher und in vielen anderen Gesellschaften, und in den allermeisten von ihnen dürften Geld und Warentausch eine wesentliche Rolle gespielt haben.
Auf dem Land spielte Geld sicher in vielen Fällen eine kleinere Rolle, aber nicht unbedingt die ganz unwichtige Nebenrolle, die Bockelmann ihm so generell anhängen will. Und wenn er etwa schreibt: “Und das gilt auch für Münzen, die sehr wohl in dem einen Moment zum Tausch und schon im nächsten wieder als das Metall genutzt werden können, das sie sind. Das eine Mal sind sie Tauschmittel, das andere Mal eben nicht.” – Dann ist das eine Mystifizierung, weil es suggeriert, dass Münzen im Römischen Reich, im Mittelalter, im Alten China etc. regelmäßig eingeschmolzen wurden, um dann statt als Tauschmittel wieder rein stofflich als „Metall“ genutzt zu werden – was aber mit Sicherheit nicht die Regel war.
(Dass Münzen eingeschmolzen wurden, kam wahrscheinlich am häufigsten vor, wenn sie Landesgrenzen überschritten und dann neu anhand ihres Metallwerts zu Münzen in der Landeswährung geprägt wurden. Aber das war eben die Art, wie sich die Währungskonvertierung in Zeiten von Metallgeld vollzog, und natürlich hörten sie dadurch genauso wenig auf, Geld zu sein, wie Euro beim Austausch in Dollar.)
Was ist der Wert? Du schreibst: “Was ihn interessiert, ist der ideale gesellschaftliche Durchschnitt, denn nur darin findet der Wertbegriff seinen Ort. So rekonstruiert Marx den Wert als gesellschaftliches Verhältnis.”
Dagegen schreibt Postone über die Wertgröße auf S.292 seines Hauptwerkes: An dieser Stelle ist wichtig, festzuhalten, daß Marx im 1. Kapitel des Kapitals seine Behauptung, die Verausgabung gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit sei das Maß des Werts, nicht vollständig ausführt. (…)
Seine Argumentation zielt dabei darauf, die zeitliche Bestimmung der Wertgröße als eine kategoriale Bestimmung sowohl der Produktion als auch der Dynamik des Ganzen zu rechtfertigen, und nicht nur – wie es zunächst scheinen mag – als eine Bestimmung allein der Steuerung des Tauschs.
Um die “Dynamik des Ganzen” näher zu erläutern, bezieht sich Postone auf S.433 auf die Einführung des Dampfwebstuhls in England, ein Beispiel, welches Marx im 1. Kapitel des ersten Bandes des Kapitals eingeführt hatte. Wie seine Ausführungen zum Wert in Band 1 im Allgemeinen bewegt sich auch dieses Beispiel auf der Ebene der gesellschaftlichen Totalität. Im englischen Originaltext steht an dieser Stelle: “Like his exposition of value in Volume 1 more generally, this example operates on the level of the social totality.”
Was heißt hier “Ebene der gesellschaftlichen Totalität”? Eine dynamische Wechselwirkung zwischen Wertdimension (abstrakte Arbeit, Wert, abstrakte Zeit) und Gebrauchswertdimension (konkrete Arbeit, stofflicher Reichtum, konkrete Zeit). Auf S.435 schreibt Postone, dass Produktivität (= die Gebrauchswertdimension der Arbeit) die gesellschaftliche Arbeitsstunde (=Wertdimension) bestimmt. “Es ist wichtig festzuhalten, dass diese Bestimmung nicht in abstrakter Zeit ausgedrückt werden kann. Nicht die Menge an Zeit, die einen Wert von x ergibt, hat sich verändert, sondern der Standard dessen, was diese Zeitmenge konstituiert.” Der Wert ergibt sich zwar aus abstrakter Arbeit und die Wertgröße aus abstrakter Zeit, doch “die Produzenten sind nicht nur gezwungen, gemäß einer abstrakten Zeitnorm zu produzieren, sie müssen dies auch auf eine historisch angemessene Art und Weise tun: sie sind dazu gezwungen, »mit der Zeit Schritt zu halten«. (S.453) Ich sehe eine gewisse Analogie zu den Kondratieff-Zyklen. Stellt euch vor, wie sehr sich die Gesellschaft wieder verändern wird durch Quantencomputer, Mobilfunk G5 oder ähnliche „Zukunftstechnologien“. Die ganze Gesellschaft wird wieder heftig umgekrempelt werden, aber wenn Wert die Grundbedingung der Gesellschaft bleibt, dann wird die Herrschaft der Riesenmaschine über den Menschen nur noch feiner und monströser werden.
