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Urheberrecht, links runderneuert

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[Nachfolgend dokumentiert ist ein Antrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE zur Erneuerung des Urheberrechts [2]. Ein Kommentar folgt später]

Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak, Agnes Alpers, Herbert Behrens, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Lukrezia Jochimsen, Kathrin Senger-Schäfer und der Fraktion DIE LINKE.

Die Chancen der Digitalisierung erschließen – Urheberrecht umfassend modernisieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das geltende Urheberrecht stößt im Zeitalter der Digitalisierung an Grenzen. Den grundsätzlichen Anspruch, Kreativschaffende zu schützen und ihre Vergütung zu sichern, kann es immer weniger einlösen. Zudem wird es den veränderten technischen Gegebenheiten und Akteurskonstellationen einer digitalisierten Gesellschaft nicht mehr gerecht. Ein modernes Urheberrecht sollte sowohl die Urheberinnen und Urheber in ihren Ansprüchen gegenüber den Verwertern stärken als auch den Zugang zu Wissen und Information so regeln, dass dies zum größtmöglichen gesellschaftlichen Vorteil gereicht. Es ist deshalb umfassend reformbedürftig und muss zeitgemäß zwischen Urheber-, Nutzer- und Verwerterinteressen vermitteln. Urheberinnen und Urheber sowie Nutzerinnen und Nutzer sollten dabei soweit wie möglich in die Lage versetzt werden, ihre Interessen und Bedürfnisse eigenverantwortlich wahrzunehmen und miteinander Nutzungs- und Kommunikationsformen für kreative Werke auszuhandeln.

Es braucht einen solidarischen Gesellschaftsvertrag für die digitale Welt.

Der Versuch, die Regulierungsmodalitäten der analogen Welt auf die digitale zu übertragen, kann nicht gelingen. Der grundsätzliche Unterschied zwischen unendlich vervielfältigbaren Immaterialgütern (wie Dateien) und im Vergleich dazu nur begrenzt verfügbaren Sachgütern (wie Bücher, CDs) muss bei der Weiterentwicklung eines Urheberrechts, das im digitalen Raum funktionieren soll, stärker als bisher bedacht werden. Dass die Vervielfältigung und Verbreitung von Kultur- und Wissensgütern auf dem digitalen Wege durch Kopiervorgänge ohne Qualitätsverlust beim Werk und auf der Grundlage bestehender Hardware quasi kostenfrei erfolgt, bringt eine neue Qualität in die urheberrechtliche Debatte. Die weiter bestehenden Produktionskosten kreativer Werke können so immer schwieriger über den Verkauf von Werkstücken refinanziert werden. Besonders für die Rolle der Werkmittler, etwa Medienunternehmen, Labels, Verlage oder Handelsunternehmen, stellen diese Veränderungen eine Herausforderung dar.

Kreatives Schaffen, Wissensproduktion und Kunst leben von der Kommunikation, von der Inspiration und Interpretation. Werknutzung ist keine Gefahr für die Kreativen, sie ist zentrale Voraussetzung für die Verbreitung und Anerkennung von Kreativität. Die Weiterentwicklung des Urheberrechts sollte einen Anreiz für kreative Leistungen schaffen.

Der Begriff „Geistiges Eigentum“ wird von vielen Künstlerinnen und Künstlern als Synonym für die ideelle und materielle Anerkennung ihrer persönlichen Leistung verstanden. Zugleich werden mit ihm Verbots- und Ausschlussrechte der Medienindustrie gegenüber Nutzerinnen und Nutzern begründet. In der Debatte um ein zukunftstaugliches Urheberrecht sollte deswegen der Begriff unter Beachtung seiner unterschiedlichen rechtlichen Bezugspunkte differenziert verwendet werden: diese bestehen im Wesentlichen in Persönlichkeits- und Verwertungsrechten.

Im Zuge der Industrialisierung des Kultur- und Medienbetriebes, damit einhergehenden Konzentrationen und veränderten Machtverhältnissen hat das Urheberrecht eine dominant verwertungsorientierte Komponente erhalten. Zuletzt hat der sogenannte Zweite Korb der Urheberrechtsnovellierung das Kräfteverhältnis weiter zu Ungunsten der Urheberinnen und Urheber verschoben.

