»Was will die Keimform-Theorie?«
Das fragt sich Wolfram Pfreundschuh, Autor von kulturkritik.net. Er hat im Kulturkritischen Lexikon einen Eintrag zum Stichwort Keimformtheorie verfasst. Damit setze ich mich im folgenden auseinander.
Die Theorie von der Keimform will diese als eine gesellschaftliche Alternative innerhalb der bestehenden Gesellschaft setzen, die sie von innen her dadurch überwindet, dass neue Gemeinschaften, Güter, Werkzeuge und Ressourcen entwickelt werden und „heranwachsen“, die durch freiwillige Beiträge quasi urwüchsig aus dem Betreiben einer „authentischen“ Tätigkeit, die für sich schon sinnvoll sein will, entstehen und deren Produkte dann als frei verfügbare Gemeingüter gehalten werden.
Wie dieser erste Satz schon Missverständnisse hinsichtlich der sogenannten Keimform-Theorie formuliert, so geht es in Wolframs Text weiter. Es erscheint mir unmöglich, durch Antwort auf einzelne Argumente die Vorstellung zu befördern, worum es in unserer Suche nach Wegen aus dem Kapitalismus und eben der Diskussion über Keimformen einer neuen Vergesellschaftung überhaupt geht.
1. Die Theorie von der Keimform will gar nichts. Eine Theorie kann nichts wollen. Mit ihr kann allerdings ein Gegenstand begriffen, eine reale Entwicklung erfasst, ihre mögliche geschichtliche Bedeutung erkannt werden.
2. Der Gegenstand einer Keimform-Theorie ist die kapitalistische Gesellschaft und zwar unter dem Gesichtspunkt seiner möglichen Aufhebung. Die zu beantwortende Frage ist, ob in dieser Gesellschaft Elemente im Entstehen sind, die in sich die Potenz tragen, den Kapitalismus aufzuheben. Wäre dies nicht der Fall – dies wusste schon Marx – so müssten alle Versuchte, die bürgerliche Gesellschaft aufzuheben, Don Quichotterie sein.
3. Um überhaupt sinnvoll nach derartigen Elementen fragen zu können, ist eine Hypothese erforderlich: eine Vorstellung, was ein aufgehobender Kapitalismus wäre. Wie der aufgehobene Kapitalismus genannt wird – Kommunismus oder auch Commonismus – ist unerheblich, es geht um eine Gesellschaft der allgemein-menschlichen Emanzipation oder auch Reich der Freiheit. In dieser Gesellschaft werden die sozialen Beziehungen der Menschen nicht über etwas ihnen fremdes Drittes hergestellt, über Strukturen, die zwar von den Menschen geschaffen, sich ihnen gegenüber aber verselbständigen.
Die Vergesellschaftung im aufgehobenen Kapitalismus kann also nicht in der Art wie in aller bisheriger Geschichte erfolgen, also auch nicht über Wert/Geld, nicht über Staat, Ideologien, Religionen. In dieser Gesellschaft – auch dies Marx – ist die freie Entwicklung eines jeden die Voraussetzung für die freie Entwicklung aller. Diese Bedingungen können nur dann erfüllt werden, wenn auch die materiellen Voraussetzungen menschlicher Existenz durch eine solche Form von Tätigkeit hergestellt werden, die für die Akteure selbst ein Lebensbedürfnis ist, wenn kein Zwang erforderlich ist, sie zu dieser Tätigkeit zu bringen. Wenn man eine solche Gesellschaft für unmöglich hält, dann ist es auch sinnlos über eine Aufhebung des Kapitalismus zu diskutieren. Können wir uns also auf die genannten Charakteristika einer freien Gesellschaft einigen oder beginnt hier schon die grundsätzliche Differenz zwischen uns und Wolfram? Ich bin mir da nicht sicher.
4. Das Entstehen dieser Gesellschaft setzt benennbare geschichtliche Bedingungen voraus. Diese sind Produkte bisheriger Epochen, in den Gesellschaften knechtender Arbeitsteilung herrschte. Diese Elemente seiner Aufhebung entstehen insbesondere auf einer hohen Entwicklungsstufe des Kapitalismus, sie sind heute leichter zu erkennen als von allen früheren antikapitalistischen Bewegungen. Den Arbeiterbewegungsmarxismus und die realen Versuche, mittels einer proletarischen oder sonstigen Macht, die neue freie Gesellschaft zu begründen, sehe ich heute als Ausdruck des Mangels eben jener Elemente an, deren Existenz für die Aufhebung des Kapitalismus und jeglicher Knechtung unerlässlich ist.
Der Versuch, den Weg in eine freie Gesellschaft zu gehen mittels Gewalt, den stummen Zwang der Ökonomie, also Warenproduktion eingeschlossen, durch Avantgardismus, durch eine Diktatur einer Klasse oder/und einer Partei, durch staatliche oder sonstige bürokratische Regulierungen, zeigte, dass die sich als kommunistisch verstehenden großen sozialen Bewegungen notwendig infiziert waren durch eben jede knechtenden Formen gesellschaftlicher Beziehungen (die Selbstopferungen eingeschlossen), die sie glaubten aufheben zu können. Diese Bewegungen gehörten noch vollständig der alten Gesellschaft an und mussten notwendig immer wieder in diese hineinführen. Ich stehe also nicht (mehr) auf dem Standpunkt des alten Materialismus, der die Gesellschaft in zwei Teile teilt, von der der eine sich über den anderen erhebt, die Menschen also einer Führung durch eine besondere Kraft bedürfen, um die allgemeinmenschliche Emanzipation zu erreichen.
5. Das bedeutet, dass reale Bewegungen, die den jetzigen Zustand der bürgerlichen Gesellschaft und aller Formen von Knechtschaft und Unterdrückung aufheben, nur solche sein können, die von vornherein die neuen Formen der Vergesellschaftung als Bedingung ihrer Existenz hervorbringen: freie Assoziationen, an denen die Individuen als Menschen teilhaben, nicht als Lohnarbeiter, nicht als Klassenkämpfer, Staatsangestellte, Berufsrevolutionäre. Diese Teilhabe ist ihnen selbst Bedürfnis, ist nicht auf einem, ihnen fremden bzw. erst zukünftig erreichbaren Zweck gerichtet, nicht auf die Erfüllung einer ihnen äußerlichen Notwendigkeit, nicht auf den Ausschluss anderer Menschen (wie in jeglicher Warenproduktion unvermeidbar).
Es sind solche Bewegungen, solche Formen von Assoziationen, die, eine neue Gesellschaft konstituierend, unbegrenzt verallgemeinerbar wären. Die Individuen haben an ihnen von vornherein als universelle teil. Es bedarf keiner äußerlichen Kraft, die diese Gesellschaftlichkeit erst herstellen müsste. Insofern Marx die Notwendigkeit einer Diktatur des Proletariats begründete, eines Staates, der die alte Gesellschaft aufheben und die neue konstituieren würde, um sich in diesem Prozess dann selbst aufzulösen, folge ich ihm nicht (mehr). Jeglicher Avantgardismus ist mir fremd geworden. Die historischen Erfahrungen der fehlgeschlagenen Sozialismusversuche und den heutigen Spätkapitalismus vor Augen bedarf man heute solcher Annahmen nicht mehr, um einen Übergang in eine freie Gesellschaft zu denken.
6. Gibt es also in der jetzigen Gesellschaft die so charakterisierten sozialen Räume, solche Assoziationen, die Elemente einer möglichen neuen Vergesellschaftung sein können? Auch wenn sie gegenüber den herrschenden Gesellschaftsstrukturen noch marginal sind, selbst wenn sie im Alten und für dies noch funktional sind, auch dann, wenn sie von eindeutig kapitalistischen Unternehmen genutzt werden, die sich in der Verwertung von Wert einen Konkurrenzvorteil verschaffen, es kann und muss gefragt werden: Haben sie die Chance sich zur dominierenden Produktions- und Lebensweise zu erheben, eine neue Gesellschaft zu schaffen? Genau darum geht es auf keimform.de und anderswo.
7. Zum Argument der „Naturwüchsigkeit“. Wolfram bezeichnet damit vermutlich ein Handeln mit mangelnder Einsicht in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge, ein chaotisches Tun mit unabsehbaren Folgen. Ob aber die freien Assoziationen existieren und sich in die von uns angenommene Richtung entwickeln oder nicht, das hängt nicht davon ab, ob es eine Keimform-Theorie gibt oder nicht (von einer Führung, die die noch unwissenden Menschen entsprechend organisiert, ganz zu schweigen). Die Keimform-Theorie ergibt sich als Selbstverständnis, als Selbstkritik derjenigen Individuen, die an solchen Assoziationen teilhaben und/oder die an der herrschenden Lebens- und Produktionsform leidend nach Alternativen suchend sich wenigstens geistig auf sie beziehen.