@stefan: Geld als allgemeines Tauschmittel gab es definitiv schon vor dem Kapitalismus. Du wirst keinen Bauern und erst recht keinen Stadtbewohner im mittelaterlichen Europa oder in China oder im römischen Reich und in vielen anderen Weltgegenden und -zeiten finden, der Geld als Bezahlung abgelehnt hätte.
Also wenn das die spezifische kapitalistische Funktion sein soll, dann bist Du auf dem Holzweg.
@Christian: Das diskutiere am besten mit Eske Bockelmann selbst. Kannst ihn ja einladen, hier mitzudiskutieren.
@Christoph: Ich verstehe deine Ausführungen als Ergänzung? Ein „dagegen“ kann ich nicht so richtig erkennen. Wenn doch, dann versuche es noch mal genauer zu fassen.
@Benni: Geld war Tauschmittel, ja, aber nicht allgemein. Allgemein ist es erst dann, wenn du deine Existenz nicht mehr ohne sichern kannst. Und ja, das ist nicht das alleinige Kriterium für bzw. die einzige Funktion im Kapitalismus.
@Stefan: Du sagtest, dass Marx sich für den idealen gesellschaftlichen Durchschnitt interessiert habe, denn nur darin fände der Wertbegriff seinen Ort. Das hört sich für mich so an, als wolle Marx nur eine Rechenaufgabe lösen. Marx hatte die Arbeit eines Handwebers verlgichen mit der Schnelligkeit eines Dampfwebstuhls und festgestellt, dass man mit dem Webstuhl doppelt soviel Garn pro Stunde verweben kann wie mit der Hand. Das sieht auf den ersten Blick wie eine einfache Rechnung aus. Neue Technik, Zeit halbiert. Doch die Erfindung des Dampfwebstuhls hat nicht nur die durchschnittlichen Produktionszeiten in der Textilbrache gesenkt, denn alle Produzenten sehen sich nun gezwungen, mit Dampfkraft zu produzieren und wenn sich die Produktionsmethode verallgemeinert hat, gilt die Produktion mit Dampfkraft als das neue Basisniveau der Produktivität. Alle Produzenten müssen hinfort unter “Volldampf” produzieren. Abstrakt zeitlich gesehen bleibt die gesellschaftliche Arbeitsstunde das Maß des Wertes, konkret jedoch verändert sie sich entsprechend den Veränderungen der Produktivität. Nach dem Dampf kamen Stahl, Eisenbahn, Elektrotechnik, Chemie, Informationstechnik und in Zukunft vielleicht Quantencomputer und Kernfusion. Alle diese neuen Technologien verkürzen nicht nur abstrakt-zeitlich gesehen Produktionsvorgänge, sondern verändern die gesellschaftliche Arbeitsstunde konkret, die Zeit wird immer “dichter”.
@Stefan:
Hmm hmm, wenn du dir die Aussagen von Bockelmann zu eigen machst und sie weiterverbreitest, solltest du eigentlich auch in der Lage sein, sie zu verteidigen, wenn’s drauf ankommt?
Also man könnte nun darüber streiten, wer wenn dieses „du“ ist und welche Menschen in früheren Gesellschaften auf Geld als Mittel zur Existenzsicherung angewiesen waren und welche nicht. Das eigentliche Probleme sehe ich aber darin, dass du die Allgemeinheit der Geldverwendung hier direkt in deine Definition von Geld reinnimmst. Würde man das bei anderen Dinge akzeptieren? Also angenommen jemand definiert: „Ein Auto ist erst dann ein Auto, wenn man im Alltag ohne mehr nicht klarkommt – vorher handelt es sich lediglich um Vorformen.“ Dann könnte man schließen, dass es vielleicht in amerikanischen Städten mit ausgeprägten Suburbs und ohne funktionierenden Nahverkehr Autos gibt sowie in Deutschland auf dem Land, in deutschen Großstädten aber nicht – dort gibt es stattdessen nur Vorformen.
So weit, so klar. Aber ist das eine sinnvolle Definition? Mit welchem Recht und welcher Plausibilität nimmt sich jemand das Recht heraus, den individuelle Notwendigkeit von Autos zum Teil ihrer Definition zu machen? Ich denke, die meisten würde eine solche Definition zurecht als willkürlich zurückweisen. Zudem trägt sie überhaupt nichts zum Verständnis von Autos bei – man hat nun lediglich eine zusätzliche Unterscheidung zwischen Autos und Auto-Vorformen, die alles verkompliziert, aber keinen Erkenntnisgewinn bringt. Und ob’s nun um „Autos“ oder um „Geld“ geht, macht dabei keinen Unterschied.
Zudem: Wieso sollte „allgemein“ denn bedeuten, dass es ohne nicht geht? Ich würde es eher so verstehen, dass das „allgemeine Tauschmittel“ zum Erwerb beliebiger Tauschgegenstände (Waren) eingesetzt werden kann. Was käuflich ist, ist (in der Regel) gegen Geld erwerbbar. Damit ist dann klar, dass es auch in einer etwa weitgehend auf Subsistenzproduktion basierenden Gesellschaft Geld geben konnte und gab, sofern dort Dinge (oder auch Menschen – Sklav:innen) käuflich erwerbbar waren.
