Der Ausdehnungsdrang moderner Commons (1/5)
Transpersonales Commoning zur Weiterentwicklung der Keimformtheorie.
Magie in seiner Reinform liegt im Glauben, es bräuchte nur eine Revolution und plötzlich würden sich Menschen nicht mehr tauschförmig aufeinander beziehen, der Kapitalismus wäre abgeschafft und wir hätten eine herrschaftsfreie Gesellschaft. In „Kapitalismus aufheben“ stellen sich Stefan Meretz und Simon Sutterlütti gegen diesen magischen Moment und schaffen es einen kategorialen Rahmen aufzubauen, mit welchen überhaupt eine gesellschaftliche Struktur auf Basis von Freiwilligkeit und kollektiver Verfügung – völlig ohne den Glauben an das Unerklärliche – denkbar wird. Da ich nichts Vergleichbares kenne, kann ich ihre Leistung hierfür nicht genug würdigen.
Der eigene Versuch der Autoren diese Kategorien innerhalb eines Transformationsmodells anzuwenden, gerät allerdings in eine Sackgasse. Die Autoren stellen zwar eine Beziehungsform zur Selbstorganisation heraus, in welcher kein Wert entsteht und sich damit auch keine Verwertungslogik verselbstständigt, schaffen es aber nicht, diese auf einen gesamtgesellschaftlichen Raum zu erweitern. Dieser Text soll als Weiterentwicklung ihrer Theorie dazu beitragen, dieses „Problem der Ausdehnung“ (M/S, S.244) zu beheben. Worum es also geht ist, wie eine Gesellschaft auf Basis von Freiwilligkeit und kollektiver Verfügung hergestellt und erhalten werden kann und das unter besonderer Beachtung der durch die kapitalistische Produktion entstandenen Vorbedingungen.
In ihrem Vorwort wünschen Meretz und Sutterlütti sich dabei eine gemeinsame Diskussion außerhalb des Rahmens von Konkurrenz und Exklusion. Dieser Modus ist mir äußerst wichtig und trotzdem muss innerhalb ihrer Keimformtheorie die Problematik mancher ihrer Gedankengänge offen zur Schau gestellt werden, damit diese vermeintlichen Trugschlüsse auf dem Weg zu einer fortschrittlichen Produktionsweise vermieden werden können.
Um sich dieser Produktionsweise anzunähern wird im ersten Kapitel gezeigt, dass die von Meretz und Sutterlütti gewählte Keimform nicht von der Utopie, sondern von dem Bestehenden aus erschlossen wurde, das Bestehende aber selbst in Frage gestellt werden muss. Folgend wird kritisiert, dass die Autoren darauf hoffen, ihre Keimform würde – wie der Wert im Kapitalismus – Transpersonalität als Phänomen hervorbringen, meine aber, das sie hierfür um eine parallele Funktion erweitert werden muss. In Kapitel 3-5 werden Momente der kapitalistischen Produktionsweise – die drei Phasen der kapitalistischen Produktion, die Situation der Lohnabhängigen und die Bewegungstendenzen des Kapitals – wiederholt, soweit sie in „Kapitalismus aufheben“ nicht angesprochen wurden, meines Erachtens aber für die Transformation von Bedeutung sind. In Kapitel 6 werden die Commons und ihre Struktur neu gedacht, auf deren Basis im siebten Kapitel eine allgemeine Formel des Commonings aufgestellt wird, die der allgemeinen Formel der kapitalistischen Produktion gegenübergestellt werden kann. In Kapitel 8 wird schließlich geprüft, wann es für eine Lohnabhängige objektiv Sinn ergibt, ihre sinnlich-vitalen und produktiven Bedürfnisse über Lohnarbeit oder Commoning zu befriedigen. Nachfolgend soll begründet werden, warum ich eine Priorisierung bestimmter Bedürfnisse für eine gesellschaftliche Transformation für unerlässlich halte und wie diese aussehen kann, ohne auf eine Geld-ähnliche Form zurückzufallen. In Kapitel 10 werden die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der parallelen Funktionen des interpersonalen und transpersonalen Commonings anhand des Fünfschritts von Klaus Holzkamp herausgestellt. Zuletzt werden die vier von Meretz und Sutterlütti gesetzten Szenarien des Dominanzwechsels mit der Funktion des transpersonalen Commonings erneut durchgegangen. Es soll dabei gezeigt werden, dass die eigenständige Funktion des transpersonalen Commonings eine mögliche Lösung zum „Problem der Ausdehnung“ ist, ohne, dass die von Meretz und Sutterlütti beschriebene interpersonale Keimform dafür angetastet werden muss.
Relevante Momente der kapitalistischen Produktionsweise, dem von Meretz und Sutterlütti beschriebenen Commonismus und der Keimformtheorie werde ich zwar kurz wiederholen, aber der Text wird wohl ohne Grundlagen darüber äußerst mühsam zu lesen sein. Diese Grundlagen werden hier weitgehend vorausgesetzt, da es sich weder um eine Buchkritik, noch um eine Einführung, sondern eine Weiterentwicklung der bestehenden Theorie handelt.
