Der Ausdehnungsdrang moderner Commons (2/5)

Transpersonales Commoning zur Weiterentwicklung der Keimformtheorie.

3. Die Phasen der kapitalistischen Produktion

Wollen wir über Produktion nach Bedürfnisbefriedigung und wie es sich in der Gesellschaft etablieren kann nachdenken, dürfen wir zu keiner Zeit den Markt und den Kapitalismus ausblenden. Wenn Christian Siefkes in seinem Artikel „Das Geld, eine historische Anomalie?“ auch als gesellschaftlich Gemeinsames auf dem allgemeinen Äquivalent beharrt, hat er mit diesem Artikel ausreichend aufgezeigt, dass Tausch in vor-kapitalistischen Gesellschaften immer eine Rolle gespielt hat, ohne, dass dieser sich verselbstständigte. Es kann auch nicht das Ziel sein den Tausch komplett abzuschaffen oder gar zu verbieten. So lange Privateigentum noch existiert und der Tausch als Form der sozialen Interaktion verboten wird, dann bräuchte es ein totalitäres Regime. Sich zur Sicherung der eigenen Existenz tauschförmig aufeinander zu beziehen, muss daher subjektiv seinen Sinn verlieren. Der Markt muss von seiner dominanten Rolle innerhalb der Gesellschaft verdrängt werden, was nicht bedeutet, dass er nicht mehr existieren darf. Das ist der erste Grund, warum wir uns noch einmal näher mit der kapitalistischen Produktionsweise beschäftigen müssen. Der zweite ist, dass transpersonales Commoning, und damit auch diese zentrale Instanz zur Selbstorganisation und Zwecksetzung der Mittel, durch den Kapitalismus sowohl sozial erzwungen, als auch technisch überhaupt erst möglich gemacht wird.

Im ersten Teil meiner Broschüre „Das Kapital und die Commons“ habe ich mich ausführlicher mit der kapitalistischen Produktionsweise beschäftigt und wie sie aus der Keimform Wert heraus entwächst. Der Prozess, in dessen Mittelpunkt das allgemeine Äquivalent Geld steht, kann hier selbstverständlich nur umrissen werden. Kapital lässt sich dabei knapp als die zeitliche Bewegung von Geld zu mehr Geld fassen. Die Formel des Kapitals dafür lautet „Geld – Ware – mehr Geld“, kurz G – W – G‘, wobei G < G‘. Produktionskapital nutzt für diese Bewegung von einer bestimmten Menge des allgemeinen Äquivalentes Geld zu einer größeren Menge davon die menschliche Fähigkeit zu arbeiten in ihrer Form als Ware, der Ware Arbeitskraft. Der Mensch, der seinen Körper stundenweise als Ware verkauft hat, wird als Variable in diesem Prozess eingeordnet und muss richtig angewendet werden, damit das Geld sich auch wirklich vermehrt. Hierfür werden Arbeitskraft und private Produktionsmittel im Produktionsprozess so miteinander verbunden, dass am Ende einer Produktionsperiode ein höherer Wert geschaffen wird, als die Produktion selbst gekostet hat. In näherer Betrachtung durchläuft das Produktionskapital drei Phasen: Geldkapital, produktives Kapital und Warenkapital. (vgl. MEW24, erste Kapitel)

1. Im ersten Schritt ist das Kapital Geldkapital. Der Kapitalist benutzt eine Geldmenge (G) und investiert sie in private Produktionsmittel (pPm) und in Arbeitskraft (Ak), welche ihm auf dem Markt ebenfalls als Ware erscheint. So treten sich Käuferin und Verkäuferin der Arbeitskraft zwar als gleichgestellte Bürgerinnen gegenüber, wobei die Käuferin der Arbeitskraft, sprich Kapitalistin, zugleich Eigentümerin der Produktionsmittel ist.

2. Nachdem das Kapital Geldkapital war, wird es zum produktiven Kapital. In der Produktion vergeht Zeit (…P…), während die Kapitalistin die Lohnarbeiter ihren Gebrauchswert nach verwendet, diese also an den Produktionsmitteln neue Waren erzeugen lässt.

3. Nachdem das Kapital produktives Kapital war, wird es zum Warenkapital. Für eine erfolgreiche Produktions müssen die neu produzierten Waren (W‘) dabei am Markt mehr Geld (G‘) einbringen, als die Kapitalistin für Produktionsmittel und Arbeitskraft als Ware gezahlt hat (G bzw. W). Eigentümerin der neu hergestellten Ware ist die Kapitalistin, da sie im Produktionsprozess auch Eigentümerin der Produktionsmittel und der Arbeitskraft war. Die Differenz zwischen G und G‘ ist der Mehrwert (Mw) der Kapitalistin.

