Märkte für reale, aber nicht für „fiktive“ Waren wie Arbeitskraft und Land?
(Voriger Artikel: Vorüberlegungen)
Karl Polanyi weist darauf hin, dass es Warenmärkte in sehr vielen Gesellschaften gegeben hat, sich aber erst mit der Verbreitung des Kapitalismus auch Märkte für fiktive Waren im großen Stil durchgesetzt hätten. Als „fiktive Waren“ bezeichnet er Arbeitskraft, Boden und Geld, da sie nicht für den Verkauf produziert werden, auch wenn sie im Kapitalismus wie Waren gehandelt werden (Polanyi 1978, 108). Diese fiktiven Waren sind zu unterscheiden von echten Waren (Realwaren), die in Betrieben oder von Einzelproduzentinnen für den Verkauf produziert werden.
Der Kapitalismus braucht augenscheinlich Märkte für fiktive Waren, während andere Gesellschaften weitgehend ohne diese auskamen. Eine zu untersuchende These ist somit, dass eine Gesellschaft, in der fiktive Waren nicht mehr (oder jedenfalls nicht in erster Linie) auf Märkten erhältlich sind, nicht mehr kapitalistisch wäre, selbst wenn es noch Märkte für Realwaren gäbe.
Ins Auge fällt hierbei, dass Polanyis „fiktive Waren“ mehrere der wesentlichen Produktionsfaktoren – also der für den Produktionsprozesse benötigten Elemente – darstellen. Als wichtigste Produktionsfaktoren (factors of production) nennt der Neoklassiker Gregory Mankiw (2014, 374) „Arbeit, Land und Kapital“ (labor, land, and capital) – ein Trio, das unschwer Polanyis „Arbeitskraft, Boden und Geld“ zugeordnet werden kann. Auf die terminologische Unterscheidung zwischen „Arbeit“ und „Arbeitskraft“ werde ich gegebenenfalls später zurückkommen; Kapital ist Geld, das im Produktionsprozess verwertet (vermehrt) werden soll.
Letzteres entspricht allerdings nicht dem neoklassischen Verständnis, dem zufolge das Geld nur ein „Schleier ist“, der über den realen materiellen Verhältnisse liegt, ohne sie aber in nennenswerter Weise zu verändern oder zu beeinflussen (ebd., 711). Deshalb betrachten die Neoklassiker das Geld, dass in einer Firma steckt und im Produktionsprozess vermehrt werden soll, nicht als Kapital, sondern als theoretisch sozusagen gar nicht existent. Stattdessen verwenden sie diesen Begriff für im Produktionsprozess eingesetzte Gebäude, Maschinen und Geräte – also für Produktionsmittel gemäß der Marx’schen Terminologie.
Bei differenzierterer Betrachtung handelt es sich hier um zwei unterschiedliche Produktionsfaktoren: Es braucht sowohl Kapital oder Kredit – Geld, mit dem Produktionsmittel sowie Vorprodukte gekauft und die Gehälter der Mitarbeiterinnen gezahlt werden, solange der Produktionsprozess noch nicht abgeschlossen ist – als auch Produktionsmittel, die im Produktionsprozess eingesetzt werden. Produktionsmittel sind aber keine fiktiven Waren, sondern selbst Produkte früher Produktionsprozesse, also reale Waren. Wir können die obige These also auch so formulieren, dass eine Gesellschaft nicht mehr kapitalistisch ist,wenn sie keine Märkte für Produktionsfaktoren kennt, die nicht selbst Realwaren sind – also keine Märkte für Arbeitskraft, Boden und Kapital/Kredit, aber ggf. Märkte für Endkundenprodukte und produzierte Produktionsmittel.
Dabei ist freilich auch zu untersuchen, auf welche alternative Weise der Zugang zu den fiktiven Waren (Arbeitskraft, Boden und Kredit) stattdessen erfolgt. Des Weiteren ist zu erörtern, ob solch eine Gesellschaft eine bessere Alternative zum Kapitalismus sein könnte, oder ob eine Aufhebung bloß der fiktiven Warenmärkte nicht womöglich vom Regen in die Traufe führen würde. Letzteres ist zwar zu einem guten Teil eine Geschmackssache, aber auch über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten.
Als mögliche Prinzipien einer besseren Gesellschaft, die nur Realwarenmärkte kennt, würde ich zunächst vorschlagen:
- Es gibt keinen Markt für Arbeitskraft als nach dem Gutdünken der Käufer/Mieter einsetzbaren Produktionsfaktor. Die Alternative: Wer für eine Firma arbeitet, ist damit gleichzeitig dazu berechtigt, an allen sie betreffenden Entscheidungen gleichberechtigt mit allen anderen Mitarbeitern teilzunehmen – alle Firmen sind also Kooperativbetriebe.
- Boden und Immobilien (fest an den Boden gebundene Realwaren) sind keine frei handelbaren Waren, sondern sie gehören entweder der Allgemeinheit oder denen, die sie nutzen.
- Geld als Geld (das gegen Zins verliehen wird) oder als Kapital (das sich vermehren soll) sind keine frei handelbaren Waren (oder höchstens in sehr begrenztem Maße). Allerdings werden Betriebe immer noch Kredite brauchen – sie müssen zunächst Geld ausgeben, um Produktionsmittel und Vorprodukte zu kaufen oder aufzubauen, bevor sie eigene Produkte verkaufen und dadurch Geld verdienen können. Wie das ohne Kapitalmärkte funktionieren kann, wird zu diskutieren sein.
In solch einer Gesellschaft wären alle Mitarbeiterinnen einer Firma gleichberechtigte Teilhaberinnen und nicht bloß weisungsgebundene Untergebene der eigentlichen Bosse. Ohne weitere gesellschaftlichen Mechanismen stünden alle aber immer noch vor dem Problem, eine Firma finden zu müssen, die sie als Mitarbeiter akzeptiert, um das zum Überleben notwendige Geld verdienen zu können. Das könnte dazu führen, dass Menschen, denen das schwer fällt, in der Praxis auf die ihnen theoretisch zustehenden Rechte als gleichberechtigte Teilhaberinnen verzichten. Aus Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, könnten sie stillschweigend den Anweisungen ihrer Kollegen Folge leisten, statt die Arbeitsverhältnisse gleichberechtigt mitzugestalten. Der offiziell abgeschaffte Unterschied zwischen weisungsbefugtem Management und weisungsgebundenen Angestellten wäre dann durch die Hintertür wiederhergestellt.
Um dieses Risiko abzuwenden, braucht es ein weiteres Prinzip:
- Ein Großteil (also mindestens die Hälfte) des Einkommens aller Personen fließt als bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) gleichmäßig an alle, nur der Rest (also maximal die Hälfte) wird durch aktive Marktteilnahme etwa als Mitarbeiter in einer Firma verdient. Dadurch wird der Markt (die aktive Marktteilnahme) wieder vom Zwang zur Möglichkeit, wie er es vor dem Kapitalismus in aller Regel war (vgl. Wood 2002, 76). Das BGE muss dabei nicht unbedingt komplett als Geldbetrag ausgezahlt werden – auch Sachleistungen, die allen in einer bestimmten Region lebenden Menschen zugute kommen können, zählen dazu (z.B. öffentliche Parks, kostenloser Nahverkehr, Rettungsdienste, kostenlose Bildungsangebote). Solche allgemeinen Sachleistungen werde ich im Folgenden als „allgemeine Infrastruktur“ (AIS) bezeichnet.
Die Grenzziehung – mindestens die Hälfte aller Einkommen fließt bedingungslos, nur der Rest kann „verdient“ werden – mag willkürlich erscheinen. Ich denke aber, dass dies ausreichend wäre, um dafür zu sorgen, dass die aktive Marktteilnahme ihren Zwangscharakter verliert – dass also auch diejenigen, die in keiner Firma mitarbeiten, ganz gut leben können, und die Möglichkeit zur Arbeitserpressung („du tust, was wir sagen, sonst!“) entfällt. Sollte sich in der Praxis herausgestellt, dass die bedingungslos fließenden Mittel dafür immer noch zu niedrig sind, müsste ihr Anteil allerdings erhöht werden.
Ein weiterer, noch nicht genannter Produktionsfaktor ist zweifellos das Wissen darum, wie Dinge hergestellt, gepflegt, genutzt und repariert werden können. Um an andere weitergegeben und von anderen interpretiert werden zu können, muss Wissen aufgezeichnet und in die Form von Zeichenartefakten (wie Texte, Software, Musik, Filme, Landkarten) gebraucht werden. Auch Wissen und digital vorliegende Zeichenartefakte haben die Eigenheit, dass sie – wenn überhaupt – nur fiktive Waren werden können, da sie frei mit anderen geteilt werden können, ohne dass die Teilende dadurch etwas verliert. Einen Markt im eigentlichen Sinne – wobei sich x potenzielle Käufer um y Exemplare eines Produkts bemühen, wobei im Normalfall die y meistbietenden Käuferinnen den Zuschlag kriegen (oder unverkäufliche Exemplare übrig bleiben, sofern x < y), kann es für digitale Zeichenartefakte deshalb nicht geben. Zwar können Zeichenartefakte durchaus für den Verkauf produziert und auch verkauft werden, aber eigentlich nur einmal – der erste Käufer kann das gekaufte Exemplar ohne Weiteres mit allen anderen Interessierten teilen, womit er der einzige Käufer bleibt.
Damit digitale Zeichenartefakte nicht nur einmal, sondern immer wieder verkauft werden können, müssen Gesetzgeber deshalb spezielle Monopolregelungen wie das Urheber- und Patentrecht erlassen, die das freie Teilen illegal machen. Eine Gesellschaft ohne Märkte für fiktive Waren wird auf solche Monopolregelungen verzichten und dadurch verhindern, dass Wissen und Zeichenartefakte von frei teil- und nutzbaren Gütern zu fiktiven Waren werden. Dies deckt sich auch mit meiner ethischen Vorüberlegung, wonach der Ausschluss anderer höchstens zur Sicherung der eigenen Gebrauchsrechte gerechtfertigt werden kann – und bei Wissen, das weder exklusiv ist noch sich im Gebrauch verbraucht, deshalb gar nicht.
Daraus ergibt sich freilich kein Zwang zur Veröffentlichung – wenn eine einen Text schreibt, einen Song aufnimmt o.a., kann sie selbst entscheiden, ob sie diesen mit der ganzen Welt, nur mit ausgewählten Freunden oder gar nicht teilt, und die Freunde sollten diesen Wunsch dann auch respektieren. Dasselbe gilt für in einem nichtöffentlichen Kontext entstandene Fotos und Filmaufnahmen, wo neben der Fotografin auch die dargestellten Personen mit einer Veröffentlichung einverstanden sein sollten („Recht am eigenen Bild“). Aber sobald eine Veröffentlichung mit Zustimmung der Urheberinnen und Dargestellten erfolgt ist, haben diese keinen Anspruch mehr darauf, das weitere Schicksal ihres Werkes exklusiv kontrollieren oder für jede Nutzung eine Zahlung einfordern zu können. Als weiteres Prinzip ist somit festzuhalten:
- Wissen und Zeichenartefakte können von allen genutzt, geteilt und weiterentwickelt (Veränderung, Remix) werden, sobald sie mit Zustimmung ihrer Urheberinnen und der dargestellten Personen öffentlich geworden sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Zeichenartefakt ein bezahltes Auftragswerk ist oder nicht.
Polanyi spricht davon, dass Märkte in vorkapitalistischen Gesellschaften in den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang „eingebettet“ waren, während sie sich im Kapitalismus verselbstständigt haben und alles andere dominieren. Die diskutierten Prinzipien eröffnen die Perspektive einer postkapitalistischen Gesellschaft, in der die Realwarenmärkte wieder eingebettet sind, statt zu dominieren. Dabei sind freilich viele Fragen zunächst noch offen, etwa:
- Wie werden sich Kooperativbetriebe organisieren und welche Formen der Kooperation sind zwischen unterschiedlichen Betrieben sowie zwischen Betrieben und Kundinnen möglich und sinnvoll?
- Wie erfolgt der Zugang zu Boden, Immobilien und Kredit, wenn diese keine Waren mehr sind?
- Wie können ein bedingungsloses Grundeinkommen und allgemeine Infrastruktureinrichtungen in der genannten beträchtlichen Höhe finanziert werden und braucht es dafür nicht einen Staat, der sich gegenüber der Gesellschaft verselbstständigen und ein problematisches „Eigenleben“ entwickeln könnte?
Wer weitere Fragen hat oder auch Vorschläge zur Lösung dieser und anderer Fragen, kann diese gern in den Kommentaren äußern. Meinen aktuellen Stand an Lösungsideen werde ich in den Folgeartikeln entwickeln. Ich will dabei nicht behaupten, ideale „Patentlösungen“ zu kennen, glaube aber, dass die eröffnete Perspektive einer „eingebetteten Marktgesellschaft“ hinreichend erfolgversprechend ist, um sie weiterzuverfolgen.
(Fortsetzung: Profitmaximierung und die Alternativen)
Literatur
Mankiw, N. Gregory. 2014. Principles of Economics. 7. Aufl. Stamford, CT: Cengage Learning.
Polanyi, Karl. 1978. The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystem. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Wood, Ellen Meiksins. 2002. The Origin of Capitalism. London: Verso.
Die „Vermarktung“ bestimmter Güter- oder Faktorsorten war schon Thema mit Benni, und wie dort lautet mein Einwand: Nicht mal die Einbeziehung in die immer mehr Gütersorten erfassende Waren-Förmigkeit der Reproduktion von immer mehr Menschen ist das eigentlich kapitalistische, sondern dass die gesamte Reproduktion (zuletzt beinah der gesamten Bevölkerung) Moment ist der GesamtKapital-Reproduktion und damit auch Akkumulation; wobei an letzterer zwar auch die Ausweitung der laufenden Geschäfte beteiligt ist, vor allem aber die beständige Innovation und das Höherschrauben des technischen Niveaus und er Komplexität der Gesamtproduktion. – Bei den sog. „fiktiven“ Waren wird von der neoklassischen Ökonomie-versucht, sie begrifflich unter das sehr abstrakte Knappheitsparadigma zu subsumieren: Güter aller Art anbietende Eigentümer treten einander gegenüber und treten (ihnen staatlich garantierte) Besitz- oder Eigentumsrechte ab. Die Nicht-Realwaren sind aber solche besonderer Art (man könnte politisch erzeugte Knappheit bzw „Waren“ wie Lizenzen, CO2-Zertifikate usw auch noch dazu zählen), und spätestens beim Kredit oder „Handels-artigem“ Zirkulieren von Zahlungsforderungen (mit Frist+Aufschlag bei Zahlung) sowie real-knappen*) Gütern wird deutlich, dass sie zu den beständig reproduzierten und dabei produktiv zirkulierenden „Realwaren“ (dazu zählt auch Arbeitskraft) als Ganzes in ein Verhältnis treten: die „Nicht-reproduzierbaren“ Güter (Boden nur Spezialform) als absolut Expansions-limitierende; die Investitions-artigen (Kredit, Aktien usw nur spezielle Form) als (im Erfolgsfall) „schöpferisch zerstörende“ und die Reproduktion ständig umbauende (im Sinne steigender Produktivität dieser Reproduktion).
