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High-Tech Subsistenz oder Smart Capitalism?

contraste-titel [1][Artikel aus CONTRASTE Nr. 364, Januar 2015 [2]]

Technik für eine zukunftsfähige Gesellschaft

Neue, leistbare und relativ einfach bedienbare Produktionsmaschinen sind Wegbereiter für eine neue, selbstbestimmte Produktionsweise. Sie sind Werkzeuge der Selbstermächtigung, möglicherweise sogar zur Überwindung des Kapitalismus – sagen die Einen. Neue Technologien machen noch keine neue Gesellschaft, sie seien auch aus ökologischer Sicht nicht zukunftsfähig, meinen die Anderen und befürchten eine Überdeterminierung der Gesellschaft durch Technik, bis hin zur Gefahr des Technofaschismus. Diese selbstorganisierten Produktionsformen seien überdies leicht ins kapitalistische System integrierbar, führten zu einer Art »smart capitalism«, meinen die Dritten. Differenzierte Betrachtung tut not. Wo liegen die Potenziale der neuen Technologien und wie können sie gehoben werden?

Um zu einer differenzierten Auseinandersetzung darüber zu kommen, müssten drei »Schutthaufen« im Denken beseitigt werden, meint Niels Boeing, Wissenschaftsjournalist und Mitbegründer des Hamburger Fab Lab. Diese drei Schutthaufen sind erstens die Ansicht, Technik sei etwas für Spezialisten und habe mit Gesellschaftspolitik nichts zu tun, zweitens die Sichtweise, Technik sei neutral, und drittens die Annahme, jede Technik sei grundsätzlich eine Vergewaltigung der Natur. Alle diese Annahmen finden sich auch in linken Zusammenhängen, deshalb treffen in den Diskussionen über Alternativen zum Kapitalismus oft unreflektierte Technik- und Fortschrittsgläubigkeit auf der einen und eine – oft ebenso unreflektierte – grundsätzliche Technikskepsis auf der anderen Seite aufeinander.

Da Menschen immer Werkzeuge verwendet haben gilt Technik als ein Grundprinzip der menschlichen Weltaneignung. Weil Technik nicht nur die Werkzeuge und Maschinen, sondern auch die sozialen Umstände ihrer Entstehung und Anwendung umfasst, ist sie aber gerade nicht neutral und ahistorisch. Und, so Boeing, jede Technik ist rekursiv, sie gibt auch Antworten auf Fragen, die sie selbst erst aufgeworfen hat. Sie befriedigt Bedürfnisse, die sie selbst erst hervorgebracht hat. Aus dieser Rekursivität musste sich jedoch nicht zwangsläufig der zerstörerische Kreislauf entwickeln, den wir heute erleben. Dieser sei vielmehr eine Folge der kapitalistischen Produktionsweise. Wir könnten uns jedoch die Technik aneignen und vom Kapitalismus ablösen.

Jede angewendete Technik formt soziale Beziehungen auf eine spezifische Art und Weise und kann Herrschaftsformen begründen, aber auch Herrschaftsverhältnisse umstoßen. Wenn nun in den letzten Jahrzehnten technische Entwicklungen passiert sind, die die Produktionsweise grundlegend verändern, so bleibt das nicht ohne Auswirkungen auf die Produktionsverhältnisse, aber auch auf die Möglichkeiten emanzipatorischer Technikaneignung. Während auf industrieller Ebene diese Technologien durchaus auch kapitalistisch verwertbar sind, eröffnet die Existenz von Fertigungsmaschinen, die relativ billig erworben oder sogar selbst hergestellt werden können, deren Bedienung leicht erlernt werden kann und die vielen Menschen zugänglich sind, neue Möglichkeiten autonomer, selbstbestimmter Produktion. 3-D-Drucker, Lasercutter und computergesteuerte spanabhebende Maschinen gaben einer neuen Welle der Do-it-Yourself-Bewegung Auftrieb, die immer mehr zu einer Do-it-Together Bewegung wird.

Wie es begann

Den Anfang machten Hack Labs, die aus der Hausbesetzer- und Freien-Medien-Szene entstanden, weil die einen Internet und Medien brauchten, und die anderen auch physische Räume, um sich zu treffen. Hack Labs stehen in einer links-autonomen, anarchistischen Tradition und nahmen ihren Ausgangspunkt in Südeuropa, vor allem Italien und Spanien, und dort häufig in »centri sociali«, in offenen Räumen, gemeinsam mit anderen selbstverwalteten Projekten. Hacker Spaces gingen aus der Freien Software Bewegung hervor und richteten ihren Fokus auf freien Zugang zu Wissen und Informationen. Auch sie haben einen eher anarchistischen Hintergrund. Beiden geht es darum, Technologien zu verstehen und für bestimmte Ziele nutzbar und veränderbar zu machen, am besten gemeinsam, also der Idee eines Kollektives oder einer Kooperative folgend, in der die vorhandenen Produktionsmittel miteinander geteilt werden.

