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Entmonetarisierte Landnutzung konkret – Solidarische Landwirtschaft 2.0

Eine gekürzte Version dieses Artikels erschien in der aktuellen Streifzüge [1]. Hier nun bei Keimform in ganzer Länge und in Farbe.

Warum Entmonetarisierung?

Warum eine Entmonetarisierung der Landnutzung Not tut, sollte hinlänglich bekannt sein. Wir müssen das agrarpolitische Desaster auf den Äckern schließlich tagtäglich mit ansehen. Mit Entmonetarisierung meine ich hier die landwirtschaftliche Produktion unabhängiger von Geld oder anderen Tauschmitteln und ihrer eigenen Logik zu organisieren.

In unserer Praxis der Solidarischen Landwirtschaft organisieren 5 Gärtner_Innen und andere „Tätige“ die Gemüseproduktion für sich und 60 weitere Menschen, nach dem Leitsatz: Jede_r gibt nach seinen_ihren Fähigkeiten und bekommt nach seine_ihren Bedürfnissen. Das seit eineinhalb Jahren bestehende Experiment wurde in der letzten Ausgabe der Streifzüge reflektiert. Seine Praxis trägt zwar zur Überwindung einiger kapitalistische Prinzipien bei. Ein Schlüsselelement darin bleibt aber (paradoxerweise?) die freiwillige Beitragsfinanzierung zur Deckung der gärtnerischen Produktionskosten (Budget). Eine wertfreie Halbinsel also, die doch auf dem Meer der Verwertung schwimmt und ohne das sie untergehen würde?

An der Frage setzt dieser Artikel an und möchte Möglichkeiten und Grenzen unserer Praxis im Hinblick auf eine Entmonetarsierung der Landwirtschaft im Allgemeinen untersuchen. Ziel der Übung wäre eine schrittweise Verringerung der Budgethöhe durch direkte Bedürfnisbefriedigung ohne den Umweg des Geldes. Als Konsequenz würden die finanziellen Möglichkeiten der Beitragenden (diejenigen die Geld, Ressourcen oder Fähigkeiten einbringen und nach Bedarf das Gemüse essen) weniger wichtig für das Gelingen des Projektes.

Wofür das Geld?

Im ersten Projektjahr gab es keine konkrete Zieldefinition. An dieser wurde nun gefeilt und die folgende Ziele in unserer Gruppenvereinbarung fest gehalten:

Die Losung zur Entmonetarisierung ist damit formuliert. Was aber sind die finanziellen Bedürfnisse des Projektes? Prinzipiell ist das der finanzielle Bedarf der im Projekt Tätigen (diejenigen die die Produktion, Logistik etc. so umfänglich organisieren, dass sie dafür bisher einen“Lohn“ brauchen), laufende Produktionskosten und Investitionen. Wie und durch wen dieser Bedarf nicht-monetär gedeckt werden könnten, darum soll es im folgenden gehen.

Möglichkeiten der Entmonetarisierung

Freiwillige Einfachheit und Quersubventionierung

Ein Ansatz zur Entmonetarisierung wäre ein Alltag in freiwilliger Einfachheit der im Projekt Tätigen: Also ein undogmatischer Versuch aus einem politische Anspruch heraus möglichst wenig zu konsumieren und Geld auszugeben ohne die eigene, persönliche Lebensqualität zu mindern: Containern, trampen, couchsurfen, oder gemeinsame Nutzung von Gebrauchsgegenständen…  Direkte Konsequenz: Weniger finanzieller Bedarf. Ein erster pragmatischer, individueller; kein oder nur teilweise transformatorischer Ansatz zur Entmonetarisierung.

Eine andere praktizierte Alternative ist es seine Tätigkeit im Projekt mit anderen monetäre Einkommen quer zu subventionieren die die Selbstbestimmung der eigenen Wahrnehmung nach wenig beschneiden: Von gut bezahlter, teilzeitiger Lohnarbeit über staatliche Transferleistungen, familiäre Unterstützung oder Vermögen bis Fundraising fürs Projekt und gemeinsame Kasse mit anderen Menschen kann das alles sein. All das kann für die Einzelnen sinnvoll sein. Solange diese Gelder allerdings zur Deckung laufend anfallender Kosten genutzt werden ist eine nachhaltige Entmonetarisierung nicht gewährleistet, sondern vielmehr eine Freistellung der Landnutzung auf Kosten andere monetarisierte Gesellschaftsbereiche. Flössen diese Mittel in bestimmte Investitionen (s.u.) sähe es vielleicht anders aus.

Direkte Bedürfnisbefriedigung der Tätigen durch unterstützende Netzwerke

Eine erste Voraussetzung um Bedürfnisse direkt zu befriedigen ist es, diese transparent zu machen. Zwar ist es oft selbsterklärend, dass die Bedürfnisse hinter finanziellen Bedarfen so Dinge wie  Mobilität, Wohnung, Essen, Heizung, Kommunikation usw. sind. Aber oft wird ohne diese Bewusstmachung gar nicht erst über Alternativen zum Kauf nachgedacht.

Diese direkte Bedürfnisbefriedigung kann nun jeweils auf zwei Ebenen abgedeckt werden. Nämlich durch Fähigkeiten oder Ressourcen innerhalb oder außerhalb des Projektes. Um das zu veranschaulichen ein paar Beispiele:

Bedürfnis der Tätigen nach …

Um die Bedürfnisbefriedigung innerhalb zu gewährleisten braucht es auf der Beitrags-Seite Transparenz. In unseren diesjährigen Vereinbarungen konnten Menschen daher nicht nur finanzielle Beiträge sondern auch ihre Fähigkeiten und Ressourcen zusichern. Auf dieser Grundlage können dann Arbeitsgruppen innerhalb der Projektgruppe gebildet werden (z.B. AG Reparatur und Wartung).