@Stefan und Christian
Stefan sagt: Folglich sind Geld und Wert gleichursprünglich und erst mit dem Kapitalismus in die Welt gekommen.
Christian bezweifelt das: Seriously? Von (Wirtschafts-)Geschichte keine Ahnung zu haben, ist ja keine Schande, aber so tun als ob ist dann doch problematisch. Und du berufst dich zwar auf Marx, aber du zitierst ihn nicht, und mit Sicherheit wirst du bei Marx keine Stelle finden, wonach das „Geld … erst mit dem Kapitalismus in die Welt gekommen“ sei.
Ich möchte die These von Stefan unterstützen, wonach das Geld (als allgemeine Ware) und der Wert erst mit dem Kapitalismus in die Welt gekommen sind.
Postone sieht das auch so und zitiert Marx dabei. Verzeiht mir bitte die Kopie einer ganzen Buchseite, aber ich kann den Menschen Postone nicht besser zusammenfassen, S.408ff.:
Obwohl es die Waren- und Geldzirkulation sicherlich historisch auch schon vor dem Kapitalismus gegeben hat, wird die Arbeitskraft nur im Kapitalismus zu einer Ware und nimmt die Arbeit nur im Kapitalismus die Form von Lohnarbeit an (MEW 23, 183 f.). Erst hier wird die Warenform des Arbeitsprodukts allgemein (MEW 23, 184, Fn. 42) und Geld zum realen allgemeinen Äquivalent. Diese historische Entwicklung steht bei Marx für eine epochale historische Transformation: sie »umschließt eine Weltgeschichte« (MEW 23, 184). Der Kapitalismus markiert einen qualitativen Bruch mit allen anderen historischen Formen gesellschaftlichen Lebens.
Dies bestätigt mein Argument, daß die logische Entfaltung der Kategorien von der Ware über das Geld hin zum Kapital nicht als notwendige historische Abfolge verstanden werden sollte. Die Bestimmung der Ware am Anfang des Kapitals setzt Lohnarbeit schon voraus. Marx will in seiner Darstellung keine historische Entwicklung nachzeichnen, sondern geht logisch vom Wesen des Systems aus. Dies wird durch seine Feststellung bestätigt, daß Handels- und zinstragendes Kapital historisch zwar vor die moderne >Grundform< des Kapitals zu datieren sind, logisch aber aus dieser kapitalistischen Grundform abzuleiten sind (weswegen sie erst später, im dritten Band, behandelt werden) (MEW 23, 177 f.). Weiter unten wird auf dieses Thema des Verhältnisses von Geschichte und Logik in der Marxsehen Analyse zurückzukommen sein.
Diese Lesart widerspricht der oben kritisierten Interpretation, die Marxsche Wertanalyse im ersten Band des Kapitals erstelle ein Modell vorkapitalistischer Gesellschaft und erst die Diskussion von Preis und Profit im dritten Band beziehe sich auf die kapitalistische Gesellschaft. Dies unterstellt, daß der Wert historisch dem Preis vorausgeht. Das Gegenteil aber ist der Fall: meine Interpretation verweist darauf, daß ebenso wie Warenzirkulation, Geld, Handels- und zinstragendes Kapital historisch der modernen Form des Kapitals vorangehen, auch die Preise – wenngleich nicht die >Produktionspreise<, auf die Marx sich im dritten Band bezieht – schon vor dem Wert existierten. Wert als totalisierende Kategorie wird nur in der kapitalistischen Gesellschaft konstituiert.
In dieser Hinsicht ist es bezeichnend, daß Marx erst, als er mit der Entwicklung der Kategorie Kapital beginnt, gegen Theorien argumentiert, die den Wert einer Ware auf die Bedürfnisse, die sie befriedigen könnte, beziehen. Er hält dagegen, daß diese Theorien Gebrauchswert mit Wert durcheinanderwerfen und den Charakter der Produktion nicht zureichend berücksichtigen. (MEW 23.173 f.) Daß solche Argumente an diesem Punkt der Marxschen Darstellung auftauchen, zeigt, daß die deduktive Ableitung des Werts in den ersten Abschnitten des Kapitals die wirkliche Grundlage für seine den Wert betreffende Argumentation nicht ist – daß Wert also keine subjektive Kategorie darstellt, sondern eine objektivierte gesellschaftliche Vermittlung, die durch Arbeit konstituiert und mittels der Verausgabung von Arbeitszeit gemessen wird. Die wirkliche Grundlage dieser Position liefert vielmehr seine Entfaltung der Kategorie des Kapitals beziehungsweise seine Analyse der Produktion. Weit davon entfernt, ein Marktgleichgewicht im Kapitalismus zu erklären oder gar ein Modell einer vorkapitalistischen Gesellschaft zu begründen, kommt der Wert im Marxschen Verständnis erst als eine strukturierende gesellschaftliche Kategorie, das heißt erst mit der Konstitution von Kapital als einer totalisierenden Form, zu sich selbst. Er ist die Kategorie von Effizienz, Rationalisierung und fortdauernder Transformation. Wert ist die Kategorie einer richtungsgebundenen dynamischen Totalität.