Auch wenn sie mehrheitlich nicht darüber nachdenken, was dies gesellschaftlich und geschichtlich bedeutet, die Menschen, die an solchen Assoziationen teilhaben, die deren Produkte nutzen oder sich als nachdenkliche Menschen auf diese beziehen – sie tun es nicht nur nicht blind. Sie tun es auf eine Weise, die in einer freien Gesellschaft die allgemeine Form des Produzierens und Verbrauches sein müsste. Vereinigungen, die nicht diese Möglichkeit in sich tragen, sind eben keine solche Keimformen. Die beteiligten Menschen bringen kein Opfer zugunsten eines höheren Zwecks. Sie befriedigen vielmehr bewusst – eben nicht blind – je ganz bestimmte eigene Bedürfnisse. Es sind Bedürfnisse, die zwar die ganze Geschichte durchziehen (oft nur auf einen kleinen Teil der Menschen beschränkt bzw. auf einen kleinen Teil der je individuellen Tätigkeiten), die aber erst mit der bürgerlichen Zivilisation enorm zunehmen. Es sind Bedürfnisse, die von der Verwertung von Wert zunehmend gebraucht, aber eben gerade innerhalb der kapitalistischen Warenproduktion immer wieder zurückgewiesen und beleidigt werden.
Es sind die Bedürfnisse, schöpferisch tätig zu sein, etwas für sich selbst und andere Nützliches zu produzieren und dies nutzen, verbrauchen zu können, ohne ein Äquivalent bieten zu müssen.
Es ist das Bedürfnis gesellschaftlich anerkannt zu sein und zwar als Individualität und nicht kraft Geldes, der Verfügung über fremde Arbeitskraft.
Damit verbunden ist es das Bedürfnis an entsprechender bewusster Gestaltung der je eigenen gesellschaftlichen Wirklichkeit, das Bedürfnis, selbst solche sozialen Strukturen (mit)zugestalten, die eine nachhaltige Existenz und Lebensweise ermöglichen. All diese Bedürfnisse werden in jenen Assoziationen, die wir meinen, befriedigt und gefördert. Ist das nicht der Fall, dann existieren sie nicht.
Wie eng oder wie weit der Horizont jeweils gefasst ist: von unbewusster, sinnloser, naturwüchsiger Tätigkeit, von der Produktion von Strukturen, die über die Produzenten selbst und über andere Menschen herrschen, kann keine Rede sein.
8. Keimformen einer solchen Vergesellschaftung zeigen sich also in jenen Assoziationen und nur in denen, an denen die Menschen eben nicht als bürgerliche Individuen teilhaben. Wolfram argumentiert so, als kenne er freie Individuen bloß als solche, die im Sinne einer freien Gesellschaft eben eines nicht sind: frei. Bei ihm muss es offenkundig eine dritte Kraft geben, die den Tätigkeiten der Individuen einen allgemeinen Sinn gibt, eine entsprechende Regulierung. Freie Assoziationen hingegen sind solche, die keine Waren produzieren, sondern eben nützliche Dinge, virtuelle oder sachliche Gegenstände, an denen die Individuen nicht als Arbeiter oder Unternehmen teilhaben, mit denen sie nicht irgendetwas Drittes erreichen wollen (etwa Verwertung von Wert, Erlangung von Lohn, Verfügung über andere Menschen). Sie agieren nicht in irgendeiner, andere Menschen nach entsprechenden Kategorien ausgrenzenden Weise, nicht als Angehörige einer Nation, einer Ethnie, eines bestimmten Geschlechts oder irgendeiner anderen grenzziehenden Bestimmung.
Es geht um die Befriedigung der je eigenen Bedürfnisse durch den Gebrauch oder Verbrauch der Produkte, die ich und meinesgleichen herstellen, um den Genuss an der Entfaltung der eigenen Schöpferkraft und der Kraft der eigenen Assoziation und aller anderen. Derart individuelle Bedürfnisse sind zugleich auf die Allgemeinheit gerichtet und von dieser getragen. Der Zusammenhang zwischen den so agierenden Individuen muss nicht erst durch einen ihnen gegenüberstehenden Mechanismus, den Markt, den Zugang zu Geld, die staatliche Regulierung usw. hergestellt werden.
Dem bürgerlichen Individuen, erscheint genau dies absurd: Es kann nur in Äquivalenzen und Machtkategorien denken, an Freiheit nur im Rahmen des bürgerlichen Rechts und des von ihm gesicherten Eigentums, etwa an Produktionsmitteln und eigener Arbeitskraft. Die Einwände, die Wolfram hier geltend macht, zeigen, dass es ihm schwer fällt, solche Assoziationen und menschliche Bedürfnisse zu denken, in denen es unmittelbar für die je eigene Bedürfnisbefriedigung funktional ist, sich daran zu beteiligen und anderen Menschen das gleiche zu ermöglichen, auch deren Individualität entsprechend zu befördern.
9. Mit einem hat Wolfram recht: Mit dem bürgerlichen Individuum und auf der Grundlage bürgerlichen Rechts lässt sich weder ein aufgehobener Kapitalismus denken noch der Übergang dahin. Aber nur mit diesem Individuum rechnet er. Wenn Wolfram unter „Sinn“ versteht, dass die Tätigkeit von Menschen zivilsationsverträglich oder -förderlich ist, dann stimmt dies: Die Individuen als Lohnarbeiter, als Selbständige, als Genossenschaftler einer warenproduzierenden Vereinigung, als Unternehmer usw. produzieren immer sinnloser.
Bloß genau das Unbehagen an dieser Tatsache, zunehmend auch das klare Wissen davon, treibt Menschen, die noch zu Erwerbstätigkeit gezwungen sind, zugleich dazu, sich Räume zu schaffen, in denen ihre menschlichen Bedürfnisse und schöpferischen Fähigkeiten nicht mehr beleidigt werden. Sie befriedigen sich einen Teil der Bedürfnisse nach nützlichen Dingen außerhalb der Warenproduktion, von Erwerbsarbeit, von Kauf und Verkauf in freien Assoziationen und mittels deren Produkte. Dieser Riss, dieser Gegensatz geht durch viele Individuen unserer Zeit hindurch: Hier haben sie gezwungenermaßen Teil an der immer menschheitsbedrohlicheren kapitalistischen Warenproduktion samt der sie beleidigenden Herrschaftsformen (das gibt es auch und gerade da, wo die Individuen und deren Teams die Herrschaft zunehmend an sich selbst exekutieren müssen). Zugleich streben sie nach dem Eigentlichen – der freien menschlichen Betätigung. Dieses Streben ist nicht irgendwie „authentisch“ wie Wolfram kritisch anmerkt. Es ist nicht einfach ein dem menschlichen Wesen natürlich innewohnendes Abstraktum, das sich hier zur Geltung bringt. Die Annahme, dass „die Menschen per se schon gerne füreinander beitragen“, wie Wolfram unterstellt, ist keineswegs erforderlich.
Als Ausdruck der allgemeinen menschlichen Potenz, die allgemeinen Lebensbedingungen selbst herzustellen, gehen diese Bedürfnisse in unserer Zeit massenhaft aus der kapitalistischen Warenproduktion auf heutigem Niveau selbst hervor. Es ist ein Zustand erreicht, da der menschliche Reichtum immer weniger durch die Masse der verausgabten Arbeitskraft konstituiert wird und an dieser (am Wert) gemessen werden kann. Es sind vielmehr die wissenschaftlichen, künstlerischen, kooperativen Fähigkeiten von Produzenten selbst, die freie Entfaltung ihrer Individualitäten, die über den Reichtum entscheiden. Der Spätkapitalismus bringt diese Fähigkeiten und entsprechende Bedürfnisse hervor, nutzt sie und – beleidigt, vernichtet sie immer wieder. Er presst sie in die Form der Produktion ein, der Warenproduktion, zwingt sie, dem Zweck des Ganzen zu dienen, der Verwertung von Wert. Das Streben nach Freiheit, das partiell in den freien Assoziationen befriedigt und gefördert wird, ist in dieser realen Widersprüchlichkeit begründet. Es ist nicht etwas abstrakt „authentisches“.
Das alles ist glänzend mit Marx zu begreifen, insbesondere mit den Grundrissen, mit seiner Darstellung desjenigen historischen Punktes der Entwicklung kapitalistischer Produktivität und Technik bis zu jenem Umschlag, da die Wertproduktion zur miserablen Grundlage der Reichtumsproduktion wird, da die Produzenten aus dem unmittelbaren Fertigungsprozess heraustreten und immer mehr zu Organisatoren, Direktoren, Designern der Produktion werden. Hierfür gibt es heute massenweise fassliche Bilder. Wolfram will anstelle der kapitalistischen Politischen Ökonomie eine ökonomische Politik setzen, die Herrschaft der Kommunen über die Wirtschaft, dies unter anderem mittels Preispolitik, also bei Beibehaltung der Warenproduktion, des Geldes. Siehe Ergänzen statt Ausbeuten! Auf dem Weg in eine internationale Kommunalwirtschaft. Er argumentiert wie Proudhon, der den Kapitalismus bei Beibehaltung der Warenproduktion in vor- oder frühkapitalistischen Formen aufheben bzw. bändigen will. Die tatsächliche Aufhebung von Lohnarbeit und Warenproduktion ist Wolfram bisher offenkundig undenkbar. Vielleicht ermutigt ihn aber die Beschäftigung mit den heutigen tatsächlichen Möglichkeiten beides aufzuheben, diesen Schritt zu gehen und damit auch die Frage nach den Keimformen zuzulassen.