Muss auf Strukturen und Netzwerken außerhalb der Projektgruppe zugegriffen werden stellt sich die Frage ob diese vorhanden sind. Wenn ja braucht es eventuell eine Arbeitsgruppe die eine Zusammenarbeit bzw. -führung organisiert. Wenn nein bräuchte es Menschen die diese aufbauen. Hier könnte eine erste Grenze liegen: Fehlende Kapazitäten in der Region. Aber dazu später mehr.

Verringerung der Produktionskosten durch Aufbau von autonomer Infrastruktur

Ein weiterführender Schritt zu Entmonetarisierung wäre dann der Aufbau von autonomer Infrastruktur um den Produktionsprozess vom fossilistisch-kapitalistischen System abzukoppeln und private Ressourcen nicht nur zu Teilen sondern zu Kollektivieren. Das Ziel wäre daher eine solare, sich selbst-erhaltenden Produktion. Auch hierfür einige Beispiele:

Infrastruktur für …

Ähnliche Strukturen (Maschinenring, Carsharing, Biogastankstellen, Energiegenossenschaften etc.) existieren; aber nicht in einer kollektiven, nicht-kommerziellen Form sondern als marktförmige Unternehmen. Dem würden eine Form entgegen stehen, die das Privateigentum unschädlich macht indem die Infrastruktur an eine Rechtsform übergeben wird, die eine bestimmte, nicht-kommerzielle Nutzung auf Dauer festschreibt. Eine Beteiligung an den erwähnten, bestehenden Angebote ist zwar unbedingt sinnvoll aber ein Dialog über eine eventuelle Entmonetarisierung genauso notwendig.

Für den Aufbau einer entsprechender Infrastruktur bedarf es, so sie nicht in der Projekgruppe oder über andere Netzwerken beschaffbar ist, Kapital. Dieses kann ebenso entweder innerhalb des Projektes durch finanzielle Beteiligungen für Investitionen mobilisiert werden oder durch eine Kampagne außerhalb um Kapital für diese Idee anzuziehen. Überlegenswert ist die Schaffung eines überregionalen Fonds in denen wohlgesinnte und gleichzeitig wohlhabende Unterstützer_Innen einen sicheren Hafen für ihr sich immer weiter entwertendes Kapital finden könnten. Schließlich gibt es hier handfeste Gegenwerte; allerdings ohne oder mit nur minimaler Rendite. Trotzdem könnte es den Zeitgeist bürgerlicher Unsicherheit treffen.

Probleme auf dem Weg dieser Entmonetarisierung

Soweit, so gut. Aber so einfach wird es dann wahrscheinlich doch nicht. Auf einige mögliche Schwierigkeiten während dieses Prozesses lässt sich jetzt schon hinweisen.

Erstens ist und bleibt Geld extrem praktikabel. Als Äquivalent und Tauschmittel für Alles auf dem extrem diversen Warenmarkt lässt sich mit ihm ein Bedürfnis sehr exakt befriedigen. Es bleibt auszuprobieren ob wir auch nicht-monetär genau das bekommen was wir brauchen.

Zweitens und damit verbunden, ist das Problem einer mangelhaften Bedürfnisbefriedigung bei der Fixierung auf den nicht-monetären Weg. Das Ausbluten einzelner wegen der daraus entstehenden Unzufriedenheit bedarf einer extrem guten Selbstkenntnis und Ehrlichkeit seiner eigenen Bedürfnisse gegenüber.

Drittens bleibt ein begrenzender Faktor, selbst wenn alle Ressourcen, Fähigkeiten, alles Kapital und alle Infrastruktur vorhanden ist. Dieser lautet: Zeit. Zeit der Einzelnen, um im Projekt tätig zu sein und all die aufgezählten, Netzwerke, Infrastrukturen usw. aufrecht zu halten. Diese Zeit ist nur vorhanden wenn in nicht-monetären Strukturen die Existenz und Selbstverwirklichung der Einzelnen gesichert und wenig Zeit für Lohnarbeit oder andere Maßnahmen der Geldbeschaffung nötig sind.

Viertens stellt sich die Frage warum diese Trennung von „innerhalb“ und „außerhalb“ des Projektes überhaupt gemacht wird. Wäre es nicht sinnvoller keine klaren Grenzen zu ziehen und sich als ein großes Netzwerk zu begreifen?

Nun, eine Unterteilung in Kleinprojekte macht aus zweierlei Gründen Sinn: Erstens braucht es Verbindlichkeit, Verantwortung und Vertrauen. Große, zwangläufig anonyme und stark fluktuierende Strukturen schaffen dies nicht. Zweitens würde eine große Struktur die all die oben genannten Initiativen umfasst den Einzelnen mit Überforderung erschlagen. Sinnvoller scheint daher der nachhaltige Aufbau der verschiedenen kleinen Teilprojekte die langsam wachsen, sich notwendigerweise mit anderen Initiativen vernetzen und dann potentiell zusammenfließen können.

Fünftens und letztens bleiben bestimmte Bereiche schwieriger selbst organisierbar. Eine nicht-monetäre Alternative zu Versicherungen beispielsweise wäre nur ein Vertrauen in unterstützende Netzwerke. Des weiteren gibt es Maschinen und Technik die einer globalen Produktionskette bedürfen und deren selbstorganisierte Machbarkeit in nicht-kommerziellen Strukturen fragwürdig bleibt.

In diesem Sinne: Spannen wir Brücken zwischen den Halbinseln und schreiten wir fragend voran …

Beispiele für …