Mustersprache vs. Kategoriale Utopie

Wie die Muster des Commoning und die kategoriale Utopie zusammengehören

Beim CI Herbsttreffen in Hiddinghausen gab es eine Diskussion verschiedener Sichtweisen auf die Commons als Teil einer gesellschaftlichen Transformation zu einer freien Gesellschaft. Diese haben mich zu ein paar Gedanken zum Verhältnis zwischen den Ansätzen von Silke Helfrich und David Bollier zu einer Mustersprache des Commoning und von Simon Sutterlütti und Stefan Meretz zu einer kategorialen Utopie veranlasst. (Helfrich/Bollier: Frei Fair und Lebendig-Die Macht der Commons und Stefan Meretz, Simon Sutterlütti: Kapitalismus aufheben).

Das Buch Kapitalismus aufheben macht endlich die Frage nach der Utopie einer befreiten Gesellschaft zum Thema und füllt damit eine schon lange bestehende Leerstelle in der linken Theoriebildung. Es versucht das, was noch nicht ist, trotzdem in Grundzügen zu definieren und damit einer Diskussion zugänglich zu machen. „Der theoretische Rahmen erschafft einen Raum, in dem die verschiedenen Einzeltheorien ihre Gedanken formulieren und ihre verschiedenen Möbel aufstellen.“ (Kapitalismus aufheben, S. 10.) Die kategoriale Utopie besticht durch ihre Klarheit und scheinbare Widerspruchsfreiheit. Sie ist damit aber auch kälter, männlicher und realitätsferner. Sie sagt erst mal wenig darüber, wie in der freien Gesellschaft die konkreten Fragen des Lebens geregelt werden würden. Teilweise habe ich auch den Eindruck, dass die Antworten auf diese Fragen auch als unzulässige „Auspinselei“ der Utopie diskreditiert werden. Sie müssen aber für die Realisierung jeder Utopie und teilweise auch schon für die Motivation von Menschen für eine gesellschaftliche Veränderung beantwortet werden. Die kategoriale Utopie vergisst systematisch Gefühle, Zwischentöne und Widersprüchlichkeiten. Sie bietet damit für die realen Probleme des Lebens wenig Lösungen an. Dazu passt dann auch, dass in Kapitalismus aufheben das Konzept der Commons-Verbünde, welches vor allem für die Lösung eines Widerspruchs, nämlich zwischen Verbindlichkeit zur Schaffung von Vertrauen in einen tauschlogikfreien Raum und Offenheit, erdacht wurde, kritisiert wird. Es wird unterstellt, dass Commons-Verbünde immer entweder intern eine Marktlogik einführen oder sich zu autoritären Systemen mit Arbeitszwang entwickeln müssten. Wie Stefan Meretz einmal selbst gesagt hat, wird das Konzept der Commons-Verbünde damit von seinen beiden extremen Degenerationsmöglichkeiten her kritisiert. Die Kritik bleibt im Dualismus zwischen Markt und Staat (in dem Fall als lokale Herrschaft repräsentiert) gefangen.

Die Muster des Commoning hingegen haben einen unmittelbaren Bezug zur heutigen Praxis. Sie entstehen bewusst nicht als klassische Theorie, die dann an der Praxis verifiziert wird, sondern synthetisieren die Theorie aus der Beobachtung. Silke Helfrich erklärt das so, dass Muster nicht einfach die Praxis beschreiben, sondern sehr wohl Abstraktion zwischen bloßer Beschreibung und Benennung des Musters liegt. Das Vorgehen stellt auch einen Wandel in der Erkenntnisweise dar. Dieser nimmt zum Beispiel feministische Wissenschaftskritik auf, welche kritisiert, dass männliche Wissenschaft durch die dem Versuch bzw. der Beobachtung vorangestellten Hypothesen bereits vorfestlegt, was als relevanter Teil der Realität gesehen wird. So reproduzieren die Forschenden ihre eigenen Bilder in der Realität. Demgegenüber entstehen die Muster im Dialog mit den Handelnden, die beschreiben, wie ihr Commoning gelingt bzw. welche Fragen sie daraus entwickeln und wie sie Antworten darauf finden.