1. Ein endgültiger Bruch mit sämtlichen Formen der bestehenden Commons
Die Denkbarkeit einer fortgeschrittenen Gesellschaft klebt am Stand der Produktions- und Kommunikationsmittel. Damit geht einher, dass das Festhalten an einem Gedanken, der einst progressiv war, im Fortschritt der Zeit reaktionär werden kann. So kann Momenten der Burschenschaftsbewegung 1848 ein progressiver Charakter zugefallen sein, wenn auch heute keine Spur mehr davon übrig ist. Genauso war die Vorstellung von Planwirtschaft und Räterepublik einst progressiv, als es noch keine technische Entwicklung gab, die eine allgemeine Kommunikation zwischen den Produzierenden auf Augenhöhe („Peer-Produktion“) ermöglichte. Heute aber werden diese Vorstellungen, in der Bedürfnisse und Fähigkeiten in lokalen Räten an Personen herangetragen werden und diese in höheren Räten versuchen Lösungen zur allgemeinen Bedürfnisbefriedigung zu erarbeiten, durch das Internet und die globale kapitalistische Produktion notwendig reaktionär. Meretz und Sutterlütti beschreiben zurecht, dass dabei der Versuch unternommen wird, Beziehung zwischen konkreten Personen und der Allgemeinheit (transpersonal) in Beziehungen von konkreten Personen zueinander (interpersonal) umzuwandeln, das heißt in den Worten der Autoren, der „Versuch einer Interpersonalisierung transpersonaler Beziehungen“ (M/S, S.172). Statt einer sachlichen Herrschaft, wie es der Kapitalismus ist, wird wieder eine Herrschaft von Personen über Personen eingesetzt und Entscheidungen in den Räten und Gremien haben für die Betroffenen weiterhin einen „fremden Charakter“ (M/S, S.173).
Um das zu umgehen, verzichten Meretz und Sutterlütti in der Definition ihrer Keimform auf jegliche Form der Beziehungen von Personen zu einer abstrakten Allgemeinheit und sehen den Keim einer fortschrittlichen Gesellschaft in Bedingungen, in denen es auf zwischenmenschlicher Ebene Sinn macht, die Bedürfnisse der jeweils anderen in die eigene Tätigkeit mit einzubeziehen. Sprich: „Inklusionsbedingungen auf interpersonaler Ebene“ (M/S, S.219). Zur Rechtfertigung des Ausschlusses transpersonaler Beziehungen wird die Keimform – eigentlich spezifische Beziehung, nach welcher sich eine Gesellschaft umstrukturieren soll -, nur als Stufe bzw. Niveau betrachtet: „Unsere These ist: Wenn Commons auf dem Niveau der Keimform versuchen, den Tausch und damit die Eigentumslogik im Kapitalismus teilweise zu überwinden, dann müssen sie transpersonale Beziehungen interpersonalisieren“ (M/S, S.217). Durch die Einschränkung auf Beziehungen von konkreten Personen zu konkreten Personen und die sie umgebenden Bedingungen, welche das Einbeziehen der Bedürfnisse anderer sinnvoll macht (Inklusionsbedingungen), schaffen sie es zwar die Entscheidungsfindungen der Räte und Planwirtschaft über die Köpfe der Produzierenden hinweg zu umgehen, verzichten dafür – innerhalb dieser Stufe – auf eine gesellschaftliche Vernetzung außerhalb des interpersonalen Umfeldes. Scheinbar bauen sie darauf, dass ein gesamtgesellschaftlicher Zusammenhang aus einzelnen Punkten heraus entstehen soll, an denen Menschen „verstärkt Rücksicht auf die Bedürfnisse der anderen [nehmen]“ (M/S, S.218), sie damit in „interpersonalen Zusammenhängen die exkludierende Logik des Eigentums und des Tauschs bewusst [überwinden]“ (M/S, S.219) und sich daraus eine transpersonale Gesellschaftsstruktur ergibt. Die Autoren stehen allerdings dazu, dass sie noch nicht genau wissen, wie diese transpersonalen Strukturen entstehen werden (vgl. M/S, S.224).
Diese einzelnen, isoliert voneinander existierenden Punkte sind die bestehenden Commons und hier treffen die Autoren auch mehrere Unterscheidungen: Zuerst sind da die traditionellen Commons nach Elinor Ostrom, in deren klar definierten Grenzen, unter eigens definierten Regeln und Konfliktlösungen, zwar gemeinsam gearbeitet wird, die Produzierenden aber außerhalb der Commons in Konkurrenz zueinander stehen können (vgl. M/S, S.220). Schließlich zählen Meretz und Sutterlütti Kollektiv-Projekte dazu, u.a. die Solidarische Landwirtschaft, die sich mit „besonderem Fokus auf die interpersonalen Beziehungen“ (ebd.) freiwillig und selbst-organisiert unterschiedlichen Aspekten des Alltagslebens annehmen und dabei meistens „ihren Fokus auf ihre innere Organisation“ (M/S, S.221) legen. Als letzte Commons-Form wird schließlich der „Wissenskommunismus“ (M/S, S.221) als eine in den 40er-Jahren beginnende Entwicklung beschrieben, in der Wissen frei zur Verfügung gestellt wird, damit es geprüft, kopiert, kritisiert und weiterentwickelt“ (ebd.) werden kann. Diese Form der Wissens-Commons „gehen in einen transpersonalen Vermittlungsprozess ein“ (M/S, S.222) und finden damit ihre wesentliche Qualität „in dem Erreichen der gesellschaftlichen Größenordnung“ (ebd.). Wissenskommunismus selbst funktioniert dabei selbstverständlich nur bei unbegrenzt vervielfältigbaren Ressourcen.