*)nicht mit sich und dem Gesamt des Reproduktions-Prozesses im Rahmen siener absoluten Expandierbarkeit (begrenzt durch eben die knappen Güter) vermehrbare Güter
Subsumtion der gesamt-Reproduktion (global) unter den sich hochschraubenden produktivitäts-Steigerungs-Prozess: DAS scheint das entscheidende Kap.Merkmal zu sein (eingebettet nach wie vor als „die Wirtschaft“ in diesen Prozess rahmende und tragende politische und zivilgesellschaftliche „bürgerliche“ Verhältnisse: bürgerliches (Welt)SYSTEM).Diesen Real-Effekt der derzeitigen globalen Reproduktion, vor allem eben den damit gegebnen mörderischen „Fortschritt“**), „aufheben“ zu wollen heisst: ihm (gleichbedeutend mit Kritik) andere (kollektive) (Reproduktions- und Fortschrittsbezogene) Zwecke entgegenstellen und die derzeitige globale Produktionsweise in eine auf diese Zwecke bezogene umbauen.**) gleichgültig gegen Mensch(liche Bedürfnisse), Natur(anforderungen an jegliche Produktion), gegenwärtige Geschichte (allenthalben aufbrechende Erfahrungs- und WissensRückstände
Die Probleme, die wir diskutieren, haben alle mit dieser „Umwidmung“ der modern global-arbeitsteiligen Produktionsweise zu tun. Die Frage, wie eine bedürfnis-, natur- und vergeselslchaftungsgerechte Produktionsweise TECHNISCH, auf der Ebene der Produktivkräfte, aussehen könnte, ist derzeit nicht einmal ansatzweise aufgeworfen (im Zshg mit Klimawandel deutet sich da manchmal was an; oder, fragwürdig genug, bei den sich selbst replizierenden 3D-Druckern…). Geschweige denn beantwortet.Sie fliesst, meine ich, zusammen mit den Fragen, die sich bei Themen wie den von Benni in seinen jüngsten Artikeln behandelten stellen.
@Benni Bärmann
Ohne politische Bewegung wird sich da vermutlich auch wenig tun. Ich fand die Vorstellung man könne neben dem (staats-)politischen Betrieb einfach nebenher eine Alternativökonomie aufbauen, die dann irgendwie dominant werden solle, schon immer für naiv.
Wood zeigt auch auf wie es politischer Entscheidungen bedurfte um die Grundlage für den Kapitalismus zu schaffen. Die Perspektive einer nachkapitalistischen Gesellschaft dürfte ähnlich aussehen.
Christian hat m.E. den richtigen Riecher, wenn er darauf hinweist, dass ein erster Schritt darin liegen muss den Einfluss von Märkten zurückzudrängen. Es ginge also darum die Reproduktion/Grundversorgung zu dekommodifizieren. Ohne Rechtssicherheit, also öffentlich-politische Institutionen, wird dies nicht gehen.
Die wahrscheinlichste Variante ist eine Verbreitung der bisherigen Ansätze des Kommunalismus/Munizipalismus wie er beispielsweise seit einigen Jahren in Spanien Aufwind bekommt. Wolfram hat ja bereits seit Jahren eine ähnliche Perspektive vorgeschlagen, wenn er von einer internationalen Kommunalwirtschaft spricht. Es muss also zuvorderst um eine Kommunalisierung und Demokratisierung der Grundversorgung und der Verwaltung gehen. Das schließt eine Dezentralisierung der Steuerkompetenz mit ein.
Die Frage der Preisbildung auf den übrigen Realwaren-Märkten ist bisher noch unbeantwortet. Vermutlich ließe sich hier ein Verhandlungsprozess von Produzenten- und Konsumenten-Verbänden denken.
Dabei zeigt der Ansatz der Multi-Stakeholder-Genossenschaften wie dies aussehen könnte:
„Multistakeholder-Genossenschaften (MSG), als Zusammenschluss von zwei oder mehrerer Gruppen (z.B. Betroffene, Verbände, Vereine, Initiativen, Kirchen, Unternehmen), zielen vor allem auf sozial- und arbeitsmarktpolitische Innovation im lokalen und regionalen Raum ab. Es wird ermöglicht, örtliche Ressourcen besser zu nutzen und Aufgaben im öffentlichen Interesse effektiv zu organisieren. MSG sind interessante Modelle der sozialen Kommunalpolitik. Die Vernetzung der Mitglieder ist im Gemeinwesen anzulegen, wodurch über einen längeren Zeitraum eine Einbindung ermöglicht werden kann. In dem Verbund können sich unterschiedliche Bedarfe und Angebote ergänzen und eine sozialproduktive Nutzung verschiedener Ressourcen ermöglichen. MSG können dazu beitragen, dass BürgerInnen mit Unterstützung ihre Belange in Kooperation mit öffentlichen und privaten Akteuren selbstständig innerhalb der kommunalen Genossenschaft regeln.“
Quelle: http://www.stadtteilarbeit.de/handlungsfelder/genossenschaften-stadtteil/360-sozialgenossenschaften.html
Dem gegenüber könnten Delegierte der MSGs wiederum in Ausschüssen der kommunalen und transkommunalen Räte beraten oder gar mitentscheiden. Man könne von einer Art „gegenseitigen Repräsentanz“ sprechen, welche die übrigen Märkte durch eine Produzenten-Konsumenten-Rahmenkoordination einbettet.
Ob all dies eines Staates bedürfte ist unklar. Wohl aber öffentlicher/politischer Institutionen. Wenn diese als de-facto Staat gelten, dann kann nicht davon ausgegangen werden, dass es auf absehbare Zeit eine Massengesellschaft geben kann die komplett ohne (quasi-)staatliche Strukturen auskommen kann.
Es ließe sich aber wohl eine starke Dezentralisierung des Staates denken und beispielsweise könnten Städte und Regionen transnationale Zusammenschlüsse bilden welche gegenüber den bisherigen (National-)Staaten ein vermehrtes Mitsprache- und Vetorecht haben. Das vor Kurzem gegründete, und weiterhin im Aufbau befindliche, Global Parliament Of Mayors ist m.M.n. so ein Ansatz.
@Benni:
Von „keine Abgabenprogression“ habe ich ja nichts gesagt. Wie das BGE finanziert werden kann, werde ich noch diskutieren, aber ich würde da definitiv progressive Elemente vorsehen.
Und wenn du denkst, dass die staatliche Umverteilung (Sozialleistungen jeglicher Art) heute in irgendeinem Staat so hoch ist wie die privaten Nettoeinnahmen (Löhne, Miet-, Kapital- etc. -einnahmen), dann würde ich vermuten, dass du sie erheblich überschätzt. Ich habe die genauen Zahlen nicht um Kopf, würde aber wetten, dass sie selbst in Skandinavien erheblich geringer ist.
Warum? Also das ist auch noch zu diskutieren, aber gemäß dem hier skizzierten Konzept würde es ja nur um private Gebrauchsgüter gehen — Möbel, vielleicht Autos (wenn’s die noch gibt) o.ä. Und evtl. Ersparnisse aus eigenen Arbeitseinkommen, wobei das erst recht zu diskutieren ist. Aber klar ist: Ohne Privateigentum an Firmen, Böden und Immobilien und ohne die Möglichkeit, von der Arbeit anderer reich zu werden, werden alle privat eventuell vererbbaren Besitztümer aus heutiger Sicht äußerst bescheiden wirken.
Das müsstest du genauer ausführen. Warum sind manche Märkte heute illegal und was hat das mit dem zu tun, was ich hier skizziere?
Wenn du meinst, dass Käufer- und Verkäufer_innen ggf. ein Interesse an Schwarzgeschäften haben, um ggf. hohe Umsatzsteuern zu vermeiden — mag sein, das lässt sich aber erst klar diskutieren, wenn ich die Quellen des BGE behandle, deshalb würde ich das erstmal zurückstellen. Und an Schwarzverkäufen stirbt dann doch eher selten jemand.
Diese Sicht der Dinge halte ich für zu schematisch. Tatsächlich könnte man ja auch sagen (und manche machen das ja auch): Industrie/High-Tech/Computer gibt’s erst seit dem Kapitalismus, also müssen sie weg! Aber da dürften wir uns ja vermutlich einig sein, dass „wurde erst durch den Kap. hervorgebracht“ nicht unbedingt mit „muss nach dem Kap. wieder verschwinden“ gleichzusetzen ist. Und tatsächlich benennt Wood eine ganze Reihe spezifischer Merkmale des Kapitalismus, die ich am Anfang von Wie der Kapitalismus entstand kurz zusammenfasse. Die Sphärenspaltung ist da nur eines von sechs (in meiner Auflistung) Merkmalen.
Es stimmt, dass ich am Ende des Artikels dieselbe Schlussfolgerung ziehen, nämlich die „Aufhebung der Sphärentrennung von Politik, Wirtschaft (Produktion) und privatem Haushalt (Reproduktion)“ als Voraussetzung für eine postkapitalistische Gesellschaft. Da haben mich aber recht schnell Leute darauf aufmerksam gemacht, dass das ein Denkfehler ist (wie oben schon skizziert) und sich aus Woods Rekonstruktion der Kapitalismusentstehung keineswegs zwingend ableiten lässt. (Noch stellt sie selbst diese Forderung auf.) Tatsächlich kann man es ja durchaus als zivilisatorische Errungenschaft ansehen, dass „außerökonomische Mechanismen wie unmittelbare[r] Zwang“ heute deutlich weniger als vor dem Kapitalismus zur eigenen Bereicherung herangezogen werden können — und darauf hoffen, dass das auch nach dem Kapitalismus so bleiben wird!
Insofern halte ich Ansätze wie Frigga Haugs Vier-in-Einem-Perspektive für produktiver als Hoffnungen darauf, dass die drei oder vier Sphären wieder komplett zu einer einzigen verschmelzen könnten — letzteres scheint mir die Komplexität moderner Gesellschaften ganz gewaltig zu unterschätzen.
Ja, ich will gemäß bewährter (wenn auch zugegebenermaßen nicht unproblematischer) Tradition erstmal die Möglichkeiten der skizzierten Gesellschaft als solcher durchdenken bevor ich mögliche Wege dorthin skizziere. Wobei ich (wie auszuführen sein wird) hier tatsächlich vielversprechende Transformationsperspektiven sehe, die beim „Freies Geben, Freies Nehmen“-Kommunismus (Commonismus) eher fehlen.
(Nebenbei: Immobilien, abgesehen vom Boden, auf dem sie stehen, sind auch zu re- oder neu zu produzierende „Realwaren“.)
Mir ist völlig unklar, wie da eigentlich Preise kalkuliert werden – etwa die Reproduktionskosten von Waren wie Gebäuden und Produktionsmitteln, in deren (Wieder)Herstellung ja ebendiese Kosten mit eingehen. Und… findet da noch Konkurrenz statt? – sind zB Betriebs-Neugründungen möglich und erlaubt (mit welchem „Kapital“? Liquidierung des Produktionsmittelbestands von Kooperativen (sind ja schliesslich (wenn auch gebrauchte) Realwaren, die sie zu verkaufen hätten – wer hätte ein Motiv, si ezu kaufen?) – oder Betriebsüberschüssen von Kooperativen? Wieso erzielen sie solche? Und wenn sie keine erzielen – woraus wird eigentlich das BGE „finanziert“?)? Und wenn nein, was LEISTET eigentlich dieses Aufziehen der gemeinsamen Reproduktion, wo alle existenziell (als Produzenten) von allen (andern Produzenten) abhängen (der kleine Unterschied zu vor-kapitalistischen Zuständen), als „Markt“?Welche Markt-Freiheiten will man den Kooperativen denn einräumen?Welche „Belohnung“ (Gewinne?) für welche wirtschaftlichen Massnahmen (Kreditaufnahme für lohnende Innovationen?), die in ihrer Verfügung liegen, sollen ihnen zugestanden werden (und warum? als „Anreiz“ zum Kosten-Sparen und Preissenken? zum ökologischen oder ressourcenschonenden Wirtschaften? Weil sie zu dem allen von sich aus nicht bereit sein werden, oder warum? Und wird ihnen das dann wieder weggenommen zhur Finanzierung des BGE?)
Was geschieht, wenn Betriebe sich mit ihren Preisvorstellungen verkalkuliert haben? Wann werden Betriebe „aufgelöst“?
Irgendwie erinnert mich dieses Denken an das „Ausnutzen der Ware-Geld-Beziehung“ im Realen Sozialismus (wo der vorab festgelegten (Re)produktion und ihren sachgerechten Produktflüssen nachträglich ein künstliches Preisgefüge mit „Anreizen“ verpasst wurde… was für entsprechendes Durcheinander sorgte…)
@franziska:
Ich halte es für falsch, eine neue Produktionsweise in erster Linie „technisch“ zu denken — jede Produktionsweise entwickelt die Produktivkräfte in die für sie passende Richtung weiter und um, nicht umgekehrt. Darüber schreib ich in Dank Produktivkraftentwicklung zur neuen Gesellschaft?
Ja klar, das schrieb ich ja auch.
Kooperativbetriebe kalkulieren ihre Preise zunächst so wie alle anderen Betriebe auch: Sie müssen im Durchschnitt mindestens die Kosten abdecken, damit der Betrieb nicht pleite geht. Anders als kapitalistische Firmen (insbesondere die an der Börse gehandelten) sind sie aber nicht gezwungen, darüber hinausgehend möglichst hohe Profite zu erwirtschaften. Tatsächlich wird es für Kobetriebe sogar vorteilhaft sein, auf Profite zu verzichten und nur eine „schwarze Null“, also Kostendeckung anzustreben. Welche gesellschaftlichen Mechanismen dafür sorgen können und welche Konsequenzen das hat, muss ich noch ausführen.
Viele deiner anderen Fragen lassen sich ebenfalls noch nicht beantworten, dafür wird es weitere Artikel brauchen. Leider ist jede real mögliche Produktionsweise so komplex, dass sie sich in 10.000 oder 15.000 Zeichen nicht angemessen darstellen lässt.
Es handelt sich hier nicht um eine Planwirtschaft mit künstlichem Markt, sondern um einen genauso „echten“ Markt wie im Kapitalismus. Nur dass die vorgeschlagenen Änderungen der „Spielregeln“ (jede Gesellschaft hat ihre Spielregeln — Marx schrieb so einiges darüber, wie die spezifisch kapitalistischen gewaltsam hergestellt und durchgesetzt wurden) IMHO dafür sorgen können, dass viel mehr Kooperation und Absprachen zwischen Produzenten möglich werden, ohne dass die Konsumenten darunter leiden würden (anders als bei vielen kapitalistischen Kartellen) und dass die Grausamkeiten spezifisch kapitalistischer Märkte wegfallen.
Planwirtschaft halte ich nicht für praktikabel, aber das wäre (außer den kurzen Kommentaren dazu, die ich anderswo schon hinterlassen habe) nochmal eine andere Debatte.
Ich schließe mich vorerst Christians Auführungen an.
Ein paar interessante Fragen zu den Kernpunkten der Debatte wurden von Meinhard Creydt in seinem Buch „46 Fragen zur nachkapitalistischen Zukunft“ vorgebracht.
Creydt weist einerseits auf die Probleme von Märkten hin (die Preisbildung der Märkte umfasst keine qualitativen und sozial-ökologischen Kriterien und kein Langzeitvorkommen von Ressourcen, es setzt sich nicht immer das beste Produkt durch, Angebotsüberschuss im Verhältnis zur zahlungsfähigen Nachfrage wegen des Konkurrenzverhältnis der Marktakteure untereinander, Absatzkrisen, isolierte Güterauswahl und Unmöglichkeit gesamtgesellschaftlicher (Rahmen-)Planung).
