Eigentumsrechte in der Genossenschaftsgesellschaft

(Voriger Artikel: Communen in der Genossenschaftsgesellschaft)

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Wie werden Eigentumsrechte in der Genossenschaftsgesellschaft gehandhabt? Schlagworte wie „Besitz statt Eigentum“, die suggerieren, dass andere Gesellschaftsformen auf Eigentumsrechte komplett verzichten können und sollten, klingen radikal und vielleicht auch einleuchtend – doch die Realität ist komplizierter. „Besitz“ bedeutet nur die faktische, unmittelbare Nutzung – eine Wohnung besitze ich etwa, solange ich mich in ihr aufhalte; einen Pullover, so lange ich ihn trage. Aber sicherlich wird auch jede andere (wünschenswerte) Gesellschaft Rechte brauchen, die über die reine Tatsachenfeststellung des Besitzens hinausgehen?

Wenn ich meinen Pulli in die Wäsche gebe, möchte ich ihn hinterher wieder anziehen können; wenn ich meine Wohnung für ein paar Tage verlasse, möchte ich nicht, dass anschließend andere Leute darin wohnen und mich nicht mehr hineinlassen. Wenn mir jemand den Pullover entreißt und ihn selber anzieht, hat das Kleidungsstück zweifellos den Besitzer gewechselt – aber ist diese Form der Aneignung gesellschaftlich anerkannt oder habe ich das Recht, das Kleidungsstück zurückzuverlangen und zurückzuerhalten?

Sofern Menschen solche Rechte haben – zumindest unter bestimmten Umständen – ist klar, dass es Eigentumsrechte gibt, die über rein faktischen Besitz hinausgehen. Daraus folgt noch lange nicht, dass ihre Gesellschaft „im Wesentlichen“ dieselbe Konzeption von Eigentum hat wie die kapitalistische. Statt Eigentum als etwas Binäres anzusehen, das entweder „da“ ist (und dann mutmaßlich genauso aussieht wie im Kapitalismus) oder nicht, ist es ergiebiger, es als Bündel unterschiedlicher Rechte aufzufassen, wie ich schon früher ausgeführt habe.

Eigentum ist selbst genutzt oder communal

Wie würde sich dann das in der Genossenschaftsgesellschaft (GG) anerkannte Rechtebündel vom kapitalistischen Eigentumskonzept unterscheiden? Wohl nicht der einzige, aber ein ganz wesentlicher Unterschied dürfte sein, dass es in der GG keine absentee ownership, d.h. kein nicht selbst genutztes Eigentum gibt – alle Güter gehören entweder denjenigen, die sie nutzen, oder der Commune insgesamt. Das ist essenziell, um sicherzustellen, dass Menschen gleichberechtigt und auf Augenhöhe miteinander kooperieren können.

Häuser und Wohnungen würden also üblicherweise denen gehören, die darin wohnen bzw. arbeiten – etwa in Form einer Wohnungsgenossenschaft, der alle Bewohner*innen als gleichberechtigte Mitglieder angehören. Produktivgenossenschaften (PG) könnten ihre selbst genutzten Büros und Fabriken gehören, ebenso wie andere von ihnen genutzte Produktionsmittel. Eine PG, die Wohnungen baut, kann diese jedoch anschließend nicht vermieten, da sie sonst zur abwesenden Eigentümerin würde, von der die Bewohner*innen abhängig wären, ohne selbst an ihren Entscheidungsprozessen teilnehmen zu können. Stattdessen können Wohnungsbau-PGs im Auftrag von Wohnungsgenossenschaften agieren – Eigentümer*innen werden dann die Mitglieder der Wohnungsgenossenschaft, d.h. die Bewohner selbst, während die bauende PG für sie eine vertraglich vereinbarte Leistung erbringt.