Während Meretz und Sutterlütti das Anwachsen des Commonings (Produktion zur Bedürfnisbefriedigung auf Basis von Freiwilligkeit und kollektiver Verfügung) und schließlich seinen Umbruch zur gesellschaftlich-bestimmenden Produktionsweise (Dominanzwechsel. M/S 223-233) untersuchen, stellen sie noch einmal fest, dass „Commoning als Keimform, bis auf den Wissenskommunismus, auf interpersonaler Ebene auftritt“ (M/S, S.223, Hervorheb. M.M.). In einem Nebensatz abstrahieren sie also von der einzigen Commons-Form mit einer transpersonalen Vermittlung, setzen ihre Perspektive rein auf die interpersonalen Beziehungen und hoffen darauf, dass sich „mit dem Funktionswechsel eine kollektive Inklusion auf Basis von interpersonalen Commoning [bildet]“ (S.224, Hervorheb. M.M.). Weiter: „Mit dem Dominanzwechsel verallgemeinert sich diese zur transpersonalen Inklusion, zur Inklusionsgesellschaft“ (ebd.).
Das verwundert etwas, da Stefan Meretz schon 2012 in seinem Artikel „Die doppelten Commons“ zur Unterscheidung zwischen den traditionellen und modernen Commons auffordert. Er schreibt hier, dass „eine universelle Vernetzbarkeit und damit gesellschaftliche Verallgemeinerbarkeit erst auf Grundlage der neuen Commons möglich [ist].“ Und weiter: „Nun erst ist es möglich, an eine commonsbasierte Aufhebung der Warenproduktion zu denken. Nebenbei gesagt widerspreche ich damit auch Vorstellungen, die von einem gleichsam beliebigen Ausstieg aus dem Kapitalismus oder von einem »Überspringen« der kapitalistischen Entwicklungsphase etwa auf Grundlage der unter feudalen Verhältnissen historisch gewachsenen Commons ausgehen. Erst die kapitalistische Entwicklung ermöglichte die Entstehung und Entfaltung der neuen Commons — technologisch wie auch sozial“ (Meretz: Die doppelten Commons. Hervorheb. M.M.).
Trotzdem bilden Meretz und Sutterlütti ihre Keimform aus einer Reflexion über die Solidarische Landwirtschaft, in welcher die Konsumierenden die Produktion mitbestimmen und die Produzierenden sich nicht an der Marktkonkurrenz messen müssen. Obwohl die Solidarische Landwirtschaft immer noch abhängig von dem Geld und dem Wohlwollen der Konsumenten ist und sie explizit auch sagen, dass „dieses Commoning jedoch nur dadurch [funktioniert], dass die Menschen in unmittelbare interpersonale Beziehungen gehen“ (M/S, S.218. Hervorheb. M.M.), wollen sie damit eine „allgemeine Logik“ (ebd.) verdeutlichen und daraus folgt ihre Keimform, aus welcher folgend eine gesellschaftlich allgemeine Struktur durch „verabredete Außerkraftsetzung der exkludierenden Wirkung des Eigentums“ (M/S, S.223) heranwachsen soll.
Dass die beiden Autoren ihre Keimform aus bestehenden Commons schließen, sehe ich als Ursache, warum sie transpersonales Commoning nicht ausreichend bestimmen können. Aus dem Grund soll der Gedanke, dass Commons lokale, in sich geschlossene und für sich wirtschaftende Gruppen sind, an dieser Stelle fallengelassen werden, um Commons später neu definieren zu können. Weiter meine ich, dass Meretz und Sutterlütti darauf hoffen, Transpersonalität würde aus ihrer Keimform ähnlich entstehen, wie sie sich im Kapitalismus aus dessen Keimform entwickelt, halte das aber, wie ich folgend aufzeigen will, für eine falsche Fährte.
2. Keimform und Vermittlung
Die Keimform des kapitalistischen Systems sehen Meretz und Sutterlütti, wie auch Marx („Der erste Blick zeigt das Unzulängliche der einfachen Wertform, dieser Keimform, die erst durch eine Reihe von Metamorphosen zur Preisform heranreift“, MEW23, S.76. Hervorheb. M.M.), im „jeweils besonderen lokalen und [von] sozialen variablen Bedingungen bestimmten Tausch“ (M/S, S.207), aus dem sich der Äquivalententausch „als gesellschaftlich allgemeine Vermittlungsform entwickelt“ (ebd.). Als Äquivalent steckt im Wert eine bestimmte Gesellschaftlichkeit, welche sich übersetzen lässt mit: Voneinander abhängige, unabhängig Produzierende. Voraussetzung für die Entstehung von Wert ist das Privateigentum. Die Dinge, die jemandem gehören, sind für diese Person Gebrauchsgegenstände, gleichgültig ob sie gerade verwendet werden oder nicht. Hat eine andere Person – Freunde und Familie ausgeschlossen – ein Interesse an einem dieser Gebrauchsgegenstände und hat die Eigentümerin ein Interesse es zu verkaufen, dann wechseln sie für ihre Eigentümerin den Charakter: Statt sich jetzt auf die Dinge als Gebrauchswerte zu beziehen, erhalten sie eine Wertform, das heißt, die Eigentümerin überlegt, was sie an Geld dafür verlangen kann. Dasselbe Ding hat aus zwei Perspektiven einen jeweils anderen Charakter: Einmal einen Gebrauchswert, einmal einen Tauschwert. Diesen Effekt nennt Marx den Doppelcharakter der Waren. Die Waren sind immer beides, aber sie sind es nie gleichzeitig (vgl. MEW23, S.63).