Damit die kapitalistische Produktionsweise gesellschaftlich bestimmend werden konnte, mussten die für die Reproduktion notwendigen Dinge den Lohnarbeitern und Kapitalisten bereits in der Warenform, d.h. für Geld käuflich, gegenübergetreten. Die Bedingung der kapitalistischen Warenproduktion ist somit das Vorhandensein der Warenproduktion überhaupt. Ein einzelner Produktionskreislauf ist immer davon abhängig, dass andere Unternehmen existieren, die sowohl die Produktionsmittel herstellen, sowie die Konsumtionsmittel für die Lohnarbeiter und Kapitalisten, welche sie während des Produktionsprozesses verbrauchen.

Zweimal werden dabei die Dinge innerhalb eines einzelnen Produktionsprozess zu Werten: Zum ersten Mal vor der Produktion für die Privateigentümer der Waren, wenn die Kapitalistin sie kaufen möchte und zum zweiten Mal nach der Produktion für die Kapitalistin, wenn jemand anderes ein Interesse am Gebrauchswert der Produkte hat. Durch den Kauf taucht eine einzelne kapitalistische Produktion so aus der Wertsphäre auf, spannt einen Rahmen der abstrakten Arbeit, in dem Lohnarbeiter kooperativ zum gemeinsamen Zweck der Warenproduktion tätig sind, und taucht mit dem Verkauf der Waren wieder in die Wertsphäre ab. Innerhalb dieses Rahmens, d.h. innerhalb eines Unternehmens selbst, wird außerhalb der Wertsphäre kooperiert, wenn der Zweck auch nicht die Bedürfnisbefriedigung, sondern die Erschaffung eines Mehrwertes, sprich Profits, für eine nicht in diesem Rahmen gefassten Person bzw. Personengruppe ist.

4. Situation der Lohnabhängigen

Um die Transformation des kapitalistischen Systems durch Commoning denken zu können, brauchen wir den Begriff der Klasse. Auf Klassen wird in „Kapitalismus aufheben“ kaum eingegangen und es ist verständlich in dem Sinne, dass im traditionellen Arbeiterbewegungsmarxismus diesen zu viel Aufmerksamkeit gegeben wurde. Besonders die Gruppe Krisis hat das mit ihrem Grundlagentext „Der Klassenkampf-Fetisch“ herausgearbeitet: „Die Warenform und der in ihren produktiven Kern eingeschlossene Fetischismus sind die wirklichen Wesenskategorien des Kapitalverhältnisses, Klassen und Klassenkampf hingegen die Oberflächenerscheinungen dieses Wesens. […] Der herkömmliche „Klassenkampf“ beinhaltet also nicht das Durchschauen des Fetischismus und die Befreiung davon, sondern er ist im Gegenteil die Bewegungsform des Fetischismus selbst, die wiederum identisch ist mit der Selbstbewegung des Kapitals; denn nur als Verwertung des Werts kann der Warenfetisch zur gesellschaftlichen Totalität aufsteigen.“ Aber die Beobachtung, dass Kapitalismus keine Klassenherrschaft ist, bedeutet nicht, dass die Klassen darin keine Rolle spielen würden. Wenn Meretz und Sutterlütti daher schreiben, „der Kapitalismus basiert auf einem Arbeits- oder Leistungsprinzip: Ich erhalte nur Anteil am gesellschaftlichen Reichtum, wenn ich etwas leiste“ (M/S, S.37.), dann ist das in gewisser Weise und mit einem breit aufgestellten Leistungsbegriff nicht falsch, aber von absoluter Bedeutung wäre hier noch, inwiefern Arbeit bzw. Leistung mit dem Anteil am gesellschaftlichen Reichtum zusammenhängt. Streng nach Marx sind dabei die einfachen Momente eines Arbeitsprozesses, unabhängig von jeder Gesellschaftsform, die zur Erzeugung von Gebrauchswerten (vgl. MEW23, S.192) „zweckmäßige Tätigkeit […] ihr Gegenstand und ihr Mittel.“ (MEW23, S. 193). Im reinen kapitalistischen Produktionsprozess wird dabei Arbeit nur durch Lohnarbeiter durchgeführt, während Kapitalisten die Gesellschaft der Tausch- und Verwertungslogik nach organisieren und die Ausbeutung der Lohnarbeit durch Mehrarbeit ihre Lebensgrundlage ist. Die Vorstellung einer Leistungsgesellschaft, in der es ein – nach alltäglicher Auffassung und nicht nach Tauschlogik definiertes – „faires“ Verhältnis von Leistung und Anteil am gesellschaftlichen Reichtum gibt, ist eine zutiefst bürgerliche Ideologie. Das bedeutet nicht, dass Unternehmer und Investoren nichts tun würden, nur steht das, was sie dafür bekommen, in keinem Verhältnis zu einem normalen Arbeitslohn.