Nach Marx ist Wert eine Kategorie der Kritik an den Verhältnissen, die sich durch ihn entwickeln – und damit im Sinn einer gesellschaftlichen Emanzipation gegen die Wertlosigkeit des menschlichen Lebens und seiner Natur im Kapitalismus begriffen.
„Unser wechselseitiger Wert ist für uns der Wert unsrer wechselseitigen Gegenstände. Also ist der Mensch selbst uns wechselseitig wertlos.“ (MEW 40, S. 462f.) Von daher ist er nicht eine schlichte Verallgemeinerung der Arbeit, sondern die logische Substanz abstrakt menschlicher Arbeit. Diese ist nur zu begreifen, wenn man aus dem Strukturalismus der gesellschaftlichen Formationen hinaus denkt, sie so subjektiv wie objektiv zugleich versteht.
„In jedem Verhältnis, worin sich die Positionen nicht sinnvoll aufeinander beziehen lassen, sich nur im Dazwischensein ihrer Existenzen gegen einander verhalten, verbleibt ihre Beziehung ohne wirklichen Rückhalt. In ihrer Ausschließlichkeit verschwindet sie in dem, was nur außer sich Sinn macht, in der Abwesenheit ihres Zwecks, der durch nichts gegenwärtig ist, also auch nicht wirklich wahr sein kann. In solcher Wirklichkeit beziehen sich ihre Inhalte füreinander wesenlos, wesentlich abwesend. Und so verhalten sie sich zu einander aus der Abwesenheit ihrer Beziehung, aus dem Nichts ihrer Wirkungen nurmehr abstrakt, wirken nurmehr durch das, was sie nicht wirklich sein können, verhalten sich durch ihre Abstraktion von sich, die ohne Sinn für einander sich im allgemeinen wie eine fremden Kraft entwickelt.“ (https://kulturkritik.net/begriffe/index.php?lex=wert)
Eine Ergänzung zu Stefans Text:
Soweit es Tausch in vorkapitalistischen Gesellschaften gab, gilt das, was Stefan dazu ausführt. Es geht nicht um Äquivalententausch, sondern um irgendwie zustande kommende Abmachungen über Gabe und Gegengabe. Dieser Tausch findet oft zwischen Anführern statt.
Dazu ein Beispiel von Georges Duby bezogen auf das Frühmittelalter (https://keimform.de/author/wille/). In dem Beispiel in Bezug auf Bleiverkehr wird dreimal scheinbar gehandelt. Einmal mit Geld („eine große Summe Münzgeld dafür bezahlen“):
Wir sind es gewohnt, daraus Gleichungen zu machen, die man auch auf eine Gleichung reduzieren kann: Blei = eine Summe Münzgeld = Beten für den Geber = ohne Erwartung einer Gegenleistung (vordergründig?)
Das Auffällige: hier wird nichts über Quantitäten gesagt, sondern ausschließlich über Qualitäten (Gebrauchswertcharakter). Entspricht denn wenigstens der Fall „Münzgeld“ unserem Umgang mit dem Gelde? – Nein, die gesamte Gesellschaft ist durchzogen von einem weit und tief verzweigten und verflochtenen Netz zirkulierender Güter und Dienstleistungen, die durch Redistribution und Reziprozität für Verteilung sorgen, dabei steht Freigebigkeit – vor allem der Eliten – im Vordergrund. Nach außen kommen Plünderungen, Piraterie und Tributzahlungen ergänzt werden.
Wenn dabei auch mal Münzgeld eingesetzt wird, so könnte das genauso gut Vieh (pecus) sein. Daher leitet sich ein früher Begriff für Geld ab: pecunia.
Die Unterscheidung zwischen Elitenhandeln und Handeln der zu mehr als 90% bäuerlichen Bevölkerung (Subsistenzwirtschaft, gegenseitige Hilfe, Leben in einer Gemeinschaft) sollte nicht vergessen werden.