Alternativ kann auch die Commune – also die demokratische Gesamtheit aller in einer bestimmten Region lebenden Menschen – Wohnungen und Büros erbauen lassen und vermieten. Ob sie das rein kostendeckend macht oder aus erzielten Mehreinnahmen andere Ausgaben (z.B. Ersatzgehälter) querfinanziert, wird dabei demokratisch entschieden. Je mehr Querfinanzierung stattfindet, desto attraktiver wird es für Bewohner- bzw. Nutzer*innen aber, stattdessen ihre eigenen Wohnungs- oder Nutzerkooperativen zu gründen, denen die Gebäude gehören. Deshalb dürften Communen dazu tendieren, Gebäude kostendeckend zu vermieten und auf Querfinanzierungen zu verzichten.

Bodenschätze gehören allen

Im Kapitalismus werden Bodenschätze (Metalle, Erze und Halbmetalle, Salze und andere Mineralien sowie die fossilen Energieträger Kohle, Erdöl, Erdgas) weitgehend behandelt wie anderes Eigentum auch: sie gehören privaten Eigentümern (meist Firmen), die sich nach Belieben kaufen und verkaufen können. Bodenschätze sind jedoch nicht menschengemacht, weshalb es schwer einzusehen ist, weshalb einzelne Menschen (bzw. Firmen oder auch Kooperativen, d.h. Zusammenschlüsse von Menschen) in den Genuss ihres Eigentums kommen sollten. In der GG dürften Bodenschätze daher grundsätzlich der Commune gehören, in deren Gebiet sie liegen – und somit allen dort lebenden Menschen. Die Menschen können dann demokratisch entscheiden, ob und in welchem Umfang die vorhandenen Bodenschätze abgebaut und genutzt werden sollen.

Für die Verbrennung fossiler Energieträger – die mit Abstand wichtigste Quelle der fatalen menschengemachten globalen Erwärmung – dürfte dabei ein globales Moratorium gelten, so dass fossile Brennstoffe nirgendwo mehr genutzt werden. In anderen Fällen kann sich die Commune zum Abbau und zur Nutzung von Bodenschätzen entscheiden – ähnlich wie bei communalen Infrastrukturen kann sie mit der Durchführung der dafür notwendigen Tätigkeiten bestimmte Produktivgenossenschaften beauftragen. Diese werden dabei (ebenso wie PGs, die öffentliche Güter bereitstellen) für ihr Tätigsein bezahlt, jedoch nicht zu Eigentümern der abgebauten Bodenschätze. Diese werden vielmehr von der Commune selbst verkauft bzw. verteilt, wobei die Erträge – neben Steuern – die zweite Säule der communalen Finanzen darstellen. Für bestimmte Nutzungsarten – insbesondere für die von der Commune selbst bereitgestellten öffentlichen Güter – kann sie dabei gemäß demokratischer Entscheidungen besonders niedrige Preise berechnen und diese Nutzungsarten dadurch subventionieren. Auch eine kostenlose Abgabe ist denkbar – aber nicht unbedingt sinnvoll, da sie zu Verschwendung führen könnte.

Diskriminierungsfreier Zugang zu communalem Land

Dass es nicht menschengemacht ist, gilt neben Bodenschätzen auch für das Land selbst. Dies spricht dafür, dass auch aller Grund und Boden der jeweiligen Commune gehören sollte – also der Gesamtheit aller Einwohner*innen – anstatt einzelnen Kooperativen oder Einzelpersonen. Allerdings ist das nicht ganz unproblematisch: Wenn alles Land der Commune gehört und diese darüber nach Gutdünken verfügen kann, würde das der Commune – und damit der Mehrheitsmeinung – eine ganz erhebliche Macht über die in ihrem Gebiet möglichen Aktivitäten einräumen. Missfällt der Mehrheit – vielleicht nach einer Kampagne eines einflussreichen Nachrichtenmediums – etwa der Lebensstil in einer bestimmten Wohnungsgenossenschaft (WoGe), könnte sie dieser ihr Land kündigen und sich weigern, ihr anderswo neues zu vermieten. Die WoGe wäre dann gezwungen, das Territorium der Commune zu verlassen.