Deshalb müssen die Urheberpersönlichkeitsrechte jetzt gegenüber den Verwertungsinteressen durchsetzungsstärker ausgestaltet werden. Dies gilt insbesondere für die Anerkennung der Urheberschaft und das Recht auf Namensnennung. Zugleich muss der Anspruch der Urheberinnen und Urheber auf eine angemessene Vergütung rechtlich gestärkt werden. Insbesondere ist das Urhebervertragsgesetz durchsetzungsfest zu gestalten.

Ausschließlichkeitsrechte, die den Zugriff auf geschützte Werke reglementieren, können nach einer ersten Veröffentlichung schon immer nur durch die Kontrolle der Werkträger – Bücher, Zeitschriften, CDs – durchgesetzt werden. In Zeiten digitaler Verbreitungsformen wird auch die Kontrolle über den Werkträger schwieriger und könnte nur durch weitgehende Eingriffe in Nutzer- und Bürgerrechte durchgesetzt werden. Die Vorstöße dazu, etwa zur Einführung von Internetsperren, Kopierschutzmaßnahmen oder drakonischen Strafen, beeinträchtigen jedoch den libertären Charakter digitaler Medien und widersprechen grundlegenden Rechten der Informationsfreiheit. Sie helfen weder den Urheberinnen und Urhebern noch den Nutzerinnen und Nutzern kreativer Werke.

Dazu ist unumstritten, dass der Bezug eines Werkes zur Urheberin oder zum Urheber mit der Zeit schwächer und das Werk immer mehr kulturelles Allgemeingut wird – insbesondere nach dem Tod der Urheberin oder des Urhebers. Das Ausschließlichkeitsrecht war deshalb immer zeitlich begrenzt. Bei der Formulierung eines zeitgemäßen Urheberrechts muss ausgehandelt werden, wie die Interessen der Urheberinnen und Urheber sowie der Allgemeinheit unter Berücksichtigung technischer Begebenheiten sinnvoll vermittelt werden können. Das Vergütungsrecht muss eine zentrale Rolle für den notwendigen Ausgleich zwischen Nutzer- und Urheberinteressen spielen. Ausgehend von der abnehmenden Bindung zwischen Werk und Urheberinnen und Urhebern sowie dem steigenden Allgemeininteresse an veröffentlichten Werken, sinkt mit der Zeit auch der Vergütungsanspruch. Auch dies ist heute bereits durch dessen zeitliche Begrenzung in geltendes Recht gegossen. Wenn nun die Durchsetzung der Ausschließlichkeitsrechte technisch schwieriger wird und gesellschaftlich in Teilen kritisch hinterfragt wird, kann die Stärkung des Vergütungsanspruches zu Beginn der Verwertung, diese Schwächung der Ausschließlichkeitsrechte in gewissem Maße ausgleichen. Im Zuge der Urheberrechtsreform sollte daher die Ermöglichung und die Förderung neuer Vergütungs- und Abrechungsmodelle vorangetrieben werden.

Die immer stärkere Ausdehnung der Schutzfristen, mit denen die Ausschließlichkeitsrechte durchgesetzt werden sollen, dient schon lange nicht mehr den Urheberinnen und Urhebern selbst und beschneidet Interessen und Rechte der Allgemeinheit in ungebührlichem Maße. Mittlerweile reichen diese Schutzfristen über eine ganze Generation nach dem Tod der Urheberinnen und Urheber hinaus. Schutzfristen sollten auf ihren ursprünglichen Zweck zurückgeführt werden, also den unmittelbaren Urheberinnen und Urhebern, nicht aber sekundären oder tertiären Nutznießerinnen und Nutznießern dienen.