Annette Schlemm schreibt im Blog Philosophenstübchen (https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2022/06/23/markt-konkurrenz-und-durchschnittsprofitrate/) bezüglich der Begriffe IM und AUßERHALB des Kapitalismus (28.6.2022):
Was hilft es nun, immer wieder von Neuem zu behaupten, dass es DAS Geld doch schon immer gab? Lange Zeit war es nur GELT. Zum GELT gab es hier bereits mehrere Hinweise, die in dieser Diskussion regelmäßig übergangen werden (siehe die Kommentare in https://keimform.de/2020/eske-bockelmann-das-geld/ vom 27.12.2021 und vom 11.1.2021).
Wesentlich für die Frage, ob Geld nur einer allgemeine Geltung (GELT) oder ein rein kapitalistisches Element darstellt, ist doch das, was dem Geld die Macht verleiht, dass man es haben muss, um überhaupt leben zu können. Und diese Macht besteht dadurch, dass Geld als Ware, als allgemeines Privateigentum gehandelt wird, dass es die allgemeine Vermittlung eines gesellschaftlichen Stoffwechsels betreibt und die Teilung der Arbeit zwischen Bedürfnis und Produkt aufhebt, deshalb sich als Mittler zwischen Bedürfnis und Erzeugung seiner Gegenstände Not wendend verhält.
„In einer Gesellschaft, deren Produkte allgemein die Form der Ware annehmen, d.h. in einer Gesellschaft von Warenproduzenten, entwickelt sich dieser qualitative Unterschied der nützlichen Arbeiten, welche unabhängig voneinander als Privatgeschäfte selbständiger Produzenten betrieben werden, zu einem vielgliedrigen System, zu einer gesellschaftlichen Teilung der Arbeit.“ (MEW 23, S. 57)
Weil menschliche Bedürfnisse nur in Einheit mit der menschlichen Arbeit zu verstehen sind (siehe hierzu Stoffwechsel), weil sie nur zwischen Produktion und Konsumtion sich adäquat verhalten können, stellt sich ihre Trennung zwischen Einkauf und Verkauf, die Trennung der Arbeit zwischen Gebrauchswert und Tauschwert (siehe Teilung der Arbeit) dar und können nur in der Geldform ihren abstrakten Zusammenhang vermitteln. Von daher kann der arbeitende Mensch seine Bedürfnisse nur durch Geld befriedigen und der bedürftige Mensch nur durch einen Arbeitslohn sein Leben verdienen.
In der bürgerlichen Gesellschaft müssen die Menschen ihr Leben verdienen, können also nicht als lebende Menschen gesellschaftlich zusammenwirken, keine gemeinschaftliche Wirklichkeit ihres Lebens bilden. Unter solcher Bedingtheit bleiben Bedürfnisse und Arbeit im Wesentlichen von einander getrennt und müssen im Nachhinein ihres Werdens ihre Einheit unentwegt einholen. So ist und bleibt den Menschen ihr allen gemeiner, ihr gesellschaftlicher Lebenszusammenhang äußerliche, isolierte Existenz und daher auch äußere Notwendigkeit, Zwang in und durch ihre Veräußerung – Lebenspflicht schlechthin.
Siehe hierzu auch https://kulturkritik.net/begriffe/index.php?b=kapitalismus
@ Benni: Du schreibst:
In Algerien allerdings sah das früher etwas anders aus. Früher? Nicht in grauen Vorzeiten oder im Mittelalter, nein, 1963. Das ist die Übergangszeit von einer traditionellen Gesellschaft in die mit kapitalistischer Produktionsweise. Man hatte z.T. bereits Erfahrungen mit dem Geld gemacht und hielt in anderer Weise am Herkömmlichen fest.
Die rationale Verwendung einer Geldmenge verlangt ein Kalkül, eine Denkform, die dem bisherigen Denken fremd ist und die nur widerstrebend gelernt wird:
Dabei kommen ganz grundsätzliche Sichtweisen zum Ausdruck:
Oder kurz: gehandelt wird nur mit Fremden und Feinden. Innerhalb des eigenen Familienclans gibt es keinen Tausch. Dort wird „streng nach den Regeln der Reziprozität und der Unentgeltlichkeit“ (ebd.) verfahren. Die von Polanyi hervorgehobene Einbettung des wirtschaftlichen Handelns in die Gesellschaft, in ihre Gepflogenheiten, in tief verwurzeltes kulturelles, mythisch-rituelles Verhalten wird in diesem Text ausgesprochen, ohne direkt auf Polanyi zu verweisen. Dazu gehört eben die „Logik des Gabentauschs“ (8).