Er behauptet aber, dass es bereits im Kapitalismus Entwicklungen gäbe, welche zu dauerhaften Kooperationsbeziehungen tendieren und eine verstärkte Produzenten-Konsumenten-Vernetzung ermöglichen.
Durch die Inklusion sozial-ökologischer Kriterien in die Preisbildung (beispielsweise wie bei Felbers „Gemeinwohlbilanz“) wären bereits Vorgaben eingeführt welche die Märkte ein Stück einbetten würden.
Creydt geht darüber hinaus ebenfalls davon aus, dass in einer postkapitalistischen Gesellschaft die Kapitalmärkte wegfallen. Die Investionen würden durch öffentlich/genossenschaftlich organisierte Banken oder ein „Amt für Unternehmensregulation“ (Elson) anhand von deliberativen Aushandlungen aller Betroffenen festgelegt werden. In der postkapitalistischen Ökonomie mag Gewinn weiterhin ein Unternehmensziel sein, aber nicht das ausschließliche. Ebenso wäre voraussichtlich mit einer Verringerung der Konkurrenz auf den verbliebenen Realwarenmärkten zu rechnen, da es keiner künstlichen Produktdiversifizierung mehr bedürfe und die Anzahl der in Konkurrenz zueinander stehenden Marktakteure geringer ausfallen und der öffentlich-kollektive Konsum einen enorm höheren Stellenwert einnehmen würde. Das Zusammenspiel dieser Eckpunkte und die verstärkte Absprache durch Produzenten-Konsumenten-Zusammenschlüsse würde die Konkurrenz durch einen „kooperativen Wettbewerb“ ersetzen.
Creydt schreibt außerdem, dass eine Planwirtschaft weder wünschbar noch – aller Wahrscheinlichkeit nach – zufriedenstellend funktionieren könne.
Sie sei nicht wünschbar, weil eine Institution bzw. ein Arrangement von Institutionen die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit für bestimmte Produkte nicht zufriedenstellend ermitteln kann. Es müsste ja nicht nur die gesamte geleistete Arbeit errechnet werden, sondern welcher Gesamtarbeitsteil auf das je konkrete Produkt entfällt. Das Verhältnis höher und niedriger qualifizierter Arbeiten sei ebenfalls nicht darauf beziehbar. Die Planung fiele stets zu langsam aus und wäre nie on point. Das Ergebnis wäre stets eine Tonnenplanung wie in den Zentralplanwirtschaften des ehemaligen Staatssozialismus.
Vorausgesetzt die Planinstitutionen wären trotz alledem nicht überfordert (was unwahrscheinlich ist), wäre eine solche Planung deshalb problematisch da die Selbstbestimmung des Einzelbetriebs reduziert wäre. Überhaupt sei es ein Problem davon auszugehen es gäbe ein „technokratisch festlegbares Optimum der Wirtschaft“.
Die Zentrale könne obendrein nie wissen ob die Unternehmen die richtigen Informationen an die Zentrale leiten oder aus Partikularinteresse heraus falsche Zahlen angeben. Creydt schreibt: „Die Festlegung der Preise durch die Berechnung der in den Produkten enthaltenen Arbeitszeiten sendet zudem an die Betriebe ein sozial nicht befürwortbares Signal. Bei den Belegschaften entsteht der Anreiz, möglichst viel Arbeit zu verausgaben.“
Erst auf Märkten stelle sich überhaupt heraus wie die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit aussieht. Bisher seien keine Institutionen bekannt die dies leisten könnten. „Keine Planzentrale wird wissen, welches Restaurant bei den Kunden mehr Resonanz findet oder welches Produkt den Präferenzen der Konsumenten besser entspricht als andere. Die nachkapitalistische Gesellschaft braucht (gewiss durch gesellschaftliche Vor- und Maßgaben sowie durch qualitative Indikatoren domestizierte) Märkte, insofern sich anders keine gesellschaftlich durchschnittliche Größe des notwendigen Verbrauchs an ökonomisch relevante Faktoren herausstellen kann. (…)
Wirtschaft ist ohne eine genaue Rechenschaft über die anfallenden Kosten der Arbeiten und Dienstleistungen unmöglich. Das Dilemma: Ohne die Sprache der Preise kein Vokabular, um etwas Wesentliches auszudrücken. Gebraucht wird beides: Eine Rechenschaft über die in der Sprache der Preise abbildbaren Kosten und die Rechenschaft über die Wirkungen von Arbeiten und Produkten auf die in der Sprache der Preise nicht darstellbaren Qualitäten.“ (Creydt)
Jedes Unternehmen müsse also eine Ertragsrechnung durchführen können. Es müsse hierzu stets eine Preisbildung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene geben. Es müsse stets einen gemeinsamen Nenner geben der „verschiedene Qualitäten als Ausdruck von Quantitäten behandelt“ (Creydt). Eine Planung in Naturalgrößen wie Gewicht, Stückzahlen etc. und effiziente Planung schlössen sich aus. Dies hätten die Ökonomien des „Realsozialismus“ empirisch gezeigt.
Unbeantwortet sei bisher das mögliche Verhältnis der verschiedenen Anbieter einer Branche untereinander bzw. wie in einer nachkapitalistischen Gesellschaft der genannte „kooperative Wettbewerb“ auf „sozialisierten Märkten“ (Elson) institutionell und eigenlogisch aussehen könnte.
Nun wäre damit noch nicht ausgedrückt, dass den Verfechtern eines Marktsozialismus uneingeschränkt zuzustimmen sei. Es würden von diesen nämlich oftmals die Abstraktionen „die bereits in der Warenzirkulation und im Geld stecken (gegenseitige Gleichgültigkeit von Produzenten und Konsumenten, Ignoranz gegenüber negativen externen Effekten von Produktion und Konsumtion gegenüber Dritten, Grenzen der Bepreisung, Konkurrenz, Fixierung auf das Privateigentum)“ (Creydt) einfach ausgeblendet.
Marktsozialisten stellen dem oft die Vorstellung einer irgendwie gearteten gesamtgesellschaftlichen Rahmenplanung der Investitionsvorgaben entgegen. Dazu Creydt: „Der Markt ist aber keine Pferdedroschke, in die man nach Belieben ein- und aussteigen kann. Auch lenken lässt sich der Markt nicht wie ein Fahrzeug. Der selektive Umgang der nachkapitalistischen Gesellschaft mit Momenten von Leistungen von Märkten wirft die Frage nach der systemischen Verträglichkeit einer solchen Herangehensweise auf. Marktverfechter werden argumentieren, einzelne Elemente von Märkten ließen sich sozusagen nicht außer Betrieb setzen, ohne dadurch andere, positiv bewertete Leistungen des Marktes infrage zu stellen. Kapitalismuskritische Marktfeinde werden die Wiederentstehung des Kapitalismus aus den Elementen der Marktvergesellschaftung („ein bisschen schwanger ist unmöglich“) beargwöhnen. Allerdings folgte aus der Existenz von Märkten schon historisch nicht notwendigerweise die Existenz der kapitalistischen Geschäftsweise. Die Existenz von Märkten in der nachkapitalistischen Gesellschaft beinhaltet nicht, dass es sich um eine Marktwirtschaft oder um eine Ökonomie handelt, in der Märkte die zentrale Rolle spielen. (…)
Im Unterschied zu solch hölzernen Eisen wie „Marktsozialismus“ geht es darum, sich von den Widersprüchen Rechenschaft abzulegen und sie auszutragen. Märkte sind etwas anderes als ein neutrales Medium gesellschaftlicher Synthesis. Zugleich kann letztere auf sie nicht völlig verzichten. Das Verhältnis zwischen der nachkapitalistischen Gesellschaft und der selektiven Nutzung von Märkten bzw. Marktelementen bleibt ein (nicht voluntaristisch überwindbarer) Widerspruch und ein offenes Problem“. (Creydt)
Dies hieße aber auch, dass eine Überwindung des Staates (vorerst, auf unbestimmte Zeit) bzw. quasi-staatlicher oder staatsähnlicher Institutionen, aus emanzipatorisch zufriedenstellender Sicht, ebenso wenig umsetzbar ist. Es wäre zu fragen ob sich eine „Einbettung des Staates“ ebenso wie jene des Marktes denken ließe und was darunter überhaupt verstanden werden kann (z.B. eine Ableitung des Staates als Verbund der Kommunen?)
Anmerkung: Alle Creydt-Zitat stammen aus seinem Buch „46 Fragen zur nachkapitalistischen Gesellschaft“.
1. Creydt+Perikles (oder dieser Marx-Forent) sind Meister des wohlabgewogenen Weder-Noch, fast jeder Gedanke endet dort mit der Formel „…bleibt ein (nicht voluntaristisch überwindbarer) Widerspruch und ein offenes PROBLEM“. Und wenn sie nicht gestorben sind, PROBLEMatisieren sie noch in Jahrzehnten.
2. Anders kann Perikles sich auch Christians Ausführungen nicht anschliessen (wir hatten das, nebenbei, bereits im Zusammenhang mit Fotopoulos in den Kommentaren zu den „Vorüberlegungen“ angesprochen): Die demarchisch-deliberativ gestalteten Vorab-Zugriffe auf knappe Produktionskapazitäten (von Links-Keynesianern gerne implementiert durch Kredit-Fluten in den Händen der Demarchen) lassen jedes Preisgefüge auf der Stelle entgleisen. Die Kooperativen sollen Eier-legende Wollmilchsäue sein: Sich absprechen und flexibel die (auch produktiven) Nachfrager-Wünsche durch jederzeitiges Hochfahren von (vorzuhaltenden) Kapazitäten befriedigen; gleichzeitig 50% der Bevölkerung (mir fällt da immer ein: die neue Weiblichkeit) zu deren Zufriedenheit alimentieren; Grundlagen für Entwicklung, Forschung, Markteinführung (Investment, Kredit; über die freilich andre verfügen) erwirtschaften; „Knappheiten“ in den Preisen abbilden, sodass keine Wartezeiten und/oder „Raubbau“ entsteht; und, oh, möglichst keine Profite und Überschüsse für das alles benötigen, und die Produzenten nicht ausbeuten, und sich (wie gesagt) über all das überhaupt alle absprechen… (sich verlängernde Wunschliste, langsam ausblenden).
3. Der Charme vormoderner Markt-Idyllen lässt sich leider nicht wieder einholen, die einschlägige Historikerschule trägt nicht umsonst den Namen „longue durée“: Stabile Verhältnisse, so wunderbar fein ausgeglichen zwischen Nachfragern und Anbietern, wie die Marktfuzzis es als Tendenz auf lange Frist für überhaupt alle Märkte behaupten. Nur, dass modern alle Branchen von allen Branchen abhängen, und wenn wir nicht stillstehen (können wir garnicht, bei dem, was allein ökologisch so alles angerichtet wurde), dann kommt in diese All-Abhängigkeit ununterbrochen von ALLEN Seiten Dynamik rein, die kein Preissystem der Welt je nochmal auch nur annähernd adäquat abbildet. Es herrscht schlicht CHAOS.
4. Dass Preise dabei so gut wegkommen, und schier unentbehrlich scheinen (und mit ihnen „die Märkte“), hat mit derselben Unkalkulierbarkeit zu tun, deren völlig steuerungsloses Gewährenlassen, wie die Kleider des nackten Kaisers, für überhaupt die höchste Form der Koordination ausgegeben wird. Angebotspreise haben da nur leider ein Pendant, nämlich den (durch sie bedingt) schnelleren oder langsameren Waren-ABSATZ und die Auslastung der Kapazitäten, mit Marx somit den Umschlag des angewandten Kapitals. Und dann auch die angesichts von Preis-„Vorstellungen“ von Anbietern getroffenen Entscheidungen ihrer Nachfrager (zB Umstellung oder Einstellung von Produktlinien), die in den vor-geordneten Branchen Absatz-Probleme auslösen (die dann vielleicht, wenn Spielraum besteht, mit Preissenkungen beantwortet werden).Nun gut, sie KÖNNTEN sich absprechen, alle mit allen, wenn sie denn ihre Zusammenhänge modellieren könnten. Aber Planwirtschaft? Nie und nimmer…
5. Die allseitige (direkte oder indirekte) Abhängigkeit sämtlicher modern-entwickelter Industriebranchen von allen und die chaotische Entwicklungsdynamik, die sie allesamt immer wieder ständig weit entfernt von jedem Teil-Markt-„Gleichgewicht“ operieren lässt (Kehrseite der mit „Markt“ assoziierten, durchaus kostenträchtigen (Reserven-Vorhaltung!) Flexibiliät: wenns doch nur immer um nicht mehr als das beste Restaurant der Stadt ginge!) – die ist, wie Christians vorletzter Artikel zum Klimawandel zeigt, nun auch noch konfrontiert mit katastrophalen Zuspitzungen markt-externer Herausforderungen (wie war das schön, als „Natur“ nur immer als mitleid-heischend zu „schützende“ vorkam: Bienchen, Fliegchen, Blümchen am Feldrain, die doch gern verschwinden durften, eine Gattung (pro Tag oder Stunde) weniger, was kümmerts „den Menschen“?).
6. Darum die Frage nach den Freiheiten. Es wird keine geben. Nur Notwendigkeiten, auf lange Zeit hinaus. Und dasjenige Kollektiv wird Bestand haben (dh überleben und Kultur-bestimmend werden), das in all seinen Angehörigen schnellst-mögliches Lernen (schon darum zwangfrei) und Koordination im Konsens zustandebringt. Die Marxsche Kommunismusformel (Fortschritt JEDES (!) Einzelnen Bedingung des Fortschritts Aller) wird dort schiere Selbstverständlichkeit sein – und nicht mal der Rede wert.
7. Und dann wollen wir mal sehen, Christian, ob die materielle Basis und die Produktion nicht Vorrang hat, die diesen Kommunismus (so wie seine Natur- und Bedürfnis- und Vergesellschaftungs-Gerechtheit) – als DIESEM (in den genannten Hinsichten mörderisch unentwickelten) Stand der Produktivkräfte und SEINER Besserung einzig angepassten – ERZWINGT. Bei Strafe des Untergangs, falls es nicht gelingen sollte…
@Franziska.
Das „wohlabgewogene Weder-Noch“ hat damit zu tun, dass es wenig Sinn ergibt zu weite Prognose anzustellen. Wir können nur benennen was bisher nicht funktioniert hat und welche Prozesse innerhalb der bestehenden Gesellschaft stattfinden die das Potenzial haben könnten den Kapitalismus – im emanzipatorischen Sinn (!) – zu überwinden.
Autarken Ökodörfern und geldloser (Zentral-)Planung wird dies meinerseits nicht zugetraut. Jedenfalls nicht, wenn wir nicht hinter die Moderne zurückfallen wollen.
Geld- bzw. marktlose Planung mag in sehr überschaubaren und statischen Wirtschaftskreisläufen funktionieren, bezüglich komplex-dynamischer Gesellschaften entsteht schnell das von Creydt genannte Problem, dass Wirtschaft ohne Rechnungslegung der anfallenden Kosten nicht machbar ist. Eine Planung in Naturalgrößen reicht hierfür nach meinem Dafürhalten nicht aus.
Dass beispielsweise bisher unklar ist wie aus Kooperativen bestehende sozialisierte Märkte dennoch eine Postwachstumsökonomie abbilden sollen, ist jedoch ein handfestes Problem, für das es bisher keine zufriedenstellende Lösung zu geben scheint.
