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Von Abschaffung und Aufhebung

Georg Seeßlen hat im aktuellen »Freitag« [1] einen bitter-realistischen Artikel zur Zukunft der Autorenschaft geschrieben: »Die letzte Avantgarde« [2]. Zunächst erklärt er die Long-Tail-These für gescheitert. Long-Tail [3] bedeutet, dass in der Summe Nischen-Kulturgüter mehr Profit bringen, als die Top-Seller in der Spitze. Seeßlen hält dagegen, dass »in Deutschland nur mit 4 Prozent der publizierten Bücher echtes Geld verdient [wird]. Der Rest besteht aus Spekulation und Imitation, aus Subvention und aus einem System des selbstausbeuterischen Prekariats«.

Anstatt dass sich im Internetzeitalter der Anteil der Nischenprodukte zu Lasten des Mainstream-Markts ausdehnte, sei es umgekehrt gekommen: »Auch auf dem elektronischen Marktplatz siegte schließlich die Lidl-Kultur«. Gleichzeitig würde der Wert der Waren immer mehr verfallen: »Man verdient keineswegs an den Nischenprodukten oder gar an den Innovationen, man verdient vielmehr am Marktplatz selber«. Stichwort Werbung.

»Die Bereitschaft zur Selbstausbeutung und zur Selbstentäußerung [der AutorInnen] steigt«, so Seeßlen, denn: »Eine Ware, die im Internet angeboten wird, erscheint dem Produzenten auf den ersten Blick realer als jene, die er nur für die Schublade oder die Garage entworfen hat«. Die kulturellen Nischen-Produzenten seien die Opfer des Wertverfalls durch das Internet. Früher sei der Gewinn durch physische Nachproduktion zu skalieren gewesen: »Die elektronische Vermarktung dagegen entwertet das kulturelle Produkt gerade durch seine Vermehrung«. Klar, die Kopie für Lau.

Es beklagt sich bitter der kritische Nischenproduzent: »Der Autorenlohn ist nicht nur in der Rattenschwanz-Produktion sondern schließlich generell abgeschafft, an seine Stelle tritt der Lotterie-Reichtum für Bestseller-Autoren, Promis und populäre Hersteller von Marken-Texten oder von multimedialen Selbstdarstellern, die Parodien von Kulturgütern herstellen.« Und: »Der Autor hat schließlich kein Recht mehr auf Leben von seiner Arbeit, aber auch kein Recht auf seine Arbeit selbst. Er ist offensichtlich Avantgarde auch im Projekt der Selbstaufhebung

So weit, so realistisch. Und nun? Was stellt der kritische Kulturproduzent nun mit seiner Analyse an? Eine Hoffnung, dass alte etwas weniger schlechte Zeiten für die marginale kritische Kulturproduktion wieder käme, kann er nicht hegen. An die alternativen Verwertungsmodelle (Stichwort: Kulturflatrate), die ihn im weiter bestehenden Kapitalismus ein Auskommen bescheren, mag er auch nicht glauben.

Nun könnte er am Unterschied von Abschaffung und Aufhebung ansetzen, denn dieses ist nicht das Gleiche wie jenes. Abschaffung, das wäre tatsächlich das Verschwinden des »Rattenschwanzes« samt seiner dürftigen (aber immerhin) Einkommensfunktion für seine Nischenbewohner. Aufhebung bedeutete, es käme etwas anderes, das Alternativen böte. Beide Varianten seien kurz diskutiert.

Es kann einem leicht als Zynismus ausgelegt werden, wenn man die Entwicklung beschreibt wie Seeßlen das tut und diesen Prozess obendrein noch als unausweichlich und unumkehrbar kennzeichnet — ohne gleichwohl handhabbare Alternativen (des Einkommens) benennen zu können. Der Überbringer der schlechten Nachricht droht hier zum Verursacher erklärt zu werden. Doch es hilft nichts: Der Entwertungsprozess — und dazu ließe sich genaueres ausführen — ist nicht aufzuhalten. Er ist Teil der kapitalistischen Entwertungsdynamik insgesamt, allerdings in eigener Qualität. Es handelt sich in der Tat um Abschaffung, nämlich von Wertproduktion, das hat Seeßlen erkannt: »Was im Netz veröffentlicht wird, ist ökonomisch gesehen nichts mehr wert«. Die ProduzentInnen sind aber noch da und produzieren durchaus weiter Nützliches und Schönes — nunmehr jedoch in prekärer Lage.

Die entfallene Verwertung durch Umverteilung nach Art der Kulturflatrate kompensieren zu wollen, ist eine Option, doch sie stößt auf die Grenze, die auch in den anderen Bereichen durchschlägt: Die des abnehmenden verteilfähigen Werts in geldlicher Form. Nun wird gerne auf die Milliardenbeträge verwiesen, die den Banken in den Rachen geschmissen wird, doch die stehen tatsächlich nicht wirklich alternativ zur Verfügung. Auch ein Kulturproduzent, der nun noch vom Kapitalismus leben will, konnte und kann nicht dafür sein, den Kapitalismus einfach krachen zu lassen.

Faktisch setzt, erstens, Umverteilung immer gelingende Wertproduktion in einem halbwegs funktionierenden Kapitalismus voraus und zweitens ist stets zu erklären, wem es denn genommen werden solle, um es der Kultur zu geben. Auch die Kulturschaffenden bewegen sind in einem universellen Konkurrenzumfeld. Es handelt sich also mitnichten nur um eine organisatorische Frage, wie man auf geeignete Weise Geld von A nach B schaufelt, sondern dieses Geld ist nicht da, weil die produktive Basis, die es generiert, zunehmend (ver-)schwindet. Auch ohne, dass der Kapitalismus final kracht.

Das ist alles mies, aber es ist so — sage ich. Gut, können wir drüber trefflich streiten. Streit hin oder her: Von einem kritischen Kulturproduzenten erwarte ich eigentlich, dass er das Miese denkend überschreitet und sich der Frage der möglichen Alternativen zuwendet. Und Altrnativen ist hier und kann nur fundamental gemeint sein. Also nicht: Wie kommen die Kulturproduzenten an Geld ran, sondern wie kriegen wir es hin, dass überhaut niemand mehr an Geld ran kommen muss, um gut leben zu können. Das kann und muss heute gedacht werden.

Und da ist die Avantgarde-Rolle der Kulturproduzenten im Angesicht ihrer faktischen Enteignung tatsächlich eine. Sie kommt aber nicht nur daher, weil »Raubkopierer« ihren das Einkommen klauen, sondern weil massenhaft anderweitig jenseits von Wert, Markt und Staat Kultur produziert wird, das ebenfalls die »alten Kulturformen« außer Wert setzt. Aber die neuen Kulturformen verweisen ganz generell auf eine andere Art und Weise der Produktion unserer Lebensbedingungen — und das gilt es heraus zu arbeiten. Gerade als kritischer Kulturproduzent.