10. Die neue Gesellschaft kann nicht entlang das Kampfes zwischen den Klassen dadurch entstehen, dass die unterdrückte über die bisher herrschende Klasse siegt. Nicht der Kampf um einen guten, vernünftigen Staat, der die Menschen weise führt, führt dahin. Auch nicht eine noch so kluge Kommunalverwaltung bei Beibehaltung der Warenproduktion, der Lohnarbeit durch Preis- und andere politische (also herrschaftsförmige) Regulierungen den Zusammenhalt, die Harmonie des Ganzen sichert. (Ergänzen statt Ausbeuten!)
Der Widerspruch zwischen den Formen der alten Vergesellschaftung, dem entsprechenden knechtischen/herrischen Denken und Fühlen, und den Keimformen entfaltet sich zunehmend in den Individuen selbst. Der Tendenz einer über die festgelegte Arbeitszeit hinausgehende vollständige Vereinnahmung des Menschen durch den Verwertungsprozess, seiner totalen „Verwurstung“ (R. Kurz), der permanenten und allseitigen Selbstzurichtung der Individuen als Ware – in den prekär lebenden Selbstständigen, den Ich-AGs ist das auf die Spitze getrieben – steht das zugleich zunehmende Streben nach Begrenzung eben jenes Unterwerfens unter den stummen Terror der Ökonomie entgegen, das Streben nach einer Schaffung einer Gegenwelt in solchen Tätigkeiten und Assoziationen, in denen der Mensch als Mensch teil hat. Insofern es eine solche Praxis konstituiert, in der die Schaffung freier sozialer Räume mit der freien Entfaltung der eigenen Individualität und eben einer partiellen Befriedigung auch materieller Bedürfnisse außerhalb der Warenproduktion zusammenfällt, stärkt das Individuum die Keime des Neuen in sich selbst und in seinen Assoziationen.
11. Der Zwang zur Erwerbstätigkeit bzw. zum Zugang von Alimenten ist damit noch lange nicht aufgehoben. Doch in dem Maße, in denen dies Bedürfnis nach Freiheit zunimmt und indem die freien Assoziationen immer weitere Bereiche der Warenwelt auch dadurch bedrängen und als historisch überlebt nachweisen, dass sie „wertlose“ nützliche Dinge zum allgemeinen Gebrauch herstellen, wächst die materielle Basis dieses neuen Denkens und Fühlens.
In dem Maße, in dem diese neue Produktions- und Lebensweise den Bereich virtueller, wissenschaftlicher, künstlerischer Produkte überschreitet, in dem sich weltweit die Commons-Bewegungen ausweiten und parallel dazu die kapitalistische Warenproduktion die menschliche Zivilisation immer offenkundiger gefährdet, wird es leichter und drängender, die Elemente einer neuen Vergesellschaftung zu erkennen und praktisch zu nutzen.
In dem Maße, in dem die kapitalistischen Unternehmen auch noch gezwungen sind, die ihr fremden Formen freier Tätigkeiten in ihre eigene Reproduktion zu implantieren, reißen sie den Widerspruch noch auf, bestätigen sie die Überlebtheit der Warenproduktion, der Erwerbsarbeit, agieren sie als Totengräber ihrer selbst.
12. Welche konkreten Bewegungsformen diese Widersprüchlichkeit annimmt, kann nicht gesagt werden. Die Tendenz geht dahin, dass sich die freien Assoziationen auch die materiell-sachlichen Voraussetzungen ihrer Produktion und Existenz schaffen. Wenn auch diejenigen Produkte, die sich im Gegensatz etwa zur freien Software, zu Wikipedia usw. in der Nutzung auch verbrauchen, in freier Weise hergestellt werden, also auch die bisher kapitalistisch produzierten Produktionsmittel durch solche ersetzt werden, die in freier Tätigkeit hergestellt werden, ist die Hegemonie der neuen Vergesellschaftung hergestellt. Erst dann kann man von einer neuen Gesellschaft sprechen. Dann erst beginnt eine neue Form der menschlichen Geschichte.
Vorerst kann es „nur“ um die Keimformen dieser Entwicklung gehen und um die Entwicklung einer entsprechenden Theorie, die das begreift. Immerhin.
Das ist die Frage aller Fragen. Aber so wie ich die Keimformideen bisher verstanden habe, wird durchaus nicht allgemein nach Elementen im Entstehen gesucht, die in sich das Potenzial tragen, Kapitalismus aufzuheben, denn dann müsste die Aufmerksamheit auf ein sehr viel breiteres Spektrum an Erscheinungen gerichtet sein (von der Talkshowmenschelei über die Ökosteuer und andere Elemente ökokapitalistischer Entwicklungen, soziale Bewegungen bis hin zu Erscheinungen der UN-Diplomatie, usw.)
Die Aufmerksamkeit richtet sich aber sehr einseitig auf Inseln gemeinschaftlicher Produktion ODER Aneignungsrechte – wobei etwa die Verteidigung der Praxis gemeinschaftlicher Land- bzw. Waldnutzung indigener Völker seltsam wenig Beachtung findet obwohl das in der Logik der Keimformideen so wie ich sie bisher gesehen habe, stehen dürfte.
Solch konzentrierer Blick ist auch ok, halt ein Spezielgebiet. Aber es ist eben keine allgemeine Suche sondern die Suche nach dem Transformationspotenzial ganz bestimmter gesellschaftlichen Praxen und Ansichten.
Entschuldigt, wenn dich solche Phrasen zwar ganz hübsch, aber am Ende doch wenig aussagekräftig finde. Die Fokussierung auf einen (sehr unbestimmt) vorgestellten Endzustand und auf Übergangsphänomene bzw. -praxen, die dieser Vorstellung möglichst Eins zu Eins entsprechen sollen, spricht im Übrigen eher für so etwas wie einen anarchstischen Utopismus als für Perspektiven, die sich an wesentlichen Grundsätzen der marx/engelsschen Art orientieren.
Was natürlich nichts neues ist. Im Realsozialismus waren´s die Datschen. Jetzt sollen die Avantdarde sein und damit zugleich beweisen, dass es keiner bedarf.
Irre! So entstehen dann leuchtende Pfade. Die beste Garantie, dass aus einem Gutgemeint erneut ein Schlechtgelaufen wird.
Na, dann belege mal diese steile These anhand der Her- und Bereitstellung, dem Gebrauch und der Entsorgung (sowie der Bewältigung mitproduzierter Umweltprobleme) von etwa Baumwollprodukten. Für diesen Fehlschluss ist es wohl gut, dass C&A und KIK im unkreativen Asien produzieren lassen, und die Arbeiterbewegungsmarxisten dort auf die Schnauze kriegen.
Ich schrieb hier:
@Ulli:
„Es erscheint mir unmöglich, durch Antwort auf einzelne Argumente die Vorstellung zu befördern, worum es in unserer Suche nach Wegen aus dem Kapitalismus und eben der Diskussion über Keimformen einer neuen Vergesellschaftung überhaupt geht.“
Du sagst es ja selbst: Du willst nicht auf die Argumente meines Artikels eingehen, weil das dir unmöglich erscheint und du lieber Vorstellungen der Keimformtheorie befördern willst. Das tust du ja dann auch, und greifst zugleich Vorstellungen auf, die du dann allerdings meiner Position unterstellst und als Kontrapunkte abhandelst. Auf einige deiner Vorstellungen bzw. Belehrungen will ich kurz eingehen. Der Rest ergibt sich dann von selbst, weil es sich um einen Selbstläufer handelt.
Ad 1. „Eine Theorie kann nichts wollen. Mit ihr kann allerdings ein Gegenstand begriffen, eine reale Entwicklung erfasst, ihre mögliche
geschichtliche Bedeutung erkannt werden.“
Eine kritische Theorie, um die es doch gehen sollte, verkündet keine ewigen Wahrheiten oder voraussetzungslose Begrifflichkeiten, deren „geschichtliche Bedeutung erkannt werden“ könne, sondern resultiert aus Fragestellungen der Gegenwart, auch wenn diese geschichtlich erläutert wird. Kritische Theorie reflektiert damit ihre eigenen Voraussetzungen und Bedingungen, zu denen sie sich nicht willkürlich verhält, sondern diese aufheben will und hierfür auch Imperative aufstellt. Natürlich gibt es unter dem Label „Kritische Theorie“ auch Ansätze, die eine ganze Phylogenese oder Ontologie benötigen, um davon abzulenken, dass ihnen ihre eigene Fragestellung nicht klar geworden ist (vergl. z.B. die „Kritische Psychologie“ von
Holzkamp).