Es ist durchaus denkbar, dass eine nachkapitalistische Gesellschaft bestimmte Widersprüche nicht auflösen kann. Die Vorstellung es könne eine Gesellschaft geben, die alle Widersprüche harmonisch aufhebt mag vielleicht aus der theoretischen Sichtweise logisch erscheinen, dadurch ist aber noch lange nichts über deren Machbarkeit ausgesagt.
Du gehst davon aus es kann eine Gesellschaft geben in der jedes Individuum die nötigen Fähigkeiten entwickeln kann an allen Entscheidungen (jederzeit?) adäquat teilzunehmen, weshalb es dann keiner Repräsentativität mehr bedürfe. Ich bezweifle das.
Du gehst davon aus es kann eine komplex-dynamische Gesellschaft geben in welcher der gesamte Wirtschaftsprozess vorab geplant werden kann. Ich bezweifle das.
Dass es in Zukunft immer mehr Notwendigkeiten geben wird und wir uns von einer Kommunismusvorstellung einer Art mythischen Überflussgesellschaft verabschieden müssen, da gehe ich mit. Womöglich werden Probleme anfallen für die wir keine Lösung finden. Es ist schwer hier Prognosen anzustellen.
Du gehst davon aus ein paar Menschen könnten all die schwerwiegenden Fragen vorab beantworten und dann loslegen. Ich bezweifle das. Ich nehme an, dass es hierzu der Teilnahme vieler Menschen und Initiativen bedarf um – in einem langen Lernprozess – halbwegs annehmbare Lösungen zu finden (die vermutlich nicht widerspruchsfrei sein werden).
Was ich immer noch vermisse ist eine klar überschaubare und einfach formulierte Ausführung wie du dir eine nachkapitalistische Gesellschaft vorstellst bzw. wie deren Allokation ohne Marktprozesse ablaufen soll, wenn es sich dabei nicht nur um autarke Ökokleinstädte handeln soll. Die bisherigen (markt-/geldlosen) Planwirtschaftskonzepte fand ich jedenfalls nicht überzeugend da sie vom Individuum zu viel Allround-Entscheidungen abfordern oder auf eine zentralisierte Technokratie hinauslaufen.
Wenn die Information kommt, dass deine Investitionen aus bekannten wie unbekannten Gründen nichtmal kostendeckend sind, maW wenn du (oder dieser Geschäftszweig) pleite bist, ist es zu spät; die GENAUE Ursache, worans gelegen hat, und was du (falls noch Kapital vorhanden) DARUM jetzt tun solltest, ist dir einmal mehr nicht bekannt (oder es ist so offensichtlich, dass man sich fragt, wieso dus trotzdem probiert hast). Also was regulieren eigentlich Preise? Welche ökonomische Theorie, nebenbei, legen eigentlich die Mitleser und -schreiber mit markt-sozialistischen Neigungen ihrem für mich komplett grundlosen Zutrauen in die Überlegenheit der invisible hand zugrunde? Also Sätzen wie diesem: „…bezüglich komplex-dynamischer Gesellschaften entsteht schnell das von Creydt genannte Problem, dass Wirtschaft ohne Rechnungslegung der anfallenden Kosten nicht machbar ist. Eine Planung in Naturalgrößen reicht hierfür nach meinem Dafürhalten nicht aus.“
Derselbe Creydt, der andernorts korrekt ein ungelöstes Problem nach dem andren (und nicht etwa Lösungen!) durch diese Art „Rechnungslegung“ präsentiert, nämlich:
Kommensurierung
Information
Allokation
Steuerung
Integration.
Aber in Naturalgrössen planen? NIEMALS!
Es ist genau dieses Hin und Her, das ich in meinem Punkt 1 oben moniert habe: „Es sprechen eigentlich alle Analysen dafür, dass die Problemlösung nichts taugt. Aber das kann ja nicht sein.“
((Im Kapitalismus ist das Problem selbstverständlich ERST RECHT NICHT gelöst. Dort stellt nur niemand die Forderung; sollen die Unternehmen doch sehen, wie sie sich durchwursteln, ohne pleite zu gehen. Genau diese Verweisung der Problemliste an „die Betriebe“ ist die grosse Errungenschaft der Marktwirtschaft: Wenns nicht klappt, sind SIE schuld: hätten ja können, waren doch zuständig. Die Marktsozialisten gehen nur einen Schritt weiter: Kombinieren wir doch die (Un)Fähigkeiten beider Systeme: Was das eine (nicht) kann, muss dann ja wohl das andre (leider auch nicht) können. (Zusätze in Klammern: meine Deutung). Schliesslich landen wir eben beim Creydtschen weder-noch, und bleiben da stehen: Denn, die Nicht-Vergesellschaftbarkeit (ebenso wie Nicht-Bedürfnis- und Nicht-Natur-gerechtheit) einer „modern-dynamischen“ Produktionsweise anerkennen und Konsequenzen draus ziehen – geht GARNICHT.))
Die spezielle Pointe dabei ist noch, dass sich Richtung Eigentumsfreiheit derzeit nur winzige Minderheiten aufmachen (oh, das ist jetzt wohl „Trafo-Diskurs“. Gehört also eigentlich nicht zum Thema…). Wenn die mal soviele sind, dass sie „nur“ ein weltweites Netz von „Öko-Kleinstädten“ mit öko-technisch funktionierender Reproduktion (die das Produzenten-Leben gut und lohnend erscheinen lässt, und deren Bewohner zudem noch wissen, wie sie ihren Standpunkt wem wie vermitteln können/müssen*)) aufgebaut haben: Dann haben sie wahrscheinlich gewonnen. Dann sind von jetzt aus gesehen vermutlich 100-150 Jahre vergangen. Solange dauert es, bis „eine klar überschaubare und einfach formulierte Ausführung wie… eine nach(-kapitalistische? bürgerliche? „über System-Glauben vergesellschaftete“?) Gesellschaft“ vorzustellen ist, zustandekommt. Die aller-aller-ersten Ansätze und nötigen Einsichten (zB wo die Lösungen NICHT liegen) dazu diskutieren wir ja gerade.
*) Bedürfnis-/Natur-/Vergesellschaftungs-Gerechtheit des Produzierens und Forschens/Entwickelns sind Zielsetzungen, die zuallererst mal epochal ungelöste (aber dringend als nächste zu lösende) Fragen bzgl des Könnens und Know-how aufwerfen. Darum sage ich: das nächste Epochen-Problem liegt auf dieser, der Produktivkraft-ebene. Und ALLEIN schon die ökologische Problemstellung ist, wegen der weiträumigen Vernetztheit der Lebensbedingungen der globalen Biosphäre (es gilt ja bereits für zentrale geo-physikalische Systeme) und der weitreichenden Folgen von punktuell „lenkenden“ Eingriffen (beginnend aber nicht endend mit Nahrungsmittelproduktion; oder ökologischen „Reparatur-Massnahmen“) anders garnicht zu bewältigen als durch eine weltweite Forscherinnen-Gemeinschaft, in der extrem genau bedacht wird, was Einzelne an ihrer Stelle wissen müssen (im Rahmen dessen, was sie, ohne sich zu überfordern, wissen KÖNNEN), und was nicht. („Bedürfnis-Gerechtheit“ und „Vermittelbarkeits-Bedingungen“ sind natürlich in sich zusammenhängenden Forschungsthemen, die für alle Beteiligte (und nicht etwa nur Experten!) unerlässlich mitzubetrachten sind!)
Ich halte von dem Ansatz nichts. Es handelt sich mal wieder um so eine an der Zirkulationsebene ansetzende Theorie, welche das bürgerliche
Konkurrenzindividuum voraussetzt, und die davon ausgehend durch
institutionale Veränderungen der Produktionsverhältnisse eine
bessere Gesellschaft herbeizwingen will. Worauf das hinausläuft,
darauf hat Benni Bärmann gleich zu Beginn zurecht hingewiesen. Ich
denke, dass sich hinsichtlich der Verbesserung der allgemeinen
Lebensbedingungen kaum Vorteile gegenüber dem gegenwärtigen
Zuteilungsmechanismus durch die Preise ergeben. An der
Zirkulationsebene ansetzende antikapitalistische Theorien haben den
Nachteil, dass sie den altruistischen, vernünftigen Menschen
voraussetzen, wenn sie funktionieren sollen, also letztlich ideell
oder religiös angelegt sind und deshalb ad finem auch nur wieder zu
Mord und Totschlag führen.
Hinsichtlich besserer menschlicher Lebensbedingungen haben antikapitalistische Theorien haben nur dann eine Chance der Umsetzung, wenn sie am aus der assoziativen Reproduktion hervorgehenden Bedürfnis und Willen des Individuums orientiert sind. Das heißt zunächst und aus
heutiger Sicht, eine Bestandsaufnahme über die
Produktivkräfte, ihren Zustand, ihre Organisations- und
Anwendungsmöglichkeiten vorzunehmen, hieraus Rückschlüsse auf
die Bedürfnistruktur zu ziehen und hierüber die Gestaltung der
neuen Reproduktiosweise ins Auge zu fassen. Darauf weist ja auch
franziska immer wieder hin. Solch eine Reproduktionsweise baut,
ausgehend vom gesicherten Wissensstand, auf dem auf allen produktiven
Feldern Einfachen, möglichst Risikofreien, Soliden und Robusten auf
und verfeinert sich in vorsichtigen Schritten auf ebensolche Weise
durch Lernen, Wissen und Verstehen. Letzteres ist gleichwohl auch
die Voraussetzung für das Funktionieren dieser Art der Produktion.
Zuvor muss nämlich nach angemessener und ausreichender Analyse der
politischen und ökonomischen Realität, wenn auch zunächst nur von
einem kleinen Teil, verstanden sein, dass die einzige Alternative für
ein gutes Leben – und akut möglicherweise für den Fortbestand der
Menschheit – der kommunalistische Kommunismus ist. Auf
komplizierte Gedanken, wie Produkt und Mehrprodukt zu verteilen
seien oder gar über politische Organisationsformen, müssen dermaßen
orientierte Theoretikerinnen erfreulicherweise keine Energie
verschwenden.
Hello, grundsätzlich würde ich mich der Meinung von benni, ricardo und auch tlw Franziska anschließen (@franzsika: kein Kommentar 9 ist auch sehr schön ;)). Einige Sachen hab ich bei Christian aber noch nicht verstanden, aber deine Theorie ist ja auch noch nicht fertig:
Warum sollen Kollektivbetriebe mit einer Schwarzen 0 glücklich sein? Es gibt doch noch Preiskonkurrenz (soweit ich verstanden habe) und damit auch Verwertungszwang und so, oder?Welche Zwänge sollen sich in deiner sozialen Marktwirtschaft nicht mehr existieren, die im Kapitalismus wirken?
Ich bin mir ja unsicher, ob der Polanyi mit seiner These überhaupt Recht hat bzw. ob der Artikel den Kern seines Argumentes korrekt wiedergibt. Polanyi leitet die These mit den „fiktiven Waren“ ja nicht im Rahmen einer dichten empirischen Darstellung her, sondern erwähnt einige flux hingeworfene Gesetzesinitiativen und historische Prozesse, die er aber nicht länger untersucht (zumindest in „Ökonomie und Gesellschaft“ ist das sein Vorgehen). Ich hätte zu der hier vorgetragenen Darstellung jedenfalls eine Reihe Einwände:
1. Auch in vorkapitalistischen Gesellschaften war die Arbeitkraft immer mal
wieder Ware. Nie durchgehend, in manchen mehr und in anderen weniger
– aber nichtsdestotrotz wurde in Einzelfällen auch die Ware Arbeitskraft verkauft.
2. Auch in
vorkapitalistischen Gesellschaften wurde Geld geliehen und verliehen. Es gab vielleicht keinen Geldmarkt wie der Moderne (ebenso wie es auch sonst kein gesamtgesellschaftliches Marktsystem gab), aber möglich war sowas schon.
3. Auch in vorkapitalistischen Gesellschaften wurde Boden als Ware behandelt. In manchen mehr (römische Antike), in anderen weniger (Feudalismus) – aber trotz allem gab es diese Praxen.
4. Gleichzeitig war auch ein Großteil der „realen Waren“ gar nicht Ware, sondern wurde im Rahmen von Subsistenz-Produktion oder über andersweitige
Abgabensysteme verteilt.
5. Alle im Kapitalismus gehandelten Warentypen finden sich bereits in vorkapitalistischen Zeiten. Aber bei allen ist der Handel, wie Polanyi argumentiert, in die gesellschaftlichen Verhältnisse eingebettet. Insofern sind die Märkte in diesen vorkapitalistischen Gemeinwesen in aller Regel nicht die zentralen gesellschaftlichen Institutionen, um die herum die Produktion und die Verteilung organisiert wären.
6. In dem Gedankenexperiment von Christian sollen sie aber genau das sein. Und sie würden damit eben auch alles das reproduzieren, was Märkte in
der modernen kapitalistischen Warenproduktion auszeichnet. Noch immer
würden die Kollektivbetriebe auf dem Markt in Konkurrenz gegeneinander antreten. Noch immer müssten sie Gewinne erwirtschaften um gegen die Konkurrenz nicht in Nachteil zu geraten und weiterhin in neues, produktiveres Kapital (im Marx‘schen Sinne) investieren zu können.
7. Um die Härten dieser Konstellation abfangen zu können wäre selbstverständlich auch ein Staat notwendig, der die Einhaltung der Verkehrsbedingungen überwacht, bei Zuwiderhandlung Konsequenzen durchsetzt und die Ruinen der kapitalistischen Konkurrenz-Verlierer*innen wegräumt.
8. Auch für die kapitalistischen Individuen hätte sich nicht viel geändert. Sie
wären noch immer als Monaden gegen alle anderen gesetzt, nur das sie jetzt auch noch in endlosen Plena ausdiskutieren müssen, wie sie die Konkurrenzmonaden der anderen Kollektivbetriebe über den Tisch ziehen können. Und dabei stets mitdenken müssen, dass das Ergebnis der Aushandlung ihrer eigene Position im Betrieb nicht zu sehr schwächen darf.
Nein, nein – das ist nicht der Kommunismus.
@JuliB
danke, für diese ergänzende Präzisierung.
@ricardo:
Wie kommst du auf „Zirkulationsebene“ — nur weil du oben was von „Grundeinkommen“ gelesen hast? Das ist zwar Teil der Zirkulation, aber die vorgeschlagenen Elemente würden doch auch eine radikale Veränderung der Produktionsweise/produktiven Ebene bedingen.
Ja was denn nun??
Tatsächlich scheint mir, dass es der voluntaristische Kommunismus (Freies Nehmen, Freies Geben) ist, der ein erhebliches Maß an Altruismus, Vernunft und Engagement für die Allgemeinheit voraussetzt, um funktionieren zu können. Ich möchte solche Voraussetzungen vermeiden, würde deshalb aber nicht von einem „Konkurrenzindividuum“ ausgehen — aber schon davon, dass Menschen zunächst das tun, was für sie selbst (und ggf. ihr persönliches Umfeld) zweckmäßig ist, ohne dass sie dabei Wohl und Wehe aller anderen Menschen und des Planeten Erde permanent mitbedenken können und wollen. Aus diesen, wie ich denke, realistischen Voraussetzungen muss man dann eben das Beste machen.
Meinst du damit die Theorie von Murray Bookchin und Janet Biehl? Da sehe ich zum einen die oben unter „voluntaristischer Kommunismus“ skizzierte Problematik und zum anderen bleiben deren Theorien, soweit ich sie kenne, sehr schwammig. Wie die wirtschaftlichen Prozesse tatsächlich ablaufen würden, bleibt dort, wie bei den meisten anarchistischen Ansätzen, sehr vage.
