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Commons, Nachhaltigkeit und Diskurssprung

[1]Eine wiederkehrende Kritik an digitalen Commons (wie Freier Software, Wikipedia, Freier Kultur etc.) lautet, dass sie die Tatsache ignorierten, dass eine physikalische Infrastruktur — die Kabel, Computer, Stromversorgung etc. — die Voraussetzung für das Commoning (die Commons-Praxis) ist. Diese verbrauche ganz konventionell stoffliche Ressourcen, und das nicht zu knapp, so dass es Augenwischerei sei, auf die fast aufwandsfreie Kopierbarkeit der digitalen Güter zu verweisen. Die Praxis der digitalen Commons sei im Gegensatz zu vielen traditionellen Commons nicht nachhaltig.

Stimmt dieser Vorwurf?

Auf den ersten Blick scheint das so zu sein, denn die Fakten sind nun unbestreitbar (etwa der wachsende Energieverbrauch bei der Produktion und dem Betrieb der Digital-Infrastruktur und der Endgeräte). Dennoch halte ich den Vorwurf für nicht angebracht, und zwar je nach Diskurs in unterschiedlicher Weise. Im Verbesserungsdiskurs, so will die Variante 1 nennen, sind die Commons bloße Ergänzung zu Markt und Staat, also zum Kapitalismus. Im Aufhebungsdiskurs, Variante 2, können Commons eine wichtige Rolle bei der Überwindung von Markt und Staat spielen.

Commons im Verbesserungsdiskurs

Wenn die Commons nur eine Ergänzung zu den bisherigen Verhältnissen darstellen, dann müssen sich auch als solche, in ihrem heutigen So-Sein beurteilt werden, und zwar jedes Commons für sich. Dann kann man auf die Idee kommen, dass das lokale Brunnenbau-Projekt eine Gemeinde mit Wasser versorgt und dabei wenig Umweltschäden erzeugt. Demgegenüber erscheint der Ressourcen- und Energieverbrauch des Internet wahrhaft gigantisch und vollständg gegen jede Nachhaltigkeit gerichtet.

Auch in der eingeschränkten So-Seins-Sicht ist dieser Vergleich einer von Äpfeln und Birnen. Der lokale Brunnenbau erscheint nur deswegen so verträglich, weil er nicht (mehr) die Regel ist, sondern immer weiter zurückgeht. Würde die Bevölkerung je Gemeinde über individuelle Brunnen mit Wasser versorgt werden, dann wäre die Erdoberfläche arg zerlöchert. Würde man den Ressourcenverbrauch beim Bohren, Ausmauern, Pumpe installieren etc. für eine solche Brunneninfrastruktur berechnen, sähe das Internet dagegen vermutlich harmlos aus. Ferner, und das wird auch berichtet, treten die individuellen Brunnenbohrer in eine Verdrängungskonkurrenz zueinander, denn der Nachbar saugt einem das Grundwasser weg und der Grundwasserspiegel sinkt. Die Brunnen werden also tiefer gebohrt etc.

Das Internet hat hingegen ist von vornherein eine globale Infrastruktur, die auch globalen Aufwand erfordert, sie zu installieren und zu betreiben. Hier fällt nur auf, was bei einem lokalen Commons nicht sichtbar, aber ggf. ebenso vorhanden ist: Es werden Ressourcen in erheblichem Maße verbraucht.

Zur Klarstellung: Dies ist keine »Eigenschaft« der Commons, denn diese enthalten durchaus das Potenzial auch community-übergreifende Infrastrukturen einzurichten, nur ist das bei »traditionellen« Commons nicht (oder selten) der Fall. Sobald es um größere Maßstäbe geht, ist der Staat oder sind die Privaten am Ruder. Eine Sicht, die das unentwickelte So-Sein der Commons als gegeben hinnimmt, muss also zu falschen Schlüssen kommen.