In der Übergangsgesellschaft (1963 und nicht zu Beginn der Neuzeit!) ist der Kapitalismus schon recht weit gediehen, trifft aber immer wieder auf das alte Denken:
Diese Anekdote handelt in der Übergangszeit. Hier trifft ein „unvermeidliches Kalkül“ mit dem „verabscheuungswürdigen kalkulierenden Denken“ zusammen. „Zunächst legt (die Anekdote) offen, daß man einen klaren Trennungsstrich zwischen der Bezahlung, sei es in Geld oder in Naturalien, im Sinne einer Entschädigung für die aufgebrachten Mühen, und dem Mahl macht, das einen symbolischen Akt repräsentiert, den man nur auf die Gefahr eines Skandals hin einfach auf seine ökonomische Dimension reduzieren kann“ (ebd.). „Das Mahl ist ein Akt des Tausches, der ein Bündnis besiegelt und eine der Verwandtschaft analoge Beziehung zwischen Freunden begründet („Ich stelle Speise und Salz zwischen uns“)“ (ebd.).
Wenn also „der“ Bauer einfach so Geld bekommt in Antike oder Mittelalter, in Europa, China und/oder Asien, so gehört eine Menge an Abstraktion dazu. Das traditionell Hergebrachte muss schon abgelöst sein. Hier wird im Übergang gezeigt, wie kompliziert das ist, und das soll dann in der reinen vorkapitalistischen Gesellschaft noch viel einfacher und leichter gegangen sein („Du wirst keinen (…) finden, der Geld als Bezahlung abgelehnt hätte“)? – Eben doch, und das sogar in der bereits warenwirtschaftlich kontaminierten Transformationsgesellschaft im Algerien der 1950er/60er Jahre.
@Christian: Ein Auto ist kein sozialer Prozess, deswegen ist das eine abwegige Analogie (Analogien erklären eh nix, außer, dass es „irgendwie genauso aussieht“). Allgemein deswegen, weil es in Formzusammenhängen (hier: Gesellschaftsform) bestimmende Prozesse gibt. Die Möglichkeit ist zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Sklav:innen gibt es auch im Kapitalismus, dennoch ist der wesentliche soziale Prozess die Warenproduktion, weil die Leute vorrangig darüber ihre Existenz erhalten (aka „ohne geht’s nicht“).
@Christoph/Postone: Yep, „Wert als totalisierende Kategorie wird nur in der kapitalistischen Gesellschaft konstituiert“.
@Wolfram#1: Wert hat auch eine subjektive Seite, willst du das sagen?
@Wilfried#1: Danke für die Ausführungen.
@Wolfram#2: Ich lese das mal kritisch – oder meinst du es affirmativ?
@Wilfried#2: Danke für den Verweis auf Bourdieu.
@Stefan „@Wolfram#1: Wert hat auch eine subjektive Seite, willst du das sagen?“
Ich versuche, an den emanzipatorischen Gedanken von Marx zu erinnern, der in einer dialektisch formlierten Kritik einen subjektiven Grund gegen objektive Verselbständigungen verfolgt.
Seine 1. Feuerbachthese formuliert seine Abgrenziung von einer rein objektivistischen Theorie, die ihren praktischen Grund nicht darstellt, indem sie lediglich ihr Objekt betrachtet, ihm äußerlich bleibt:
„1. Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus – den Feuerbachschen mit eingerechnet – ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefaßt wird; nicht aber als menschliche sinnliche Tätigkeit, Praxis, nicht subjektiv.“
Der Wert selbst hat sich objektiv in und durch tätige Abstraktion, also im Warenausch entwickelt und setzt von daher praktisch auch alles voraus, was sich in der Geschichte der bisherigen Gesellschaften vergegenständlicht hat, was also schon menschlicher Gegenstand war, bevor die Teilung der Arbeit – die Abstraktion ihrer Vermittlung – ihn zu einer selbständigen Macht formatiert hat.
Stefan. „@Wolfram#2: Ich lese das mal kritisch – oder meinst du es affirmativ?“
„So ist und bleibt den Menschen ihr allen gemeiner, ihr gesellschaftlicher Lebenszusammenhang äußerliche, isolierte Existenz und daher auch äußere Notwendigkeit, Zwang in und durch ihre Veräußerung – Lebenspflicht schlechthin.“ Das kann man affirmativ doch nur verstehen, wenn man die Menschen in solcher Objektivität unkritisch „verstehen will“ und sie nicht subjektiv, sich darin nicht auch selbst, sich nicht als objektiviertes Subjekt in seiner Emtfremdung erkemnen will. Rein objektive Wissenschaft (siehe z.B. Positivismus, Empirisms, Phänomenologie, Systemtheorie u.a.) kann keine kritische Theorie sein, weil sie ihre Getrenntheit von ihrem Gegenstand nicht erfassen kann, selbst nur abstraktes Denken b etreibt.
@Christoph: Ich lese Postone anders als du. „Erst hier [im Kapitalismus] wird die Warenform des Arbeitsprodukts allgemein … und Geld zum realen allgemeinen Äquivalent.“ Das sagt doch unzweideutig: Ja, Geld (und auch Waren und Arbeit) gab es schon vorher (sonst könnte er nicht von „werden“ reden), aber erst im Kapitalismus wird es zum „allgemeinen Äquivalent“. Da würde ich mitgehen. Vorher kann man es etwa als „allgemeines Tauschmittel“ betrachten, wie wir es in anderen Kommentare getan hatten.