Warum interessiert uns das? Weil klar sein muss, dass Lohnarbeit immer Mehrarbeit mit einschließt. Kapital ist eine Organisationsform von Menschen. Die Ausbeutung mag aus mancher Perspektive nur ein „weiteres Moment der Exklusion“ (M/S, S.37) sein, aber die Auswirkungen sind enorm. Menschen im Zustand der Lohnabhängigkeit können ihre eine Ware, die Arbeitskraft, nicht über Monate hinweg einlagern und auf die passende Käuferin warten, sondern müssen sie zu notfalls miserablen Bedingungen verkaufen. Sie werden so in Unternehmensstrukturen eingegliedert, welche aus der Verwertungslogik heraus entstehen, das heißt zur Organisation von Arbeitskräften als Variable zur Geldvermehrung. „Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem Wert jeder anderen Ware, ist bestimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendige Arbeitszeit“ (MEW23, S.184). Durch die Wechselwirkung zwischen Arbeitern und Arbeitslosen ist dieser Wert der Arbeitskraft tendenziell die Höhe der anfallenden Kosten, die eine Lohnarbeiterin für ihre Reproduktion und die ihrer Nachkommen im Produktionszeitrum benötigt. Der Arbeitstag ist dabei tendenziell so lange, dass die Lohnarbeiterin gerade noch genügend Zeit für ihre Reproduktionstätigkeiten und Erholung findet. Egal, wie fortschrittlich die Produktionsmittel sind, die Arbeitswoche verändert sich für die Lohnabhängigen kaum bis niemals; sie sind vom gesellschaftlichen Fortschritt entkoppelt (vgl. etwa MEW23, S.666-670).

Deutlich wird es in einer Aussage von Robert Owen, die Friedrich Engels in „Der Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ zitiert. Owen, der sich zum Eigentümer einer Baumwollspinnerei hochgearbeitet hat und später versuchen wird eine kommunistische Kolonie in Amerika zu gründen, geht dabei folgendem Gedanken nach: „Und doch produzierte der arbeitende Teil dieser 2.500 Menschen ebensoviel wirklichen Reichtum für die Gesellschaft, wie kaum ein halbes Jahrhundert vorher eine Bevölkerung von 600.000 erzeugen konnte. Ich frug mich: Was wird aus der Differenz zwischen dem von 2.500 Personen verzehrten Reichtum und demjenigen, den die 600.000 hätten verzehren müssen?“ (MEW19, S.198). Das war vor etwa 200 Jahren. Heute ist eine 40-Stunden-Woche so normal, dass wir nicht im geringsten begreifen können, wie wenig Arbeit eigentlich notwendig wäre, um unsere Lebensbedingungen in einer auf Selbstorganisation beruhenden Gesellschaft herzustellen. Sich im Rahmen einer niemals weniger werdenden Arbeitswoche zu bewegen ist die Situation einer Klasse, nicht die einer Gesellschaft. Ob sich die Kapitalisten ihrer Rolle bewusst sind, ob sie den sachlichen Zwängen gerne oder nicht nachgehen, spielt für die Situation der Lohnabhängigen keine Rolle.

5. Ausdehnung und Aufhebung der kapitalistischen Produktion

Die Kraft zur Gesellschaftsgestaltung erhält die kapitalistische Produktionsweise dabei aus dem Zwang zur ständigen Lohnarbeit zu vorgegebenen Bedingungen auf Seite der Lohnabhängigen. Da jeder erfolgreiche Produktionsprozess mit einer größeren Geldmenge aufhören muss, als mit der er angefangen hat, kann und darf eine Produktion niemals stillstehen und muss gegenüber der Konkurrenz immer effektiver werden, um zu bestehen. Diese Effizienzsteigerung bedeutet tendenziell – es müssen nicht immer alle Momente zutreffen -, eine Verlängerung des Arbeitstages, einen erhöhten Zeitdruck, monotonere Tätigkeiten, geringere Löhne bei Neueinstellungen oder auch schlicht den Verlust des Arbeitsplatzes wegen eines moderneren Produktionsmittels. Ist die kapitalistische Produktionsweise einmal gesellschaftlich etabliert kann die Warenproduktion durch Selbstarbeit oder der reinen Handel mit Überschüssen nicht mehr mit den immer billigeren Preisen der kapitalistischen Unternehmen mithalten. Kapital drückt den Wert eines jeden Produktes herab und bemächtigt sich schließlich seiner Umgebung, welche dieser Verbilligung nicht standhalten kann. Während der Kapitalismus so althergebrachte Grenzen überschreitet, baut er neue auf. Besondere Bedeutung im Transformationsprozess haben hierbei die Trennungen Arbeit/Freizeit, Produktion/Reproduktion und Ökonomie/Politik (vgl. M/S, S.38).