Solltest du stattdessen was anderes meinen, freue ich mich über 1–2 Links oder Literaturtipps. (Bitte keine detaillierten Ausführungen hier, sondern Verweise darauf, wo sie zu finden sind.)
@Simon:
Eher nicht, aber das wird in weiteren Artikeln auszuführen sein.
@Christian
„Wie kommst du auf „Zirkulationsebene“ — nur weil du oben was von „Grundeinkommen“ gelesen hast?“
Ich weiß jetzt nicht was Grundeinkommen mit Zirkulation zu tun hat. Ich verstehe unter Zirkulation die Waren- und Geldzirkulation auf Märkten. Und darum geht es doch wohl wenn du u. a. schreibst:
„Eine zu untersuchende These ist somit, dass eine Gesellschaft, in der fiktive Waren nicht mehr (oder jedenfalls nicht in erster Linie) auf Märkten erhältlich sind, nicht mehr kapitalistisch wäre, selbst wenn es noch Märkte für Realwaren gäbe.“
Es ist doch das alte Lied darüber, dass eine bessere Gestaltung der Märkte – hier nun die Aufspaltung in fiktive und reale Waren – zu einer „besseren Gesellschaft“ führen würde. Dieses Lied singen auch Keynesianer und die Monetaristen. Allerdings sollen dabei in allen Fällen die zentralen Elemente des generellen Produktionsverhältnisses (Eigentum, Konkurrenz, Kapitalakkumulation u. a.) beibehalten werden. Es geht also wieder mal nicht um die einfache Überlegung, dass die Produzenten darüber entscheiden, was
sie produzieren und verbrauchen wollen und darüber die Reproduktionsstruktur festlegen, sondern um ein tolles ökonomisches System, dessen Mechanismus sich, wenn auch in anderen Formen, die Menschen zu unterwerfen haben, und wobei sich aus dieser Konstellation die Reproduktionsstruktur ableitet. Damit ergibt sich auch die Überleitung zur Klarstellung des folgenden Widerspruchs:
„welche das bürgerliche Konkurrenzindividuum voraussetzt,
[…]
den altruistischen, vernünftigen Menschen voraussetzen, wenn sie funktionieren sollen“
Theoretikerinnen solcher Ansätze gehen zunächst von der Wirklichkeit aus. Sie entwerfen das Bild eines ganz bestimmten Menschentyps, denn in der Realität sehen sie überall den eigensüchtigen, nutzenmaximierenden Menschen. Einen sich an, sich aus der assoziativen Reproduktion ergebenden,
Kriterien vernünftig entscheidenden Menschen, können sie sich nicht vorstellen. Ansonsten kämen sie ja auch nicht auf die seltsame Idee, dass es Systeme wie Märkte braucht, dessen Mechanismen und Logik, sich die Menschen zu unterwerfen haben. Weil sie aber gleichwohl Idealisten sind, die von einer besseren Welt träumen, wollen sie diese nüchterne Brutalität so nicht hinnehmen und konstruieren das Ideal einer besseren Gesellschaft durch Ausstattung der trostlosen Marktrealität mit partizipativen und emanzipativen Elemente, ansonsten bräuchte frau ja auch keine neuen Ansätze zu entwerfen. Partizipative und emanzipatorische Ideale, wenn sie angenommen und nicht autoritär durchgesetzt werden sollen, müssen allerdings das in gewisser Weise vernünftig abwägende, vielleicht nicht das altruistische, aber zumindest nicht
mehr das radikal nutzenmaximierende, Individuum voraussetzen, denn
ohne diese Geisteshaltung können diese so ausgestatteten Systeme
nicht funktionieren. Der Widerspruch ist also solchen Theorien
immanent und liegt nicht in meiner Argumentation.
Die nun folgende Kritik will auch aus dem Kommunismus nun auch so ein Ideal machen:
„Tatsächlich scheint mir, dass es der voluntaristische Kommunismus (Freies Nehmen, Freies Geben) ist, der ein erhebliches Maß an Altruismus, Vernunft
und Engagement für die Allgemeinheit voraussetzt, um funktionieren zu können.“
Ohne zunächst auf den Kommunalismus einzugehen, ist festzuhalten , dass es im Kommunismus weder Egoismus noch Altruismus geben kann, Altruismus ist nur der Gegenbegriff zum kapitalistischen Nutzenmaximierer und wird unter nichtkommunistischen Bedingungen von Realisten, frau möchte zynisch sagen, zurecht, als Ideal verlacht. Altruismus kann es nur geben, wenn, wie dem Kapitalismus eigen, neben einem gewissen Wohlstand auch großes Elend herrscht. Im Kommunismus gibt es zumindest kein Elend also kann es auch keinen Altruismus geben. Die Anwendung von Vernunft und Verstand, die ständige Aneignung von Wissen, die kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt u. a. sind hingegen keine Voraussetzung sondern Grundelemente des Kommunismus. Die Voraussetzung für Kommunismus, indessen, ist, dass frau ihn und nicht die bürgerliche Demokratie oder den Faschismus will. Auch das Engagement für die Allgemeinheit setzt ja, wie schon beim Altruismus behandelt, den Nutzenmaximierer als Gegensatz voraus. An dieser Stelle
möchte ich zunächst auf das gerne von franziska aus dem Kommunistischen Manifest zitierte Prinzip verweisen: „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die Entwicklung aller ist“. Kurz: Dein theoretischer Fehler besteht darin, dass du Kommunismus mit der Begrifflichkeit kapitalistischer Gegenwart erfassen möchtest, was allerdings unmöglich ist, weil sich
Kommunismus aus heutiger Sicht nicht beschreiben lässt, sondern nur die prinzipielle Art und Weise der gesellschaftlichen Repoduktion vorgeschlagen werden kann, aus der sich, falls sie angenommen wird, eine ganz andere begriffliche Erfassung der Realität entwickeln wird, wobei franziska hier schon ein bisschen vorgreift. Weshalb ich dir auch, auch keine Literatur empfehlen kann, weil es eigentlich auch keine braucht, sondern nur eine theoretische Abhandlung darüber wie aus der jetzigen Lage heraus die neue Reproduktionsweise eingeleitet werden kann, auf welcher prinzipiellen Grundlage sie stattfindet und welche Zielsetzungen sich daran anschließen. Dazu hat franziska schon einiges gesagt und darüber kann frau noch mehr
auf ihrer Webseite: „Selbstbestimmung als Aufgabe“ erfahren. Aus wissenschaftlicher Sicht ist für mich u. a. das Interessanteste am Kommunalismus, dass Hypothesen überprüft werden können und die Hinführung zum Kommunismus schrittweise und übersichtlich verläuft.
@JuliB:
Deine Gegenthese scheint darauf hinauszulaufen: Märkte jeglicher Art gab es vor dem Kapitalismus schon hier und da, aber sie waren nicht so wichtig. Was dann auf ein „viel Markt (egal welcher Art) = Kapitalismus, nicht so viel Markt = noch kein Kapitalismus“ heraus läuft. Daraus scheint dann ein „Umschlagen von Quantität in Qualität“ zu folgen: Wenn mehr und mehr Waren (egal ob real oder fiktiv) auf Märkten gehandelt werden, schlägt die Gesellschaft irgendwann — bum! — plötzlich in Kapitalismus um. Selbst wenn dem so wäre, müsste man IMHO immer noch fragen, was genau diesen Umschlag auslöst — kommt es auf die (z.B. in Geld gemessene) Menge der gehandelten Waren an, oder spielt es schon eine Rolle, welche Art von Waren mehr und mehr gehandelt wird — also ist für den Umschlag z.B. vonnöten, dass mehr und mehr Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen, oder ist das nur ein unwichtiges Details?
Marx arbeitet am Anfang des Kapitals heraus, dass Kapitalismus auf die massenhafte Verfügbarkeit einer ganz bestimmten (fiktiven) Ware angewiesen ist, nämlich der Arbeitskraft. Und Ellen Wood betont, dass er historisch seinen Anfang fand, als der Boden in England erstmals massenhaft per Marktpreissystem (Verpachtung an die Meistbietende) verfügbar gemacht wurde. Vorher wurde er zwar durchaus auch verpachtet, aber die Pacht war per Tradition oder Gesetz festgeschrieben und im Vergleich zur späteren Meistbietenden-Pacht sehr niedrig — übrigens ein Hinweis darauf, dass man auch zwischen Geldflüssen und Marktpreismechanismus unterscheiden muss, weil die Existenz konventionalisierter Geldflüsse kein Marktpreissystem (wo der Preis bei Knappheit steigt, bei Überangebot fällt) voraussetzt.
Das sind schon mal zwei Hinweise darauf, dass die Verfügbarkeit dieser zwei fiktiven Waren im großen Stil (nicht bloß hier und da zufällig) einen qualitativen Unterschied macht. Während vor dem Kapitalismus, wie du selbst sagst, „die Arbeitskraft immer mal wieder Ware“ war, und dasselbe gilt auch für den Boden — aber eben nur „immer mal wieder“, die allermeisten Arbeitenden waren keine ihre Arbeitskraft verkaufenden Lohnarbeiter und die allermeisten Böden wurden nicht per Verkauf oder Vermietung zu Marktpreisen (siehe oben) zugänglich gemacht. Geldverleih („Wucher“) gegen Zins gab es immer wieder, aber das waren fast immer Konsumkredite — für Produktionsprozesse spielten sie keine große Rolle.
Wohingegen du für manche nichtkapitalistischen Gesellschaften klar im Irrtum bist, wenn du denkst, dass ‚ein Großteil der „realen Waren“ gar nicht Ware [war], sondern […] im Rahmen von Subsistenz-Produktion oder über anderweitige Abgabensysteme verteilt‘ wurde. Also insbesondere Städte waren in allen Gesellschaften in denen es sie gab, Orte, in denen Geld und Märkte (Marktplätze) essenziell zum Überleben waren — Subsistenzproduktion spielte dort zwangsläufig eine untergeordnete Rolle. Und „anderweitige Abgabensysteme“ — was Polanyi Redistribution nennt, also die kostenlose Verteilung von Gütern durch die Regierung an Bedürfte — spielten z.B. im Mittelalter nur eine sehr kleine Rolle. Im Römischen Reich mag ihre Bedeutung größer gewesen sein, aber ich glaube nicht, dass sie an den (Ver)Kauf auf Märkten annähernd herankam.
Märkte ermöglichen Konkurrenz, erzwingen sie aber nicht unbedingt. Erst die Notwendigkeit, mehr Profit zu erwirtschaften als die anderen, um z.B. an Aktienmärkten eine attraktive Investition darzustellen, verwandelt für kapitalistische Unternehmen die Notwendigkeit in einen Zwang.
Die Frage der Gewinne werde ich im nächsten Teil noch diskutieren. Klarerweise braucht es Mehrwert im Marx’schen Sinne, um die Produktion auszuweiten, wenn das gewünscht ist – also Mehrprodukt, dessen Äquivalent nicht unmittelbar an die Arbeitenden ausgezahlt und von ihnen verbraucht wird. Profit im Sinne der Neoklassik bzw. der Buchhaltung einer Firma braucht es aber nicht unbedingt – im Gegenteil, hier sind Neuinvestitionen Kosten und damit Abzug vom Profit, der andernfalls gemacht worden wäre. Das ist durchaus ein relevanter Unterschied, der noch zu diskutieren sein wird.
Ich glaube, die „Härten“ existieren v.a. in deinem Kopf, und würde davon ausgehen, dass vieles selbstregulierender wäre als im Kapitalismus. Ob ein Staat nötig wäre hängt u.a. davon ob, was man unter „Staat“ überhaupt genau versteht, und muss schon deshalb später noch genauer diskutiert werden. Sehr skeptisch bin ich gegenüber allen Ansätzen, die auf Institutionen der Allgemeinheit – die für eine bestimmte Region allgemein bindende Regeln setzen und wenn nötig auch durchsetzen können – komplett verzichten zu können meinen. Dahinter steht meistens ein gut gemeinter Anspruch, aber gut gemeint ist bekanntlich nicht immer gut gemacht, und mir scheint dass sich hinter solch einer Institutionenfeindseligkeit in der Regel eine unzulängliche Analyse verbirgt. Man sieht solche Institutionen – durchaus zurecht – als potenzielles Problem, fragt sich aber nicht genügend, ob sich der Gesellschaft ohne sie nicht noch schlimmere Probleme eröffnen würden, die sie dann nicht mehr lösen könnte.
Ob Institutionen der Allgemeinheit zwangsläufig ein „Staat“ sein müssen
ist, wie gesagt, nochmal eine ganz andere Frage.
Das habe ich ja auch nicht behauptet 😉 Die Frage ist aber doch, was tun, wenn sich die bisher erhofften gesellschaftlichen Lösungen als unterkomplex und von falschen Voraussetzungen ausgehend erwiesen haben? Sollte man dann grummelnd zugestehen, dass der Kapitalismus womöglich – so scheiße er auch ist – doch die beste aller möglichen Welten ist, weil man bessere nicht plausibel beschreiben kann? Sollte man, wie ein Priester, der den Glauben verloren hat, aber nicht den Job verlieren will, weiterhin Floskeln verbreiten, deren Inhalt man als hohl und falsch erkannt hat? Oder sollte man sich lieber zumindest um die Findung einer möglichst guten Lösung der sich stellenden Probleme bemühen, auch wenn man anerkennen muss, dass „möglichst gut“ nicht „perfekt“ ist und man für die Lösungssuche das eine oder andere lieb gewonnene Vorurteil über Bord werfen muss? Ich habe mich für letztere Option entschieden (will aber niemand absprechen, sich für eine der anderen Optionen zu entscheiden, wenn sie oder er das für richtiger hält).
@Christian
Der (libertäre) Kommunalismus ist durch Bookchin und Biehl innerhalb der Linken bekannter geworden. Allerdings gibt es dahingehend bereits detailiertere Überlegungen bezüglich alternativen Wirtschaftens.
Ein Beispiel wäre Wolfram Pfreundschuhs Ausführung über Kommunalismus: http://kulturkritik.net/begriffe/index.php?lex=kommunalismus
Es ließe sich noch der „Munizipalismus“ der spanischen Bürgerplattformen wie Barcelona en Comu nennen.
Lieber Christian, liebe alle
An Christian: wir hatten ja schon über eine einschlägige Email-Liste in äußerst kurzer Form ein, zwei, drei Argumente zum Zusammenhang von Markt, Kapital und Transformation ausgetauscht.
Nun habe ich endlich einen Blick über deinen Artikel geworfen und denke – leider habe ich momentan nicht wirklich Zeit, ihn sehr genau zu lesen – dass du in eine ähnliche Richtung argumentierst wie ich 2010 hier, in „Antikapitalismus mit 2 Beinen“: http://www.social-innovation.org/?p=1632
Mir scheint, einer der Hauptunterschiede zwischen meiner Herangehensweise und der deinen, momentanen, besteht darin: Ich würde die Widersprüchlichkeit und Dynamik gesellschaftlicher Verhältnisse deutlich höher veranschlagen.
Perspektivisch interessiere ich mich seit geraumer Zeit v.a. für die Analyse realer gesellschaftlicher Kämpfe und Veränderungen. Dabei halte ich ein anthropologisches Moment für sehr wichtig. Zudem scheint mir ein Blick auf die politischen Verhältnisse vonnöten, darunter auch Kämpfe um Hegemonie.
