Rezension »Netz-Widerstand«

(Rezension erschienen in: »Das Argument«, Nr. 291/2011)

Winter, Rainer, u. Sonja Kutschera-Groinig, Widerstand im Netz. Zur Herausbildung
einer transnationalen Öffentlichkeit durch netzbasierte Kommunikation, transcript, Bielefeld 2010 (165 S., br., 18,80 €)

Mit dem Forschungsansatz der Cultural Studies wird die soziale Entfaltung von netzbasierten kommunikativen Praktiken jenseits einer globalen »Kontrollgesellschaft« (Deleuze) untersucht. Diese werden durch die Stichworte »Online-Aktivismus« und »Kosmopolitismus« umrissen. Zu den widerständigen Netzwerken zählen Verf. die verschiedenen Alternativ- und Kampagnenmedien von sozialen Bewegungen und Protestgruppen, aber auch solche von Subkulturen, Hobbyisten und Fans. Als Teil der Zivilgesellschaft haben sie ihren medialen Netzraum neben Markt und Staat errungen und leisten »symbolischen Widerstand gegen neoliberale marktwirtschaftliche Ideologien« (74).

Der genuinen Produktivität von Netzkulturen nähern sich Verf. mit dem Begriff der »electronic tribes«, worunter sie soziale Räume und ›Communities‹ im weitesten Sinne verstehen. Diese konstituierten Gegenöffentlichkeiten »als Antwort auf die Exklusion […] aus dominant hegemonialen Diskursen« (109). Aufgrund der themenbedingten Fixierung auf »Widerstand« geraten allerdings jene konstitutiven Praktiken nicht in den Blick, die überhaupt erst die Grundlagen für den netzbasierten »symbolischen Widerstand« gelegt haben: jene Hacker-Kulturen und Projekte Freier Software, ohne deren Produkte es das Netz nicht geben würde. In diesem Feld kollektiver Produktion ergeben sich aus Haltungen des ›Sharing‹ und aus Praxen der »Kooperation, Inklusion, Transparenz und Partizipation« (33), die Verf. allgemein als Aspekte der »globalization from below« (ebd.) fassen, Handlungsformen, die sich ganz konkret und nicht nur symbolisch der Verwertungslogik des Kapitals entziehen. Allerdings äußern sich diese Communities oft nicht vordergründig politisch und schon gar nicht politikberatend, sondern agieren wie etwa die Aktivistengruppe Anonymous entsprechend ihrer Vorstellungen von Freiheit im Netz mitunter spontan und direkt. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass im empirischen Teil des Buches vor allem traditionelle Organisationen der Zivilgesellschaft untersucht werden, während das rebellisch-diffuse Schattennetz unsichtbar bleibt, weil es sich nicht in den konventionellen Formen der etablierten und medial goutierten Diskurse und Aktivitäten bewegt. Wenn dann herausgefunden wird, dass NGOs wie die Association for Progressive Communications (APC), Friends of the Earth International (FoEI) oder das OneWorld-Netzwerk ihre globale Präsenz auch in Form von Websites widerzuspiegeln vermögen, so ist das zwar beachtenswert, aber auch nicht weiter überraschend. Was die Websites jedoch mit »Widerstand im Netz« zu tun haben, bleibt offen, zumal als finales Beispiel in dieser Reihe der Webauftritt der Europäischen Union präsentiert wird.

Nichtsdestotrotz bilanzieren Verf. am Ende, »dass es im Internet Widerstandspraktiken im Sinne der Cultural Studies gibt« (144). Widerstand ist hier alles, was nicht den Neoliberalismus unterstützt. Am Ende wird an »die Politik« die Empfehlung ausgegeben, die transnationalen Kommunikationsqualitäten der widerständigen Organisationen, die sich angeblich selbst »als Korrektive politischer Entscheidungen verstehen« (147), zur eigenen Modernisierung zu nutzen. Der sich gegen Ende durchsetzende soziologisch-politikberatende Stil des Textes wird verständlich, wenn man weiß, dass dieser auf eine Studie für das Büro für Technikfolgenabschätzung beim deutschen Bundestag aus dem Jahr 2004 zurückgeht.

Ein Kommentar

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