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Ist Commonismus Kommunismus? (HTML)

Nachfolgend die HTML-Version meines PROKLA-Artikel [1]. Der Artikel ist in der PROKLA 155 „Sozialismus?“ erschienen; er darf gemäß den Bedingungen der »Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen Deutschland« Lizenz [2] (abgekürzt „CC-BY-SA“) in der Version 3.0 genutzt werden. Mein besonderer Dank geht an Stefan, der sich um die Konvertierung nach HTML gekümmert hat!

Ist Commonismus Kommunismus?

Commonsbasierte Peer-Produktion und der kommunistische Anspruch

In den letzten Jahrzehnten ist eine neue Produktionsweise in Erscheinung getreten, die unter Namen wie „commonsbasierte Peer-Produktion“ (Benkler 2006), „Commonismus“ (Dyer-Witheford 2007) und „Peer-Ökonomie“ (Siefkes 2007, 2009a, b) diskutiert wird. Beispiele dieser Produktionsweise finden sich bisher vor allem im Bereich der Informationsproduktion und Informationstechnik. Hier umfasst sie etwa Freie Software wie das Betriebssystem GNU/Linux, den Webserver Apache und den Webbrowser Firefox; Freie Kulturgüter wie die freie Enzyklopädie Wikipedia oder Freie Musik; die Open-Access-Community, die durch Schaffung von freiem Zugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Experimentaldaten das wissenschaftliche Wissen wieder in ein allen zur Verfügung stehendes Gemeingut verwandeln will; und Freie Funknetze, die als selbstorganisierte Computernetzwerke freien Datenverkehr zwischen Computern ermöglichen und freie Zugangspunkte ins Internet zur Verfügung stellen.

Zunächst wurde Peer-Produktion als bloße Spielart der kapitalistischen Produktionsweise begriffen (so etwa von Raymond (2001), der die Aktivitäten von Freie-Software-Entwickler/innen als Maßnahmen zur Erhöhung der eigenen Jobchancen auf dem Arbeitsmarkt deutet). Gleichzeitig wurde jedoch im Kontext des Oekonux-Projekts die These diskutiert, dass das Produktionsmodell Freier Software als Ansatz einer neuen, sich jenseits der kapitalistischen Wertverwertung bewegenden Produktionsweise zu begreifen sei (z.B. Meretz 2000). Spätestens seit Benkler (2006), der zur Beschreibung dieser Produktionsweise den Begriff „commonsbasierte Peer-Produktion“ einführte, verbreitete sich die Erkenntnis, dass es sich um eine dritte Produktionsweise handelt, die sich sowohl von der marktwirtschaftlichen („Kapitalismus“) wie auch von der planwirtschaftlichen („Realsozialismus“) Produktion grundlegend unterscheidet. Während Benkler die Peer-Produktion für ein reines Nischenphänomen hält, argumentieren andere Theoretiker wie Dyer-Witheford (2007) und Siefkes (2007, 2009a, b), dass diese Produktionsweise grundsätzlich für die gesamte gesellschaftliche Produktion in Frage kommt – dass es sich nicht nur um eine Ergänzung, sondern um eine echte Alternative zum Kapitalismus handelt.

„Kommunismus“ wird heute umgangssprachlich oft mit „Planwirtschaft“ gleichgesetzt. Doch für Marx und Engels war der Kommunismus kein festes System, das herzustellen wäre, sondern vielmehr „die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt“ (MEW 3: 35). Eine kommunistische Produktionsweise wäre somit eine, in der der jetzige Zustand aufgehoben ist, die also nicht mehr die problematischen Aspekte aufweist, die der kapitalistische Produktionsprozess notwendigerweise hervorbringt. Dass die kommunistische Bewegung den Kapitalismus nicht einfach „abschaffen“, sondern vielmehr „aufheben“ soll (im Hegel’schen Sinne), bedeutet aber auch, dass sie nicht hinter die positiven Errungenschaften dieser Produktionsweise zurückfallen darf – kommunistische Produktionsweisen müssen auch die problematischen Elemente vorkapitalistischer Produktionsweisen vermeiden, die mit dem Kapitalismus bereits überwunden wurden.

Im Folgenden soll untersucht werden, wieweit die verallgemeinerte commonsbasierte Peer-Produktion eine kommunistische Produktionsweise in diesem Sinne ist. Dafür werden im nächsten Abschnitt kurz die wesentlichen Aspekte der Marx’schen Kritik am Kapitalismus beleuchtet. Anschließend werden die wesentlichen Formbestimmungen der „commonistischen“ Produktionsweise herausgearbeitet. Im vorletzten Abschnitt geht es um einige kritische Punkte, die in der Diskussion um die Peer-Ökonomie immer wieder aufkommen. Schließlich wird die Frage untersucht, wieweit der Commonismus Marx’ Anforderungen an eine kommunistische Produktionsweise – den Kapitalismus aufzuheben, also seine negativen Merkmale zu überwinden, ohne aber hinter seine Vorzüge zurückzufallen – gerecht wird.

1. Elemente der Marx’schen Kritik

Aus Marx’ Analyse der kapitalistischen Produktionsweise ergeben sich einige für diese Produktionsweise charakteristische Merkmale, von denen man erwarten kann, dass sie in einer vernünftigen, der Gesamtheit der Menschen dienenden Produktionsweise nicht auftreten dürften.

Die Borniertheit: Im Kapitalismus ist es der Profit (nicht die Bedürfnisse), der bestimmt, was produziert wird und was nicht. Wessen Bedürfnisse sich nicht profitabel befriedigen lassen oder wer nicht hinreichend zahlungsfähig ist, hat Pech gehabt.

Der Fetischismus: Die Verhältnisse im Kapitalismus erscheinen als systematisch verzerrt, Dinge und Beziehungen erscheinen anders als sie sind. Insbesondere erscheinen die Beziehungen zwischen Personen (den verschiedenen Produzent/innen) als Beziehungen zwischen Dingen (Waren und Geld), und andersherum. Dabei handelt es sich nicht um Irrtümer, sondern um reale Verkehrungen – reale Illusionen, die die Handlungsspielräume der Menschen bestimmen und beschränken und zwar unabhängig davon, ob sie diese Verkehrungen durchschauen oder nicht.