Ad 2. „Der Gegenstand einer Keimform-Theorie ist die kapitalistische Gesellschaft und zwar unter dem Gesichtspunkt seiner möglichen Aufhebung. Die zu beantwortende Frage ist, ob in dieser Gesellschaft Elemente im Entstehen sind, die in sich die Potenz tragen, den Kapitalismus aufzuheben.“
Die Keimform-Theorie hat dann wohl „unter dem Gesichtspunkt“ einer möglichen „Aufhebung des Kapitalismus“ nach den „Elementen“ gesucht, die eine Potenz hierzu bieten. Das unterscheidet sie wohl von den Menschen, deren Leben Tag um Tag durch den Kapitalismus aufgehoben wird und als konkret sinnlich wirksame Kraft sich gegen sie aufrichtet. Aber nicht diese Aufhebung wird gedacht, sondern eine Suche danach, was es wohl sein könnte, mit dem man sich aus der ganzen Scheiße „herausentwickeln“ könne. Widerstand wird unnötig, wenn man die netten Dinge selber machen kann, die man so gerne nutzt, und damit zugleich behaupten kann, dass damit irgendetwas an der Warenförmigkeit der allgemeinen Verhältnisse aufgelöst wäre. Na denn Prost! Und denn kommts:
„3. Um überhaupt sinnvoll nach derartigen Elementen fragen zu können, ist eine Hypothese erforderlich: eine Vorstellung, was ein aufgehobender Kapitalismus wäre.“
Stellen wir uns also alle mal das Gute vor, wie „ein aufgehobender Kapitalismus wäre“. Und weil wir nun mal schon durch unsere vorgestellten Ziele ohne Bedingungen, also auch ohne Not und Notwendigkeiten leben und denken können, bilden wir Hypothesen, wie wir das ja an der Uni auch schon immer brav gelernt haben. Denn also wieder zurück in die Uni! Dort gibt’s ja auch genug „kritische“ Seminare. Und da geht’s ja dann auch locker weiter:
„4. Das Entstehen dieser Gesellschaft setzt benennbare geschichtliche Bedingungen voraus. Diese sind Produkte bisheriger Epochen, in den Gesellschaften knechtender Arbeitsteilung herrschte.“
Also: Alles klar?
Eine Diktatur des Proletariats ist m. E. notwendig, um die Eigentumsordnung aufzulösen und die neue Gesellschaft vor den konservativen kapitalistischen Kräften zu verteidigen, so lange diese noch Widerstand leisten. Was das mit Avantgardismus zu tun hat, sehe ich nicht. Die Diktatur des Proletariats räumt mit der herrschenden Avantgarde auf. Das Proletariat macht ca. 90% der Bevölkerung aus. D. h. 90% der Bevölkerung, die heute noch geknechtet sind, wären in einer Diktatur des Proletariats von ihren Ketten befreit.
Ich weiß nicht, ob du mit Avantgarde auch die Vorreiterrolle von Experten meinst. Falls ja, richtet sich meine Kritik auch gegen diese Geringschätzung von Expertise. Warum soll man nicht den Experten zugestehen, sich dort einzubringen, wo sie gebraucht werden? Spezifische Aufgaben absoluten Laien zu überlassen wäre fahrlässig und ist eigentlich ein Effekt schlechter Kooperation wie im Kapitalismus. Ein Software-Projekt lässt man nicht von einem Anfänger koordinieren, der gerade sein erstes Hello-World-Programm geschrieben hat. Dennoch kommen solche Fehlbesetzungen massenhaft vor, wenn sie profitabel sind. So gibt es etwa Homöopathen, die die Behandlung Kranker simulieren. Solchen Dilettantismus wünsche ich den Keimformen nicht, weil sie es dann nicht weit bringen werden.
@Hans-Hermann #1:
Nicht suchen, sondern finden tun wir die potenziellen Keimformen an ganz bestimmten Orten. Natürlich sind solche Einschätzungen immer subjektiv und können sich als fehlerhaft oder unvollständig erweisen, niemand hier würde ja wohl etwas anders behaupten. Was „wirklich“ eine Keimform war, kann man letztlich erst im Nachhinein feststellen, und soweit sind wir ja leider noch nicht 😉
Die „Talkshowmenschelei“ würde ich allerdings als sehr inhärenten Teil der kapitalistischen „Gesellschaft des Spektakels“ einschätzen. Und Ökosteuern, naja Steuern allgemein setzen ja voraus, dass erstmal Mehrwert erwirtschaftet wird, von denen dann ein mehr oder weniger kleiner Teil „richtig“ umgelenkt werden kann. Steuern machen also nur Sinn, solange sich noch nichts Grundsätzliches verändert hat, und die Frage nach den Keimformen ist ja gerade die nach den Potenzialen für grundsätzliche Veränderungen.
@libertär:
Nein, dass Peer-Produktion nur auf „absolute Laien“ setzt, glaubt ja nur ein dummer Schnösel wie Jaron Lanier. Allerdings ist sie „anti-credentialist“, wie Michel Bauwens das nennt, d.h. als Expert_in anerkannt wird man nicht aufgrund von Diplomen und Promotionen, sondern indem man Wissen und Kenntnisse praktisch einsetzt und so unter Beweis stellt.
@ libertär # 7
Marx/Engels from und fröhlich formulierte Versprechen einer „Diktatur des Proletariats“ war ein Kadinalfehler. Gerade auch weil soziale Herrschaft bzw. Beherschung der Produktionsmitteln in der politischen Form demokratischer Staaten gemeint war, in denen die Organisation von Übergängen zu kommunistischen (Re-)Produktionsweisen der gesellschaftlich vorherrschende Prozess sein bzw. werden soll.
Prozesse wirklicher Vergemeinschaftung der Produktionsbedingungen, die kommunistische Aufhebung sozialer Ohnmacht im Hinblick auf die Produktionsbedingungen verlangt nach herrschaftsfreiem Diskurs, Meinungs- und Assoziationsfreiheit, vollkommene Transparenz, Möglichkeit der freien Wahl von Vertreungen usw. nach mehr Demokratie.
Kommunistische Aufhebung der kapitalistischen Zivilisation kann ohne Demokratie nicht funktionieren. Wer anderes sagt und behauptet, damit „Keimformen einer befreiten Gesellschaft“ zu beschreiben, redet bestenfalls einfach nur unverantwotlich daher.
@ Christian Siefkes # 8
So ist es, und allein deshalb ist nicht ausgemacht, dass sich nur außerhalb des Warensinns wähnende Commons-Inseln zu Keimformen kommunistischer Vergesellschaftung / Aneignungsweisen entwickeln können.
Wenn du das so einschätzen würdest wenn du es denn einschätzen tätest, würde das vielleicht einen Mangel am Verständnis der dialektischen Bewegungsformen sozialer Fortschritte verraten. Schätze, dass ein übermächtiges Deligitimierungsbedürfnis im Hinblick auf die kapitalistischen Produktions- bzw. Vergesellschaftungsbedingungen einen wissenschaftlichen Blick auf den Gegenstand sehr erschweren.
Womit die Schwächen der Keimform-Ideologie m.E. sehr gut auf den Punkt gebracht sind.
Erstens kann die Keimformerei auch erst einmal nicht anders als sich auf Basis von Mehrprodukten (über das für die Arbeiterreproduktion Notwendige hinaus Produzierte) zu entfalten, die das kapitalistische Füreinander herstellt. Zweitens werden die ganz anderen Grundlagen des menschlichen Füreinanders nicht vom heiligen Geist mit seinen reinen Logiken gezeugt und per Jungfrauengeburt auf die Welt kommen.
Eine ökologische Steuerreform (oder deren Internationalisierung als Reform des Welthandelsregimes) kann nicht voraussetungslos zu Keimformen kommunistischer Vergesellschaftung / Zwecksetzungs bzw. Produktionsbeziehungen werden. Aber prinzipiell kann sie es und zwar deshalb, weil sie geeignet ist, den Gedanken an die Rationalität, Möglichkeit und Notwendigkeit einer sozialen (am Ende weltgemeinschaftlichen) Steuerung der Produktion zu einem Meinstreamgedanken zu machen. Allein deshalb, weil sie wahrscheinlich ein etwas mächtigeres Mittel zur Eingrenzung des Klimawandels sein kann als Umsonstläden und freie Software (Die dadurch übrigens gefördert würden) .
„In dieser Gesellschaft [des „aufgehobenen Kapitalismus“]– auch dies Marx – ist die freie Entwicklung eines jeden die Voraussetzung für die freie Entwicklung aller. Diese Bedingungen können nur dann erfüllt werden, wenn auch die materiellen Voraussetzungen menschlicher Existenz durch eine solche Form von Tätigkeit hergestellt werden, die für die Akteure selbst ein Lebensbedürfnis ist, wenn kein Zwang erforderlich ist, sie zu dieser Tätigkeit zu bringen.“
Da geht einiges durcheinander: „Die materielle Voraussetzung menschlicher Existenz“ ist ihre Natur, der Stoffwechsel und seine Notwendigkeiten. Aus denen heraus hat die Natur es zum Menschen gebracht. Der Mensch als ihr Resultat wurde zugleich mächtig über sie, hat Naturmacht inne, indem er ihre Elemente nach seinem Willen zusammenfügt, um seine natürliche Not für sich zu wenden. Die „freie Entwicklung eines jeden“ ist nicht ohne diese Notwendigkeiten. „Freie Entwicklung“ ist immer innerhalb des Notwendigen. Freiheit ist selbst eine Entwicklung aus ihm heraus und auf höherer Entwicklungsstufe auch wieder in neue Notwendigkeit hinein. Wer Not nur meidet, kann nicht frei sein.