Ging es in den Hack Labs und Hacker Spaces anfangs eher um den Zugang zu Computern, Software und dem Internet und die Aneignung von Informationen und Infrastruktur, so steht heute auch in fast jedem Hacker Space ein 3-D-Drucker. Mit den leistbaren Fabrikationstechnologien ist die Open Source Hardware und Open Design Bewegung entstanden, die die Freiheiten des virtuellen Bereichs nun auch auf die stoffliche Produktion ausdehnt.

Vor diesem Hintergrund sind schließlich die Fab Labs entstanden, als offene Werkstätten, in denen eben diese computergesteuerten Hochtechnologiegeräte möglichst vielen Menschen zugänglich gemacht werden sollen. Neil Gershenfeld meint, dass dort die digitale Kultur mit dem Produktionsbereich zusammengeführt werde, was einer Rückkehr zu einer Zeit vor der Massenproduktion gleichkomme, zu der »Kunst noch nicht vom Handwerk getrennt war«. Menschen sollen die Möglichkeit bekommen, Dinge für ihren Eigenbedarf selbst herzustellen und dadurch wirtschaftlich unabhängiger werden, mehr Freiheit durch Subsistenz entwickeln.

Organisation und Vernetzung

Die wesentlichen Merkmale eines Fab Lab wurden von der Fab Lab Association in der Fab Charter niedergeschrieben. Dazu gehören der freie Zugang zu den Maschinen, die gegenseitige Unterstützung bei ihrer Verwendung und dass alle entworfenen Produkte über Internetplattformen, wie etwa Thingiverse, mit einer Open Hardware Lizenz frei verfügbar gemacht werden. Die Verpflichtung zur Einhaltung der Fab Charter und eine entsprechende Mindestausstattung an Maschinen sind auch die Voraussetzung dafür, den Namen Fab Lab verwenden zu dürfen. Wichtig ist die internationale Vernetzung, die deutschen Fab Labs sind als Mitglieder im Verbund offener Werkstätten auch mit anderen Werkstätten in Deutschland vernetzt.

Hacker Spaces und Hack Labs sind immer »von Hackern für Hacker« nicht hierarchisch organisiert und die Verwendung der Namen nicht reglementiert, während Fab Labs, schon rein auf Grund der Zugehörigkeit zu einem Verbund und bestimmten Mindestanforderungen oft ein wenig mehr Struktur aufweisen, jedoch durchaus noch meist als selbstorganisiert gelten können. Größere Fab Labs sind allerdings manchmal an Universitäten angegliedert oder von Unternehmen (mit-)finaziert. Sie setzen sich dem Vorwurf aus, es ginge ihnen nur darum, Innovation innerhalb des Systems voranzutreiben. In solchen Fällen ist natürlich die Gefahr der Vereinnahmung auch am größten. Solange aber die Prinzipien der Fab Charter, wie der offene Zugang für alle und die freie Weitergabe der Baupläne, eingehalten werden, schließt das eine selbstbestimmte und emanzipatorische Nutzung der Einrichtungen durch andere Menschen nicht aus.

Die gegenseitigen Wahrnehmungen, in den Fab Labs träfen sich die kreativen Unternehmer und Forscher, in den Hack Labs die Anarchisten und in den Hackerspaces die Nerds, denen es nur um High Tech als Selbstzweck ginge, sind wohl nicht ganz falsch, aber kaum je in der Reinform anzutreffen. Die Realität ist vielfältiger. So hatte etwa das Hamburger Fab Lab seinen ersten Standort im Bernd Nocht Quartier, um die Bürgerinitiative NoBNQ zu unterstützen, ist jetzt im Centro Sociale im Caro Viertel angesiedelt und Kapitalismuskritik ist dort möglicherweise präsenter als in manchem Hackerspace, wo es in erster Linie um Technikaneignung und Wissensbefreiung geht, ohne viele Gedanken an gesellschaftspolitische Fragen zu verschwenden.

Wem nützt die Technik?

