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Which Commons Sense?

[1]Nachfolgend der»Partner-Artikel« zu dem bereits veröffentlichten Text »Einschluss statt Ausschluss« [2]. Die Zeitschrift iz3w hat beide Artikel als Kontroverse initiiert. Nach der Auslotung der emanzipatorischen Möglichkeiten folgt also nun eine Kritik des Commons-Ansatzes. Weitere Artikel zum Thema gibt’s in der aktuellen Ausgabe iz3w 322 [1]. Danke an den Autor und iz3w für die Genehmigung zur Veröffentlichung.

Which Commons Sense?

Die Debatte um Gemeingüter ist oft rückwärtsgewandt

von Winfried Rust

Ein Programmierer formuliert auf einem Commons-Kongress die Freiheiten offener Software: »Benutzen, studieren, anwenden, teilen und die verbesserte Variante neu verteilen.«1 Darauf ruft eine Kleinbäuerin: »Genau. Das fordern wir für unsere Saaten!« Diese Begegnung hat einen rebellischen Charme. Allerdings führt die Freie-Software-Szene eine Parallelexistenz gegenüber der kommerziellen Softwarewelt. Und kleinbäuerliche Gemeingüter stellen keinen Großgrundbesitz infrage.

Commons begründen sich oft mit Tradition. An die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und an die dominierenden Produktionsmittel rühren sie nicht. Wenn diese Beschränkung nicht übersehen wird, kann der Commons-Ansatz neben anderen alternativen Ansätzen, wie etwa Genossenschaften oder Alternativprojekten, spannend sein. Ansonsten ist der Ansatz nur ein Farbtupfer im bestehenden Ausbeutungsregime. Oder, wie es im Vorwort des Commons-Sammelbandes »Wem gehört die Welt?«2 gesagt wird, ein Beitrag zur »Idee der ökosozialen Marktwirtschaft«.

Gegenüber den meisten Verteilungskämpfen erweitert der Gemeingüter-Ansatz den Bezug über die Besitzebene hinaus auf die soziale Interaktion. Das ist durchaus jenseits von Markt und Staat gedacht. Kapitalismuskritisch ist es nicht unbedingt. Das Commoning birgt sogar die Gefahr, freiwillige Selbstbeschränkungen schön zu malen. Commons konstituieren sich aus den Krümeln des gesellschaftlichen Reichtums, die vom Tisch fallen. Fast immer sind die Bezugspunkte Grundgüter wie das Land neben dem Dorf, Wasser oder Saatgut.

An die Ländereien, Konten, Stadtteile oder Besitztümer der Reichen reicht der Commons-Ansatz nicht heran. Sowohl Verteilungsfragen, als auch die Frage, wie Güter oder Infrastrukturen herzustellen sind, erfordern den Blick von den realen Lebensverhältnissen aus. Diese sind selten ein Stück Allmende. Bis in kleinbäuerliche Lebenswelten hinein wird das Leben komplexer, technisierter und arbeitsteiliger. Es hilft nicht, die neuen informellen Dienstleister-Arbeitswelten und Billiglohnfabriken abzulehnen und demgegenüber einige Gemeingüter hervorzuheben. Spannend ist, wie eine Aneignung und Veränderung durch die bestehenden Verhältnisse hindurch geschehen kann. Um Brechts Frage »Wem gehört die Welt?« nicht zu verballhornen, wäre der Bezug zum gesellschaftlichen Reichtum, also auch zu Fabriken oder Logistiksystemen, herzustellen.

Wessen Gemeinschaft?

Nicht nur die (Selbst-)Beschränkung der Commonsdebatte bei Verteilungsfragen verdient Kritik. Der Rückbezug auf alte Zeiten, in denen die Allmendewirtschaft den Dorffamilien ein Auskommen gesichert habe, ist eine konservative oder gar reaktionäre Sehnsucht, die besonders gut in Krisen- und Umbruchszeiten passt. Zwar wird dieser Bezug auf vormoderne Konzeptionen innerhalb der Commons-Debatte teils explizit abgelehnt. Aber in vielen Statements (siehe unten) ist er präsent.

