Die gute Nachricht: Kapitalismus ohne Wachstum gibt es nicht

degrowth[Repost von hier und hier]

Von Friederike Habermann

Wachstum ist keine Option, denn eine absolute Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch hat sich historisch als unmöglich erwiesen – diese Position eint all jene, die zur Degrowth-Konferenz beitragen. Wachstumskritik ist auch in den Medien immer präsenter. Selbst die liberale Wochenzeitung DIE ZEIT (Nr. 10/ 2013) beendete ihren Leitartikel zum Thema mit den Worten „Die Deutschen […] sind ausgewachsen“. Zu diesem Ergebnis kommt sie aufgrund einer Analyse des Eigentums des (nicht existierenden) Durchschnittsjugendlichen Jan Müller im Vergleich zu seinem Vorgänger Wilhelm Müller vor gut hundert Jahren, sowie mit Blick auf Leon Müller aus dem Jahr 2038, der bei dem gerne anvisierten Wachstumsziel von jährlich drei Prozent bereits doppelt soviel essen, shoppen oder sonstwie verkonsumieren müsste.

Ohne Wachstum geht es nicht

Doch – um jetzt auch mal diese Floskel zu gebrauchen, für die mensch sich durchs Studium der Wirtschaftswissenschaften beißt – „als Ökonomin“ frage ich mich: War die Ressortleitung gerade im Urlaub? Wie kann eine liberale Tageszeitung so etwas schreiben, ohne zu dem selben Schluss zu kommen, wie er bei der Pendant-Titelgeschichte über Konsumverzicht im Magazin DER SPIEGEL(Nr. 14/2014) zu lesen war: „…was für den Einzelnen gelten mag, trifft für eine Volkswirtschaft nicht zu […] Ohne Wachstum geht es nicht.“

Tja, so ist das. Denn was passiert, wenn nicht nur Sie Ihre 20 Jahre alten Anzüge anziehen statt sich neue zu kaufen (dann werden Sie schräg angeguckt; und wenn Sie eine Frau sind und es um Kleidung geht, dann schon nach ungefähr zwei Monaten), sondern auch Ihre Nachbar_innen? Die Nachfrage sinkt, darum sinkt die Produktion, dann die Beschäftigung und darauf das Volkseinkommen – was schließlich dazu führt, dass Sie und ihre Nachbar_innen sich gar keine neuen Anzüge mehr leisten können. Und wenn Sie weniger erwerbsarbeiten? Die Beschäftigung sinkt, darum sinkt das Volkseinkommen, dann die Nachfrage und darauf die Produktion – weshalb Sie betriebsbedingt gekündigt werden. Und was, wenn ein gemeinwohlorientiertes Unternehmen auf nicht-sinnvolle Produktion verzichtet? Entweder es vermarktet sich erfolgreich mit diesem Alleinstehungsmerkmal unter vielen bösen Unternehmen – oder es geht pleite.

Okay, was also, wenn viele gemeinwohlorientierte Unternehmen auf nicht-sinnvolle Produktion verzichten? Die Produktion sinkt, darum sinkt die Beschäftigung, dann geraten Volkseinkommen und Nachfrage in eine Abwärtsspirale – und Bundeskanzlerin Merkel teilt dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping beim nächsten Staatsbesuch mit: „Übrigens, wir wollen nicht mehr wachsen, schön, nicht?“, um säuselnd hinzufügen: „Wären Sie bitte so nett, unsere Unternehmen nicht aufzukaufen?“

Warum dem Kapitalismus hinterhertrauern?

Nein. Kein Unternehmen und keine Volkswirtschaft kann bei bestehender Konkurrenz beschließen, einfach nicht mehr zu wachsen. Es kann keinen Kapitalismus ohne Wachstum geben. Und hier füge ich kein „leider“ ein. Denn warum sollten wir einem Wirtschaftssystem nachtrauern, das der Diagnose „depressive Episode“ nicht nur in Deutschland den Spitzenplatz bei Fehltagen am Arbeitsplatz überlässt, sondern sich auch der Rest der Welt dem mit Riesenschritten nähert? Übrigens immer im Wettrennen mit Krebs, Suchtfolgen, Schlaganfällen und Anderem, was auch nicht gerade unabhängig von der Ökonomie zu sehen ist.