Polanyi hat seine Idee einer „Wiedereinbettung des Marktes“ glaube ich recht nebelhaft belassen. Bei ihm wird nicht ganz klar, wie sich seine Idee von der real existiert habenden Sowjetunion fundamental unterscheidet, finde ich. Dem Begriff der „Wiedereinbettung“ eignen übrigens interessante theoretische Schwierigkeiten, die Gegenstand soziologischer Debatten geworden sind.
Ich denke, Diskussionen zu einer Transformation müssen sich an zentraler Stelle der Problematik von Degrowth stellen. Diese Problematik ist einer der Punkte, wo einerseits die Schwächen „utopistischer“ Herangehensweisen, andererseits die Defizite von Ansätzen für eine „nicht-kapitalistische Marktwirtschaft“ deutlich werden, wie mir scheint.
Siehe dazu auch mein paper in „Capitalism, Nature, Socialism“, mit dem Titel „Degrowth and Demonetization“, aus dem Jahr 2014.
Darf ich nochmal etwas sagen bzw nachfragen wegen der sog. „fiktiven Waren“ Boden, „Geld, Kredit“, Lohnarbeit(skraft)?
Ich verstehe nicht, wieso Meiksins Wood behaupten kann, dass die Verkäuflichkeit des Bodens vorher/nachher sich geändert haben soll; obwohl die Frage natürlich ins Kleinklein historischer Detail-Forschung hineinführt.Wer in eine mittel-europäische und speziell deutsche Dorfchronik hineinschaut, wird dort massenhaft Abfolgen von Ereignissen der folgenden Art finden: Schenkung, Verpachtung, Verkauf, Vererbung, Verpfändung (des Dorfs bzw der Feudalrechte auf Erträge) – die gesamten Verfügungsformen des Römischen Rechts, bezogen auf Einkünfte, Privilegien, aber auch Pflichten der jeweiligen Eigner des betreffenden Feudal-Territoriums (diese Eigner bzw Nutzungsberechtigten waren sehr oft keine Personen, sondern andere „Herrschaften“ wie zB eine Stadt, ein Kloster, eine Hospiz- oder Domherren-Stiftung usw).Diese „Privatisierung“ der Feudal-Territorien begann ab etwa 1100.Die so gut wie immer vom früh-neuzeitlichen Staat im Verbund mit Gross-Grundbesitzern solcher Territorien politisch verhängten Verschärfungen solcher Besitzrechte hatten überall, wo sie vorkamen (und für erhebliche Unruhe sorgten), einen Bezug zum Fernhandel mit Agrar-Rohstoffen, klassisch ist da doch das englische Beispiel der Umwidmung von (Allmend- oder Selbstversorgungs-)Feldern in Schafweide für die flandrische später eigene englische Textil-Manufakturindustrie. Das andre Beispiel sind die „ostelbischen“ Junker-Länder, wo – reichlich konträr zur sonstigen früh-neuzeitlichen Abwicklung von Feudal-Eigentum – eine ausschliesslich politisch forcierte massenhafte Bauern-Enteignung stattfand, die ihren Grund darin hatte, dass diese fruchtbaren Regionen einen lukrativen Fernhandel mit Agrarprodukten über Ost- und Nordsee (Hanse-vermittelt) betrieben, der mit der Zeit immer weiter ausgedehnt wurde.(Ostelbier waren später Verfechter von Freihandel, weil sie im Ggs zur gesamten sonstigen kleinbäuerlichen deutschen Landwirtschaft, in den Weltmarkt exportieren.)l
Von diesem früh-neuzeitlichen Umwidmen von Agrarflächen zugunsten von Exporten streng zu unterscheiden ist die Boden-Amelioration im Zuge der Agrar-Revolution des 18.Jahrhunderts: Pächter waren ab da Investoren, die das nötige Kapital und auch Kenntnisse für Ertrags-Steigerungs-Massnahmen mitbrachten, und – wie übrigens auch heute noch – , um flexibel investieren zu können, gar kein Interesse hatten, den Boden des „feudalen“ Grundherren zu kaufen, mit dem man die Renditen aus den gestiegenen Erträgen (Grundrente) teilte.Die Masse der landlosen Pauperisierten (wie heute in den Trikont Ländern) in den Städten konnte erst zu dieser Zeit in „Lohnarbeiter“ verwandelt werden, die anfingen, von ihrem Einkommen leben zu können: weil die INNOVATIONEN und die PRODUKTIVITÄTs-Steigerungen der Agrar-INVESTOREN imstand waren, diese wachsende städtische (und, nebenbei, natürlich auch ihre Pendants: Lohnarbeiter auf dem Land) Bevölkerung zu ernähren: Agrar-Kapitalismus durch Agrar-Unternehmer als Pächter (nicht notwendig Eigentümer) von (alt-feudalem) Grossgrundbesitz.
Die gesamten Rechts-Formen zum Sammeln von „Wagnis“-Kapital für „riskante“ Unternehmungen, vorzugsweise im Fernhandel so wie ihre Verbriefung (und Handel mit den Beteiligungen: Aktien, shares) gab es schon vorher (zB Freibeuterei und Kolonialgründungen als Aktienunternehmen). Aber es war genau die Verbindung dieser Formen von Unternehmer-Gruppen (die über nennenswerte Massen von investierbarem Kapital verfügten) mit Erfindern und Ingenieuren, die dann die eigentliche industrielle Revolution und die Durch-Mechanisierung der bereits vorhandenen Manufaktur-Industrien sowie anschliessend die Etablierung einer Schwerindustrie ermöglichte und erzwang – sie, und die entlang immer neuer Entdeckungen sich entfaltenden nächsten Industrialisierungsstufen.Nicht Handel mit Verfügungsrechten über Boden, nicht Manufaktur-Lohnarbeit(skraft), nicht Wagniskapital-Investitioonen machen den Unterschied – sie waren ALLE vor-kapitalistisch*) schon VOLL ausgebildet; sondern ihre Verbindung mit dem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt und den seither bis heute andauernden beständigen Umwälzungen der Produktionsweise.Dieser Schritt ist es, der unumkehrbar ist.
*) es ist äusserst irreführend, die Phase des ausgedehnten Fernhandels mit Agrargütern (Fleisch, Wolle, Faser- und Färbepflanzen, Gemüse, Wein, Hopfen) zur Versorgung der Städte (mit DIESEN Gütern; Getreidefelder und Gärten hatten alle Stadtbürger vor den Mauern!) bei entsprechender lokaler bzw überregionaler, bereits inner-agrarischer Arbeitsteilung (Ernährung der in Spezialkulturen Arbeitenden – vgl frühere Verweise von mir auf Agrargeschichte) noch „feudal“ zu nennen. Das verbliebene „Feudale“ dieser Phase ist eher eine Dimension in der Formierung der früh-neuzeitlichen Staaten (die Zentralmacht zieht Verwaltung+Gestaltung von Militär, Finanzen, Recht an sich und ernennt ihr untergeordnete Beamte in den Regionen).Interessantes Detail: In Frankreich waren solche Ämter käuflich, der Stand ihrer Eigner hiess Amtsadel (nobelsse de robe) im Ggs zum alten Grundbesitzer-Schwertadel (noblesse d’épée). Die „niederen“ „feudalen“ Hoheitsfunktionen von Grundeigentümern in England und dem nicht-französischen Kontinent erinnern eher an diese Gliederungen des früh-neuzeitlichen Staatswesens.
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Grundsätzlich.Gesellschaften haben Binnen-„Beziehungsweisen“, sie haben aber vor allem ein AUSSEN-Verhältnis zur umgebenden nicht-menschlichen Welt (Natur), in Gestalt ihrer ReProduktion. Beides erst kam traditionell im Begriff „Produktionsweise“ zusammen, als einer hoch-prekären und nur zeitweise stabilen „Struktur“. An der in BEIDEN Hinsichten überhaupt alle Gesellschafts-Angehörigen, in ihrem Lebens-Umfeld, Anteil haben (gerade auch als Meinungsträger hinsichtlich dessen, was wie getan werden sollte, in zweiter Linie dann auch: von wem für wen).Die „Vergesellschaftung“ der Aussen-Beziehung (zu der vor allem auch (Un)Wissen (Wissensteilung), (Noch)(Nicht)Können (Qualifikation, bereitstehende Mittel) und Machen (ko-ordinierte Arbeitsteilung) gehören) zu einem blossen Moment inner-geselslchaftlicher Formen scheint mir theoretisch ein Rückschritt.
Ich hoffe, dass klar ist, dass es hier bei Christian ebenso wie drüben bei Stefan und Simon, oder früher bei Benni, nicht um Pedanterie geht; sondern dass da ein sehr zentraler Punkt, auch für jede Transformatioon und Utopie, berührt ist.
PS: Der Editor frisst meine Absatzzeichen. Vielleicht will er meine Texte noch weiter kondensieren…?
@ricardo:
Nur geht es natürlich nicht nur um Zirkulation – ist Arbeitskraft keine Ware mehr, kann das auch die Produktionssphäre nicht unverändert lassen. Und für die anderen fiktiven Waren gilt dasselbe.
Genauso falsch wäre es etwa, zu sagen, die Abschaffung der Sklaverei würde „nur die Zirkulationssphäre betreffen“, weil Sklav_innen dann nicht mehr als Waren zirkulieren können.
Nein, siehe meine anderen Kommentare. Dass ohne die Ware Arbeitskraft keine Kapitalakkumulation möglich ist, müsstest du übrigens wissen, wenn du Marx‘ Kapital oder eine gute Zusammenfassung davon gelesen hast.
Nur ergibt sich da die Schwierigkeit, dass die Produzent_innen ihre Produkte nicht komplett selbst verbrauchen und jede „Verbraucher_in“ auf andere, mit ihr selbst nicht identische Produzent_innen angewiesen ist. „Alle entscheiden selbst, was sie verbrauchen wollen, und produzieren das dann“ ist also definitiv keine realisierbare Idee – und denkt man weiter, wie es stattdessen gehen könnte, werden die Überlegungen schon viel weniger „einfach“, und Märkte als dezentraler Mechanismus, um verschiedene Produzent_innen und Konsument_innen zusammenzubringen, erscheinen plötzlich schon etwas attraktiver. Was natürlich nicht heißt, dass sie notwendigerweise Teil der Lösung sein müssen — aber Hinweise darauf, warum ich eine ganz markt- und geldfreie komplexe Gesellschaft für schwierig halte, habe ich anderswo schon gegeben und werde sie hier nicht wiederholen.
Eine gewisse Bescheidenheit würde ich in Diskussionen über Themen der hier behandelten Komplexität übrigens generell für angemessen halten. Wer die zu lösenden Probleme für „einfach“ hält, disqualifiziert sich IMHO selbst.
Ein derartiger Schematismus führt nicht weiter. Altruismus bedeutet ja zunächst nur, sich um die Bedürfnisse anderer Menschen zu kümmern und die eigenen Bedürfnisse demgegenüber zurückzustellen. Somit kann es ihn in jeder Gesellschaft geben, in der Menschen Bedürfnissen haben – also in jeder. Idealerweise fällt das Kümmern um die eigenen Bedürfnisse mit dem Kümmern um die Bedürfnisse der anderen zusammen – kommunistischen Vorstellungen scheint jedoch oft die Idee zugrunde zu liegen, dass dieser Idealfall im Kommunismus immer gegeben ist, so dass Egoismus und Altruismus identisch werden.
Das ist jedoch eine unbegründete Setzung – sicher würden ohne den kapitalistischen Konkurrenzkampf, der unterschiedliche Bedürfnisse bzw. Interessen systematisch gegeneinander ausspielt, die Bedürfnisunterschiede weniger heftig ausfallen. Dass es gar keine mehr gibt und die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse immer mit der Bedürfnisbefriedigung anderer zusammenfällt, ist jedoch reines Wunschdenken.
@ Christian
„Nur
geht es natürlich nicht nur um Zirkulation – ist Arbeitskraft
keine Ware mehr, kann das auch die Produktionssphäre nicht
unverändert lassen.“
Inwiefern?
Würden denn jetzt Güter hergestellt, welche eine „bessere
Gesellschaft“, von der du sprichst (oder träumst), möglich
machen würden? Würden sich in der Konkurrenz denn die
Arbeitsbedingungen tatsächlich verbessern. Ich endecke hier nur
einen Etikettenschwindel insofern, dass die Kapitalistin statt unter
der juristische Person der Kapitalgesellschaft nun unter der der
(Produktiv) Genossenschaft fungieren würde. Damit wäre die
Arbeitskraft lediglich anders organisiert, deren produktive Anwendung
zur Erzeugung von Tauschwerten bliebe in der marktwirtschaftlichen
Konkurrenz aber die gleiche.
„Dass
ohne die Ware Arbeitskraft keine Kapitalakkumulation möglich ist,
müsstest du übrigens wissen, wenn du Marx‘ Kapital oder
eine gute Zusammenfassung davon gelesen hast.“
Kapitalakkumulation
bedeutet die Rückverwandlung von Mehrwert (MW) in Kapital. Die
Rückverwandlung von Mehrwert in Kapital ist also die notwendige und
hinreichende Bedingung für die Kapitalakkumulation. Wie der MW
zustandekommt ist davon unabhängig: ob er in der juristischen Form
der Kapitalgesellschaft durch Aneignung und Benutzung der
Arbeitskraft mittels Kauf erzeugt wird, oder er unter der
juristischen Form der (produktiven) Genossenschaft durch Aneignung
und Benutzung mittels freiwilligem Zusammenschluss zustande kommt,
ist dabei egal, wenn in beiden Fälle MW abgezwackt und in Kapital
rückverwandelt wird. Die Arbeitskraft als Ware ist demnach keine
notwendige sondern nur eine hinreichende Bedingung für die Erzeugung
von MW. Zur Kapitalakkumulation sind, übrigens, unter den
Bedingungen der Wertform und der Konkurrenz auch produktive
Genossenschaften gezwungen.
„Nur
ergibt sich da die Schwierigkeit, dass die Produzent_innen ihre
Produkte nicht komplett selbst verbrauchen und jede „Verbraucher_in“
auf andere, mit ihr selbst nicht identische Produzent_innen
angewiesen ist.“
Wie
gesagt, du bewegst dich schon in der Zirkulationsspäre, noch bevor
du ein Wort zur Produktionssphäre gesagt hast. Statt einmal zu
versuchen über die Reproduktionsstruktur nachzudenken und darüber
zu reden, springst du gleich zum Problem wie die Produkte an die Frau
zu bringen sind. Du setzt eben wie die Ökonomen lauter miteinander
komkurrierende Nutzenmaximiererinnen voraus. Deshalb interessiert
dich die Organisation der gesellchaftlichen Reproduktion gleich gar
nicht , denn die Leute kloppen sich ja anschließend sowieso um das
Zeug.
„Wer
die zu lösenden Probleme für „einfach“ hält, disqualifiziert
sich IMHO selbst.“
Nun
ja, die Überlegung per se ist schon einfach, darauf zu kommen schon
weniger. Dass für jemanden, der eine „bessere“
Gesellschaft will, die Organisation der Reproduktion eine höchst
komplexe Angelegenheit sein muss, will ich nicht bestreiten. Da
bist du eben ganz Idealist.
„Altruismus
bedeutet ja zunächst nur, sich um die Bedürfnisse anderer Menschen
zu kümmern und die eigenen Bedürfnisse demgegenüber
zurückzustellen. “
Meinetwegen.