Gehört einer WoGe oder PG hingegen das genutzte Land ebenso wie die darauf errichteten Immobilien, ist sie gegen Willkürakte deutlich besser geschützt. Sofern die Commune als Gesetzgeber fungiert – ein Punkt der noch zu diskutieren sein wird – könnte sie zwar versuchen, die unliebsamen Aktivitäten einfach zu verbieten, doch die Ausformulierung und Annahme eines allgemein geltenden Gesetzes wäre eine erheblich höhere Hürde als ein bloßes Kündigungsschreiben oder die Weigerung, einen Mietvertrag abzuschließen. Zudem hatte ich in „Auch die Mehrheit kann nicht alle binden“ argumentiert, dass allgemeinverbindliche Gesetze nur da zulässig sind, wo ein Verhalten andere gegen deren Willen schädigt, gefährdet oder nötigt. Sofern sich Communen an diesen Grundsatz halten, besteht für gesetzliche Verbote eine weitere erhebliche Hürde.

Sofern alles Land communal ist, ergibt sich aus diesen Überlegungen, dass für die Vergabe von Nutzungsrechten klare allgemeingültige Regelungen gelten müssen, um Minderheiten vor der Mehrheit zu schützen. Denkbar ist etwa, dass die Commune alle nicht für eigene Zwecke (wie öffentliche Infrastruktureinrichtungen oder als Wildnis/Brachland) benötigten Flächen diskriminierungsfrei verpachtet, wobei sie bestimmte allgemein geltende Nutzungseinschränkungen festlegen kann – etwa ob Grundstücke für Wohnungen, für Büros, für Fabriken oder für Landwirtschaft gedacht sind und wie hoch ggf. gebaut werden kann. Bewerben sich mehrere in Frage kommende Nutzer*innen (Kooperativen oder auch Einzelpersonen), könnte entweder die Meistbietende den Zuschlag bekommen oder das Pachtrecht wird verlost.

Bekommt man das Pachtrecht zum Bau eines Gebäudes, darf man das Grundstück solange behalten, wie man möchte – aber maximal so lange, wie das Gebäude steht. Der fällige Pachtbetrag dürfte dabei alle paar Jahre anhand eines vorgegebenen allgemeingültigen Verfahrens angepasst werden – etwa als schrittweise Annäherung an die Pachtbeträge, die in der Umgebung für neu geschlossene Verträge fällig werden. Um Diskriminierungen zu vermeiden, sollten Grundstücke dabei möglichst von einer Treuhandinstitution („Land Trust“) verwaltet werden, die von der Alltagspolitik der Commune isoliert ist. Eine vorzeitige Kündigung durch den communalen Land Trust sollte ausgeschlossen sein, sofern der Pächter seine Pacht zahlt und sich an die Gesetze und die für das Land geltenden Einschränkungen hält. Einzelne Ausnahmen gemäß allgemein geltender Gesetze sind denkbar, wenn Land etwa für Infrastrukturprojekte benötigt wird (wie auch schon heute Enteignungen für derartige Zwecke möglich sind).

Pachtrecht und Immobilien können gemeinsam weiterverkauft, aber gemäß des allgemeinen Verbots von abwesenden Eigentümer*innen nicht vermietet werden. Eine Wohnungsgenossenschaft könnte etwa ein Grundstück pachten, auf dem sie Wohnungen für ihre Mitglieder errichtet. Entscheiden sich die Mitglieder einige Jahre oder Jahrzehnte später zum Umzug in eine andere Stadt oder Region, könnten sie Wohnraum und Pachtrecht an eine andere WoGe verkaufen, deren Mitglieder die Wohnungen dann übernehmen. Sofern dies für das entsprechende Grundstück zulässig ist, könnte sie beides auch an eine PG weiterverkaufen, die die Wohnungen zu Büros oder Fabrikräumen umgestaltet.

Werden die auf einem Grundstück errichteten Gebäude komplett abgerissen, erlischt das bestehende Pachtrecht; die Commune kann das Grundstück dann neu verpachten (über den Land Trust) oder für eigene Zwecke nutzen.

Neben Steuereinnahme und Einnahmen aus dem Verkauf von Ressourcen sind Pachterträge die dritte Säulen der communalen Finanzen. Diesen Einnahmequellen stehen Ausgaben für Ersatzgehälter und öffentliche Güter gegenüber.

(Fortsetzung: Entscheidungsfindung in der Genossenschaftsgesellschaft)

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