Wo sie sich nicht wenden lässt, wird Not zwingend, auch ohne dass sie Gewalt ausüben würde. Marx setzt daher Freiheit nicht gegen Zwang, sondern gegen Gewalt, gegen die dem Menschen fremde, d.h. abstrakt veräußerlichte Macht, die Macht der Entfremdung. Die Bilderbuchfreiheit, die hier beständig mit „freier Gesellschaft“ angeboten wird, die Freiheit an sich, Freiheit jenseits aller Notwendigkeit, gibt es nicht wirklich, ist pure Ideologie. Das war in der Philosophie zu Marxens Zeiten allgemein klar und ist es eigentlich auch heute bei kritischen Denkern immer noch.
So wie ich die Keimformtheorie verstanden habe, geht es bei ihr wesentlich um eine formlose Gesellschaft, also um eine Gesellschaft, die sich „frei“ aus den Beiträgen der Individuen ergibt, sich also aus individuellen Beiträgen im Nachhinein ihrer Erzeugung ergibt. Das ist praktisch wie eine Marktwirtschaft ohne Markt, weil die Güter nicht sichtbar vermittelt ausgetauscht werden, aber insgeheim doch aufeinander bezogen sein müssen. Das falsche Produkt am falschen Ort zur falschen Zeit ist immer ein Fiasko. Raum und Zeit benötigen eine tragende Form, aber keine Formbestimmung. Nach wie vor muss jeder beteiligte Mensch unterstellen, dass er seine Existenzmittel auch gesellschaftlich vorfinden kann, wenn er sie schon mal auf einer „To-Do-Liste“ eingetragen und damit „in Auftrag gegeben“ hat und selbst auch fleißig für andere tätig ist – egal, ob es ihn mal gerade so überkommt oder ob er nacharbeiten muss, weil Mangel herrscht. Und selbst wenn man sich auf Absprachen verlassen könnte, so wäre doch die wesentliche gesellschaftliche Kraft, die Synergie des gesellschaftlich organisierten Arbeitsprozesses, ausgeschlossen, wenn die Arbeit weiterhin auf einzelne individuelle Existenzen aufgeteilt bliebe, Arbeitsteilung also nicht überwunden wäre.
Ohne eine gesellschaftliche Form und Organisation (z.B. lokale Wirtschaft mit kommunaler Subsistenzindustrie und entsprechender Politik) wird das bloße Beitragen in eine gewaltige gesellschaftliche Regression schlittern, weil es nicht die wertbestimmte organisatorische Kraft des Kapital durch eine der gesellschaftlichen Produktion und Wirtschaft adäquate Form ersetzen kann. Für die kapitalistische Gesellschaft sind nicht die Produkte bestimmend, sondern ihre bloße Form, die Wertform. Es muss daher von einer schon bestehenden gesellschaftlichen Existenzform der Produktion und Produkte ausgegangen werden, die weiter zu entwickeln ist, wenn sie ihrer absurd gewordene Formbestimmung entwunden, also menschlich angeeignet wird. Mit den Inhalten der Güterproduktion hat dies überhaupt nichts zu tun, sondern mit einem gesellschaftlichen Lebensverhältnis der Menschen, das sich aus ihren Verhältnissen, ihrem Verhalten und Handeln ergibt, aus dem sich auch das, was nötig und möglich ist, bestimmen kann. Von daher geht es um eine ökonomische Form politischer Verhältnisse, die bisher von einer politischen Ökonomie beherrscht ist.
„Freie“, also gewaltfreie Entwicklung kann nur durch die unfreiwillige, also nötige Bekämpfung der bestehenden Eigentumstitel erreicht werden, nicht durch neue Produktionsformen. Warum auch sollten erst nochmal alle Häuser neu gebaut werden, wo es sie schon gibt. Und warum und wie sollten die ehemaligen Hausbesitzer plötzlich als „Beitragende“ auftreten können und damit leben, nur weil sie etwas haben oder hatten, das andere dringend und existenziell nötig haben? Was soll dann überhaupt so ein „Beitrag“ sein, den die Individuen frei und willig einbringen, wenn er nicht aus Arbeit besteht? Und warum soll der Aufwand hierfür nicht quantifizierbar sein, wenn es schon um „Gleiche unter Gleichen“, also auch um gleichen Aufwand gehen soll?
Das ganze Geschwafel über Freiheit und Gleichheit sollte man deshalb besser sein lassen. Es ist überhaupt nichts Neues und als Ideologie schon tausendfach implementiert und längst verbraucht. Es kommt nicht darauf an, noch mehr Zufälligkeiten und Möglichkeitspools an abstrakt allgemeinen Vermittlungen aufzutun, sondern vor allem drauf, die bestehenden Verhältnisse von derlei Abstraktionen frei zu legen, also vor allem bewusste und konkrete gesellschaftliche Beziehungen mit den bereits entwickelten und auch noch zu entwickelnden Produktivkräften, Kommunikation- und Produktionsmittel fortzubilden (z.B. durch Vernetzung und Administration vorhandener Produktionsstätten und Kommunen). Mein Vorschlag hierzu ist eine internationale Kommunalwirtschaft auf der Basis einer zeitbestimmten Vertragswirtschaft.
Genau. Es käme auf die Freiheit an, das Reich der Notwendigkeiten im bewussten Miteinander (auch im bewussten globalen Miteinander) organisieren zu können, d.h. z.B. Arbeitsersparnis in hinreichender Weise zu dem Zweck einsetzen zu können. Diese Freiheit würde zur Notwendigkeit, die akzeptiert werden kann.
Marx/Engels: Die deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, S. 425
Bin ansonsten mit allem einverstanden. Aber dazu habe ich Fragen. Zwar kann ich mir Kommunen als Einheiten gemeinsamer Verantwortung vorstellen, die der Welt dann auch als solche bestimmte Gebrauchsgüter und Dienste bescheren. Und zeitbestimmtes Vertragswirtschaften kann ich mir auch als Element eines gemeinsamen (am Ende auch weltgemeinschaftlichen) Nachhaltigkeitsmanagement vorstellen.
Aber es bleiben doch Produktionszwecke und dafür notwendige Formen der Herstellung bzw. Kontrolle der Produktions- und Aneignungsbedingungen, für die ein hohes Maß an Zentralität von Nöten bzw. (sozial wie ökologisch) rational ist. Internationale Arbeitsteilung kommunistisch aufzuheben kann ja wohl nicht heißen, alles zu dezentralisieren. Was etwa IKEA mit seinem wissenschaftlichem Kapitalismus geschafft hat, könnte unter einem anderen „Eigentumstitel“ (wenn man so will, ich meine bei einer weltgemeinschaftlichen und ökologisch kompetenten Bestimmung der sozialen und ökologischen Standards – und damit natürlich auch der Produktionsmengen) ja durchaus zu einem allseitig bereichernden Element eines globalen Miteinanders werden. Und Bestandteil des gemeinsamen Nachhaltigkeitsmanagement – auch von Kommunen.
Kommunalwirtschaften wären vielleicht ok. Das könnten sie aber nicht leisten. Oder?
„Internationale Arbeitsteilung kommunistisch aufzuheben kann ja wohl nicht heißen, alles zu dezentralisieren. Was etwa IKEA mit seinem wissenschaftlichem Kapitalismus geschafft hat, könnte unter einem anderen “Eigentumstitel” (wenn man so will, ich meine bei einer weltgemeinschaftlichen und ökologisch kompetenten Bestimmung der sozialen und ökologischen Standards – und damit natürlich auch der Produktionsmengen) ja durchaus zu einem allseitig bereichernden Element eines globalen Miteinanders werden. Und Bestandteil des gemeinsamen Nachhaltigkeitsmanagement – auch von Kommunen.“
Ja richtig, es geht bei internationaler Kommunalwirtschaft nicht einfach um dezentralisierte Wirtschaft, die sich aufsummiert, sondern um eine Art von weltweiter Vernetzung der Wirtschaft, die sich in der Breite und Tiefe verhält, wobei die Tiefe als Zentralisierung funktionieren müsste, die einem Verallgemeinerungsprozess der Projekte zukommen muss, und die Breite die jeweilige Ausdehnung der Bedürfnisse in der jeweiligen Tiefe betreffen würde. Ich hab das mal flapsig als 3D-Netzwerk bezeichnet.