Die Krisenhaftigkeit: Ein dauerhaft reibungsloser Kapitalismus ist nicht möglich. Die unvermeidlichen zyklischen Krisen erzeugen nicht nur immer wieder verstärkt Not und Elend; sie machen auch alle erkämpften Zugeständnisse und Errungenschaften prekär und vergänglich, da diese in Krisenzeiten leicht wieder abgebaut werden können.

Die Destruktivität: Aufgrund der Spielregeln der kapitalistischen Konkurrenz, die alle zwingt, ihre Konkurrenten zu unterbieten oder zumindest mitzuhalten, und der Notwendigkeit zum möglichst weitgehenden Wachstum, um das akkumulierte Kapital erneut zu verwerten, ist der Kapitalismus notwendigerweise destruktiv gegenüber den Arbeitskräften (den Menschen) und der Natur, die beide soweit es nur geht ausgebeutet werden müssen.

Die Ausbeutung: Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen, müssen grundsätzlich länger und härter arbeiten, als notwendig ist, um die Bedürfnisse zu befriedigen, die sie sich mittels des so verdienten Gelds befriedigen können. Diese zusätzliche Arbeit ist die Quelle des Mehrwerts und damit des Profits. Würde die Produktion auf nichtkapitalistische Weise organisiert, hätten die Menschen also entweder mehr Zeit für andere Dinge oder sie könnten sich zusätzliche Bedürfnisse befriedigen. Außerdem müssen sich Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen, permanent den Zielen anderen Menschen bzw. dem ganz abstrakten Zweck der Wertverwertung unterordnen. Schlimmer noch, als ausgebeutet zu werden, ist es (für diejenigen, die keine Produktionsmittel besitzen), nicht ausgebeutet zu werden – dann bleiben nur Hartz IV, Elend und Not.

Ein weiterer Punkt, der bei Marx selbst keine große Rolle spielt, aber von Autor/innen in seiner Tradition wie Scholz (2005) und Trumann (2002) entwickelt wurde, ist die Tendenz des Kapitalismus zur Normierung und Normalisierung und dadurch zur Ausgrenzung und Abspaltung des „Unnormalen“ und nicht Passenden. Das kann sich äußern in der modernen Konstruktion des „Weiblichen“ (dem abgespaltenen Bereich dessen, was sich nicht unmittelbar in die Verwertungslogik einpassen lässt), in der Normierung und Reglementierung der Sexualität und der Körper, und in der Psychiatrisierung derjenigen, die mit dem Verwertungszwang und der kapitalistischen Logik nicht klarkommen.

Da der Kapitalismus aufgrund seines Fetischcharakters schwer zu durchschauen ist, führt verkürzte und irregeleite Kritik zudem immer wieder zu Ausgrenzung, Diffamierung und Verfolgung mutmaßlicher „Sündenböcke“; und die permanente Notwendigkeit, sich mit anderen messen zu müssen, führt leicht dazu, sich vermeintlich unterlegene Menschengruppen herbeizureden, auf die man meint herabsehen zu können.

Es gibt aber auch Nachteile vorkapitalistischer Produktionsweisen, die im Kapitalismus wegfallen. So basierte die Produktion etwa im „finstre[n] europäische[n] Mittelalter“ (MEW 23: 91) auf persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen zwischen Leibeigenen oder anderweitig Abhängigen und ihren Herren. Die kapitalistische Epoche befreit die Arbeitenden aus dieser persönlichen Abhängigkeit; an ihre Stelle treten freilich andere, unpersönliche Abhängigkeitsverhältnisse (die durch die Gesetze des Marktes erzwungene Unterordnung unter die Kapitalverwertung als verselbstständigtem Automatismus). Diese neuen sachlichen Abhängigkeitsverhältnisse sind die Grundlage für Ausbeutung, Borniertheit und Fetischismus; sie sind daher zu überwinden. Das darf jedoch nicht dazu führen, dass wieder persönliche Abhängigkeitsverhältnisse an die Stelle der unpersönlichen treten – dadurch wäre für die Abhängigen nichts gewonnen.

2. Charakteristika der commonistischen Produktionsweise

Beiträge, Kooperation und Commons

Die Praktiken der „commonsbasierten Peer-Produktion“ zeichnen sich durch folgende Merkmale aus (vgl. Benkler 2006: insb. Kap. 1-4; Siefkes 2009b):

Peer-Produktion basiert auf Beiträgen (nicht auf Tausch). Peer-Projekte haben ein gemeinsames Ziel (z.B. die Erstellung einer Software). Menschen tragen etwas zu einem Projekt bei, weil sie wollen, dass es erfolgreich ist, nicht weil sie Geld verdienen oder Wert verwerten wollen – es ist der Gebrauchswert und nicht der Tauschwert, der die Teilnehmenden motiviert.

Manchmal sind die eigenen Beiträge mit einem umittelbaren eigenen Nutzen verknüpft – beispielsweise bei Filesharing-Netzwerken wie BitTorrent, wo man schneller an die von anderen geteilten Dateien kommt, wenn man selbst Dateien mit anderen teilt. In anderen Fällen gibt es keine solche Kopplung zwischen Geben und Nehmen – etwa bei Freier Software, die alle benutzen dürfen, unabhängig davon ob sie selbst Freie Software schreiben. In beiden Fällen wird der Aufwand zur Erreichung des gemeinsamen Ziels unter denen aufgeteilt, denen das Projekt hinreichend wichtig ist, um etwas dazu beizutragen.

Peer-Produktion basiert auf freier Kooperation (nicht auf Zwang oder Befehl). In Peer-Projekten gibt es keine strukturellen Abhängigkeitsverhältnisse – niemand kann anderen befehlen, etwas zu tun, und niemand ist gezwungen, anderen zu gehorchen. Deshalb spricht Benkler von Kooperation zwischen Gleichen, zwischen „Peers“. Das bedeutet nicht, dass es in solchen Projekten keine Strukturen gäbe – im Gegenteil, für gewöhnlich gibt es sog. Maintainer/innen oder Administrator/innen, die ein Projekt auf Kurs halten und darüber entscheiden, welche Beiträge angenommen und welche abgelehnt werden. Aber niemand kann andere dazu zwingen, etwas zu tun, das sie nicht tun wollen – auch Maintainern bleibt nur, die Beteiligten davon zu überzeugen, dass eine bestimmte Aktivität für ihr Projekt sinnvoll ist.

Zudem sind Projektstrukturen adaptiv und entwickeln sich gemeinsam mit dem Projekt. Wenn Projektbeteiligte mit bestimmten Aspekten unzufrieden sind, können sie versuchen, die anderen Beteiligten davon überzeugen, sie zu verändern. Einen letzten Ausweg bietet der Fork, das heißt die Abspaltung und Organisation eines eigenen Projekts.

Peer-Produktion basiert auf Commons (Gemeingütern) und Besitz (nicht auf Eigentum). Commons sind Ressourcen und Güter, die allen zustehen und die gemäß selbstdefinierten Regeln gemeinsam oder anteilig genutzt werden. Bei den von Benkler beschriebenen Praktiken spielen Commons eine wichtige Rolle als Input und/oder Output des Produktionsprozesses – in den bisherigen informationslastigen Peer-Projekten sind insbesondere Freie Software und Freies Wissen solche Commons. Bei Freien Funknetzen ist das gemeinsame gebildete Funknetz, das Zugang zum Internet ermöglicht, das Gemeingut. Andere Ressourcen wie die verwendeten Computer sind in heutigen Peer-Projekten typischerweise in Privatbesitz, aber sie werden zum Erreichen der Projektziele eingesetzt oder geteilt, nicht zum Erzielen eines finanziellen Gewinns. Sie fungieren als Besitz (etwas, das man benutzt), nicht als Eigentum (etwas, das man verkaufen oder verwerten kann).

Jede Verallgemeinerung der commonsbasierten Peer-Produktion muss die genannten Merkmale beibehalten, will sie nicht ihren Charakter verlieren. Die Theoretiker der Peer-Produktion sind sich insbesondere über die zentrale Rolle der Commons einig. Benkler (2006) spricht deshalb von commonsbasierter Peer-Produktion, und Dyer-Witheford (2007) sieht die „Zirkulation der Commons“ als Elementarform des Commonismus – im Gegensatz zum Kapitalismus, dessen elementare Form die Warenzirkulation ist. Wobei man die „Zirkulation der Commons“ nicht mit der Zirkulation von Geld und Waren gleichsetzen kann – was Dyer-Witheford skizziert, läuft eher darauf hinaus, dass Commons, sei es als Ressourcen oder als Produktionsmittel, das Herzstück der produktiven Infrastruktur sind.

In meinen früheren Veröffentlichungen (insb. Siefkes 2007, 2009a) habe ich neben der Bedeutung der Commons als Grundlage der Produktion vor allem den Übergang von Eigentum zu Besitz betont – während man im Kapitalismus Eigentum mit umfangreichen Exklusivrechten hat, die insbesondere auch das Recht zum Verkauf umfassen, hat man in der Peer-Ökonomie Besitz, den man benutzt, und der bei Nichtbenutzung grundsätzlich an andere übergehen kann.

Zusammenfassend lässt sich konstatieren: In der commonsbasierten Produktionsweise sind die Ressourcen und Produktionsmittel Commons, die damit produzierten Güter sind Commons oder Besitz. Exklusives Eigentum, das über reine Besitzverhältnisse und Nutzungsrechte sowie über sog. moralische Rechte (wie das Recht von Autor/innen auf Namensnennung) hinausgeht, spielt in den diskutierten Ansätzen keine Rolle. Das ist auch plausibel, denn wie Nuss (2006) zeigt, ist der moderne Eigentumsbegriff mit der Entwicklung des Kapitalismus entstanden – es ist daher anzunehmen, dass er mit dem Ende des Kapitalismus auch wieder verschwinden oder sich grundsätzlich wandeln wird.

Selbstauswahl, Absprachen und Pools zur Aufteilung von Aufgaben und Gütern

Heylighen (2007) charakterisiert die in Peer-Projekten verwendete Organisationsweise als „stigmergisch“. Eine von jemand begonnene Arbeit hinterlässt Zeichen (gr. stigmata), die andere dazu anregen, sie fortzusetzen. Ein wichtiger Teil der Kommunikation besteht darin, anderen solche Zeichen zu hinterlassen, etwa durch To-Do-Listen und Bug-Reports in Softwareprojekten und durch „rote Links“ (auf fehlende Artikel) in der Wikipedia. Generell ermöglicht die Offenlegung des Quellcodes es allen Interessierten, den Zustand eines Projekts zu begutachten und es dort zu erweitern, wo sie möchten.

Dass jede/r denjenigen Zeichenspuren folgt, die sie oder ihn am meisten interessieren, sorgt dabei sowohl für eine automatische Priorisierung der offenen Aufgaben (was mehr Leuten am Herzen liegt, wird im Allgemeinen schneller erledigt) als auch dafür, dass die unterschiedlichen Kenntnisse und Fähigkeiten der Beitragenden nahezu optimal eingesetzt werden (man arbeitet zumeist an dem, was man sich am ehesten zutraut). Und da man sich aussucht, ob und wo und wie viel man mitarbeitet, sind die Beteiligten motivierter als Menschen, denen eine Aufgabe zugeteilt wird oder die nur wenige Alternativangebote haben (wie es bei Angestellten in Firmen oder Selbstständigen auf dem „freien Markt“ die Regel ist).

Dieser Stil, bei dem die Beteiligten aus eigener Entscheidung bestimmen, wie viele und welche Aufgaben sie übernehmen, wird auch als „Selbstauswahl“ bezeichnet. Selbstauswahl bedeutet aber nicht, dass jeder Beitrag akzeptiert werden müsste – bei Freier Software prüfen Maintainer/innen oder andere Projektbeteiligte, ob Änderungen oder Erweiterungen auch inhaltlich sinnvoll und technisch gelungen sind. Was die Beteiligten machen, hängt nicht nur von den jeweiligen Entscheidungen der Einzelnen, sondern auch von der Integration in das Projekt und dem Vertrauen der anderen Beteiligten ab (vgl. Siefkes 2009a).

Bei der Produktion von Dienstleistungen und materiellen Gütern, die (anders als Informationsgüter) nicht einfach nahezu kostenfrei kopiert werden können, dürfte dabei Absprachen zur Einbeziehung der Einzelnen in den Gesamtprozess eine größere Bedeutung zukommen. Ein Softwareprojekt kann (zumindest theoretisch) auch mit einer sehr kleinen Gruppe von aktiv Beitragenden eine sehr große Zahl von Nutzer/innen bedienen, bei Dienstleistungen und materiellen Produkten ist das in aller Regel nicht möglich. Wir hatten oben schon gesehen, dass es etwa bei Filesharing-Netzwerken eine Kopplung zwischen Geben und Nehmen gibt, bei der aktiv Beitragende schneller zum Zug kommen als sog. „leechers“ (Leute, die immer nur nehmen, ohne zu geben).

Da aber die einzelnen Menschen, die vermutlich hunderte von verschiedenen Gütern zum Überleben brauchen, nicht zu dutzenden oder hunderten von Projekten gleichzeitig beitragen können, habe ich in Siefkes (2007: Kap. 5.2) ein Pool-Modell vorgeschlagen, das eine projektübergreifende Kopplung von Geben und Nehmen (wo sie denn nötig ist) ermöglichen soll. Die Idee des Verteilungspools ist, dass sich eine beliebige Anzahl von Projekten zusammentut, um sowohl die zu erledigenden Aufgaben als auch die produzierten Güter untereinander aufzuteilen – wobei der Pool grundsätzlich offen ist, also alle Menschen und Projekte ohne Weiteres beitreten können, sofern sie die vereinbarten Spielregeln akzeptieren.

Anders als der Markt, der als ex-post-Mechanismus funktioniert, wo die Produzenten unabhängig voneinander entscheiden, was sie produzieren und verkaufen wollen, ist der Pool als ex-ante-Mechanismus gedacht, wo zunächst der gesellschaftliche Bedarf erfasst und dann in eine gesamtgesellschaftliche Agenda umgesetzt wird. Es handelt sich um eine permanent aktualisierte gesellschaftliche Bedarfs- und Aufgabenliste, die sich aus den Wünschen der Beteiligten ergibt. Die Menschen wünschen sich als Konsument/innen, was sie haben möchten; per Selbstauswahl benennen sich Projekte, die sich grundsätzlich für die Erfüllung bestimmter Wünsche zuständig fühlen und daraus eine Liste der dafür notwendigen Aufgaben zusammenstellen; sofern es innerhalb des jeweiligen Projekts nicht schon Beteiligte gibt, die sich um die entsprechenden Aufgaben kümmern können, trägt es die Aufgaben dann wiederum in die öffentliche Aufgabenliste des Pools ein. Als Produzent/innen übernehmen die Menschen (per Selbstauswahl) Aufgaben, die ihnen interessant erscheinen und für die sie sich kompetent fühlen, und beteiligen sich dabei an einem oder mehreren Projekten (in Abstimmung mit den anderen Mitgliedern dieser Projekte).

Die Kopplung zwischen Nehmen und Geben kommt dadurch zustande, dass Projekte den zur Güterproduktion nötigen Aufwand (d.h. den Umfang der erledigten Arbeiten, siehe unten für mehr) erfassen und anteilig an die Konsument/innen ihrer Güter weitergeben. Im Fall des proportionalen Allokationsmodells wird dabei erwartet, dass die Konsument/innen jeweils ihren Anteil des Produktionsaufwands dem Pool „zurückgeben“, indem sie ihrerseits Aufgaben im gleichen Umfang für den Pool erledigen (in beliebigen Projekten ihrer Wahl). In diesem Modell hängt der Umfang der individuellen produktiven Tätigkeit daher vom Umfang des individuellen Konsums ab: Je mehr bzw. aufwändiger man konsumiert, desto mehr soll (oder muss – ob die Kopplung zwischen Geben und Nehmen eher empfehlenden oder eher verpflichtenden Charakter hat, ist für das Grundverständnis der Modelle irrelevant) man selbst zum Pool beitragen, d.h. für andere tun.

Alternativ dazu gibt es das Flatrate-Modell, wobei der Gesamtaufwand der Produktion zwar ebenfalls auf die Gesamtheit der Konsument/innen aufgeteilt wird, aber unabhängig von der individuellen Konsumtion. Auch hier sollen die Konsument/innen insgesamt so viel zum Pool beitragen, dass die Gesamtmenge ihrer Beiträge der Gesamtmenge ihrer Entnahme entspricht, aber hier wird von einer mehr oder weniger gleichmäßigen Aufteilung des Aufwands ausgegangen, unabhängig von der individuellen Konsumtion. Dieses Modell ist insbesondere für Güter gedacht, die von vielen Menschen parallel genutzt werden, so dass eine individuelle Erfassung unmöglich oder unpraktisch ist – z.B. Straßenbau und öffentlicher Nahverkehr – sowie für Bereiche, wo der individuelle Verbrauch aus Gründen, auf die man individuell wenig Einfluss hat, stark schwankt – etwa die Gesundheitsversorgung. Es kann aber grundsätzlich für beliebige Güter angewandt werden, z.B. auch für Nahrungsmittel.

Anders als beim proportionalen Modell, das sich nach individuellen Präferenzen richtet, ist beim Flatrate-Modell eine gesellschaftliche Entscheidung darüber nötig, was per Flatrate produziert und verteilt werden soll. Diese Entscheidung kann grundsätzlich von der Gesamtheit der an einem Pool Beteiligten getroffen werden, aber auch von beliebigen Untermengen davon, die den anfallenden Aufwand dann nur untereinander aufteilen, etwa von den Einwohner/innen einer Stadt oder einer Region. Das Flatrate-Modell ist auch zur Sicherstellung der Versorgung von Menschen gedacht, die sich aus dem einen oder anderen Grund nicht an der Produktion beteiligen (z.B. Kinder, alte Leute, Kranke) – hier wird von den produktiv Tätigen erwartet, dass sie anteilig den zusätzlichen Aufwand zu dem Pool beitragen, der zur Befriedigung der konsumtiven Wünsche der Nichtproduzierenden nötig ist.

Die verschiedenen Modelle gehen jeweils von Aufwand aus, der aufzuteilen ist. Damit ist die zur Produktion nötige menschliche Arbeit gemeint, die aus verschiedenen konkreten, nützlichen Tätigkeiten besteht. Da nicht alle Menschen alle Tätigkeiten gleichermaßen übernehmen können und wollen, lässt sich Aufwand nicht einfach auf Arbeitszeit reduzieren. Ziel des Verteilungspools ist es ja, die gesamte gesellschaftlich gewünschte Produktion zu organisieren, indem die dafür nötigen Aufgaben unter den Beteiligten aufgeteilt werden – das würde aber nicht funktionieren, wenn sich alle um die beliebten, einfachen Aufgaben reißen würden, während sich niemand der schwierigen oder unschönen Tätigkeiten annimmt.

Die in Siefkes (2007: Kap. 4.3.3 u. Anhang) skizzierte Idee ist daher, Gewichtungen für unterschiedliche Aktivitäten zu ermitteln und für die Aufwandsberechnung jeweils gewichtete Arbeitszeiten zugrunde zu legen. Alle Aufgaben haben zunächst das Gewicht 1, aber wenn es nicht genügend Leute gibt, die eine Aufgabe übernehmen wollen und können, wird ihr Gewicht schrittweise erhöht, mit dem Ziel, die Erledigung dieser Aufgabe für mehr Leute attraktiver zu machen. Der für die Erfüllung einer Aufgabe angerechnete Aufwand ergibt sich aus der Arbeitszeit multipliziert mit dem Gewicht der Aufgabe – eine Stunde einer weniger attraktiven Aufgabe mit Gewicht 2.0 entspricht zwei Stunden einer attraktiven Aufgabe mit Gewicht 1.0.

Grundsätzlich kann das Gewicht einer Aufgabe aus zwei Gründen steigen: weil es sich (in der Terminologie von Marx) um „komplizierte Arbeit“ handelt, die besondere Fähigkeiten und Qualifikationen erfordert (z.B. Ärzt/in), oder weil die Arbeit, auch wenn es sich um „einfache Arbeit“ handelt, als unangenehm oder aus anderen Gründen als unattraktiv empfunden wird (z.B. Müllabfuhr). Im Kapitalismus zählt komplizierte Arbeit als in höherem Maße wertbildend als einfache (MEW 23: 59, 211f), was sich im Allgemeinen auch in höheren Löhnen niederschlägt (die entsprechenden Arbeiter/innen „investieren“ i.A. mehr Geld und Zeit in ihre Ausbildung, was sie nur machen werden, wenn sich dies durch höhere Löhne „rentiert“). Zwischen unterschiedlichen einfachen Arbeiten wird dagegen kein Unterschied gemacht: Die Arbeiter/innen können es sich nicht leisten, wählerisch zu sein, da sie in Konkurrenz zueinander zum Verkauf ihrer Arbeitskraft gezwungen sind, der für die Einzelne nie garantiert ist – wer eine unattraktive Arbeit ausschlägt, bleibt leicht ganz auf der Strecke.

Dieser gleichmacherische Effekt der Konkurrenz entfällt in der Peer-Ökonomie, da die anfallende Arbeit ja nur unter den Beteiligten aufgeteilt wird und niemand befürchten muss, dass die anderen ihr alle Aufgaben wegschnappen und sie „arbeitslos“ wird. Zugleich wird in dem Konzept angenommen, dass der Erwerb von Qualifikationen üblicherweise selbst als gesellschaftlich nützlicher Beitrag anerkannt wird. Soweit dies der Fall ist, ist der Erwerb von Qualifikationen also kein „Opfer“ der Einzelnen, das sie nur „geködert“ durch eine höhere Aufgabengewichtung erbringen würden. In diesem Fall ist die Annahme plausibel, dass es in der Peer-Ökonomie – gerade umgekehrt als im Kapitalismus – auf Dauer primär die Beliebtheit, aber nicht oder nur in sehr viel geringerem Maße die Kompliziertheit der Arbeit ist, die die Aufgabengewichte bestimmt.

Der zur Produktion eines Guts nötige Aufwand schließt natürlich auch alle Vorarbeiten ein, also anteilig auch den zur Produktion der notwendigen Produktionsmittel (Maschinen, Vorprodukte, Hilfsprodukte etc.) nötigen Aufwand. Neben Aufwand, also menschlicher Arbeit, sind zur Produktion typischerweise auch natürliche Ressourcen nötig. Ressourcen sind in dem diskutierten Ansatz Commons, haben also keine Eigentümer, die sie etwa als Beiträge in den Pool einbringen könnten (Siefkes 2007: Kap. 5.5). Stattdessen sind zunächst gesellschaftliche Entscheidungen dazu nötig, ob und zu welchen Zwecken die vorhandenen Ressourcen für die menschliche Nutzung verfügbar sein sollen – für diese und andere gesellschaftliche Entscheidungen wird ein Rätemodell vorgeschlagen, das rätekommunistischen Modellen, aber auch den Entscheidungsstrukturen in großen heutigen Peer-Projekten wie der Wikipedia ähnelt.