Die transpersonale Vermittlungsform entsteht im Kapitalismus, indem schon die einfache Wertform, d.h. der variable Tausch, dem einzelnen Ding eine abstrakte Eigenschaft zuschreibt, welche es in ihrer Entwicklung zur Geldform mit anderen Dingen auf rein quantitativer Ebene vergleichbar macht. Hierdurch wird die weltumfassende kapitalistische Organisationsform ermöglicht, aber damit entsteht auch eine Verselbstständigung der Gesellschaft und eine besondere Form der Ideologie. Um eine Gesellschaft bewusst und nach den Bedürfnissen ihrer Mitglieder organisieren zu können, dürfen die Dinge nur ihrer Nützlichkeit zur Bedürfnisbefriedigung nach betrachtet werden. In seinem Kapitel über den Warenfetisch beschreibt Marx den Verein freier Menschen und umreißt hier eine Gesellschaftsordnung, in welcher kein Wert und keine Ware entsteht:
„Das Gesamtprodukt des Vereins ist ein gesellschaftliches Produkt. Ein Teil dieses Produkts dient wieder als Produktionsmittel. Er bleibt gesellschaftlich. Aber ein anderer Teil wird als Lebensmittel von den Vereinsgliedern verzehrt. Er muß daher unter sie verteilt werden. Die Art dieser Verteilung wird wechseln mit der besondren Art des gesellschaftlichen Produktionsorganismus selbst und der entsprechenden geschichtlichen Entwicklungshöhe der Produzenten. Nur zur Parallele mit der Warenproduktion setzen wir voraus, der Anteil jedes Produzenten an den Lebensmitteln sei bestimmt durch seine Arbeitszeit. Die Arbeitszeit würde also eine doppelte Rolle spielen. Ihre gesellschaftlich planmäßige Verteilung regelt die richtige Proportion der verschiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedürfnissen. Andrerseits dient die Arbeitszeit zugleich als Maß des individuellen Anteils des Produzenten an der Gemeinarbeit und daher auch an dem individuell verzehrbaren Teil des Gemeinprodukts. Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distributions.“ (Marx, MEW23, S.93)
In der skizzierten Produktionsform entsteht kein Wert, weil die Menschen zusammen arbeiten – das heißt, nicht als unabhängigen Produzenten einander gegenübertreten –, die Produkte unter kollektiver Verfügung stehen („gesellschaftliches Produkt“) und, anstatt zu tauschen, ihre Produkte durch einen allgemein-verständlichen Schlüssel untereinander verteilen. Wie Marx hervorhebt ist der verwendete Schlüssel „Arbeitszeit“ nur beispielhaft zu verstehen. Was er aber damit andeutet ist, dass es einen gemeinsamen Bezugspunkt gibt: Um den Anteil am Gesamtprodukt durch individuelle Arbeitszeit errechnen zu können, muss die sowohl das Gesamtprodukt als auch die Gesamtarbeitszeit bekannt sein.
Über diesen gemeinsamen Bezugspunkt muss geredet werden; ob es das braucht, was das ist. Hierfür müssen wir uns ansehen, wie bei Meretz und Sutterlütti in der Inklusionsgesellschaft vermittelt wird, wenn die Basis dieser Gesellschaft Freiwilligkeit und kollektive Verfügung ist. Im Kapitel „Vermittlung durch Commoning“ (M/S, S.169- 189) ist dabei auffällig, dass interpersonale und transpersonale Vermittlung stark voneinander getrennt gedacht werden. Die Übergänge sind dabei nur angedeutet und teils widersprechen sich die beiden Formen. Etwas Gemeinsames, wie es im Kapitalismus das allgemeine Äquivalent und im Feudalismus der lokale Herrscher bzw. eine gemeingültige Herrschaftsstruktur ist, wird dabei ausgeschlossen.
Zuerst ist die Keimform „Inklusionsbedingungen auf interpersonaler Ebene“ (M/S, S.219) ganz klar interpersonal gesetzt. Zur Begründung stellen die Autoren eine These auf: „Wenn die Gesellschaft wirklich bewusst nach den Bedürfnissen der Menschen gestaltet werden soll, dann muss das durch konkrete Menschen in konkreten Beziehungen geschehen. Und konkrete Beziehungen können nur unmittelbare, interpersonale sein“ (M/S, S.172. Hervorheb. M.M.). Ein vermittelndes Etwas wird hier also ausgeschlossen. Wenn sie schließlich überlegen, wie ohne äußere Vermittlung vermittelt werden kann und sie dabei auf die Hinweise (Bedürfnisspuren) in den Mitteln selbst kommen, welche eine bestimmte Handlungsweise nahelegen, werden sie noch konkreter im Ausschluss eines gemeinsamen Etwas: „Träger der hinweisbasierten Koordination sind die materiellen, symbolischen und sozialen Mittel, die wir schaffen und erhalten. Sie sind nicht getrennt von der Vermittlung, sondern ein Teil von ihr“ (M/S, S.177. Hervorheb. M.M.) Demzufolge wird auch die Selbstzuordnung zu den Tätigkeiten weiter lokal gedacht: „Grundlage der Selbstzuordnung sind lokale Informationen […]. Kommuniziert beispielsweise das lokale Müllentsorgungs-Commons einen Bedarf nach weiteren Beitragenden, kann ich mich hier zuordnen“ (M/S, S.178, Hervorheb. M.M.).