Die Digitalisierung lässt die klaren Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten zunehmend verschwimmen. Zum einen fällt jede Meinungsäußerung im Netz durch deren öffentlichen Charakter potentiell unter das Urheberrecht, da sie einer Publikation gleich kommt. Zum anderen wird ins Netz verlagerter privater Austausch zu öffentlichem Handeln, womit Ausnahmeregelungen wie die für die analoge Welt konzipierte Privatkopie in die Diskussion geraten. Zum dritten baut kreatives Schaffen heute mehr denn je auf der Nutzung vorgefundenen medialen Materials auf. Viele Kreative nutzen für ihre Arbeit zugleich Vorarbeiten. Auf diese Weise entstehen neue Werk- und Kunstformen – etwa Remixes oder Mashups. Eine restriktive Rechtsdurchsetzung oder gar eine weitere Verschärfung macht solche neuen Kulturformen und eine generelle Kultur des Austauschs unmöglich. Auch die Wissenschaft stellt ein besonders prägnantes Beispiel der gleichzeitigen Werknutzung und Produktion dar. Weiter steigt die Zahl derer, die kreative Werke auch ohne erwerbswirtschaftliche Interessen schaffen und publizieren, da auch die dafür nötigen Produktionsmittel durch die Digitalisierung einer breiteren Masse zur Verfügung stehen. Damit entsteht ein umfassender Sektor nichtgewerblicher Kultur- und Wissensproduktion – etwa in Wikis, Blogs, Foto- und Videoportalen. Im Rahmen von Common-based Peer Production (Allmendefertigung durch Gleichgesinnte) sind im Netz unzählige Kommunikationsnetzwerke entstanden, die in ihrem ganzen Reichtum aus dem kulturellen Leben nicht mehr wegzudenken sind.

Das geltende Urheberrecht ist auf diese neuen Formen partizipatorischer Kreativität breiter Bevölkerungsschichten jedoch nicht zugeschnitten. Es stammt aus Zeiten, in denen das Urheberrecht ein Spezialgebiet für professionelle Künstlerinnen und Künstler sowie andere Kulturschaffende beziehungsweise ihre Vertragspartnerinnen und -partner war. Dennoch betrifft es heute nahezu jeden, der digitale Medien selbst nutzt. Wir brauchen deshalb ein neues Urheberrecht, das die kreative und häufig auch kritische Auseinandersetzung von Bürgerinnen und Bürgern mit ihrem medial-kulturellen Umfeld fördert.

Die Potenziale der Digitalisierung bestehen in der Öffnung des Zugangs zu den Wissens- und Kulturgütern, der Vernetzung und Kommunikation und der emanzipatorischen Erweiterung der Möglichkeiten jedes Einzelnen selbst kreativ zu werden. Dies gilt für nicht-professionelle wie professionelle Kreative gleichermaßen. Diese Potenziale können ohne ein prinzipielles Umsteuern bei der Entwicklung des Urheberrechtes nicht nutzbar gemacht werden. Nicht die ständige Ausweitung des Schutzniveaus, die Repression gegen Nutzer und die dazu notwendige Überwachung des Internetverkehrs, sondern die Ausgestaltung des Urheberrechtes im Sinne einer angemessenen Schutzwirkung im Interesse der tatsächlichen Urheberinnen und Urheber sowie der Nutzerinnen und
Nutzer muss das Ziel einer modernen Novellierung des Urheberrechts sein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die Initiative für eine umfassende Modernisierung des Urheberrechts zu ergreifen. Es sollen geeignete Formen gefunden werden, um die Öffentlichkeit in besonderem Maße in die Beratungen einzubeziehen. Hierfür sind digitale Medien eine sinnvolle Basis. Ziel der Initiative soll sein, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem es gelingt:

1. die rechtliche Stellung der Urheberinnen und Urheber im Verwertungsprozess zu verbessern und dabei insbesondere

2. Maßnahmen zur Sicherung eines freien und ungehinderten Zugangs zu Informationen und Wissen zu ergreifen, insbesondere

3. die Rechte von Nutzerinnen und Nutzern, insbesondere im nichtkommerziellen Bereich zu stärken, und dabei

4. im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des Urheberrechts auf europäischer und internationaler Ebene

Berlin, den 28. Juni 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion