Piraten-Dilemma

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[Bild: Ioan Sameli, CC-BySa: flickr.com/photos/biwook/145765624/]

Die schwedische Piratenpartei wollte ursprünglich das Urheberrecht komplett abschaffen, jetzt — nach einigem Erfolg — soll das Urheberrecht bleiben, stattdessen aber auf fünf Jahre begrenzt werden. Dafür hat sie nun von Maximo Lider R.M. Stallman eine Schelte einstecken müssen, nicht, weil er das als Aufweichung der ursprünglichen Ziele sieht, sondern weil ihm das zu weit geht.

Wie das?

Mister GPL muss selbstredend für ein starkes Copyright eintreten, denn die GPL als die bekannteste Copyleft-Lizenz basiert nun mal auf dem Copyright (Urheberrecht). Den Schaden, den das Copyright anrichtet, hat die GPL reduziert, doch nur um den Preis der Aufrechterhaltung des Schädlichen. Wird nun das Schädliche auf fünf Jahre begrenzt, so entfällt auch nach fünf Jahren die Schutzwirkung des Copyleft: GPL-lizensierte Software würde in die Public Domain fallen. Hier könnten sich proprietäre Softwarefirmen bedienen und den früheren GPL-Code reprivatisieren.

Umgekehrt würde zwar auch für proprietäre Software das Copyright nach fünf Jahren wegfallen, aber da proprietäre Software meist zusätzlich durch zusätzliche Vertragsregeln (EULA) verriegelt ist, hat die freie Software-Welt nichts davon. Um das Fairplay wieder herzustellen, plädiert RMS für eine Treuhänder-Lösung, bei der proprietäre Quellcode einer Software hinterlegt wird und nach Ablauf der Fünfjahresfrist automatisch in die Public Domain fällt.

Nun gut, das sind Sandkastenspiele. Was aber RMS‘ Intervention deutlich macht, ist ein handfestes Piraten-Dilemma. Die Piraten sind einerseits für einen Wissenskommunismus. Das Menschheitswissen soll allen frei zugänglich sein, jede Beschränkung ist künstlich und schädlich, das Urheberrecht (genauer: das Exklusionsrecht) muss weg. Gleichzeitig vertreten die Piraten urliberale — wenn nicht gar neoliberale — Positionen der Warenmonade, nach denen jede und jeder sich um seine ökonomische Verwertung zu kümmern hat. Geld und Marktwirtschaft sind heilig, die Verwertungslogik naturgegeben, und  auch eine Vorstellung eines alternativen Gesellschaftsvertrags im digitalen Kapitalismus gibt es nicht. Doch: Wissenskommunismus + Neoliberalismus = Hauen und Stechen. Survival of the Fittest in seiner übelsten Form. Das entspricht am ehesten dem us-amerikanischen Libertarismus.

So ist es völlig nachvollziehbar, wenn Linksdemokraten gleich welcher Provenienz auf den Staat setzen, um per Kulturflatrate oder anderen Staatsinstallationen einen monetären Ausgleich in Zeiten der frei flottierenden Kopie zu schaffen. Doch der Sozialstaat ist ein Auslaufmodell, da ist nix mehr zu retten und erst recht nix draufzusatteln. Gleichzeitig ist der Wissenskommunismus auf dem Weg und nicht mehr aufzuhalten — trotz technischer Maßnahmen (DRM) und juristisch-politischen Handgreiflichkeiten. Warum man jemand nach einer Kopie vom Kopierten weniger haben soll, ist ja auch wirklich nicht nachzuvollziehen.

Die Piratenpartei ist die perfekte Inkarnation des beschriebenen Dilemmas.

Wie lösen sich Dilemmata auf? Ein Dilemma ist ein entweder-oder, ist eine Polarität. Im Unterschied zur Dialektik sind die Pole nicht vermittelt, sie stehen sich unvereinbar gegenüber. Das ist auch bei der Piratenpartei so, und manche finden gerade das toll. Im Zuge der weiteren Einbeziehung in den Politzirkus, wird sich die ambivalente Situation klären müssen, schließlich muss im Parlament entschieden werden. Meine Voraussage: Von der Piratenpartei wird nicht viel Piratiges übrigbleiben. Ein bißchen Urheberrechtsreform, ein bißchen Bürgerechte, eine Menge Individualismus — und das war’s. Eine Mischung aus FDP und Grünen.

Muss das so sein? Selbstredend nicht. Die Piratenpartei oder allgemeiner: der Piratismus als Lebensweise hat dann eine Chance, wenn das Ganze (weiter) gedacht wird. Wenn also die Frage gestellt und beantwortet wird, wie alle gut leben können. Das würde klarerdings bedeuten, die Prinzipien des Wissenskommunismus zu verallgemeinern und nicht die des Neoliberalismus. Es würde bedeuten, das Commons-Prinzip — die Behandlung von Gütern als Gemeingüter — überall durchgesetzt wird. Es würde bedeuten, die commons-basierte Peer-Produktion, die es im digitalen Bereich schon gibt und für die die Piraten auch eintreten, zur allgemeinen Produktionsweise zu machen. Dass damit irgendwann Markt, Geld und Staat zur Disposition stehen, ist absehbar, aber keine Frage, die morgen entschieden wird. Vorschläge, wie man eine commonsbasierte Peer-Produktion auch für stoffliche Güter organisieren kann, liegen auf dem Tisch.

P.S. Ja, ich weiss, dass ich mich gerade nicht beliebt mache, wo doch viele aus lauter Verzweiflung über Zensursula, die grottige Dummheit der Grünen und die netzpolitische Abwesenheit der Linken auf die Piratenpartei abfahren. Aber: Wir sprechen uns in einem Jahr wieder. Spätestens.

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