Dadurch, dass die Muster des Commoning aus realen Handlungen und Lösungen in historischen und heutigen Projekten abgeleitet werden, bleiben sie scheinbar im hier und jetzt verhaftet. Wer sie als banale Beschreibungen des Bestehenden betrachtet, verkennt aber, dass hier auch Neues erzeugt wird. Denn den Kern gelingender Lösungen für immer wiederkehrende Probleme herauszuarbeiten und in Sprache zu fassen und all diese Muster zu einer Mustersprache zu verweben, ist und bleibt Theoriearbeit: Die Mustersprache, die letztlich das Ziel ist, stellt eine Art Lösungskatalog zur Verfügung, illustriert mit Best-Practice-Beispielen inklusive einer Beschreibung ihrer inneren logischen Zusammenhänge sowie der Widersprüche zwischen den Werten und Zielen, die in den unterschiedlichen Mustern aufscheinen. (Man könnte es so sagen: ein Muster hilft zwar Probleme zu lösen, verweist aber geradezu zwingend auf neue Probleme, die durch die Problemlösung entstehen. Auch aus diesem Grund ist die Arbeit an einer Mustersprache immer unabgeschlossen.) Auf diese Weise entsteht Neues, das es uns erlaubt, das Ganze zu fassen: Das, was vorher als einzelnes Muster in einem Zusammenhang exemplarisch erkennbar war, wird in einen Kontext gestellt und zusammengedacht. Damit wird systematisch ermöglicht, dass Commons-Projekte in allen Bereichen die für sie optimalen Lösungen finden, ohne dass selbige vorgeschrieben werden. Auf diese Weise nun könnten auch Muster synthetisiert werden wie der gesellschaftliche Umgang mit den Themen des Lebens in einer freien Gesellschaft aussehen könnte. Ich glaube, das meint Silke Helfrich, wenn sie den Vorwurf des „Klein-Klein“ zurückweist und darauf besteht, dass Muster auf allen Ebenen wirken.

Zum Vergleich der beiden Ansätze habe ich mal versucht, ihren jeweiligen Erkenntnisweg in einer Grafik abzubilden:

Der Erkenntnisweg der kategorialen Utopie

Der Erkenntnisweg der kategorialen Utopie
reale Handlungen von Menschen
führen zu
Theorie des Menschen (u.a. kritische Psychologie)
führt zu
Abstraktes Menschenbild
führt zu
abstraktem Möglichkeitsraum menschen Handelns
führt zu
Abstrakter Utopie

Der Erkenntnisweg der Mustersprache

reale Handlungen von Menschen
führen zu
Beobachtung und Gespräche mit Aktiven
führen zu
einzelne Muster
führen zu
konkreter Möglichkeitsraum menschlichen Handelns
führen zu
Mustersprache als verallgemeinerter Möglichkeitsraum

Wie erkennbar ist, haben beide ihre Wurzel in den realen Handlungen von Menschen in der jetzigen Gesellschaft und auch in der Geschichte. Sie gehen also beide davon aus, dass die Utopie als Möglichkeit schon im Hier und Jetzt angelegt ist. Nicht nur über die Keimformtheorie der Transformation, sondern auch bezüglich des Begriffs vom Menschen. Im Bewusstsein der Vielseitigkeit und Anpassungsfähigkeit des Menschen gehen beide Ansätze von heute schon real vorhandenen Handlungsmöglichkeiten und Fähigkeiten des Menschen aus, nicht von einem fiktiven neuen Menschen. Ich versuche Anette Schlemm aus der Diskussion zu zitieren: Was nicht im heutigen Menschen schon erkennbar angelegt ist, ist auch in der kategorialen Utopie nicht denkbar. Insofern führt auch die kategoriale Utopie nicht prinzipiell weiter als andere Erkenntnismethoden über das Mögliche in einer utopischen Gesellschaft. Sie ist lediglich generalisierender, abstrakter. Sie kann damit leichter den großen Rahmen darstellen aber ebenfalls leicht die Widersprüchlichkeiten des Lebens und die Lebendigkeit übersehen. Unabhängig davon, ob wir die freie Gesellschaft unserer Utopie als Commonismus oder Pluriversum der Commons begreifen, sind wir uns doch einig, dass diese sehr vielfältig sein wird, eine Welt, in die viele Welten passen. Um dem gerecht zu werden, brauchen wir auf alle Fälle ein Pluriversum der Erkenntniswege über die Utopie und die Wege dahin. Ich bin allen dankbar, die zu diesen Erkenntnissen beitragen.

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