@Christian: Geld als Tauschmittel gab es vielfältig auch schon früher, aber nicht als allgemeines Tauschmittel (allgemeines Äquivalent), oder?
@Christoph schrieb: „Wert ist die Kategorie einer richtungsgebundenen dynamischen Totalität.“
Die Wertform wird von Marx nicht beliebig am Anfang seiner Analyse behandelt und ist auch keine Kategorie irgedeiner „Dynamik“. Grundlegend ist, dass der Wertbegriff bei Marx das Rätsel aufdeckt, warum Wert im Wesentlichen die Teilung der Arbeit zwischen Produktion und Konsumtion auflöst, warum er in der Preisform sich als Zahlungsmittel verhält, und im allgemeinen als Kaufmittel des Werts im Widersspruch hierzu funktioniert und bleibenden Geldbesitz als Schatz ermöglicht. Schließlich entsteht aus dem Widerspruch der Geldform alles, was die drei Bände von der Lohnarbeit der Arbeitskraft bis hin zum Kreditwesen erklären wollen. (siehe hierzu auch https://kulturkritik.net/begriffe/index.php?lex=teilungderarbeit
@Christoph:
Wieso sollten „allgemeines Tauschmittel“ und „allgemeines Äquivalent“ dasselbe sein? Ich würde unter erstem eher das Tauschmittel verstehen, mit dem all oder fast all die Waren erwerbbar sind, die in der jeweiligen Gesellschaft eben verfügbar sind. Letztlich finde ich es aber egal, ob man es „allgemeines Tauschmittel“ oder „flexibel verwendbares Tauschmittel“ o.a. nennt, wichtig ist die Erkenntnis: „Geld […] gab es vielfältig auch schon früher“ (= vor dem Kapitalismus). Solange wir uns darauf einigen können, bin ich zufrieden.
Zu behaupten, es hätte vor dem Kapitalismus gar kein Geld gegeben („Geld [ist] erst mit dem Kapitalismus in die Welt gekommen“), ist hingegen so peinlich falsch, dass es mir weh tut, sowas in einem immerhin von mir mitbegründeten Blog zu lesen.
Aber vielleicht würde inzwischen auch Stefan mitgehen, denn er schrieb ja oben: „Geld war [vor dem Kapitalismus] Tauschmittel, ja“? Allerdings müsste er dann eigentlich noch seine Kolumne umschreiben, um das richtig zu stellen.
@ Christian: Das dritte Kapitel im 1. Band des Kapitals ist über Geld und die Zirkulation. Marx beschreibt nach und nach 1. Geld als Maß der Werte, 2. als Zirkulationsmittel, 3. Geld als Geld. Im nachfolgenden 4. Kapitel geht es dann um die Verwandlung von Geld in Kapital. Ich glaube Geld als Kapital gibt es erst im Kapitalismus, denn damit Geld Kapital werden konnte, brauchte es erstmal Lohnarbeit. Und erst wenn Arbeit flächendeckend zur Ware geworden ist, kommt der Wert zu sich selbst, entwickelt eine immer stärkere Dynamik, die Postone mit einer Tretmühle vergleicht. Kapital ist „Wert in Bewegung“.
@Christian: Ich habe nicht behauptet, es hätte vor dem Kapitalismus „gar kein Geld“ gegeben. Das ist ein Strohpuppenargument. Geld ist kein Ding, das da ist oder nicht, 0 oder 1. Sondern es ist ein verdinglichtes gesellschaftliches Verhältnis und erst mit diesem Verhältnis entstanden. Deswegen schrieb ich hier: „Solange es sich nicht um ein gesellschaftliches Verhältnis handelt, ist es kein Geld – das ist die Basisthese. Alles andere wäre eine Art Vorgeld, dass in der Tat historisch genauer anzugucken wäre“. Keimformen halt.
@Stefan: „Eine Art Vorgeld“? Also doch https://kulturkritik.net/begriffe/index.php?lex=rechengeld
@Wolfram: Ja, nur würde ich aus dem Vorgeld/Rechengeld/Gutscheingeld/Lokalgeld keine Alternative (bei dir „Vertragswirtschaft“) ableiten. Ein Zurück gibt es beim Geld nicht. Das Geld ist zu sich gekommen, das kannst du nicht mehr rückformen.