Dabei ist unklar, ob in der Kategorie Gesellschaft oder Gemeinschaft gedacht wird. Der Begriff Gemeinschaft ist der häufiger verwendete. Was meint er? Zugespitzt formuliert kann im Mittelalter – in der Hochzeit der Allmende – von Individuum und Gesellschaft kaum die Rede sein. Der Einzelne stand nicht in Beziehung zur Gesamtgesellschaft, sondern er war eingebunden in Sippe, Dorf und Zunft. Heute zeigt das Primat der Gemeinschaft seine Gefahr besonders in Nationalismen. Es steht dem Begreifen der Weltgesellschaft entgegen. Entsprechend gelten in der Esoterikszene indigene und religiöse Gemeinschaften als letzte Refugien einer heilen Welt.

Dabei war die vorkapitalistische Zeit nicht einmal eine Zeit größerer sozialer Gleichheit. Die ständischen Grenzen waren fast undurchdringlich. Reichtum und Macht waren von den Allmenden weit entfernt. Das wird hier deshalb betont, weil in der heutigen Commons-Debatte die Worte »wieder«, »Erbe«, »zurückgewinnen«, »Wiederbelebung« oder »Renaissance« ein fester Bestandteil sind. Demgegenüber sollte man besser zugeben, dass linke Ideen eigentlich neue Ideen sind.

Drang zur Verklärung

In dem hier beispielhaft herangezogenen Dossier des INKOTA-Briefs »Die Renaissance der Gemeingüter« finden sich viele Belege für die genannten Kritikpunkte. Das dort verwendete Bildmaterial zeichnet den Antagonismus zwischen gutem Landleben und böser Moderne. Ein hübscher Saatgutkasten, gemeinsam arbeitende Kleinbäuerinnen und Kleinbauern oder ein kleiner Wasserkanal zwischen Gräsern werden kontrastiert mit Fließbandarbeit, einem Industrieschlot und der Stadt im Smog. Fortschritt ist hier nicht ambivalent, sondern böse. Ein Cartoon zeigt einen dicken, grimmigen Kapitalisten mit seinen Geldsäcken. Solche Bilder werden auch im Text so häufig reproduziert, dass sie nur beispielhaft wiedergegeben werden können.

Die (Selbst-)Kulturalisierung der Gemeinschaft zeigt sich etwa in der Vorstellung »Wir müssen das Indigene in uns entdecken«. Die Bildunterschrift kommentiert: »Commoning gelingt in den Anden so gut, weil die Indigenen sich wie Geschwister fühlen – als Kinder der Pachamama (Mutter Erde), die sie mit Steinaltären ehren«. Der Bezug ist auffällig häufig »von der Dorf- bis zur Weltgemeinschaft«. Die gesellschaftlichen Interessengegensätze verschwinden bei diesem Blick, solange zum Beispiel alle gleichermaßen als in die Selbstverwaltung von Trinkwasser eingebunden wahrgenommen werden. Die Sozialstruktur, wie bei der Shona-Kultur in Simbabwe, kann dabei »traditionell« sein: »Der Chief ist einem König vergleichbar«. Patriarchale Strukturen bleiben unthematisiert.

Um die Herausforderungen in der Landwirtschaft zu bewältigen, bedarf es »der Vielfalt des Wissens von Landwirten und Gärtnern, Waldnutzern, Fischern, Viehaltern, Jägern, Schamanen, Hexen, Köchen, Sammlern und sonstigen Expertinnen und Experten vor Ort.« Doch Kritik an der vorherrschenden Landwirtschaft muss nicht zu Schamanen und Hexen führen. Nicht Kapitalismus wird kritisiert, sondern die »Industrialisierung der Landwirtschaft«. Um die Forderung zu stellen, Saatgut aus dem Eigentumsregime herauszunehmen, muss es nicht als »Erbe der Menschheit« verklärt werden.

Wenn das erklärte Ziel ist, dass »wir wieder einen starken Begriff für die Commons haben«, so liegt die Zielrichtung im Zurück, nicht durch das Bestehende hindurch. Die wirkliche Tragik der Grundgüter ist im INKOTA-Dossier: »Wir haben vergessen, was es braucht, damit sie funktionieren.« Das verkennt, dass vielfach in sozialen Auseinandersetzungen, Besetzungen, Aneignungen, linken und alternativen Projekten, Genossenschaften usw. neue Erfahrungen mit Gemeingütern und Selbstverwaltung gemacht werden.