Wenn Ressourcen zur Nutzung freigegeben werden, ohne für besondere Zwecke benötigt zu werden, stehen sie grundsätzlich allen Interessent/innen zur freien Verfügung. Im Falle, dass die Nachfrage nach einer Ressource die verfügbare Menge übersteigt, wird ein „Versteigerungsmodell“ zur Lösung dieses Konflikts vorgeschlagen. Die Idee dabei ist, dass die Interessenten sich bereit erklären, etwas für die Allgemeinheit (die ihnen die Nutzung der Ressource ermöglicht) zu tun, indem sie in erhöhtem Maße Aufwand in den Pool beitragen, sich also verstärkt am allgemeinen Produktionsprozess beteiligen. Die Nutzung der Ressource wird denen gestattet, die im Gegenzug am meisten Aufwand in den Pool einzubringen bereit sind. Da der im Pool insgesamt anfallende Aufwand dabei unverändert bleibt (es handelt sich ja einfach um die zur Produktion der insgesamt gewünschten Güter notwendige Arbeit), werden also alle anderen an dem Pool beteiligten Personen und Projekte entlastet: dadurch dass die Ressourcen-Ersteigerer mehr Aufwand beitragen und sich so in verstärktem Maße am allgemeinen Produktionsprozess beteiligen, brauchen alle anderen etwas weniger beizutragen, um an die von ihnen gewünschten Güter zu kommen. Derartige „Versteigerungen“ kommen in dem Modell also der Allgemeinheit zugute, im Gegensatz zu eigentumsbasierten Systemen, wo Einzelne aus ihrem Privateigentum an Ressourcen eine Rente ziehen können.

Von vornherein gesellschaftliche Produktion auf Basis transparenter, bewusst gestalteter Prozesse

Bei den oben diskutierten Konzepten wie der Berechnung von Arbeitsgewichtungen, der Erfassung bzw. Abschätzung von Arbeitszeiten etc. handelt es sich in allen Fällen um bewusste Konventionen, auf die sich die an einem Pool Beteiligten einigen und deren Details sie abklären müssen; im Gegensatz zur Wertbildung im Kapitalismus sind es keine Prozesse, die sich „hinter dem Rücken der Produzenten“ (MEW 23: 59) vollziehen. Die Produktion erfordert jeweils eine Einigung zwischen Produzent/innen und Konsument/innen, wobei erstere abschätzen müssen, wie viel Aufwand ungefähr zu erwarten ist, und sich letztere entscheiden müssen, ob sie dies akzeptieren und ihrerseits bereit sind, den entsprechenden Aufwand dem Pool „zurückzugeben“. Diese Abstimmung zwischen Produzenten und Konsumenten wird durch die softwaregestützte Bedarfs- und Aufgabenerfassung des Pools erleichtert, aber nicht überflüssig gemacht. Anders als beim Markt, wo sich der gesellschaftliche Charakter der Produktion im Allgemeinen erst hinterher herausstellt (wenn und falls der Verkauf gelingt), ist die Produktion im Pool von Anfang an gesellschaftlich: man produziert nicht ins Blaue hinein, sondern für real bestehenden Bedarf.

Dieser ex-ante-Charakter der Produktion bedeutet nicht, dass nun jeder klitzekleine Wunsch (etwa nach einem Brötchen) vorher explizit eingegeben werden müsste – hier kann man auch aus vergangenen Wünschen auf die künftigen schließen und für den abgeschätzten (statt schon real angemeldeten) künftigen Bedarf produzieren. Umgekehrt wird ja auch auf dem Markt in vielen Fällen auf Bestellung produziert, ohne dass sich dadurch am grundsätzlichen ex-post-Charakter der Produktion etwas ändern würde.

3. Kritische Punkte

Kopplung und Kommunismus

Insbesondere Vertreter/innen einer romantischen Vorstellung von Kommunismus als „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ (z.B. Weiß 2009) mag es irritieren, dass es in dem beschriebenen Modell einer Peer-Ökonomie noch eine Kopplung von Geben und Nehmen gibt – zwar nicht in allen (so stehen frei kopierbare Güter wie Software allen frei zur Verfügung), aber doch in vielen Fällen. Und dass im Falle des „proportionalen Modells“ die Höhe der geforderten Beiträge an die Höhe der eigenen Entnahme gekoppelt ist, wobei zwar keine direkte Äquivalenz (da es wegen der Versorgung Nichtbeitragender und der Verteilung von Ressourcen zu Differenzen kommt), aber doch eine Proportionalität zwischen Geben und Nehmen existiert. Sollte mit dem Kapitalismus nicht auch das Aufrechnen von Geben und Nehmen, das Streben nach Äquivalenz oder zumindest Proportionalität verschwinden?

Marx selbst sah eine solche Kopplung zwar als verwandt mit bürgerlich-kapitalistischen Denkweisen, aber nicht als inkompatibel mit kommunistischen bzw. sozialistischen Produktionsweisen an, vgl. seine Überlegungen zum „Verein freier Menschen“ im Kapital (MEW 23: 92f) sowie zur ersten Phase einer kommunistischen Gesellschaft in der Kritik des Gothaer Programms (MEW 19: 20).

Beide Male geht Marx davon aus, dass eine proportionale Kopplung von Geben und Nehmen zwar mit dem kapitalistischen Äquivalententausch verwandt ist, andererseits aber mit dem Kommunismus vereinbar und für eine künftige kommunistische Produktionsweise, die ja nicht vom Himmel fallen, sondern nur aus dem Kapitalismus hervorgehen kann, zunächst sogar notwendig ist. Zugleich betont er, dass selbst ein solcher „kapitalismusnaher“ Aufteilungsmodus schon radikal mit dem Äquivalententausch bricht, indem er nämlich deren Grundlage, den Tausch, aufhebt (MEW 19: 19f).

Tausch setzt Privateigentum an Produktionsmitteln und private Produktion voraus, die sich erst im Nachhinein – über den Verkauf – als gesellschaftlich erweist. Er erfordert also einen ex-post-Mechanismus zur nachträglichen Vergesellschaftung privater Produktion: den Markt. Wenn die Produktionsmittel zu Gemeingütern werden und die Arbeitsteilung über einen ex-ante-Mechanismus erfolgt, so dass die Produzierenden von Anfang an nicht für den anonymen Verkauf, sondern für die bereits bekannten Bedürfnisse anderer produzieren, dann gibt es keinen Tausch (also auch keinen Äquivalententausch) mehr, selbst wenn es noch eine „bürgerliche“ Kopplung zwischen Geben und Nehmen gibt. Diesen ex-ante-Mechanismus nennt Marx „Genossenschaft“, ich bezeichne ihn als „Pool“.