@Stefan schrieb „Das Geld ist zu sich gekommen, das kannst du nicht mehr rückformen.“
Das Geld hat seinen Widerspruch von Zahlngsmittel und Kaufmittel totalisiert und verlangt durch den Wahnsinn der Spekulation auf die Kreditwirtschaft (95% Giralgeldschöpfung) und deren Schaden für den Großteil der Menschen nach einer Besinnung auf reale Existenzen, z.B. genossenchaftliche Kommnalarbeit, die natürlich auch in ihren Aufwänden möglichst gerecht verteilt werden muss. Verträge sind auch bei Marx der Unterschied zur Beliebigkeit von willkürlichen Beziehungen:
„Für alle Lebewesen, die keine Verträge darüber abschließen konnten, sich gegenseitig nicht zu schaden noch schaden zu lassen, gibt es weder Recht noch Unrecht. (Diogenes Laertius X, 150.)
Ebenso aber ist es auch bei den Völkern, die die Verträge darüber nicht abschließen konnten oder wollten, sich gegenseitig nicht zu schaden noch schaden zu lassen. Gerechtigkeit ist nicht etwas an sich Seiendes, sondern im gegenseitigen Verkehr, an welchem Ort auch immer, werde ein Vertrag abgeschlossen, sich nicht zu schaden noch schaden zu lassen.“ (Karl Marx, MEW 40, S. 343)
@Stefan:
Nun kommt es ja nicht nur darauf an, was du meinst, sondern auch darauf, was andere verstehen. Und ich frage mich schon, wie viele Leute nach Lektüre der Aussage „Folglich [ist das] Geld […] erst mit dem Kapitalismus in die Welt gekommen“ die Frage „Geht der Autor davon aus, dass es vor dem Kapitalismus schon Geld gab?“ mit JA beantworten würden. Allzu viele dürften es nicht sein, schätze ich.
Zum Thema „Vorgeld“ und zur Idee: „Das Geld ist zu sich gekommen, das kannst du nicht mehr rückformen“ – da stecken allerhand verborgene philosophische Vorannahmen drin, die du mal explizit ausbuchstabieren müsstest, um feststellen zu können, wie weit sie tragen. Ich habe gewisse Zweifel. Also z.B. „Vorgeld“: das macht vielleicht noch Sinn in Bezug auf des Geld des europäischen Mittelalters, das dem kapitalistischen Geld tatsächlich historisch vorwegging. Es macht aber schon keinen Sinn in Hinblick auf das Geld etwa in China, Japan, dem präkolumbianischen Amerika etc. – das sind ja alles andere Formen von Geld, deren Entwicklung irgendwann durch die Verbreitung von Kolonialismus und Kapitalismus abgeschnitten wurde, die man aber nicht – zumindest nicht ohne sorgfältige Studien – mit dem europäisch-mittelalterlichen Geld einfach gleichsetzen und deshalb als bloße „Vorformen“ verbuchen kann.
Auch die Idee, dass das kapitalistische sozusagen das einzige „echte“ Geld sei, weshalb das Geld erst hier „zu sich gekommen“ und nun kein anderes Geld mehr möglich sei, ist philosophisch fragwürdig. Einmal klingt sie verdächtig nach der Idee eines „Endes der Geschichte“, an dem wir zufällig genau jetzt angekommen sind – in diesem Falle zwar nicht der Geschichte allgemein, aber doch der Geschichte des Geldes. Diese Idee hat sich aber bislang eher blamiert und dürfte sich kaum rigoros begründen lassen. Zweitens werden so alle eventuellen Entwicklungslinien, die die Produktionsverhältnisse (und als Teil von ihnen das Geld) in anderen Gesellschaften vielleicht hätten annehmen können, wenn ihnen nicht der Kapitalismus dazwischen gekommen wäre, negiert – und ebenso die Möglichkeit geleugnet, dass solche oder auch andere Entwicklungslinien in Zukunft wieder aktuell werden könnten.
@Christian: Texte können immer unterschiedlich interpretiert werden, klar. Du weisst jedoch, was mein Argument ist, und du verwendest Strohpuppen, um draufzuhauen. Lame.
Es ist richtig, dass „allerhand verborgene philosophische Vorannahmen“ in meinem Text drinstecken – wie in so ziemlich jedem theoretischen Text. Ausbuchstabieren würde sich auf jeden Fall lohnen. Da läge jenseits einer kurzen Kolumne.
Mit „Vorgeld“ meinte ich nicht historisch vorgängig, sondern begrifflich vorgängig. Also eher Geld im Keimformstatus oder als Vorform. Das trifft auf alle Regionen der Welt zu, denn schließlich hat sich das „kapitalistische Geld“, das zu-sich-gekommene Geld, durchgesetzt. Und ja, es lässt am Ende in gesellschaftlicher Größenordnung kein anderes Geld neben sich zu.
Wieso das das Ende der Geschichte sein soll, erschließt sich mir jedoch nicht. Ich hoffe nicht, doch meine Überlegung bedeutet in der Tat, dass eine emanzipatorische Alternative nur jenseits des Geldes liegen kann.