In seinem Kapitel über die Tendenzen der ursprünglichen Akkumulation beschreibt Marx sehr farbig, wie die kapitalistische Produktionsweise in eine neue Qualität übergeht: „Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Enteigner werden enteignet.“ (MEW23, S.791) Kurz darauf stellt er die Errungenschaften der kapitalistischen Ära dar, welche diesen Prozess möglich machen: Die Kooperation, der Gemeinbesitz der Erde und die durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel (ebd.).

Das Kapital ist keine Bibel und nicht jeder Gedanke zur Transformation muss mit dem konform sein, was Marx sich gedacht hat. Aber in diesem Zusammenhang interpretiert lassen sich daraus drei Bedingungen herauslesen, an denen eine herrschaftsfreie Gesellschaft anknüpfen kann: 1. Kooperation wird heute generell durch Kapitalisten in gegeneinander-stehenden Strukturen organisiert, kann aber zukünftig im Rahmen einer Peer-Produktion durch die Produzierenden auf Augenhöhe geschehen. 2. Gemeinbesitz der Erde entsteht aus der zunehmenden Erschließung der Dinge als privates Eigentum und fortlaufend der Zentralisation der Zugriffsmacht darauf in immer weniger Händen, die einer immer größeren Zahl an nahezu Eigentumslosen gegenüber steht. 3. Die durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel helfen die Dauer der notwendigen Arbeit immer weiter zu reduzieren, auch wenn es im Kapitalismus, in welchem Arbeitskraft unabhängig davon maximal verwertet werden muss, kaum spürbar ist. Da jedes Unternehmen bzw. jeder Konzern in Konkurrenz zueinander steht, müssen sie ständig versuchen effizienter zu produzieren als die jeweils anderen und schaffen das nur durch immer fortgeschrittenere Produktionsmittel.

Die „Enteignung der Enteigner“: Mit den Enteignern sind selbstverständlich die Kapitalisten gemeint, welche durch die alltägliche Enteignung der Produzierenden vom Wert ihrer Arbeit leben und in deren Händen sich das Privateigentum zentralisiert. Eine gängige Interpretation wäre die Überführung der Werte in die Hände der Lohnabhängigen. Der Wert in den Händen von wem-auch-immer, bzw. sogar der Wert selbst, ist aber das grundlegende Problem von Macht und Herrschaft in einer vom Markt bestimmten Gesellschaft. Würde allerdings nur versucht werden diese sachliche Herrschaft in irgendeiner Weise abzuschaffen, wäre damit noch keine Herrschaftsfreiheit erreicht: „Jedes Individuum besitzt die gesellschaftliche Macht unter der Form einer Sache. Raubt der Sache diese gesellschaftliche Macht, und ihr müsst sie Personen über die Personen geben“ (MEW42, S.91). Die Dinge (Produktions- und Lebensmittel) dürfen daher nicht einfach nur „frei“ vom Wertcharakter sein – so könnten sie wieder als Privateigentum erschlossen bzw. Menschen auf andere Weise von ihnen ausgeschlossen werden -, sondern müssen in eine Struktur eingeordnet werden, in welcher sie exklusiv für die Verwendung zur Befriedigung von in der Gesellschaft vorhandenen Bedürfnissen bestimmt sind. Die Enteignung findet zwar für die Eigentümer auf Wertebene real statt, aber bedeutet gleichzeitig die Überführung des enteigneten Dinges in eine Gesellschaftsform, in der sich niemand mehr als Eigentümer darauf beziehen kann. Ein Wert entsteht hier nicht mehr, da die Dinge unter kollektiver Verfügung stehen, es also bei den überführten Dingen keine Getrenntheit im Sinne des privaten Eigentums mehr gibt. Das Haus verliert in dieser neuen Struktur also seinen Wertcharakter und damit seinen Verwendungszweck zur Verwertung (Geldvermehrung), erhält dafür den Verwendungszweck der Bedürfnisbefriedigung.

(Weiter zum dritten Teil, zurück zum ersten. Überblick)

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