Wenn du Altruismus so objektiv definierst, wo liegt dann das
Problem? Dann werden eben unter gewissen Umständen die eigenen
Bedürfnisse hintangestellt.
„Dass
es gar keine (Bedürfnisunterschiede, r.) mehr gibt und die
Befriedigung der eigenen Bedürfnisse immer mit der
Bedürfnisbefriedigung anderer zusammenfällt, ist jedoch reines
Wunschdenken.“
Du
hast echt eigenartige Probleme. Dagegen könnte ich ebenso normativ
dagegenhalten, woher willst denn du wissen, dass es auf alle Zeiten
Bedürfnisunterschiede geben muss? Es geht im Kommunismus doch auch
gar nicht vorrangig um die Befriedigung individueller materieller
Bedürfnisse, sondern zunächst um die gemeinsame Lösung der Frage,
wie ein gemeinschaftliches Zusammenleben unter den gegebenen
Umständen möglichst angenehm für alle gestaltetet werden kann,
welche Güter hierfür notwendig sind und welche Reproduktionsstrukur
hierfür zu installieren ist. Erst wenn das geklappt hat, einigt
frau sich gemeinsam darauf, wie dieses Leben durch die Befriedigung
weiterer kollektiver und individueller Bedürfnisse verfeinert werden
kann. Wenn Menschen also mal soweit sind, sich darauf einigen zu
können, wie sie ihr Leben unter welchen Bedingungen einrichten
möchten und welche Reproduktionsstruktur hierfür notwendig ist, um
diese Zielsetzung zu erreichen und dieses Ziel dann auch erreicht
wird, wie es kann dann noch Konkurrenz um Güter geben.
@Andreas:
Ich denke auch, dass wir da in ähnliche Richtungen gehen, allerdings scheint es dir zuerst um eine Perspektive für gesellschaftliche Kämpfe mit antikapitalistischer Stoßrichtung zu gehen, während ich an dieser Stelle überlegen will, wie eine andere Gesellschaft funktionieren könnte, ohne einerseits gleich wieder kapitalistisch zu werden oder andererseits allzu „utopische“ (im Sinne von: im absehbarer Zukunft wohl nicht erfüllbare) Voraussetzungen zu haben.
Letztlich glaube ich auch, dass sich aus diesen Überlegungen eine Perspektive für gesellschaftstransformierende Kämpfe (struggles) ergibt, aber ich will da erstmal von der anderen Seite rangehen.
Definitiv – für Polanyi ist ja schon die Aufhebung des reinen Manchester/Laissez-faire-Kapitalismus zugunsten einer stärker gesellschaftlichen Regulierung und Absicherung (Arbeitsschutz- und Sozialgesetzgebung) ab Mitte des 19. Jahrhunderts ein erster Schritt einer solchen Wiedereinbettung. Dass das nicht reicht, war ihm mit Sicherheit klar, aber ich kenne von ihm nichts, woraus klar wird, ob und in welcher Weise eine Wiedereinbettung letztlich zu einer zweiten „Great Transformation“ über den Kapitalismus hinaus führen könnte. Dennoch (oder gerade deshalb) scheint es mir lohnend, in diese Richtung mal konsequent weiterzudenken.
Da sehe ich bei der hier angerissenen Perspektive tatsächlich Potenzial, das über den voluntaristischen Kommunismus hinausgeht – weil letzterer implizit Überfluss voraussetzt, um wirklich funktionieren zu können. Aber die sich hier ergebende Alternative muss ich noch ausführen.
@franziska:
Wood bezieht sich da auf England ab dem 16. Jahrhundert; Mitteleuropa war damals noch längst nicht soweit, weshalb sich dort keine einheitliche Tendenz erkennen lässt.
Das ist genau der Prozess, der in England schon 200 Jahre vorher stattgefunden hatte, denn erst zu diesem Zeitpunkt verbreitete sich der Kapitalismus auch in Mitteleuropa und entsprechend wurde die Frage, wie der Boden möglichst profitabel genutzt werden kann, für Grundherren und Pächter relevant.
Die „Agrar-Revolution“ war, ebenso wie die industrielle Revolution, allerdings nicht Ursache, sondern Folge dieser Entwicklung zu einer kompetitiven und profitmaximierenden Produktionsweise. In Mitteleuropa lässt sich das allerdings vermutlich nicht klar erkennen, da sich hier beides Hand in Hand durchsetzte. In England ist die zeitliche Abfolge (der sich durchsetzende Kapitalismus führte zu permanenten Effizienzsteigerungen zunächst in der Landwirtschaft und deutlich später auch zur industriellen Revolution) klarer erkennbar.
@ricardo:
Um mich nicht zu wiederholen und da ich nicht den Eindruck habe, dass du an einer konstruktiven Diskussion besonders interessiert bist, spare ich mir eine weitere Antwort.
Verzeihung, Christian, nein. Du hast nicht aufgefasst, was ich behaupte, vielleicht lags an der Textkompression.
Ich sagte, England war NICHT voraus, was Handel mit Bodenrechten angeht, der fing viel, viel früher an. In GANZ Europa.
Die komplexen Rechtsformen für Investoren für alles Mögliche gab es alle zeitgleich anderswo auch.
Die Agrar-Revolution fand genau so auch auf dem Kontinent statt, auch im 18.Jh.Und die Investoren-Pächter mit den innovativen Ideen kauften den Boden oft genug garnicht (dass der handelbar war, war nicht neu; dass Selbstversorger aus Gründen der Umnutzung va für Exportzwecke vertrieben und/oder als Landarbeiter in Dienst genommen wurden, war keine auf England beschränkte Erscheinung; spielte aber va früher, im 16.Jh eine Rolle – zB im ostelbischen Gebiet). Aber man sollte das nicht mit dem Agrarkap. des 18.Jh gleichsetzen. Damals gab es noch keine Agrarrevolution – nirgendwo. Als es sie gab, gab es sie mehr oder weniger zeitnah überall, auch auf dem Kontinent. Der Zeitunterschied beträgt nicht 200 Jahre. Und die Exporteure von englischer Schafwolle waren Grossgrundbesitzer des Tudor Age. Keine Pächter, keine Agrar-Unternehmer.)
Die produktiven Landwirtschaftsmethoden waren darum keine Folge, weil es ohne sie garkeinen Sinn machte, Unternehmer-Pächter zu sein.
Ich nenne dir mal ein Beispiel auf dem Kontinent, aus dem 18.Jh.Aus der Schweiz wurden da in Wellen „(Wieder)Täufer“ („Anabaptisten“, dh Mennoniten*), nach der Abspaltung 1693 auch „Amische“ (in den USA später „Amish“ mit langem deutschem A) vertrieben (ua wg Wehrdienstverweigerung).Die brachten die in den Alpen auf kleinen Flächen notgedrungen entwickelten Intensiv-Methoden mit; ausserdem Kapital aus ihren Hof-Verkäufen (das haben sie sich dann immer wieder untereinander zinslos geliehen; so wie sie vor und nach den Gottesdiensten ihre lokalen Erfahrungen mit Anbau-Experimenten austauschten).Aus religiösen Gründen wollten sie kein Eigentum erwerben.Was glaubst du, wie sich die aristokratischen Grossgrundbesitzer bemüht haben, solche Pächter auf ihren Domänen zu bekommen.
Sie waren spätestens im deutschen Südwesten und in Teilen Frankreichs frühe Träger der Agrarrevolution. Ein Domänen-Verwalter schrieb über sie: Wir müssen die andern Pächter mit neuesten englischen Methoden vertraut machen, die Mennoniten nicht, die machen das alles schon von sich aus.
Die Flugschriften, in denen die neuen Methoden in Frankreich bekanntgemacht wurden, hatten darum auch Beziechnungen wie: L’anabaptise raisonnè.
*) eine kleine Randbemerkung: Die „frühkapitalistisch“ (Kolonialunternehmen, Walfang, Welthandel, Manufakturen) extrem erfolgreiche niederländische Oberschicht war mennonitisch. Der Begründer des „Baptismus“ kam aus Holland nach England, inspiriert von Mennoniten.
Ich verstehe nicht so recht, wie du auf den Beleg für die Allgegenwart von verrechteten Bodenbesitz-Wechseln, absolut ausgedehnter Handel damit usw seit 1100 überall zumindest im katholischen Europa (im Osten weiss ich nicht so gut bescheid, denke aber dass es ähnlich war) antworten kannst: Auf dem Kontinent war alles später. Nein, das zumindest gabs überall, und viel, viel früher. So, wie es bei sehr speziellen Umständen das Bauern-Vertreiben bzw -Enteignen im 16.Jh auch anderswo gab. Aber das waren Grossgrundbesitzer – keine „Pächter“.
Auch die Unternehmensbeteiligungen (Aktien) waren viel früher bereits ausgebildet. Und Banken.
Die Land-Umwidmungen für spezielle Export-Agrargüter also fanden, aus den immer gleichen Gründen, auch anderswo im 16.(!)Jh statt (damals begann es genau so auch in Ostelbien).
Und nach langen Vorläufen hat man sich im 17. und frühen 18.Jh.über Bodenfruchtbarkeits-Verbesserung wirklich überall in Europa den Kopf zerbrochen – und geforscht. Und… versucht, für Ertragssteigerungen nicht nur von Pächtern, sondern auch von Steuerzahlern, die unmittelbaren Produzenten anzuleiten und zu unterrichten.
Und dann.. erst dann… als es eben die Chance gab, mit Einsatz von Boden-verbessernden Massnahmen erhöhte Erträge zu erbringen, nämlich solche, die den Gewinn des Unternehmers noch um eine konkurrenzfähige Grundrente steigerten – erst da lohnte es sich, dass Agrar-Unternehmer in grossem Stil die kümmerlichen Kleinpächter ersetzten, sofern die nicht bereits (lang) vorher den Schafen hatten weichen müssen.
Also: Die Drittwelt-ähnlichen Umwidmungen von Grossgrundbesitz für Exportzwecke gab es ab dem 16.(!)Jh. Die Agrarrevolution aber nennenswert erst im 18.
Und auch da erst, als die Agrarkapitalisten flächendeckend so produktiv geworden waren, dass sich ihre Unternehmen (trotz Grundrente) im Vergleich mit anderen Anlagen LOHNTEN, war dieser erste kapitalistische Sektor imstand, eine städtische Lohnarbeiterklasse zuverlässig zu ernähren.
Es hatten alle Instanzen, die aus Landwirtschaft und Industrie Einkommen erzielten, das Interesse, „Landwirtschaft und den „Gewerbsfleiss“ (=Industrie)“ zu fördern. IMMER ging es vorab um Technologie. Friedrich der Grosse hat noch in seinen letzten Jahren den grad erfundenen Dampfmaschinen-Kesselbau ausspionieren und nach Preussen bringen lassen.
Die Selbstversorger-Pächter, die zunächst noch dawaren, waren arme Schlucker, und wurden später rausgeworfen. Agrar-Unternehmer hingegen wurde man bloss, wenn die technischen Mittel dawaren, damit sich die Investition (incl Grundrente) LOHNTE. Man war nicht ERST Pächter und Agrarunternehmer, und lernte dann die Pacht zu steigern. Die Methoden mussten schon dasein, zumindest in der Luft liegen. Und das taten sie eben in dieser Zeit. Und es war eben das erste Beispiel, wo sich Investoren und Unternehmer, die es bereits lang in Handel und vormodernem Manufakturgewebe vorher gab, mit technischen INNOVATIONEN (die Kapital-Einsatz erforderten) profitabler weil produktiver machten. Und die Agrar-Kapitalisten mussten den Anfang machen, weil von ihnen die Reproduktion von industriellen Arbeitskräfte-Massen abhing.
PS: Die Wood-Fragestellung, warum in England… (die andern waren ihnen in Wahrheit dicht auf den Fersen), hat ein Pendant, nämlich in Form des sog Needham-Projekts (N. war auch „Marxist“): … und nicht in China? Wo sie dort doch dermassen viel erfunden haben. Die Antworten sind interessant und zT in der chinesischen Wissenschaftsgeschichte zu finden. Und ansonsten, nach dem, was ich mitgekriegt habe… waren sie „dem Westen“ ihrerseits dicht auf den Fersen (mit einem Zeitverzug von ca 150-200 Jahren). Die Antwort bei Wood wie Needham ist banalerweise: Warum, und warum nicht? Weil die einen aus Zufall technisch fortgeschrittener waren, und die andern.. mit grösseren Hindernissen zu kämpfen hatten. (Mangel an Kapital zB.: Sorge aller Merkantilisten!)
Naja. Das vorhergehende war nicht gerade mein gelungenster Beitrag, zuviele Verschlimmbesserungen in den updates, um nur ja die Botschaft rüberzukriegen… zuviel Druck im Spiel.Ja, es GEHT um wichtige Thesen, und es hängt davon vieles ab, woran wiederum viele hängen. Das erklärt, warum da schnell Heftigkeit wenn nicht Gereiztheit aufkommt – speziell dann, wenn abgearbeitete Thesen, Voraussetzungen für Weitergehendes, wieder rausgeholt und geprüft werden sollen.
Das Problem ist ja nicht nur, dass wer immer hier diskutiert, kein Experte ist, und wenn man sich noch so nette „schlagende“ Daten und Anekdoten an den Kopf werfen und dabei überbieten kann (hoffentlich nicht). Sondern… weil es auch mit der Expertise der Experten nicht so weit her ist. Es gäbe eine unendliche Masse an Quellen, man könnte aus der Wirtschaftsgeschichte allein und der Agrargeschichte speziell ein Forschungsfach machen, das Milliarden verschlingt und an dem zigtausende Historiker ohne weiteres Jahrzehnte lang werkeln könnten. Dann wäre das Bild ETWAS differenzierter. Bloss… selbst die unendlich vielen Quellen zusammen bilden die Realität der Vergangenheit nicht ab. Geschweige denn die minimal aufgearbeiteten.Und daraus… sollen wir Schlüsse ziehen?