Commons im Aufhebungsdiskurs

Der Aufhebungsdiskurs ist insofern weitreichender, als er sich keine Illusionen über die dominante Logik mehr macht, das Überleben der Menschheit langfristig mit den alten Mechnismen von Markt und Staat abzusichern: Nein, das wird nichts mehr, die zivilisatorischen Potenzen sind ausgereizt. Und historisch war es immer so, dass ein System abgetreten ist, wenn sein internen und externen Ressourcen aufgebraucht waren. Die Frage war jeweils nur: Wie lange dauert’s, bis sich endlich ein neues Paradigma durchsetzt. Wie wir wissen, kann das mitunter ziemlich lange dauern, und das doofe ist: Man kann das so schlecht absehen, was da kommen kann.

Der Aufhebungsdiskurs ist dennoch nichts völlig anderes als der Verbesserungsdiskurs, denn der eine kann in den anderen übergehen. Und das geschieht oft auch und wird zum Problem, wenn dies unreflektiert passiert. Das nenne ich das Problem des unreflektierten Diskurssprungs. Was meine ich damit?

Grob gedacht kann man mit den Commons zwei Fragen bewegen, für die die beiden genannten Diskurse stehen:

  1. Man kann hier und heute reale Verbesserungen durchsetzen, mit Commons kann man tatsächlich etwas praktisch verändern.
  2. Man kann eine commonsbasiert Gesellschaft denken, die völlig ohne Markt und Staat auskommt.

Bei beiden Fragen gibt es extrem viel zu diskutieren, man kann viele PROs und CONs für beide Annahmen finden. Bei (1) kann man bestreiten, dass es sich um »wirklliche« Verbesserungen handelt, denn eigentlich seien es nur Modifikationen des alten Untergangssystems, das nur seinen Untergang verlängert, und das ist insgesamt — schlecht. Bei (2) kann man bestreiten, dass eine Gesellschaft quasi bottom-up konstituiert werden könne, die ohne Markt- oder Staatvermittlung auskomme, und das ist — auch schlecht. Kann man alles diskutieren.

Schwierig wird’s nur — und damit zum Diskurssprung — wenn beides gleichzeitig diskutiert wird ohne sich darüber klar zu sein, ob man sich gerade die erste oder die zweite Frage bewegt. So habe ich es schon oft erlebt. In Diskussionen geschieht es manchmal, dass die Beteiligten ihre Phantasie so mobilisieren, dass sich alle eine Gesellschaft völlig ohne Markt und Staat vorstellen können, die auf freiwilligen Beträgen der Menschen basiert und in der alle ihre Bedürfnisse gut befriedigen können. Das sind »Sternstunden«. Na ja, eher »Sternsekunden«, denn regelmäßig passiert es, dass dann diverse »Abers« kommen, die aus dem Diskurs 1 stammen. Etwa das oben genannte Argument, dass digitale Commons soviel Energie verbrauchen und nicht nachhaltig sein können.

Also: Nichts gegen »Abers«, im Gegenteil, wir müssen unsere »Abers« maximieren, um tatsächlich auch in die reale komplexe Problematik umfassend einzudringen. Aber (hihi) die »Abers« müssen diskurskompatibel sein. Meine ich. So ist es durchaus sinnvoll, etwaige negative Effekte von Commons — wie den hohen Ressourcen/Energiebedarf der digitalen Commons-Infrastruktur — zu diskutieren, dies ist jedoch kein Argument gegen etwa gegen Freie Software und Wikipedia.

Was also nicht sinnvoll geht, ist zu sagen, dass etwa Freie Software auf der Ebene der gesellschaftlichen Vermittlung und Selbstorganisation sehr weit sei, so dass von hier aus durchaus vorstellbar werde, dass ein solcher Vermittlungsprozess überall in der Gesellschaft funktionieren könne, dann aber einzuwenden, die Infrastruktur sei energieaufwändig, und deswegen sei das kein Modell. Das ist ein Diskurssprung, den wir vermeiden müssen. Oder wenn der Sprung passiert, muss klar werden, dass jetzt der Diskurs 2 verlassen (»Sind Commons gesamtgesellschaftlich verallgemeinerbar…«) und Diskurs 1 betreten wird (»Was sind die Nachteile der Commons hier und heute im Angesicht der irrwitzigen Marktlogik …«).

