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Workshop-Bericht: »Auf der Suche…«

attac-kapikonAm letzten Sonntag, 8. März 2009, begaben sich ca. 50 Interessierte auf die »Suche nach dem Neuen im Alten« — so der Titel des Attac-Workshops [1], zu dem Benni und ich eingeladen hatten. Es wurden kurzweilige 90 Minuten. Der komplette Audio-Mitschnitt ist bei archive.org [2] verfügbar.

Zu Beginn stellte Benni unsere These vor (Bild 1) und lud die Anwesenden ein, sich im Raum zu der These zu »positionieren«. Dazu hatten wir vorher an drei Seiten des Raumes Zettel aufgehangen: Der Linux-Pinguin »Tux« stand für die Zustimmung zu der These, eine alte »Fabrik« für die Ablehnung und ein »Bahnhof« für Nichtverstehen. Überraschender Weise drängte die Mehrheit in Richtung Tux. Offensichtlich wurden wir von denen besucht, die ohnehin schon ähnliches im Sinn hatten. Die Old-School-PolitikerInnen waren wohl in den anderen Workshops. Wenig überraschend war dann auch, dann sich eine Wiederholung des »Aufstellungsspiels« keine großen Veränderungen ergab. Benni befragte einige exponiert stehende Menschen — nachzuhören im Audio-Mitschnitt [2].

Nach dem Spielchen gab es zwei »Inputs«. Zunächst holte ich recht weit aus (wie es viele von mir kennen) und versuchte der Frage nachzugehen, was eine qualitative gesellschaftliche Transformation sein kann und wie man sie erkennt. Ich stellte verschiedene Interpretation vor, was eigentlich Geschichte sei und wodurch sie angetrieben werde (Bild 2). Mein Vorschlag, Geschichte als Geschichte von »Vermittlungsverhältnissen« zu begreifen ist der allgemeinste und damit auch abstrakteste, weswegen ich mich dort ein Weilchen aufhielt.

Nach meiner Auffassung geht es um nicht weniger als darum, die sozialen Vermittlungsformen im Kapitalismus, die zental über Ware, Geld und Markt laufen, durch neue soziale Vermittlungsformen zu ersetzen. Da die anderen »Subsysteme« des Kapitalismus wie Staat und Politik auf die Kernform der Vermittlung bezogen sind (vgl. Bild 3), können diese bei einer gesellschaftlichen Transformation nicht unberührt bleiben.

Benni hat im Nachgang zu dem Kaptalismus-Schema in Bild 3 einen Alternativ-Vorschlag [3] gezeichnet, da er unzufrieden damit war, dass die »Reproduktion« im Bild nicht vorkam. Dabei hatte ich bei der Vorstellung darüber gesprochen und hervorgehoben, dass »Produktion« im umfassenden Sinne zu verstehen sei als »Produktion aller Lebensbedingungen«, was die sozialen und reproduktiven Lebensbedingungen einschließt. Demgegenüber spaltet der Kapitalismus den »reproduktiven« Bereich von der »Produktion« im engeren Sinne ab, weil diese (noch) nicht direkt verwertet werden kann, also nicht der Kernlogik der Vermittlung im Kapitalismus unterliegt.

Anschließend kam Benni zur »Peer-Produktion« im engeren Sinne zurück und erklärte, was das ist (Bild 4). Er orientierte sich dabei an den drei Punkten, die Christian Siefkes in seinem Peer-Ökonomie-Buch [4] zu Beginn gibt. Beispiele illustrierten diese drei Prinzipien.

Mit Hilfe einer Tabelle (Bild 5) verglich Benni die drei historisch nähesten Produktionsweisen: Kapitalismus, Staatssozialismus und »Commonismus« (oder wie man es nennen mag).

Die Diskussion drehte sich vor allem um die Frage der Übertragung der von (fast) allen Anwesenden geteilten Prinzipien der Peer-Produktion im nicht-stofflichen Bereich auf die stoffliche Produktion. Hier gingen die Meinungen auseinander. Einige sahen keine grundsätzlichen Hürden, andere sahen eben dort sehr prinzipielle Unterschiede, da Verbrauchsgüter immer wieder beschafft werden müssten. Es wurden verschiedene bestehende Projekte in die Runde eingebracht (z.B. von Frithjof Bergmann [5]) und diskutiert. Einige sahen darin »Keimformen«, andere genau darin nicht, weil Bergmann komplett »blind« sei für die Verwertungslogik, sprich die Frage der notwendigen neuen sozialen Vermittlungsformen jenseits von Ware, Wert und Markt.

Als herausfordernd aber ungelöst wurde die These empfunden, dass es darum ginge, die Gleichzeitigkeit von »Kompatibilität« und »Inkompatibilität« von Keimformen der Peer-Produktion mit dem Kapitalismus denken zu lernen. Damit ist gemeint, dass Keimformen nur entstehen und sich ausdehnen könnten, wenn sie einerseits »im Kapitalismus funktionieren«, aber andererseits und gleichzeitig nicht »seine Logik reproduzieren«. Damit könnte auch die irreführende Diskussion, ob Geld nun in den Projekten »erlaubt« sei oder nicht, in eine diskutierbare Form überführt werden: Selbstverständlich hätten Peer-Produktionsprojekte immer auch mit Geld zu tun, denn schließlich müssten die Beteiligten irgendwie an Geld herankommen, um im Kapitalismus ganz konventionell ihre Lebensmittel kaufen zu können. Die Kernfrage sei aber wie und unter welchen Bedingungen Geld ins Projekt hineinfließe: Sind an den Geldfluss direkt oder indirekt Bedingungen geknüpft, die erfüllt werden müssten, oder erfolge der Geldfluss »bedingungslos«. Auch hier gibt es kein Entweder-Oder. Zum Beispiel würden die meisten Entwickler des Linux-Kernels inzwischen von Firmen für ihre Tätigkeit bezahlt, aber das Produkt ihrer Tätigkeit ist keine Ware, von dessen Verkauf der Erfolg des Projektes abhänge. Oder Wikipedia finanziere sich durch Spenden, was eine Entkopplung der Produktion der Inhalte und der Organisation des Projektes von einem »Markterfolg« bedeute.

Gleichzeitig, und das ist dann der »inkompatible« Teil, repräsentiert die Peer-Produktion in den Projekten keimförmig eine andere Art der sozialen Vermittlung, die die alten Formen über Ware, Wert und Markt abgelöst hätten und potenziell verallgemeinerbar sind. Die Herausforderung bestünde nun darin, diese Entkopplung der »Binnenlogik der sozialen Vermittlung« von der »Außenlogik der Warengesellschaft« zu organisieren und sicherzustellen. — Es liegt auf der Hand, dass diese Frage in eineinhalb Stunden nicht zufriedenstellend geklärt werden konnte. Aber ein paar Denkinstrumente mehr liegen nun bereit.