Dass nicht nur das Geld, sondern auch der Tausch und die private, erst hinterher vergesellschaftete Produktion (Warenproduktion) aufgehoben wird, unterscheidet solche Ansätze etwa von Proudhon, der die Abschaffung des Geldes bei Beibehaltung von privater Warenproduktion und Warentausch propagierte, und dafür von Marx heftig verspottet wurde (vgl. z.B. MEW 23: 102, Fn. 40).

Zudem zeigt Marx, dass Geld die vereinzelte Produktion mit anschließendem Warentausch voraussetzt und dass dort, wo die Produktion von Anfang an gesellschaftlich ist, nicht mehr von „Geld“ gesprochen werden kann, selbst wenn es noch Verrechnungseinheiten gibt (wie den „Anteilsschein“ in Marx’ Szenario oder die „gewichtete Arbeit“ im vorgestellten Poolmodell – vgl. MEW 23: 109f, Fn. 50).

In der tauschbasierten, warenproduzierenden Gesellschaft steht die Beteiligung der einzelnen Produzierenden immer unter dem Vorbehalt des gelingenden Verkaufs; und der Verkauf erfordert ein Sich-Durchsetzen gegen die Konkurrenz, die das gleiche verkaufen will. Firmen wissen nicht, wie viele der produzierten Waren sie tatsächlich zum anvisierten Preis verkaufen können. Arbeiter/innen müssen zunächst einen Kapitalisten finden, der am Erwerb ihrer Arbeitskraft interessiert ist – und auch im Erfolgsfall müssen sie zumeist damit rechnen, in einigen Monaten, Jahren oder Jahrzehnten wieder auf der Straße zu sitzen, da dieser Verkauf nur auf Zeit erfolgt. Im Konkurrenzkampf bleibt ein Teil der gegeneinander antretenden Produzenten notwendigerweise auf der Strecke. Die Beteiligung jeder Einzelnen an der gesellschaftlichen Produktion – und damit auch die angemessene Teilhabe an den gesellschaftlichen Konsumtionsmöglichkeiten – ist dadurch permanent in Frage gestellt.

Bei beitragsbasierter, von Anfang an gesellschaftlicher Produktion entfällt diese allgemeine Unsicherheit; damit entfällt auch die Notwendigkeit allgemeinen Hauens und Stechens im Konkurrenzkampf. Die gesamtgesellschaftlich anfallende Arbeit wird unter den Einzelnen nur aufgeteilt, niemand muss Angst haben, auf der Strecke zu bleiben, weil die eigene Beteiligung nicht gebraucht wird. Die Unterschiede zwischen privater Warenproduktion und gesellschaftlicher „Poolproduktion“ sind daher immens, selbst wenn es noch eine „bürgerliche“, dem Äquivalententausch verwandte Kopplung zwischen Geben und Nehmen gibt.

Marx ging davon aus, dass eine solche Kopplung mit der Zeit überflüssig wird:

„In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, […] nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ (MEW 19: 21)

Wo Arbeit nicht nur Mittel zum Zweck (ich koche, um mir ein Essen zu machen), sondern auch Selbstzweck ist (ich koche, weil ich gerne koche), wird eine Kopplung zwischen Geben und Nehmen tatsächlich ganz unnötig – denn wer gibt, d.h. etwas Gutes für andere tut, bringt in diesem Fall ja kein Opfer, sondern tut zugleich auch etwas Gutes für sich selbst. Gerade in hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaften scheint es plausibel, dass immer mehr Arbeiten einen solchen Status als „Lebensbedürfnis“ gewinnen, da verschiedene Menschen ganz unterschiedliche Präferenzen in Bezug auf die Aktivitäten haben, die sie gerne tun, und da unangenehme Aufgaben durch Automatisierung beseitigt oder durch Umgestaltung angenehmer gemacht werden können. Ob dies allerdings für alle gesellschaftlich nötigen Aufgaben gilt, ist eine Frage, die meiner Ansicht nach rein theoretisch nicht beantwortet werden kann.

An der „bürgerlichen“ Kopplung kritisiert Marx, dass sie, gerade indem sie alle Beteiligten als gleich behandelt, gewisse Ungleichheiten produziert: der eine Arbeiter hat mehr Kinder zu versorgen, der andere weniger; die eine arbeitet langsamer, die andere schneller – für gleichen individuellem Konsum müssen die Arbeitenden also unterschiedlich viel leisten (MEW 19: 20f). Zumindest teilweise treffen diese Kritikpunkte in dem beschriebenen Modell (Siefkes 2007) schon nicht mehr zu, da ich dort davon ausgehe, dass Kinder unabhängig von ihren Eltern Anspruch auf gesellschaftliche Versorgung haben und dass die Betreuung von Kindern selbst als Beitrag gilt, der von der Erbringung anderer Beiträge befreit. Unterschiedliche individuelle Leistungsfähigkeit führt dann noch zur Ungleichheit, wenn Projekte die geleisteten Aktivitäten nach vordefinierten Aufgabenpaketen und nicht nach der individuell mit einer Aufgabe verbrachten Zeit abrechnen – in vielen Fällen wird meiner Erwartung nach letzteres der Fall sein.

Das Problem der Produktionsmittel-Produktion

In Bezug auf die Peer-Produktion wird regelmäßig die Frage aufgeworfen wird (z.B. von Imhof 2009), wie denn die Produktion von Produktionsmittel funktionieren soll, insbesondere wenn es sich um große und arbeitsintensive Produktionsmittel handelt, zu deren Produktion zunächst sehr viel Aufwand aufgebracht werden muss, bevor sie eingesetzt werden können. Theoretisch ist die Sache klar: Der zur Produktion von Konsumgütern insgesamt nötige Aufwand wird unter den Konsument/innen aufgeteilt (entweder gleichmäßig – Flatrate-Modell – oder proportional), wobei dieser Aufwand rekursiv auch alle Vorarbeiten umfasst, also auch den zur Produktion der erforderlichen Produktionsmittel nötigen Aufwand. Wenn ein bestimmtes Produktionsmittel beispielsweise über einen Zeitraum von zehn Jahren eingesetzt wird und in dieser Zeit 10.000 Konsumtionsgüter produziert, dann sollte bei proportionaler Aufteilung jede Nutzer/in eines dieser Güter ein Zehntausendstel dieses Aufwands aufbringen, d.h. dem Pool „zurückgeben“. Um die Produktion der Produktionsmittel dürften sich dabei im Allgemeinen spezielle Projekte kümmern, die den anderen, diese Produktionsmittel einsetzenden Projekten zuarbeiten – es wäre ja weder sinnvoll noch praktikabel, wenn jedes Projekt seine eigenen Produktionsmittel produzieren müsste.