Für die Frage der Nachhaltigkeit heisst dies: Die konkrete Nachhaltigkeitsfrage eines einzelnen Commons ist eine Frage im Diskurs 1. Sie ist keine Frage im Diskurs 2, schlicht auch deswegen, weil wir nun mal nicht in der Zukunft sind, wo wir solche Fragen dann ganz anders bewegen können (und müssen).

Im Diskurs 2 muss die Nachhaltigkeitsfrage anders gestellt werden: Kann eine commonsbasierte Gesellschaft insgesamt nachhaltig gestaltet werden? Wenn wir diese Frage nämlich nicht prinzipiell mit »ja« beantworten können und dabei auch beschreiben können, wie das — prinzipiell — gehen kann, dann können wir uns die Mühe sparen und können mit den Diskurs 1 zufrieden sein. Dann brauche wir auch den ganzen Diskursoverhead — wie die hier vorgeschlagene Bewusstheit über den Diskurssprung — nicht bewegen. Tatsächlich, machen wir uns nix vor, stellen sich die meisten die Frage 2 erst gar nicht oder sie beantworten sie mit »nein«.

Nehmen wir an, die Frage 2 wird gestellt und prinzipiel mit »ja« beantwortet — wie ist das dann mit den digitalen Commons? Die digitalen Commons könnten eine zentrale Rolle bei der globalen Koordination der Art von Produktion und Verteilung der Güter spielen, die wir haben wollen, und zwar ohne, dass so ein Irrwitz passiert wie heute (Überfluss hier, Mangel dort, Vernichtung der Hälfte der Nahrungsmittel, lineare Produktionsketten mit Müll am Ende etc. — ist alles bekannt). Dann wäre der Ressourcenverbrauch der digitalen Infrastruktur extrem gut angelegt und geradezu winzig im Vergleich zu den Einspar- und Nutzeffekten, die durch eine bedürfnisbasierte Produktion und Verteilung erreicht werden könnte (etwa so: »Alle Menschen können gut leben, und nicht nur diese, sondern auch die nächsten Generationen«).

Kurz: Die Commons lassen sich im Diskurs 2 nicht trennen. Sie müssen zwar unterschieden werden (ich hoffe, der Unterschied von unterscheiden und trennen ist klar?), dabei muss aber immer m Bick bleiben, dass sie mit den anderen Commons integriert sind. Anders geht’s auf gesamtgesellschaftlichem Niveau nicht: Da greift notwendig eins ins andere. Dieses Reflexionsniveau darf man im Diskurs 2 nicht unterschreiten. Denke ich.

Wenn uns die Commons als getrennt und damit nur im Diskurs 1 bewegbar erscheinen, dann spiegelt das nur unsere reale Getrenntheit wider, die der Kapitalismus notwendig erzeugt. Im Kapitalismus sind wir nun mal zunächst strukturell isolierte Privatexistenzen (als Produzierende oder Konsumierende) , deren gesellschaftliche Vermittlung erst im Nachinein über den Markt (und Staat) stattfindet. Die Commons kennen das grundsätzlich nicht. Dennoch erscheinen die Commons wie lauter voneinder getrennte »Privat-Commons«. Sie ersetzen nur die Individuen durch Gemeinschaften. Das ist auch ihre größte Bedrohung: Dass sie wieder aufgehen im getrennten Einerlei der atomisierten Marktteilnehmer. Ok, ich schweife ab — neues Thema.

Bei allem hier diskutierten ist vorausgesetzt, dass man überhaupt einen Unterschied in den beiden Diskursen sieht, weil sie ja tatsächlich oft ineinander übergehen. Wer keinen Begriff eines qualitativen Unterschieds zwischen 1 und 2 sieht, tja, für den/die ist vermutlich auch dieser Artikel ziemlich unverständlich.