Transpersonale Vermittlungen werden weit weniger konkret angesprochen, was in der Hinsicht Sinn ergibt, da die Autoren ja in ihrer Keimformtheorie genau in der Ausbildung des Transpersonalen steckenbleiben. Soweit wird aber gesagt, dass die transpersonale Vermittlung durch qualitativ verschiedenartige Informationen geschieht (Bandbreite, M/S, S.179). Sie grenzen sich damit von der rein quantitativen Vermittlung im Kapitalismus ab, die nur den abstrakten Wert bzw. seine Erscheinung als Preis kennt. Um die notwendige Bandbreite zu gewährleisten kann ihrer Meinung nach „das Internet einen wichtigen Beitrag leisten“ (ebd.). In diesem Kontext wird auch Selbstzuordnung nicht mehr nur lokal gedacht: „Die commonistisch-stigmergische inklusive Bedürfniskoordination muss auf Basis von qualitativen, reichhaltigen Informationen geschehen. Globale, offene Informationen erlauben es den Einzelnen, dort tätig zu werden, wo Bedürfnisse besser als anderswo befriedigt werden können. Reichhaltige Signale erlauben eine komplexe Bedürfnisvermittlung“ (M/S, S.180). Spätestens die Voraussetzung für das von Meretz aufgestellte stigmergische Gesetz (M/S, S.181), verlässt schließlich die lokale Ebene und die unmittelbaren konkreten Beziehungen: „Gibt es ausreichend Menschen und Commons, so wird sich für jede Aufgabe, die getan werden muss, auch eine Person oder ein Commons finden“ (ebd.).
Der Übergang wird vom Interpersonalen aus zum Transpersonalen gedacht. Die ersten Momente des Transpersonalen sehen sie dabei wieder in den Mitteln selbst: „Eine Inklusionslogik wirkt nicht abstrakt, sondern schreibt sich in die materiellen, symbolischen und sozialen Mittel und somit in die Bedingungen unseres Lebens ein. Das bedeutet auch, dass die Einzelnen nicht die Bedürfnisse aller anderen ständig in einem bewussten Prozess im Blick haben und inkludieren müssen – das wäre in transpersonalen Verbindungen auch gar nicht möglich“ (M/S, S.171). Aber nicht nur die Mittel, sondern auch die Strukturen sollen bei der Inklusion helfen: „Die Strukturen einer freiwilligen und kollektiv-verfügenden gesellschaftlichen Kooperation erleichtern uns nicht nur die Inklusion anderer Menschen, sondern legen sie uns auch nahe“ (M/S, S.172). Aus welcher Ebene entstehen die Strukturen und wie werden die Mittel mit den zu-befriedigenden-Bedürfnissen beschrieben? „Selbstorganisation muss auf interpersonaler wie auf transpersonaler Ebene verwirklicht sein. Auf transpersonaler Ebene ist sie jedoch keine bewusste Zwecksetzung eines weltweiten Plenums, Zentralplangremiums oder Weltrats, sondern sie ist das emergente, also sich ergebende Phänomen der interpersonalen Selbstorganisation und ihrer Vermittlung“ (M/S, S.175, Hervorheb. M.M.).
Warum soll die transpersonale Ebene keine bewusste Selbstorganisation sein, sondern sich als Phänomen ergeben? Die Antwort findet sich in einer These zu Meretz und Sutterlüttis Vorstellung einer institutionellen Allgemeinheit: „Im Commonismus wird es wohl keine zentrale Institution geben, welche Bedürfnisse vermittelt, Infrastrukturen bereitstellt oder Selbstorganisation ermöglicht“ (M/S, S.181). Wird weiterverfolgt, warum es wohl keine zentrale Institution geben soll, zeigt sich, dass Meretz und Sutterlütti unter einer Institution – ebenso wie jeder anderen äußeren Allgemeinheit – immer ein handelndes Subjekt verstehen, in welcher einzelner Menschen die Macht haben, allgemeingültige Entscheidungen zu treffen (etwa: „Eine Institution der getrennten Allgemeinheit muss ihre Entscheidungen für allgemein richtig erachten“ [M/S, S.186] oder „die Institution [kann] niemanden zur Tätigkeit zwingen“ [M/S, S.187], etc.) Auf dieser Basis erteilen sie schließlich einer „allgemeinen Institution“ (ebd.) und ebenso einer „Zentralität der gesellschaftlichen Organisation“ (ebd.) eine Absage. Für sie stellt sich „Allgemeinheit nicht in einer getrennten Institution her, sondern ist das Produkt vieler dezentraler Entscheidungen und Handlungen oder, was das gleiche ist: das Produkt der Entscheidungen polyzentraler Institutionen und der Vielheit der Commons“ (ebd.).