Ich glaube, so gehen wir nicht vor, so geht NIEMAND vor.Die theoretische Arbeit an der Geschichte bewegt sich in einem kategorialen Rahmen, der erstmal aufgespannt sein will, und es mit den aller-gröbsten, aller-unstrittigsten Entwicklungen zu tun hat.Schon die nämlich sind erklärungsbedürftig genug.Es sind jene, die, sagen wir, jemand mit Grundkurs-Wissen bis zum Abitur halbswegs kennengelernt hat. (Oder, früher, mit dem zweimaligen Durchgang durch die Weltgeschichte bis zum Abitur, wie ich ihn noch erlebt hab.)Es ist ja nicht so, dass Geschichts-Studenten oder professionelle Historiker da soviel besser dastehen: Niemand erreicht bei seinem Überblicks-Studium auch nur annähernd das Niveau der Fachleute für eine Periode, Region, Entwicklungsdimension (zB Wirtschafts- oder Technik-Geschichte), was sich schon im Fächer-Aufbau niederschlägt, das meiste Wissen über materielle Zusammenhänge bis weit ins Mittelalter ist ergraben, oder experimentell-archäologisch rekonstruiert. Und am Rand, und mitnichten unerheblich, geht die Menschen- und Material-Geschichte in die naturwissenschaftliche Anthropologie und Pathologie, Paläo-Botanik, -Klimatologie, -Geophysik usw über.Allein schon solche Interdisziplinarität; erst recht: die Zusammenfassung aller Gesichtspunkte, über die Epochen, Regionen, Dimensionen hinweg: Universalgeschichte, gar (zB soziologische, wirtschaftshistorische) Geschichtstheorie oder Geschichtsphilosophie war seit je nur was für Dilettanten.Um so wichtiger sind die Kategorien, dh die Besinnung auf sie – also die Grenzen, die sie ziehen, und die Freiheitsgrade, die sie lassen: Womit in der Geschichte zu rechnen macht überhaupt SINN? Wovon in der Geschichte lässt sich SINNvollerweise überhaupt sagen, dass es NOTWENDIG so stattfand und somit „verstehbar“, „erklärbar“ ist?——————-Versteckt im Daten- und Thesen-Gestöber, GAB es oben ein quasi kategoriales, ein polit-ökonomisches Argument, und es ist das, was mir auf Anhieb Woods These unplausibel macht. Die „Privatisierung“ der feudalen Einkünfte bzw des Territoriums, aus dem sie erwirtschaftet wurden, ist eines (und vielleicht sogar mehr Polanyis Thema, oder das von Gsell-Anhängern…). Das andre ist die Verwandlung der Abgaben ind Geldzahlungen und ihre juristische (Um)Deutung als Pachtzins. Das polit-ökonomische Argument lautet: Wer soll denn da (im 16.Jh., noch vormoderne Verhältnisse) um knappe Pachtstellen konkurriert haben?Wer soll denn wann mit welchen Vorteilen andre Bewerber aus dem Feld geschlagen haben? Es gab grade mal vielleicht ein paar Skalenvorteile für grössere Wirtschaftseinheiten, kann ich mir vorstellen. Aber genau wie Marx es für vormoderne Verhältnisse in seiner Theorie der Grundrente unterstellt, gab es bis zur eigentlichen Agrarrevolution wenig Möglichkeiten, auf einem gegebnen Areal die Erträge (oder gar die Produktivität im Sinne von Kostensenkung) zu steigern.Nur wo und wenn es dafür bereits Optionen gab, war es überhaupt möglich, höhere Pachten zu bieten. ABER die Boden-Amelioration erforderte Investitionen bzw Vorleistungen (entweder direkt einzukaufen, oder sie schlugen sich ua als ertragsmindernder Flächenverbrauch nieder), Saatgut für die Leguminosen, Auslagen für Kalk, Einbeziehung von Viehhaltung in den Produktionskreislauf, Pferdehaltung usw, dazu kam die uU lohnende Einbeziehung von Veredelungs- und Weiterverarbeitungsschritten (Geräte dafür bereitzustellen!) direkt am Hof (Schnapsbrennerei, Käserei, Metzgerei).All das erforderte Kapital, und es musste dem Vergleich mit alternativen Anlagen im städtischen Manufakturgewerbe bzw Überseehandel gewachsen sein; zumal da ja mindestens noch die traditionelle Grundrente draufkam, sonst lohnte die Umstellung sich für den Grundbesitzer nicht.Also lautet das Argument: Alles, was Ertragssteigerungen durch Kapital-Einsatz brauchte, fand statt, NICHT weil die FORM Pacht eingeführt wurde, sondern weil es tatsächlich durch Investitionen realisierbare Produktivitäts-Fortschritte gab, die so gross waren, dass sie aus Sicht der Investoren anderen Anlagen ebenbürtig waren. Aber genau das gab es vor der Agrarrevolution nicht. (Wie auf dem Kontinent, gab es Grundbesitzer, die herumexperimentierten und sich für Agrarwissenschaft interessierten, um die Erträge ihrer Pächter zu steigern. Aber das Interesse war das von Landeigentümern mit Grundrente (Pacht) als einziger Einkommensquelle – nicht von Kapitalisten, Investoren, die auch in Kolonial-, Handels- oder Manufaktur-Unternehmungen investieren konnten, und am Landbesitz, da vergleichsweise wenig rentabel, kein Interesse hatten.)Was von polit-ökonomischer Seite zu erwägen wäre, ist der Einfluss der Lebensmittelpreise (und ihre Regulierung durch Einfuhrzölle! Anti-Corn-League!) infolge steigender Nachfrage der Stadt-Bevölkerungen. Das Dumme ist: Die Paupers hatten zwar Hunger, aber kein Einkommen, sie waren lästig und wurden drum terrorisiert, versklavt und weggesperrt in Arbeitshäuser. An denen war vorerst wenig zu verdienen…
Als absolut korrekt, aus kategorial-polit-ökonomischer Sicht, ist, meine ich, hingegen diese These zu bezeichnen: Der moderne Kapitalismus begann mit der Steigerung der Produktivkräfte auf dem Land – als Agrar-Kapitalismus. DORT war es, wo die „Ware Arbeitskraft“ in immer grösserem Umfang PROduziert wurde. Ohne Agrar-Revolution keine industrielle.Auf vormoderner Grundlage war profitabel das Erzielen von Handelsgewinnen aus letztlich monopolisierten „Standortvorteilen“ (Transport von Agrargütern von „Fruchtbarkeitszentren“ zu Gewerbezentren), Vermietung von Transport-Infrastruktur (Übersee-handel; Kanäle), unmittelbarer Raub durch Kolonialausbeutung (die „Ostelbien“- und die Schafweide-Beispiele kann man als „innere Kolonisierung“ verstehen), schliesslich die vormoderne Form der Produktivität: Skalenvorteile in der Manufaktur, zuletzt alles kombiniert in Gestalt von Wolle- und Baumwoll-Verarbeitung.)
Kapitalistisch hingegen ist die Verbindung dieses frühneuzeitlich, vormodern weltweit ausgebauten Raub-, Transport- und Produktionssystems mit technologischem Knowhow zur Herstellung komplett neuer Güter (Produktionsmittel) und/oder zur Effizienzsteigerung bei der Herstellung bereits eingeführter solcher.
Wenn das so stimmt (tut es das?) – was folgt daraus? (ZB im Rahmen der „Fünfschritt-Heuristik“?)
@franziska: Wir sind hier alles keine Expert_innen, das stimmt, und die Expert_innen sind sich auch nicht immer einig, das stimmt auch. Nur: Du scheinst die sehr postmoderne Auffassung zu haben, die Fakten passend zu deiner Theorie hinzubiegen, nicht etwa andersherum. („Die theoretische Arbeit an der Geschichte bewegt sich in einem kategorialen Rahmen, der erstmal [faktenfrei] aufgespannt sein will.“)
So kann man natürlich Geschichte (und andere Wissenschaft) betreiben, aber nicht – finde ich – wenn man von anderen ernst genommen werden will. Und so liest sich deine Theoriebildung halt auch: du fabulierst völlig freischwebend wie es dir gerade einleuchtet, ohne dich auf irgendwelche Historiker_innen und ihre Erkenntnisse berufen zu können. Kann man als Nichtexpertin natürlich machen, hilft aber niemand weiter. Mein Tipp: Beschäftige dich erstmal mit Ellen Wood und mit Robert Brenner, auf den sie sich bezieht. Gerne auch mit anderen Historiker_innen, die den beiden zum Teil natürlich auch widersprechen. Hilfreich ist dabei allerdings, wenn diese hinreichend Ahnung von marxianischer Gesellschaftsauffassung haben, um zumindest das Problem zu verstehen. Nämlich: Wenn man die Entstehung des Kapitalismus erklären will, kann man nicht voraussetzen, dass die Menschen vorher schon kapitalistisch gedacht haben und deshalb, sobald die Technik so weit war, den Kapitalismus geschaffen haben. Damit hat man nämlich noch gar nichts erklärt, sofern man nicht auch erklären kann, wo diese Proto-Kapitalist_innen herkamen (die auch in deinen Theoriefragmenten ständig herumspuken).
Wood diskutiert übrigens auch, warum die Niederlande oder die mittelalterlichen italienischen Städte ihrer Ansicht nach nicht frühkapitalistisch waren, obwohl sie allerhand Ähnlichkeiten zum späteren Kapitalismus aufweisen — aber eben keinen plausiblen Entwicklungspfad, der dorthin hätte führen können. Das muss man nicht alles im Detail akzeptieren, aber es lohnt sich zumindest, sich mal damit zu beschäftigen.
Warum nicht China? Da zeigt sich IMHO auch sehr klar, dass es eben keine Frage der Technik war, die erstmal „so weit“ sein musste – China war Europa ja nicht „dicht auf den Fersen“, sondern in vorkapitalistischen Zeiten in aller Regel weit voraus; dasselbe galt zu gewissen Zeiten für die arabische Welt. Und selbst innerhalb Europas war England ja eher abgeschlagene und rückständige Peripherie. Andererseits war das alte Römische Reich dem europäischen Mittelalter technologisch in vieler Hinsicht weit überlegen und auch in seinen Wirtschaftsformen viel näher am Kapitalismus als alle feudalistischen Gesellschaften — ohne ihn aber hervorzubringen. Das sind IMHO sehr starke Indizien dafür, dass die Entwicklung zum Kapitalismus eben von einer ganz bestimmten sozialen Konstellation abhing (Wood betont, dass es im Grunde Zufall war, dass sich diese Konstellation im England des 16. Jahrhunderts bildete) und nicht ab dem Erreichen eines bestimmten technologischen Niveaus quasi automatisch ablief.
Christian, es ist kein historisches Seminar nötig, um zu begreifen: Private/exklusive Verfügung über die Produktionsfaktoren, seien sie nun „fiktive“ oder reale Waren, ist nicht sehr förderlich, wenn diese Faktoren zugleich sinnvoll kombiniert/koordiniert eingesetzt werden müssen, um bedürfnis- und naturgerechte Reproduktion und Wissens-basierten Fortschritt darin zustandezubringen.
Und kombiniert müssen sie werden, weil wir ins Unendliche gehende Teilung von Qualifikationen, Arbeits- und Lebensformen haben; speziell: weil Wissen auf Trägern zu speichern zwar nötig, aber bei weitem nicht hinreichend ist, damit Einzelne (so gut wie ALLE Einzelnen) davon nicht ausgeschlossen sind.
Privatheit ist ein Rechts-, oft genug ein Zwangsverhältnis; darüberhinaus eine Einstellung, die der Ignoranz gegenüber der objektiven Abhängigkeit aller von allen – allen Bewohnern des Planeten, möchte man fast sagen.
Aber wenn beides überwunden ist, gibt es noch immer keine kollektive Verfügung; schon, weil es so noch keine kollektive Verständigtheit (über Zwecke) gibt.
Und dass Märkte die ersetzen können (womöglich bei fortbestehender Privat-Einstellung), ohne kollektive Dauer-Beaufsichtigung und kollektive Dauerkorekturen (und die DAFÜR nötige Verständigtheit): das muss man mir erstmal zeigen.
Mehr als nur von historischem Interesse scheinen mir zwei Begriffe. Der eine, die Einbettung, ist von Polanyi und dazu äussere ich mich vllt später.
Der andre stammt von Wood, nämlich: die ausser-ökonomisch forcierte Markt-Abhängigkeit. Die Gewalt, die hinter dieser Forcierung steht, hat einen Namen: (Gross)Eigentum als das erzwungene Verhältnis; dazu kommt die politische, unter moderneren Bedingungen die Staatsgewalt, als das Erzwingende (die ihrerseits unmittelbar, durch Umverteilung, Zu- und Ent-Eignung, Markt-Abhängigkeiten lindern und/oder herbeiführen kann). *)
Das Eigenartige bei Wood ist: dass sie NUR diese Abhängigkeit bespricht; und dabei wird von ihr nicht einmal für definierenswert gehalten, worin das gegenstück, die „echte ökonomische Markt-Abhängigkeit“ besteht.Als würde die sich (so wie für die Anhänger des „Kommerzialisierungsmodells“ der Kapitalismus) von selbst verstehen.Ich nenne das Kriterium: wenn die Stufenleiter der Arbeitsteilung und darauf basierender Produktivität ein solches Niveau erreicht hat, dass keine Eigentums-Umverteilung, auch keine kommunistische, sie ignorieren kann, ohne die Produktivität fürs erste wieder zu senken: Dann ist ökonomische Markt-Abhängigkeit gegeben. Und die ist wirklich unumkehrbar.
(Man könnte ein ähnliches Kriterium erwägen für den spezifisch industriellen Fortschritt, der nur noch als zweckmässig und nutzbringend erscheint, weil er im wesentlichen die Folgen vergangener Technik-Fortschritte bewältigen hilft: rasender Stillstand also. Auch unumkehrbar…)
Nach Wood (ursprünglich bereits Brenner) ist eine Produktionsweise noch nicht kapitalistisch, wenn, was WIR intuitiv, heute, als kapitalistisch (an)erkennen, daraus nicht durch quantitatives Weiter-Wachsen entstehen kann. – Der Woodsche Pauper-Ausbeutungs-Kapitalismus ist (im Verbund mit Kolonialraub/versklavung, Welthandel, Luxushandwerk, imperialistischer Klassenstaat) ein solches Vorstadium. In Form aller möglichen Enklaven finden wir ihn in aufstrebenden wie absteigenden Territorien überall auf dem globalen Weltmarkt – bis heute.
Er aus sich hatte nicht die Mittel, um in das heutige massgebliche (einbettende?) Gebilde überzugehen. Konkurrenz allein, der Wille zur Produktivitätssteigerung, erzeugt darum noch keine – nur verschärfte Ausbeutung und Klassenkampf. Ohne (Schwer)Industrialisierung hätte der Ausbeutungs-Kapitalismus in einer sozialistischen Revolution geendet – oder die kämpfenden Klassen wären untergegangen.**) Das von diesem Primitiv-Kapitalismus nicht Hervorgebrachte, für den Sprung (Bruch) aber Benötigte ist die Wissenschaft und ihre technologische Anwendung. Und ERST SIE, im Verbund mit dem entwickelten Ausbeutungskapitalismus als Ausgnagspunkt, hat die nicht-mehr ausser- sondern REIN ökonomisch forcierte Markt-förmige Abhängigkeit aller von allen erst erzeugt, mit der wir uns hier herumschlagen.
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*) der englische Staat sei der zentralsierteste gewesen – so greift Wood ein Argument Robert Brenners auf. Das kann man anders sehen: Dieser Staat hat „die Fläche“ den Grossgrundbesitzern überlassen und sich zu ihrem Komplizen gemacht (weil er andre, koloniale Projekte und solche der Selbst-Konsolidierung verfolgte; und weil er durch seine Schwäche selbst Klassenstaat wurde. – Immer wieder denke ich, dass die Versklavung und Ausbeutung im Mutterland ihrerseits kolonialen Charakter hatte…).Vom französischen Staat, der leider durch vorfindliche Bedingungen (eine zur Bürgerkriegspartei hochgerüstete Aristokratie mit territorialen Eigeninteressen) „gefesselt, behindert“ war in seiner Entwicklung, und schon darum nicht so einfach ein „kapitalistischer“ sein durfte: Der hat den Kampf um das Gewaltmonopol geführt; und zur Revolution kam es, als durch Schwäche der Zentralgewalt nach dem verlorenen Krieg gegen England die reaktionärsten Kräfte des frz. Staates vorübergehend die Oberhand bekamen, und die Hocharistokratie sich der Staatsgewalt bemächtigte. Der Kampf des sich modernisierenden, immer bürgerlicheren Staats ging weiter – auch nach der Revolution. Wer war im Rückblick gesehen in welcher Hinsicht rückständiger?
**) Und dann hätten die Produktivkräfte eben kollektiv, oder durch Staatssozialismus entwickelt werden müssen. Mit dem bekannten Resultat. Da stehen wir heute.