Es gibt allerdings auch elaboriertere Diskussionen um die Commons. Im Sammelband »Wem gehört die Welt?« bezieht sich José Esteban Castro auf Verteilungskämpfe um Gemeingüter als soziale Praxis. In ihnen werde Solidarität, Selbstverwaltung und Aneignung von Unten erprobt. Entsprechend argumentiert Christian Siefkes auf »Projektebene«: Aus der Erfahrung mit Freier Software zieht er Schlüsse auf deren subversiven Einfluss auf das Eigentumsregime. Mit seinem Ansatz »Beitragen statt tauschen« schließt er zudem vereinfachende Geldkritik aus. Idealistischen Zauber um Erbe und Geist unterlassen diese Autoren. Auch Ulrich Brand warnt davor, Commons nur darauf zu beziehen, was der Staat als Dienstleister der kapitalistischen Gesellschaft ohnehin verwalten muss und was an unprofitablen Terrains übrig bleibt. Damit wären Commons in Nischen verbannt, anstatt eine wesentliche Rolle bei der Transformation der kapitalistischen Verhältnisse zu spielen.

Doch auch in diesem Sammelband ist die Ökonomiekritik oft bloßes Unbehagen an der Zirkulations- und Geldsphäre. Gegen den »westlichen Eigentumsindividualismus« beklagt ein Autor die »zerstörerische Umwandlung unserer gesamten Lebenswelt in ‚fressendes Kapital’ (Martin Luther)«. Dem stellt der Autor alttestamentarische Tendenzen für ein Zinsverbot, die islamische zinslose Ökonomie oder die Überwindung der Gier im Buddhismus entgegen. Das bürgerliche Zeitalter »brachte das ausbalancierte bisherige Abgabensystem ins Wanken«. Die Folge: »Aus der Hilfe und der gemeinsamen Arbeit der Bauern wurden durch Geld vermittelte Vertrags- und Konkurrenzbeziehungen.« Das Unbehagen am Kapitalismus richtet sich hier verkürzt gegen die Zirkulationssphäre der Ökonomie und gegen die Moderne. Dagegen wird das Bauerntum im Feudalismus verklärt. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft kann zutiefst konservativ sein.

Wer ist wir?

Spannend wären Ansätze, die eine theoretisch fundierte Kritik auf Basisprozesse, Gruppenprozesse und Selbstverwaltungsexperimente beziehen, ohne dass sie bei der Denkfigur vorgegebener Gemeinschaften landen. André Gorz diskutierte das in seinem Aufsatz »Der schwierige Sozialismus«3 einmal mit einem gänzlich anderen Fokus. Das Phänomen der »Gruppe« sei in der kapitalistischen Vergesellschaftung als »Serie« zu fassen, als Kollektiv isolierter Subjekte. Dagegen helfe allerdings keine Gemeinschaftsideologie, sondern gesellschaftlicher Fortschritt.

Bei fortschrittlichen Prozessen sind Gruppen und Strukturen nicht vorgegeben und kein Erbe. In ihrer Praxis ändern sie sich selbst und die Umwelt. Das Soziale überdeckt das Serielle. Gemeinschaft »wie bei den Quäkern« lehnte Gorz allerdings ab, weil sie einfach als »konstituiert« besteht. Soziale Gruppenprozesse sind dagegen »konstituierend« – zum Beispiel in sozialen Kämpfen. Von Dauer könne die Aufhebung der Entfremdung in der fusionierenden Gruppe jedoch erst sein »durch die Aufhebung der Arbeit als vom Elend und äußeren Zwecken aufgezwungener Zwang.« Anstatt traditioneller, automatischer Gemeingüter steht hier der Bezug zur modernen, entfremdeten Arbeitswelt, aus der heraus sich die sozialen Prozesse ereignen. Dabei gibt es einen Fixpunkt, und das ist die Kritik, die über das Bestehende hinaus weist.

Was lernen wir aus all dem? Man kann sehr verschieden über Gruppenprozesse sprechen. Die Inhalte der Commons-Debatte scheinen recht beliebig zu sein. Renaissance geht, Revolution aber auch. Und während Gemeinschaft Gegensätze vereint, benennt Kritik sie, mit dem Ziel ihrer fortschrittlichen Überwindung.

Anmerkungen

1. Inkota-Dossier 8: Die Renaissance der Gemeingüter, S. 21

2. Silke Helfrich u.a.: Wem gehört die Welt? München 2009

3. André Gorz: Der schwierige Sozialismus. In: Kleine Bibliothek des Wissens und des Fortschritts, Band 5, S. 2415f. Frankfurt/M. 1974

Winfried Rust ist Mitarbeiter im iz3w.

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Erschienen in: »iz3w — Zeitschrift zwischen Nord und Süd«, Nr. 322 [1]

Einzelhefte können auf der Website vom iz3w [3] für 5,30 € bestellt werden (Papier oder als Download).