Die Entscheidung gegen eine gemeinsame Instanz fällt also nur aus dem Grund, weil Meretz und Sutterlütti diese immer als personelle Institution denken und dabei immer als getrennte Einrichtung gegenüber anderen. Um das zu vermeiden, nehmen sie in Kauf, dass die transpersonale Ebene eben keine bewusste Selbstorganisation sein kann. Das können sie allerdings nur in Kauf nehmen, weil sie auf ein Phänomen hoffen, durch welches „Inklusionsbedingungen – wie im Kapitalismus die Exklusionsbedingungen – konkret im Alltagshandeln der Menschen durch die Mittel hindurch [wirken]“ (M/S, S.171). Meiner Ansicht nach überschätzen hier die Autoren, wie die Logik der kapitalistischen Gesellschaft sich als Handlungsaufforderungen in die Mittel schreibt (vgl. M/S, S.169) und unterschätzen die durch den Wert entstehende Organisationsmöglichkeit im Kapitalismus, in dem jedes Ding quantisiert und als bestimmte Zahlengröße miteinander vergleichbar wird. Das allgemeine Äquivalent ermöglicht erst diese spezifische transpersonale Vermittlung. Es entsteht durch die Getrenntheit der Dinge als Privateigentum, durch ihre Kopplung an eine Person: „Die Waren können nicht selbst zu Markte gehn und sich nicht selbst austauschen“ (MEW23, S.99). Bei kollektiver Verfügung dagegen entsteht nichts Wertähnliches und darf nicht entstehen: Durch den abstrakten Charakter im Kapitalismus entsteht eine Ideologie, in welcher die gesellschaftliche Organisation als Ganzes grundlegend falsch begriffen wird, dieser Trugschluss allerdings Teil der Normalität ist.
Wenn es nicht abstrakt sein darf und trotzdem eine transpersonale Vermittlung hervorbringen soll, dann muss es konstruiert werden. Was also wissen wir bisher über dieses Gemeinsame? Dieses Gemeinsame soll Selbstorganisation zur Bedürfnisbefriedigung ermöglichen, wenn die Befriedigung von Bedürfnissen innerhalb lokaler, der jeweiligen Person bekannten, Strukturen nicht möglich ist. Diese zu befriedigenden Bedürfnisse müssen daher allgemein einsehbar werden. Innerhalb der Vermittlungsform dürfen durch einzelne Personen keine allgemeingültigen Entscheidungen getroffen werden. Ebenfalls darf die Vermittlungsform kein Potential haben, sich gegenüber der Menschen selbst zu verselbstständigen. Sie muss global und transparent sein. Sie muss eine allgemeingültige Zwecksetzung der Produktions- und Lebensmittel, sowie eine Diskussion darüber, ermöglichen. Die Vermittlungsform muss daher zentral sein; dasselbe Ding darf nicht zur selben Zeit unterschiedliche Bestimmungen haben. Kurz gesagt wird eine zentrale Instanz zur Selbstorganisation und zur Zwecksetzung gesellschaftlicher Mittel benötigt.
(Weiter zum zweiten Teil. Überblick zum gesamten Text)
„Denn das Ziel muss eine einzige Theorie der Transformation sein, auf die
sich gemeinsam berufen werden kann und die noch der heftigsten Kritik
standhält.“
Meinst Du, geschichtliche Übergänge geschehen nach Maßgbe einer Theorie, und noch dazu einer einzigen? Müssen vorher alle Menschen davon überzeugt werden und wenn ja, wie?
Ich finde es gut, dass Du Dich für „das Gemeinsame“ stark machst, damit es nicht in der Summe der Einzelbeziehungen verloren geht. Was jedoch meinst Du damit, dass die Vermittlungsform „zentral“ sein müsse?
So ganz verstehe ich den Halbsatz nicht, den Du wohl als Begründung meinst: „dasselbe Ding darf nicht zur selben Zeit unterschiedliche Bestimmungen haben“. Meinst du so was, dass ein Produktionsmittel nicht zur selben Zeit für unterschiedliche Zwecke genutzt werden kann?
@Annette. Zu #2: Ich meine, dass kollektive Verfügung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene eine allgemeingültige Zwecksetzung einzelner Dinge voraussetzt. Wenn eine Produktionsmaschine zum Verwendungszweck A eingesetzt wird, kann sie nicht gleichzeitig zum Verwendungszweck B eingesetzt werden. Wenn auf dem Acker gerade Kartoffeln angebaut werden, kann auf demselben Acker zur selben Zeit kein Musikfestival stattfinden. Das heißt nicht, wenn ein Zweck einmal gesetzt wurde, dass er auch so bleiben muss (eine Diskussion darüber ist weiterhin möglich, ein Konflikt darum kann prinzipiell ja immer entstehen), aber es muss für prinzipiell jede*n ersichtlich sein, für was ein Ding (Mittel) gerade verwendet wird, das unter kollektiver Verfügung steht.
Zu #1: Ich meine, dass es mit den bestehenden Commons nicht möglich ist, Commoning gesellschaftlich zu verallgemeinern. Da kollektive Verfügung meiner Ansicht nach Allgemeingültigkeit vorraussetzt (siehe #1), braucht es auch etwas Gemeinsames, das ich als die „zentrale Instanz zur Selbstorganisation und Zwecksetzung der Mittel“ bezeichne. Da so etwas aber nicht irgendwie entsteht, sondern einen bewussten Konstruktionsprozess voraussetzt, muss sich darüber einig sein, was das ist und auf welche Weise es angewendet werden kann.Um sich über so etwas einig zu werden, muss seine Funktion wirklich verstanden werden und müssen mögliche Probleme erarbeitet und diskutiert werden. Wenn zur Funktion der Instanz selbst keine Einigkeit herrscht – von denjenigen, die mit seiner Herstellung und Erhaltung zu tun haben (also nicht etwa „von allen Menschen“) – sehe ich keine Möglichkeit, ihre technische Entwicklung und ihre gesellschaftliche Etablierung voranzubringen.