Damit ist allerdings nicht richtig deutlich gemacht, dass es um eine politische Verbindung geht, welche die Eigenschaft hat, wirtschaftlich zu sein, d.h. mit minimalstem Aufwand höchste Wirkung haben soll und also Arbeit zu reduzieren, soweit möglich und auch das Material für freie Fortbildung und Entwicklung, also für Reichtumsbildung verfügbar zu machen. Und die zum anderen auf bewussten Auseinandersetzungen mit qualifiziertem Stimmrecht beruht, in denen die Bedürfnisse und Arbeitsprojekte in Beziehung gebracht werden – also so ne Art internationale Rätedemokratie, die auch im Internet ausgiebig diskutiert, bevor sie sich zum materiellen Ratschlag mit Abstimmung trifft. Dabei ist eine Administration unterstellt, die mit modernen Techniken auch offen kontrolliert und geändert werden kann.
Alle politische Ebenen wie sie bisher als Kommune, Land, Staat o.ä. fungieren, kann man sich auch als politische Verhältnisse vorstellen, in denen sich Allgemeinheit und Besonderheiten produktiv zueinander in Breite und Tiefe verhalten können. Um das zu erreichen, muss allerdings noch einiges gedacht, getan und entwickelt werden. Allerdings darf man nicht unterschätzen, dass vieles hierfür auch bereits aus den Verbindungen der Marktwirtschaft bereits substanziell zur Verfügung steht und lediglich aus dem Geldverhältnis und den Geldverträgen heraus in politische Vertragsverhältnisse auf der Basis konkreter Arbeitsaufwände gebracht werden müsste. Auch gibt es längst vielerlei wirtschaftliche Verbindungen von Kommunen und Regionen und sogar von Unternehmungen, die lediglich „politisch korrigiert“ werden müssten, um für die Menschen tragfähig zu werden.
@Wolfram:
Zustimmung, nur dass das nichts mit der hier diskutierten »freien Gesellschaft« zu tun hat. Leere Polemik.
Gut, dann hast du zumindest meine Überlegungen (es gibt nicht »die« Keimformtheorie) nicht verstanden. Kannst du hier nachholen. Es geht gerade _nicht_ darum, dass die Güter ex-post getauscht werden.
Du kommst gedanklich nicht von der Warenproduktion los. Die Güter sollen und können nicht ausgetauscht werden: keine getrennte Privatproduktion, kein Tausch, kein Geld. Sondern ex-ante Vermittlung der Bedürfnisse, dann Produktion, dann Distribution und Nutzung. Da geschieht nichts insgeheim, sondern alles muss explizit und transparent aufeinander bezogen sein. Ohne dass es jede_r auch individuell nachvollziehen muss.
Richtig. Marktwirtschaft, ob kommunal oder global, ist ein Fiasko. Denn die Frage ist, wie sich richtig/falsch bestimmt: Nimmst du den Wert, dann ist Marktwirtschaft eine hochgradig rationale Veranstaltung, nimmst du die Bedürfnisse aller Menschen, ist es ein Fiasko.
Eine Form ohne Bestimmung? Anyway. Ich stelle erneut fest: Du beschweigst die Warenform und fällst dadurch immer wieder in sie zurück.
Plus politische Steuerung, selbstverständlich. Politische Ökonomie statt Kritik derselben, alles andere ist »Geschwafel«.
Dann viel Erfolg bei der »politischen Korrektur« des Kapitalismus, um ihn für die Menschen »tragfähig« zu machen. Da wäre ich sehr dafür (auch wenn das nichts mit der Aufhebung desselben zu tun hat).
Na ja. Hauptsache es sieht so aus, als ob Du da was dazu schreibst. Wo habe ich je von einer »politischen Korrektur« des Kapitalismus geschrieben, wo beschweige ich die Warenform und woher nimmst du, dass eine Form sich nicht von einer Formbestimmung unterscheidet? Nee Stefan dass ist kein Stil auf den ich mich einlasse.
Es ist doch immer wieder verblüffend und niederschmetternd im wahrsten Sinne des Wortes, wie und warum Diskussionen in einer Art und Weise betrieben werden, dass sie nur noch an der Verkehrung dessen interessiert sind, was gesagt wird. So schrieb auch Ulli oben schon:
„Wolfram will anstelle der kapitalistischen Politischen Ökonomie eine ökonomische Politik setzen, die Herrschaft der Kommunen über die Wirtschaft, dies unter anderem mittels Preispolitik, also bei Beibehaltung der Warenproduktion, des Geldes. Siehe Ergänzen statt Ausbeuten! Auf dem Weg in eine internationale Kommunalwirtschaft. Er argumentiert wie Proudhon, der den Kapitalismus bei Beibehaltung der Warenproduktion in vor- oder frühkapitalistischen Formen aufheben bzw. bändigen will. Die tatsächliche Aufhebung von Lohnarbeit und Warenproduktion ist Wolfram bisher offenkundig undenkbar. „
Dabei wird als „Beleg“ auf einen Artikel von wir verwiesen. Wer dort dann tatsächlich nachschlägt wird aber lesen:
„Wer das Privateigentum als Herrschaftsform des Geldes und dieses als das Subjekt einer den Menschen entfremdeten Gesellschaft begriffen hat, muss auch die Produktionsstätte des Geldes, die sogenannte freie Marktwirtschaft in Frage stellen (3), denn Geld kann nur herrschen, solange es das allgemeine Mittel der gesellschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen ist. Und es wird herrschen, weil es als dieses Mittel immer in einer selbständigen Form, als Macht eines verselbständigten Quantums gesellschaftlicher Energie und Kraft fungiert. Solange man nicht die Marktwirtschaft selbst aufhebt, wird sich das auch nicht wirklich ändern, wird alles im schwarzen Loch von Angebot und Nachfrage, in der Anarchie der abstrakten Vermittlung abgehandelt und dem Macht verleihen, der Geld besitzt und den ohnmächtig machen, der hiergegen nur seine Arbeit einbringen kann. Das bleibt weiterhin die Kernfrage des Widerstands gegen die Macht der Finanzmärkte, die darauf gründet, dass das, was im schwarzen Loch der Marktwirtschaft verschwindet, auf dem Finanzmarkt als eine ungeheuerliche Geldmasse landet (7).“
Für mich bleibt die Frage, warum es hier nötig ist, nur durch Verfälschungen zu reagieren.
keine verfälschung, wolfram, uli zieht nur die konsequenz aus deiner kommunalwirtschaft. „Solange man die Marktwirtschaft nicht aufhebt…“ – eben, das tust du nicht, auch wenn du es abstrakt forderst.
Frage mich, ob man sich hier unter Aufhebung tatsächlich einen historischen Prozess versteht, der selbstverständlich vielerlei Übergänge bedarf, d.h. eines Heranreifens im Schoße der alten Gesellschaft. Oder ob man sich ernsthaft eine vom heiligen Weltgeist inszenierte Jungfrauengeburt vorstellt.
Was soll z.B. das heißen?
Lieber Uli Weiss, ich weiß nicht, ob du hier überhaupt mitliest, dennoch …Das Neue ist das gut vergessene Alte. Viele deiner Überlegungen zum Spannungsverhältnis zwischen dem Menschen als Gattungswesen und den individuellen Menschen, die im Zentrum deiner langjährigen Marxexegese zu Kommunismusvorstellungen stehen, finde ich auch im Klassiker „Jesuiten, Gott, Materie“ von Georg Klaus. Auf das Buch wurde ich aufmerksam durch das Kolloquium zu seinem 100. Geburtstag Anfang Dezember in Berlin. Für mich ist nach wie vor ungewiss, ob es überhaupt Verhältnisse geben kann, in denen mit einem gewissen Automatismus das „besondere Interesse zum allgemeinen, das allgemeine wirklich“ werden kann, oder ob den Verhältnissen nicht immer Humanismus abgetrotzt werden muss, wie also die 10. Feuerbachthese in ihrem zweiten Teil genau zu verstehen ist („der Standpunkt des Neuen ist die menschliche Gesellschaft oder die gesellschaftliche Menschheit“ – ist dies als Synonym zu verstehen oder als zwei sehr disparate Momente von Ziel und Weg?). Auf dem Georg-Klaus-Kolloquium wurde von mehreren Rednern betont, dass Georg Klaus vor allem als Erkenntnistheoretiker wichtig ist, womit wir schon mitten in der philosophischen Dimension der gerade aufgeworfenen Frage sind. Ist dieser „Standpunkt des Neuen“ nicht auch, oder vielleicht sogar vorrangig, einer des „learn to think in a new way“ (Potsdamer Denkschrift), der Gewinnung einer grundlegend neuen Perspektive, aus der „die Welt“ unter die Form des Wortes zu fassen ist? Kommunismus wäre dann nicht ohne neue Naturphilosophie zu haben. Renate Wahsner hat dazu ein dickes Buch geschrieben und formuliert an anderer Stelle, dass »die tiefe Erkenntnis von Karl Marx, dass keine Philosophie,
auch keine, die sich als Materialismus versteht, die Welt unter der Form
des Objekts fassen darf, durch die Erkenntnis zu ergänzen ist, dass
die Naturwissenschaft die Welt unter der Form des Objekts fassen muss«, denn »erst durch die Einheit beider
Erkenntnisse erfahren wir, was Natur ist, ist der Begriff Natur
bestimmt«. Dieser Spagat wird in der Wissenschaftstheorie seit vielen Jahrzehnten thematisiert (wenigstens seit den Dialogen von Prigogine und Stenger). Mich wundert, dass ein Philosoph diesen philosophischen Debatten keine Aufmerksamkeit schenkt.