Ivan Illich hat in seinem Buch »Tools for Convivality« (Werkzeuge für eine konviviale Gesellschaft) die These aufgestellt, dass jedes Werkzeug, das eine Gesellschaft entwickelt, erst einmal bestimmte Probleme löst, also positive Wirkungen hat. Mit der Zeit jedoch entwickeln Werkzeuge eine Eigendynamik, die sich schließlich gegen die Menschen wendet, und sie ihrer Logik unterwirft. Jenen Kipppunkt auszumachen, an dem die Wirkung eines Werkzeuges ins Negative umschlägt, und die weitere Verbreitung dieses Werkzeuges einzustellen, das war die Idee, die Illich in den 1970er Jahren als politisches Konzept vorgeschlagen hat. Der Titel der deutschen Übersetzung seines Buches »Selbstbegrenzung« weist darauf hin: es geht nicht um individuelle Einschränkung, sondern um eine demokratisch-gesellschaftliche Begrenzung der Wirkungsmacht von Werkzeugen.

Eine konviviale Gesellschaft, so Illich »entstünde auf der Grundlage gesellschaftlicher Regelungen, die dem einzelnen den umfassenden und freien Zugang zu den Werkzeugen gewährleisten und diese Freiheit nur um der gleichen Freiheit eines anderen willen einschränken können«. Konvivialität drückt sich nach Illich nicht nur in selbstbestimmter Nutzung aus, sondern auch darin, ob die Werkzeuge soziale Beziehugen verstärken, zur Kommunikation und Kooperation anregen oder ihre Produktion sozial und ökologisch nachhaltig ist. Im Vorwort zur deutschen Esrtausgabe 1998 schrieb Illich, er glaube nicht mehr an diese Möglichkeit der Selbstbegrenzung, der Zug sei längst abgefahren. Ist es heute möglich, diese Idee wieder aufzunehmen? Ist vielleicht das Konzept der Konvivialität geeignet, das emanzipatorische Potenzial dieser neuen Technologien abzuschätzen?

Auf Open Hardware Plattformen finden sich diesbezüglich ermutigende Ergebnisse. Es werden dort unter anderem landwirtschaftliche Maschinen, Energieanlagen und sogar Prothesen entwickelt, wobei Menschen aus den Ländern des globalen Südens daran rege beteiligt sind. Ihre spezifischen Bedürfnisse und die dort verfügbaren Ressourcen gehen unmittelbar in den Design-Prozess ein. Das unterscheidet sich von den üblichen Praktiken des Technologietransfers von Nord nach Süd, weil Geräte entstehen, die die Menschen dort selbst, mit ihren Ressourcen und nach ihren Bedürfnissen bauen können. Auch die ersten Fab Labs nach Boston entstanden nicht etwa in reichen Industrieländern sondern in Costa Rica, China, Indien und Ghana. Und während bei uns oft mehr oder weniger seltsame Plastikfiguren die 3-D-Drucker verlassen, sind es dort durchaus nützliche Alltagsgegenstände oder Ersatzteile.

Offene Fragen

Ob es im emanzipatorischen Sinn tatsächlich das Gleiche ist, wenn man einem Computer den Befehl erteilen kann, bestimmte Dinge herzustellen, als wenn man die Fertigkeiten hat, sich selbst mit Holz, Stein, Lehm und anderen Werkstoffen auseinanderzusetzen, ist sicher ein offene Frage.

Wie sehr diese neuen Produktionsweisen vom kapitalistischen System vereinnahmt werden können, ebenso. Diese Bedrohung trifft allerdings auch alle anderen Alternativen. Dagegen hilft nur, die eigene Praxis immer wieder zu reflektieren. In welche Richtung die Entwicklung gehen wird, hängt meiner Meinung nach davon ab, ob es gelingt, die Ressourcenfrage zu lösen und ob diese neuen Bewegungen es schaffen, sich mit anderen DIY Kulturen zu verbinden. In Deutschland leistet die Anstiftung Ertomis diesbezüglich wertvolle Vermittlungsarbeit, indem sie Gemeinschaftsgärten und offene Werkstätten unterstützt, die Kooperation zwischen beiden fördert und deren Bedeutung für eine soziale und ökologisch zukunftsfähige Gesellschaft erforscht.

Literatur und Links

Boeing, Niels (2012): Rip, Mix & Fabricate. In: Wespennest Nr. 162, Wien

Illich, Ivan (20112): Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik. Beck’sche Reihe.

Kratzwald, Brigitte (2014): Das Ganze des Lebens. Selbstorganisation zwischen Lust und Notwendigkeit. Ulrike Helmer Verlag

Maxigas: Hacklabs and Hackerspaces – Tracing Two Genealogies. In: Journal of Peer-Production, 2. Ausgabe: peerproduction.net/issues/issue-2/peer-reviewed-papers/hacklabs-and-hackerspaces/ [3]

Walter-Herrmann, Julia / Büching, Corinne (Hg) (2013): FabLab. Of Machines, Makers and Inventors. transcript Verlag

Fab Lab association: www.fablabinternational.org/de [4]

Thingiverse: www.thingiverse.com/ [5]