Aber zugegeben: Der Satz bringt das nicht richtig rüber bzw. schwingt da auch etwas eklig totalitäres mit, das so nicht gemeint war. Wenn ich den gesamten Text als pdf veröffentliche, werde ich das wohl noch ausbessern. Danke dafür
„Denn das Ziel muss eine einzige Theorie der Transformation sein, auf die
sich gemeinsam berufen werden kann und die noch der heftigsten Kritik
standhält.“
@Benni: Das mit dem ersten Satz stimmt. Gefallen hat er mir nie richtig, aber bei dem Textvolumen hat er es wohl standhaft den Revisionen standgehalten und für mich hat er sich im Verlauf auch auf eine gemeinsame „Funktion“ bezogen – was er aber in der Form selbstverständlich nicht ausdrückt. Da ich nicht dahinter stehe und natürlich keinesfalls möchte, das deswegen aufgehört wird zu lesen, werde ich ihn hier schon herausnehmen. Danke fürs nachhaken.
Das mit der Räterepublik halte ich dagegen für unproblematisch. Heute dieser Vorstellung aus dem 19. Jahrhundert anzuhängen, welche sich auf eine Gesellschaftsstruktur aus 90% Bauern und einer Industrie bezog, die kaum über das Handwerk hinausging, ist mehr als nur „nicht mehr zeitgemäß“. Der Versuch unsere heutige Gesellschaft wieder in lokale Einheiten zu teilen und Kommunikation über Ratsvertreter stattfinden zu lassen, ist in Zeiten des Internets und einer global-vernetzen Produktion nicht nur absurd, sondern in seiner Realisierung gewalttätig. Selbst wenn es einst eine gute Idee war, trägt sie heute – durch den Fortschritt der kapitalistischen Gesellschaft – diese unwahrscheinliche Gewalt in sich und muss entsprechend verurteilt werden, damit diese Gewalt keine Wirklichkeit wird.
@Marcus Meindel
Wieso sollte eine Regionalisierung der Produktion, vor allem der Grundversorgung, „gewaltätig“ und „reaktionär“ sein?
An rätedemokratische Konzeptionen lässt sich vieles kritisieren, aber ein bloßer Verweis auf „nicht mehr zeitgemäß“ weil vor 100 Jahren noch weniger Industrie gegeben war ist ein schwaches Argument. Rätebewegungen gab es übrigens auch 1956 in Ungarn und 1968 während des Prager Frühlings. Die Bürgerforen und Runden Tische 1989 stellen ähnliche Strukturen dar.
Es geht doch darum eine Subsidiarität herzustellen die eine (relative) Überschaubarkeit schafft (das „menschliche Maß“), ohne die eine Entscheidung und Koordination der anfallenden Sachverhalte durch die Beteiligten gar nicht machbar ist. Jedenfalls nicht, wenn sich bestimmte Institutionen nicht wieder verselbstständigen sollen.
Das Problem liegt ja heute vielfach darin, dass eine Hyperkomplexität vorherrscht, die auch in einer nachkapitalistischen Gesellschaft gar nicht durchsichtig und nachhaltig bewirtschaftbar wäre. Es gibt halt sowas wie das „Gesetz der optimalen Komplexität“ (Beat Ringger), und dieses Optimum dürfte überschritten sein.
Weshalb eine Regionalisierung – jedenfalls soweit wie möglich – einer transregionalen und globalen Vernetzung widersprechen sollte, erschließt sich mir nicht. Sie ist nach meinem Dafürhalten bereits aus ökologischer Sicht eine Notwendigkeit.
Die restlichen Ausführungen die annehmen es ließe sich eine Vergesellschaftung ohne Repräsentation und vollständig ohne Märkte denken, halte ich, wie es Christian Siefkes schonmal formulierte, für zu einfach gedacht und hoch problematisch.
@Perikles: Das Vorhandensein einer Bewegung sagt ja noch nichts darüber aus, ob die Idee funktioniert oder nicht. Und eine „Regionalisierung der Produktion“ setzt ja meiner Auffassung nach einen Plan voraus, den sich die Produzierenden zu fügen haben. Während das bei Brot noch ganz nett denkbar ist, wird eine Regionalisierung eben in den allermeisten anderen Branchen brutal. In den Produktionen, in denen ich gearbeitet habe, wurde immer für Unternehmen produziert, die sich nicht in unmittelbarer Nähe befunden haben und es waren auch nie Produkte, die als Ganzes an einem Standort gefertigt wurden. Das müsste alles von oben umstrukturiert werden (und dabei vorausgesetzt werden, dass die Leute Bock darauf haben) – Das so eine Umstrukturierung von unten passieren kann, sehe ich nicht. Wenn, dann von Ratsvertretern, aber hier landen wir sofort wieder bei der Aussage von Simon und Stefan, dass die Entscheidungen für die Betroffenen einen „fremden Charakter“ haben.
Aus der selben (Plan-) Vorstellung kommt ja auch das „Gesetz der optimalen Komplexität“, soweit ich das jetzt auf reclaim-democracy richtig gelesen habe. In den Rechnungen werden Menschen derart zu Variablen degradiert, dass ich schon beim Lesen klaustrophobische Anfälle bekomme.
Die Kritik von Christian kenne und schätze ich. Aber dieser Text hier ist geschrieben worden, um das Prinzip des Commonings gesamtgesellschaftlich denken zu können. Wenn du willst, können wir uns im dritten Teil weiter darüber unterhalten.
@Marcus Meindel
Ok, womöglich sollten wir das dann verstärkt in Teil 3 diskutieren, sofern Interesse besteht. Nur soviel: Wenn von Regionalisierung die Rede ist, dann ist damit primär eine Binnen- statt Export-Orientierung der Wirtschaft gemeint, und dass die Städte und Gemeinden die öffentliche Daseinsvorsorge sowie einige handwerkliche Herstellung und Reparaturtätigkeiten übernehmen.