Mein nicht angenommener Kommentar siehe http://leipzig-netz.de/index.php5/HGG.Kommunismusthesen
@HGG: dein Kommentar #21 war im Spamfilter hängengeblieben; hab ihn jetzt befreit.
Ob die esotherisch angehauchte „Potsdamer Denkschrift“ als Referenz taugt?
Den Verhältnissen muss immer Humanismus abgetrotzt werden im Sinne z.B. der Möglichkeit des Hinterfragens und der Neubestimmung dessen, was an Behauptungs- bzw. Rechtfertigungsbeziehungen als angemessen gelten soll (Abgesehen vielleicht von bestimmten Errungenschaften, ohne die das nicht möglich wäre, wie etwa die basalen Menschenrechte). Deshalb können auf einer so hohen Abstraktionsebene wie bei der Formuierung der Absicht, „das besondere Interesse zum allgemeinen, das allgemeine wirklich“ machen zu wollen, auch nur Wegweiser ganz algemeiner Art aufgestellt werden, die eben nicht für alle Zeiten und Lebenslagen gültige Wege anzeigen.
Welche besonderen Interessen oder Bedürfnisse im Rahmen von Übereinkünfte über gemeinsame gesellschaftliche Ziele verteidigt, hergestellt oder blockiert werden sollen, wird immer nur im Konkreten entschieden werden können – was dafür allerdings auch tatsächlich möglich sein muss.
Was ist dein Maß für das erste Adjektiv und wer hat angehaucht? Ich empfehle unbedingt einen Blick über den eigenen Tellerrand: http://en.wikipedia.org/wiki/Potsdam_Manifesto und „The Potsdam Manifesto 2005 up to now was signed by more than 130 scientists and personalities from all over the world“. Der VDW http://www.vdw-ev.de ist ja nicht irgendeine hergelaufene Chaotentruppe …
Der VDW ist weder eine dahergelaufene noch überhaupt eine Chaotentruppe, aber vor Deutscher Ideologie offensichtlich auch nicht gefeit.
Empfehle:
Quantenquark: Über ein deutsches Manifest
Eine kritische Stellungnahme zu „Potsdamer Manifest“ und „Potsdamer Denkschrift“ von Claus Peter Ortlieb und Jörg Ulrich
Als PDF
Außerdem empfehlenswert die Kritik von Karl Werner Brand
http://vdw-ev.de/manifest/kritische_Ergaenzungen/Brand_Kommentar_Potsd_Manifest.pdf
@HHH: Die bescheuerte bundesdeutsche Debatte um das Potsdamer Manifest ist mir hinreichend bekannt und im internationalen Vergleich ein Armutszeugnis. Dass die deutsche Linke in dasselbe Horn bläst – mehr als erstaunlich, zeigt aber deren desolaten Zustand. Ich habe allerdings nicht bemerkt, dass in jener Debatte die Kernfrage des Manifests, die nach der Notwendigkeit einer neuen Naturphilosophie, überhaupt tangiert wurde. Das aber war meine Frage an Uli Weiß
Ich sehe auch nicht, dass die Kommentare, die du mir ans Herz legst, in irgendeiner Weise auf diese Frage, die Wissenschaftstheoretiker seit wengistens den 1950er Jahren bewegt, zu sprechen kommen.
Statt ein argumentatives Eingehen auf die Kritikpunkte lese ich nur Pauschalurteile über die angebliche Desolatheit der deutschen Linken und dass die ein Armutszeugnis verdient hätten.
Ich spare es mir, über die Hintergründe solcherart Schmähkritik nachzudenken. Auch übrigens über eine nicht näher bestimmte „neue Naturphilosophie“.
Das aus meiner Sicht dazu nötige habe ich hier gesagt:http://oekohumanismus.wordpress.com/inhalt/was-ist-natur/
@HHH: Lies doch einfach den Aufsatz von Renate Wahsner oder lass es bleiben. Mit einem kritisch-philosophischen Naturbegriff hat dein Verweis nichts zu tun.
Schon klar, Argumente sind halt deine Sache nicht.
@HHH: Meine inhaltlichen Argumente bzgl. des Potsdam Manifesto sind hinreichend bekannt, ich muss sie hier nicht noch einmal wiederholen und die Leute damit reizen. Wenn sie dich interessieren, so findest du genug bei der Suche nach „Potsdamer Manifest site:oekonux.de“.
Mal sehen ob ich dort Gegenargumente gegen die Kritik Claus Peter Ortliebs und Jörg Ulrichs sowie Karl Werner Brands finde. Aber ersteinmal zur angeblichen Notwedigkeit eines neuen Naturbegriffs (wie auch immer der aussehen soll). Soweit ich meine, aus dem Ganzen schlau geworden zu sein, scheint es dir darum zu gehen, dass …
Aber was ist daran neu? Mit Natur bezeichnen wir, was einer Sache eigentümlich ist, und also außerhalb menschlicher Willkür liegt. Weshalb Marx z.B. auch davon sprach, dass die kapitalistische Produktion den Menschen als eine Naturgewalt gegenübertritt. Einzig in der menschlichen Natur wird die Natur human.
Oder hat die Chance, es zu werden soweit die Menschen eine Art der Produktion und Aneignung menschlicher Existenz- und Bereicherungsmittel (und dafür zu leistenden Stoffaustausch mit der Natur) etablieren können, die der den Menschen eigentümlichen Art insofern gerecht wird, als dass sie sich damit in die Lage versetzten, einen (welt-)gesellschaftlich begehrten Zustand (umwelt-)bewusst herzustellen. Insofern „vollenderer Naturalismus=Humanismus=Kommunismus“. (Marx)
Soweit Wissenschaft ins Spiel kommt, ist klar, dass sie sich gemäß ihrer eigenen Natur, d.h. ensprechend ihrer spezifischen Behauptungsbedingungen (Nachprüfbarkeit, Messbarkeit, Reproduzierbarkeit usw) der weiteren Mensch(heits)werdung nützlich machen oder ihr auch im Weg stehen kann.
Wissenschaftliche Untersuchungen können und müssen auch nicht nicht alle möglichen Zusammenhänge reflektieren, um in bestimmten Dingen Klarsicht zu ermöglichen. Aber was daraus am Ende wird liegt daran, wie sie sich bettet bzw. worin sie von was eingebettet ist. In sozialer Bewegung in Richtung eines am Ende weltgemeinschaftlichen Nachhaltigkeitsmanagements? Oder in die Erforschung besserer Methoden, die Ausbeutung der Erde und der Arbeitsvermögenden bis zur großen Klimasause weiter zu treiben.
Wenn zunehmend Zusammenhänge nachvollzogen und bewusst hergestelt werden (müssen) und auch in der Sozialwissenschaft deshalb zunehmend auch z.B. qualitative Erhebungsmethoden zum Einsatz kommen, mit denen man besser den noch unbekannten Zusammenhängen auf die Spur kommen kann, dann gewiss nicht deshalb, weil uns irgendwelche Quantenquark-Analogien dazu nötigen, sondern weil die weltgesellschaftliche Vernetztheit der kapitalistischen (Re-)Produktion dazu nötigt.
Siehe auch: http://oekohumanismus.wordpress.com/inhalt/fetischbegriff-bedarf/kapital-schafft-wissen-schaft-kapital-schafft/
@HHH: Mit einem Naturbegriff als Gegenpol zu „menschlicher Willkür“ kann ich nichts mehr anfangen. Und ich denke, dass ein solcher Zugang 40 Jahre nach den „Limits of Growth“ auch mehr als antiquiert ist. Diese meine Position ist hier aber die eines Außenseiters, deshalb werde ich sie nicht vertiefen. Wenn dich meine Argumente interessieren, so lies „Wie geht Fortschritt?“. Oder natürlich im Potsdam Manifesto selbst: “Aber wie haben wir diese Freiheit zu verstehen, wenn sie nicht die törichte Freiheit sein soll, das Falsche zu tun? Wie bewahren wir uns und die Welt mit uns vor unserer Willkür, nachdem wir ein Stück weit aus dem Bedingungsgefüge der ‚Ko-evolution’ herausgetreten sind?”
Ja, interessant. Und was war der Grund des Umdenkens?
Warum das beginnende Sichtbarwerden von natürlichen Grenzen der Ausbeutung das von mir dargelegte Verständnis von Natur antiquiert erscheinen lässt, erschließt sich mir aber nicht.