Einem Wirtschaftssystem, das noch nie ohne (post-)koloniale Ausbeutung anderer Länder bestehen konnte? Was übrigens gerade durch viele Maßnahmen des „Green Growth“ und der Energiewende eine von Basisbewegungen des Globalen Südens als „Klimakolonialismus“ bezeichnete Verstärkung erfährt. Das im 19. Jahrhundert Massenhunger eingeführt hat, an dem nach wie vor Zigtausende, wenn nicht Hunderttausend, täglich verhungern? Es ist also eine gute Nachricht, dass es jetzt endlich Schluss sein muss mit dem Kapitalismus.

Ohne Kapitalismus keine Finanzmärkte, keine Erwerbsarbeit und kein Geld

Denn nein: Einfach weniger arbeiten und produzieren würde auch nicht die Angebots- und Nachfragekurve obsolet machen, wonach es nun mal immer Menschen braucht, die sich etwas nicht leisten können – sonst kann es keinen ´Gleichgewichtspreis´ geben. Und ohne Konkurrenz und Ausschlüsse haben wir keinen Kapitalismus. Dann dann brauchen wir auch keine Finanzmärkte, keine Erwerbsarbeit und kein Geld. Denn wer sich beispielsweise das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie anschaut, wird feststellen, dass es im anvisierten Idealzustand diese Mechanismen dort zwar alle noch gibt, sie jedoch ihrer Funktionen enthoben sind. Ersetzt sind sie hier wie in anderen jüngeren Modellen nicht durch zentrale Planung, sondern durch dezentrale, basisdemokratische Mechanismen.

Commons-basierte Peerproduktion, „Commonismus“ oder „Ecommony“ als Alternative

So etwas auszusprechen bringt eine schnell in die Ecke der Utopie. Doch tatsächlich zeichnet sich in den letzten Jahren in Ansätzen alternativer Ökonomie sowie verschiedenen anderen Bereichen eine Wirtschaftsweise ab, die zwar viele Elemente beispielsweiser früherer indigener Gesellschaften beinhaltet, und die dem Ideal „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ entspricht, die aber doch anders ist, als es sich in den vergangenen Jahrhunderten ausgedacht wurde. Bezeichnet wird sie als „commonsbasierte Peerproduktion“, als „Commonismus“ oder, von mir, als „Ecommony“ – womit ich betonen will, dass sich auch die „große Wirtschaft“ damit denken lässt.

Da sich nichts veräußern ließe, gäbe es kein Eigentum mehr über jenen Besitz hinaus, den jemand tatsächlich braucht und gebraucht. Da der Zugang zu Ressourcen nicht von unserer Verwertungsmöglichkeit auf dem Erwerbsarbeitsmarkt abhinge, bräuchten wir das jedem Menschen innewohnende Verlangen, sich in dieser Welt zu verwirklichen, nicht kaputt machen zu lassen durch Konkurrenz, Druck und Entfremdung. Es wäre ein Ende des strukturellen Hasses, wo den eigenen Lebenslauf aufzuhübschen immer bedeutet, den aller anderen zu verschlechtern, und den Job zu bekommen, jemand anderen auszubooten. Es wäre ein System struktureller Gemeinschaftlichkeit, indem wir aufbauen auf dem, was andere schaffen. Doch ohne die Enge von Gemeinschaft, und ohne, dass wir bessere Menschen sein müssten. Wir würden einfach nur in einem System anderer Selbstverständlichkeit leben.

Utopisch? Klar. Wir stecken ja auch in einer anderen Rationalität. So wie die Wikinger in Grönland, die keinen Fisch essen wollten. Und deshalb untergingen.

Gerettet hätte sie nicht, darauf zu warten, dass jemand an die Macht kommt, der Fisch essen akzeptabel macht – denn so jemand wäre nicht an die Macht gekommen. Gerettet hätte sie, anzufangen, Fisch zu essen. Und so die Rationalität ihrer Gesellschaft zu verändern. Bissen für Bissen. Schritt für Schritt.

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