Größere industrielle Stoffverarbeitung kann natürlich nicht auf kommunaler Ebene stattfinden, sondern bedarf größerer regionaler Zusammenhänge in der Größenordnung von Großregionen (z.B. ca. 10 bis 15 Millionen Einwohner/innen) wenn die Verarbeitung effizient vonstatten gehen soll (und einige ökologische Kriterien sind ja auch nur drin, wenn nicht tonnenweise Grundstoffe erst in der Kommune verarbeitet werden sollen).
Ich behaupte, eine solche Form der weitestmöglichen (!) Regionalisierung (bei der es eben nicht (!) darum gehen kann Stahl in Hinterhöfen zu verhütten, da bin ich ganz bei dir) wäre m.M.n. durch einen transregionalen Verbund der Kommunen und Zweckverbünde durchaus organisierbar. Dadurch sind zentralere/integralere Lösungen machbar ohne eine Zentralverwaltungswirtschaft voraussetzen zu müssen.
Die genaue Skalierung der Produktionszweige kann natürlich nicht am Reißbrett entworfen werden, aber die Tendenz sollte klar sein. Weiterführende Fragen und Ansätze wurden von Meinhard Creydt aufgeworfen, dessen Kritik aber nicht im Widerspruch zur Perspektive der Regionalisierung steht, da dieser ebenfalls eine Binnenorientierung für eine naturschonende Produktion in einer nachkapitalistischen Gesellschaft voraussetzt (seine Punkte, siehe hier: http://www.meinhard-creydt.de/cms/wp-content/uploads/2018/07/creydtrundbriefdiskantwort1.pdf)
@ Perikles: Erst einmal vielen Dank für diesen wunderschönen Text von Meinhard Creydt. Meine sowieso schon hohe Meinung von ihm ist noch einmal deutlich gewachsen und in naher Zukunft werde ich doch mal etwas Geld für eines seiner Bücher auf den Tisch legen.
Ich glaube, Meinhard C. hat schon alles gesagt und alles dabei besser gesagt, als ich zu dem Thema sagen könnte und da ich ja weiß, dass du den Text genauso kennst, würden wir uns sehr bald im Kreis drehen. Ich meine auch eine grobe Vorstellung zu haben, was du mit deinen Beschreibungen meinst und denke, dass sich darüber eine Diskussion auch lohnen würde – wenn ich auch gleichzeitig bei meinem Standpunkt bleibe, dass durch eine solche Struktur das Individuum für einen höheren Zweck in seinen Handlungsmöglichkeiten beschnitten wird und ihm, selbst im Idealfall einer solchen Struktur, damit Gewalt angetan wird, die eigentlich nicht mehr notwendig ist; und das eben durch bestimmte Qualitäten, die im Verlauf der kapitalistischen Entwicklung entstanden sind. Aber das kann ich auch nur sagen, weil ich mich auf die allgemeine Produktionslogik zur Bedürfnisbefriedigung stütze, die ich im dritten Teil näher ausführe und mit der ich im vierten und fünften Teil versuche eine Transformation zu denken.
Also wenn du dafür motiviert bist/ Interesse daran hast: Ich wäre sehr gespannt, dort deine Meinung dazu zu hören.
Marcus, du schreibst: „selbst im Idealfall einer solchen Struktur, damit Gewalt angetan wird,
die eigentlich nicht mehr notwendig ist; und das eben durch bestimmte
Qualitäten, die im Verlauf der kapitalistischen Entwicklung entstanden
sind.“
Man könnte ebenso sagen die derzeitige Globalisierung tut Natur und Mensch Gewalt an, da sie die Klmaerwärmung und Naturzerstörung befeuert und durch so genannte „globale Arbeitsteilung“ und Monokulturen regionale Selbstversorgung zerstört.
Ich kann nur abermals betonen, dass es ganz klar einer „Abrüstung des Weltmarktes“ (Creydt) und einer damit einhergehenden Regionalisierung bedarf wenn man die genannten Probleme wirklich aus der Welt schaffen will. Das erfordert logischerweise eine kritische Auseinandersetzung mit dem heutigen (Status-)Konsum und dessen für selbstverständlich gehaltenes Billig- und Massenniveau. Was, wie bereits ausgeführt, nicht mit kleinteilig-autarker Klitschenproduktion verwechselt werden darf.
Voll. Das ist die reine Gewalt und das ist ja der wesentliche Grund, warum wir wohl alle hier sind. Aber für den einzelnen Menschen liegt innerhalb dieser zerstörerischen Bewegung die bürgerliche Freiheit – die scheinbare Abwesenheit von Gewalt und Zwängen. Beziehungsweise scheint die Gewalt, die es gibt, unabhängig von der wirtschaftlichen Struktur selbst zu sein, wenn gleich sie auch ihre erste Ursache ist. Das ist ja die ganze Verrücktheit am Kapitalismus.Aber ich meine, dass eine Produktionsweise (und damit auch Gesellschaft) möglich ist, in der Menschen keine Schranken gesetzt bekommen und trotzdem keine verselbstständigte Gewalt entsteht. Und der inneren Logik dieser Gesellschaft, sprich Produktionsweise, wollte ich mich mit diesem Text annähern.
https://www.deutschlandfunk.de/energiebilanz-bei-lebensmitteln.697.de.html?dram:article_id=72844