Wäre für mich kein Grund. Mit meinem marx/engels’schen Öko-Weltkommunismus ohne Diktatur des Proletariats (aber sehr wohl als Arbeiteremanzipation) bin ich hier ja auch ein Außenseiter.
Werd’s mir ansehen.
Das ist tatsächlich eine gute Frage die meines Erachtens (und du scheinst dies ganz ähnich zu sehen, wie ich meine, an anderer Stelle gemerkt zu haben) die Frage nach einem ökologisch reflektierten Humanismus aufwirft. http://oekohumanismus.wordpress.com/okomarx/okologischer-humanismus/humanistischer-okologismus/
Kultur bzw. menschliche Willkür im Gegensatz zur Naturgewalt (als die uns z.B. Kapitalismus noch gegenübertritt) sagt ansich nichts über richtig und falsch aus außer dass Kulturlosigkeit also Natürlichkeit definitiv Unwissenheit in Sachen richtig oder falsch bedeutet – wie etwa die einkaufsparadiesische Unschuld kapitalistisch vergesellschafteter Verbraucher/innen.
Die Art der Kultur ist schon entscheidend und damit die ihr zugrunde liegenden Produktionsverhältnisse, (ob die z.B. ein öffentlich zelebriertes, transparentes und in ihren Entscheidungen reversibles MITEINANDER erfordern oder nur genügend Geldverdienstmöglichkeiten)
Dass die Künder des „menschlichen Fortschritts“ in der Ukraine der 1920er Jahre Storchennester zerstörten weil sie die für Symbole von Rückständigkeit und Naturbesoffenheit unaufgklärter Bauerntöpel hielten, sagt uns, dass das allzu menschliche Bedürfnis nach Überwindung natürlicher (oder bisher als naturgemäß oder unantastbar geltenden) Grenzen menschlicher Willkür sehr tragischen Irrtümern unterliegen kann.
Der Stalinismus lehrt uns aber auch, dass sich auch keine allgemeingültigen Aussagen über die Grenzen der Freiheit, das Falsche zu tun, machen lassen, die einer ökohumanistischen Reflexion Stand halten.
Es MÜSSEN bewährte Wege offen gehalten oder befestigt werden, der Willkür der Stärkeren, auch von Staatsorganen usw.Einhalt zu gebieten, Erfahrungen mit Einschüchterungen, Folter, staatlicher Willkür, Lager sind mehr als genug gemacht worden. Uli Weiß sollte deshalb zum Beispiel erläutern, wie dies garantiert werden kann, wenn mit einem Schlag das brgerliche Recht abgeschafft wird. Oder wie ist das hier zu verstehen?
Es ist kein Grund, sondern ein Prozess, der eng mit den Wurzeln und Personen der Keimform-Debatte verbunden ist. Zunächst als und im engeren Diskurskontext von Oekonux, später, als diese Debatte 2005 an einem Endpunkt angelangt war und insbesondere in Hütten 2006 deutlich wurde, dass verschiedene Personen in Zukunft auch verschiedene Wege gehen werden, im losen Kontakt mit den nun stärker lokalen Diskurskontexten in (mindestens) Berlin, Leipzig, Jena und Wien. Alle vier sind ausreichend im Internet vertreten, so dass du dir dazu selbst ein Bild machen kannst. Ich versuche mich, als Gast in diesem und dem wadk-Blog, im Spagat vorsichtiger Argumentation.
Für Marx geht es (nicht nur) in der 10. Feuerbachthese nicht darum, eine Frage zu beantworten, sondern einen (philosophischen) Standpunkt zu gewinnen. Ich verstehe auch nicht, was „Kulturlosigkeit“ mit „Natürlichkeit“ zu tun hat. Und wieso suchst du Antworten ausschließlich im normativen Bereich?
Huch? Kann nirgends Anhaltspunkte dafür entdecken, dass es Marx darum ging, nur Standpunkte für sich zu gewinnen. Er war doch wohl mehr auf die Gewinnung von Erkenntnissen über Entwicklungsgesetzte der bürgerlichen Gesellschaft (Bedingungen der Weiterentwicklung des kapitalistischen Füreinanders) aus im Hinblick auf damit entstehende Probeme (aber auch Möglichkeiten) der Produktivkraftentwicklung, die die kommunistische Aufhebung all der privateigentümlichen Plusmacherei ermöglicht – oder auch notwendig macht. Die von mir in der Hinsicht für erkenntnisträchtig gehaltene Frage (die ich wohl fälschlicherweise auch für die Deinige gehalten habe, sorry!) schloss sich an zwei von dir genannte Fragen an:
Auf die zehnte Feuerbachthese hatte ich mich dabei gar nicht bezogen.
Aber danke für den Hinweis.
Kultur ist für mich die der menschlichen Art eigene Gestaltung von (Freiheits-)Spielräumen im Hinblick auf den menschlichen Stoff(bedeutungs)wechsel. An einen Natürlichkeitskult wie er interessanterweise am heftigsten in Sendungen wie „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDSS) zelebriert wird, hatte ich speziell nicht gedacht, eher an ein vorgegebenes Tun ohne nennenswerte Gestatungsspielräume.
Zu deinem Text über den Fortschritt später etwas ausführlicher.
Wünsche allen ein erkenntnisreiches 2013 mit reichlich Fortschritten in der Gewinnung von Kompetenz, Kapitalismus Geschichte werden zu lassen!
@ hgg #35
Huch? Wie kommst du auf diese Fehldiagnose? Aber ist die Erkenntnis guter und schlechter Früchte des menschlichen Tuns und damit auch die Aneignung und Verallgemeinerung von Wissen über historisch erreichte bzw. bestimmte Bereiche, die der menschlichen Willkür entzogen sind (oder in Zukunft entzogen werden sollte wie etwa die Freiheit zu foltern oder jemanden verhungern zu lassen) für dich nicht das zentrale Merkmal menschlicher Emanzipation?
Dies ist hier, so hoffe ich nicht allzu falsch.
Wo bleibt mein Geld?(1)Ich denke, hier(1) sind viele Menschen abzuholen. Beim Eigennutz. Wenn jeder seinem Eigennutz frönen kann, so um den Ertrag seiner Arbeit weiß, weiß wo er bleibt, kann er danach fragen. Wenn er nicht weiß wo der Ertrag seiner Arbeit bleibt, wie will er dann danach fragen? Gleich nach der Gier nach mehr, kommt beim einzelnen, warum bleibt mir so wenig, warum habe ich so wenig?
Alles was etwas wert ist, hat einen Eigentümer, ist bezifferbar, handelbar, es soll nachvollziehbar sein. Hierfür gibt es einen Ort und eine Größe. Wo es Fragen hiernach gibt, können sie gestellt werden – gemeinsam – demokratisch. Wenn man dann weiß wo der Eigenertrag bleibt, kann man in Bezug hierzu handeln. Den Bezug so zum eigenen Sein wieder herstellen.Da dies an der Basis ansetzt, stellen sich wohl Fragen wenigstens anders – wenn überhaupt!
Ansatz ist die eigene Gier. Den Kapitalismus mit seinen eigenen Waffen schlagen. Wenn jeder sein Eigen so übersehen und einfordern kann – danach fragen kann, wie kann sich dann der enteignete Arbeitsertrag noch irgendwo akkumulieren, gegen den Willen des Schaffenden? Derzeit ist es in der BRD für einen „Arbeiter“so, dass ihm ca. 5 % von seinem Arbeitsertrag bleiben. Da macht fragen viel Sinn, mehr als ein doppelt so hohes Gehalt, welches kaum erreichbar ist. Dieser allmähliche Prozess, des wissens worüber man redet, welche Beträge sich hinter welchen Aussagen verstecken, wie wahr etwas für den einzelnen jeweils in Bezug zu X ist, ist derzeit noch nicht möglich, und wohl auch kaum im Sinne derer die Macht haben. Sonst gäbe es dies wohl schon. Wohl ist es so, das man zugriff auf die Daten des Kapitals hat(verschieden weit gehend), jedoch kann sich der einzelne nicht sinnvoll dazu in Beziehung setzen.
Der einzelne muß seinen ArbeitsBetrag den er bekommt simpel nachvollziehen können(a la Kontoauszug), so dass er sieht: vom Ertrag seiner Arbeit geht so und so viel da und da hin(Krieg, Strassen, Unternehmen, usw.), dies ist jetzt mit der I-Net Geschwindigkeit möglich.Es muß nachvollziehbar sein, so gut es geht, das System in dem wir leben. Es darf nicht akzeptiert werden, das es nicht verstehbar sei. Es ist verstehbar und es funktioniert ja auch im Sinn der Macht – Machtinhaber.
Es ist na klar aufwendig, sehr sogar. Es mag nicht unmöglich sein, dies System mit geringem Energieaufwand zu verändern, aber für sehr wahrscheinlich halte ich eher das Gegenteil. Es wird hierfür dieselbe Energiequelle genutzt wie der Kapitalismus selbst sie nutzt.
Was dann daraus entsteht, entsteht auf jeden fall durch Wissen, also anders als jetzt.
Martin Paehlke
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