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Queer-feministische Ökonomiekritik und Degrowth

care-revolution[Bisher erschienen: Einleitung [1], Teil 1 [2], Teil 2 [3]]

3. Wie ist das Verhältnis zwischen der Queer-Feministischen Ökonomiekritik und Degrowth?

Gemeinsam können wir die Bedürfnisbefriedigung von Menschen ins Zentrum und Natürlichkeiten in Frage stellen

Ein gemeinsames Ziel von Degrowh und queer-feministischer Ökonomiekritik ist die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise. Vom Standpunkt queer-feministischer Ökonomiekritik ist es begrüßenswert, wenn die Bedürfnisbefriedigung aller Menschen ins Zentrum einer Bewegung gesetzt wird. Da auch die Degrowth-Bewegung festgestellt hat, dass dies unter aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen nicht gelingen kann, ist die Kritik an eben diesen Bedingungen naheliegend. Eine weitere Parallele folgt aus der geteilten Einsicht, dass Alltagspraktiken über das Bestehende hinausreichen sollten. So wird in queer-feministischen Kreisen ausprobiert, kollektiv zu wirtschaften, Sorgearbeit jenseits der Kleinfamilie zu verteilen und in Wohnprojekten zu leben. Außerdem teilen wir die Annahme, dass Historisieren sinnvoll ist, also deutlich zu machen, dass bestehende Ordnungen nicht natürlich sind: Sie können verändert werden. Wirtschaftswachstum und ein an Profit orientiertes Wirtschaftssystem ist ebenso wenig naturnotwendig wie eine Aufteilung in genau zwei Geschlechter, die zudem gegensätzliche Charaktereigenschaften haben sollen. Heterosexuelles Begehren ist genauso wenig naturgegeben wie die Notwendigkeit, Menschen in Konkurrenz zueinander zu setzen.

Skeptisch sind wir folglich gegenüber Stimmen in der Degrowth-Bewegung, die die angebliche Natürlichkeit bestimmter Produktionsweisen oder eines gewissen Konsumverhaltens betonen. Eine „Rückbesinnung auf Lebensstile früherer Generationen“ (Eversberg; Schmelzer 2015) kann kein Ziel sein. Es gibt keinen natürlichen Ursprungszustand, zu dem Menschen zurückkehren könnten. Und wir hätten auch gar kein Interesse daran, denn frühere Lebensstile waren stark geprägt von Herrschaftsverhältnissen. Zwar schätzen wir es, dass die Degrowth-Bewegung Aspekte des Bewahrens politisiert – Stichwort Umweltschutz. Wir denken allerdings, dass sich eine Politik mit dem Ziel des Bewahrens oder auch Zurückkehrens (zum Beispiel zu mehr Wäldern oder unbebauten Flächen) sehr viel sinnvoller mit der Perspektive einer Zukunft, in der anders produziert und gelebt wird, begründen lässt als mit einer verklärten Vergangenheit. Wir teilen die Kritik am Wachstum, so wie es im Kapitalismus funktioniert. Eine generelle Kritik am Wachstum teilen wir hingegen nicht: Denn Care- oder Sorgearbeit kann durchaus wachsen, in einem Maße, dass alle Care-Bedürfnisse befriedigt werden.

Die queer-feministische Ökonomiekritik kommt aus dem Feminismus, aus marxistischer und feministischer Theorie, aus queerem Widerstand gegen Diskriminierung. Sie hat dazugelernt und tut dies bis heute dadurch, dass immer wieder auf Ausschlüsse innerhalb der Bewegung aufmerksam gemacht wurde. Die Frauenbewegung hat Frauen* marginalisiert; wie andere Bewegungen war auch sie nicht homogen und von Macht- und Dominanzstrukturen geprägt. Deshalb ist uns der inkludierende Ansatz, den Degrowth verfolgt, sympathisch.

Hinsichtlich des Grundkonsenses von Degrowth, wie er auf Grundlage einer Befragung von Degrowth-Aktivist*innen formuliert wurde, lohnt ein genauerer Blick:

Wachstum ohne Naturzerstörung ist eine Illusion, daher wird in den Industrieländern Schrumpfung notwendig sein. Das bedeutet auch, dass wir auf Annehmlichkeiten werden verzichten müssen, an die wir uns gewöhnt haben. Die notwendige Transformation zu einer Postwachstumsgesellschaft muss friedlich sein und von unten kommen, sie läuft auf die Überwindung des Kapitalismus hinaus, und weibliche Emanzipation muss dabei ein zentrales Thema sein. (Eversberg; Schmelzer 2015)

Das Ergebnis der Studie zeigt also, dass viele Aktive in der Degrowth-Bewegung Geschlecht als Kategorie wichtig nehmen. Der Bezug auf „weibliche Emanzipation“ lässt jedoch offen, wie und mit welchen Zielen die Auseinandersetzung mit Geschlecht als Herrschaftskategorie stattfinden soll. Es bleibt unklar, was mit „weiblicher Emanzipation“ gemeint ist. Die Bedeutungen, die diese Formulierung nahelegen kann, kritisieren wir zudem: Zum einen reproduziert „weibliche Emanzipation“ die Dichotomie männlich – weiblich. Zum anderen klingt die Vorstellung an, es gäbe bereits einen freien Menschen, nämlich den Mann, und um ebenso frei zu werden, müssten Frauen sich „männlichen“ Verhaltens- und Lebensweisen angleichen. Vielleicht ist dies auch nur ein Missverständnis, wir wollen aber deutlich machen, dass Männlichkeit kein Idealbild ist und dass auch Männer sich von männlicher Herrschaft, also einem hierarchischen Verhältnis zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit, emanzipieren wollen sollten.

Den kulturellen Wandel, den Degrowth-Aktivist*innen stark machen, finden wir erstrebenswert, denn auch aus queer-feministischer Perspektive sind Veränderungen symbolischer Ordnungen sinnvoll. Es gilt zu hinterfragen, welche Ideen über die Welt hegemonial sind und angeblich alternativloses Handeln nach sich ziehen. Es darf aber nicht (nur) um einen kulturellen Wandel gehen, sondern um einen Wandel der Reproduktion und Produktion, der die materiellen Grundlagen der Gesellschaftsstruktur – die Kontrolle über Produktionsmittel – verändert. Deshalb sind wir in Bezug auf die Frage, wie friedlich eine Bewegung sein sollte, skeptisch. Gesellschaftliche Veränderungen wurden bisher immer erkämpft und dies nicht nur durch bessere Argumente; die Machtfrage muss gestellt werden. Wie friedlich bleiben Besitzende, wenn ihnen Kapital und Privateigentum streitig gemacht werden?