Nach Abnutzung des Produktionsmittels ist die Aufwandsbilanz dann zwar wieder ausgeglichen, aber dabei bleiben natürlich einige Fragen offen: (1) Von wem wird der zur Produktion des Produktionsmittels nötige Aufwand „vorgeschossen“? Die Mitglieder von auf Produktionsmittel spezialisierten Projekten werden ja kaum gewillt sein, so lange zu warten, bis alle mit Hilfe ihrer Produktionsmittel hergestellten Güter bei der Endnutzer/in ankommen, bevor sie ihren geleisteten Aufwand ganz als Beitrag anerkannt bekommen. (2) Wie viele Güter mit einem bestimmten Produktionsmittel tatsächlich produziert wurden, weiß man immer erst hinterher, wenn das Produktionsmittel völlig verschlissen oder veraltet ist – woher weiß also die einzelne Nutzer/in, wie viel sie beitragen soll? (3) Was ist, wenn ein Produktionsmittel ungewöhnlich früh kaputt geht oder besonders lange hält – müssen die Nutzer/innen der mit diesem Mittel produzieren Güter dann mehr bzw. weniger Aufwand beitragen als die Nutzer gleichartiger, aber mit anderen Produktionsmittel hergestellter Güter?

In marktwirtschaftlichen Systemen wird das erste Problem durch Unternehmer/innen gelöst, die in der Hoffnung auf entsprechende Profite die nötigen Investitionen tätigen; zu Fragen (2) und (3) erzwingt die Konkurrenz eine Durchschnittsbildung – die Chance bzw. das Risiko, dass die individuell genutzten Produktionsmittel länger bzw. kürzer halten als erwartet, liegt beim einzelnen Unternehmen. Bei Zentralplanung dagegen gibt es eine zentrale Instanz, die entscheiden kann, welche Produktionsmittel produziert und eingesetzt werden und wie sich der für ihre Produktion nötige Aufwand verteilt.

Bei Peer-Produktion gibt es keinen Profit, der Projekte dazu veranlassen könnte, Aufwand mit ungewissem Ausgang vorzuschießen, wie es Unternehmer tun. Peer-Produktion findet vielmehr aufgrund des Gebrauchswerts der produzierten Güter statt – sie findet statt, weil und wenn genügend Menschen die in einem Projekt produzierten Güter so wichtig sind, dass sie bereit sind, ihren Teil zum entstehenden Aufwand beizutragen. Ein Lösungsansatz kann also ein Subskriptionsmodell sein: ein Projekt sammelt zunächst genügend Abnehmer für die von ihm geplanten Güter; erst wenn sich genug Interessenten finden, beginnt die Produktion. In diesem Fall wissen die Nutzer/innen vorher ungefähr, worauf sie sich einlassen; anschließend wird der tatsächlich entstandene Aufwand unter ihnen aufgeteilt.

In vielen anderen Fällen werden sich die Projekte einer Branche vermutlich absprechen und den entstehenden Aufwand bewusst untereinander aufteilen. Da Projekte nicht in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen, macht es für sie Sinn, ihre Aktivitäten zu koordinieren, um Risiken für die einzelnen Projekte zu minimieren und von den Erfahrungen der anderen zu lernen (vgl. Siefkes 2007: Kap. 5.4 u. Kap. 8.2.1). Projekte können sich absprechen, welche Güter und welche dafür benötigten Produktionsmittel sie jeweils produzieren, und den dabei entstehenden Aufwand untereinander aufteilen – das wäre eine bewusste Durchschnittsbildung, die im Effekt der unbewussten Durchschnittsbildung des Marktes ähnelt, aber auf der Koordination der Produzenten statt dem Wirken der Konkurrenz beruht.

Bei Absprachen zwischen Produzierenden besteht zwar immer die Gefahr, dass es zum Nachteil der Konsument/innen zur Bildung von Gilden kommt, die versuchen könnten, den entsprechenden Produktionsbereich abzuschotten und den Konsumenten mehr Aufwand „abzuknöpfen“ als tatsächlich nötig ist. Praktisch halte ich dieses Risiko allerdings für gering, da bei Peer-Projekten in aller Regel zumindest ein Teil der Produzent/innen auch Konsument/innen des entsprechenden Guts sind (die eigenen konsumtiven Wünsche sind oft der Anlass für die Gründung eines Projekts); dazu kommen die für Peer-Produktion übliche Transparenz und die bei dezentraler Produktion oft vergleichsweise niedrigeren Eintrittsschwellen.

Eine weitere Möglichkeit zur Organisation der Produktionsmittel-Produktion besteht darin, dass sich die Menschen eines bestimmten Gebiets für die Bereitstellung von Produktionsmitteln für ihren gemeinsamen Bedarf entscheiden (und den dabei entstehenden Aufwand untereinander aufteilen). Diese Variante ähnelt der klassischen Zentralplanung, doch ist sie eben nur eine Variante unter mehreren.

Vor allem aber dürfte der Peer-Produktion eine Entwicklung zugute kommen, die sich schon seit den 1970er Jahren (mit dem Ende des sog. Fordismus) abzeichnet: die Produktion wird tendenziell „schlanker“ und verteilter; der zur Produktion einzelner Produktionsmittel nötige Aufwand sinkt. Bekanntester Fall einer solchen Verschlankung der Produktionsmittel sind die Personalcomputer, die sich auf vielfältige Weise in Produktionsprozessen einsetzen lassen und viele teure Spezialmaschinen unnötig gemacht haben; dazu kommen zunehmend leistungsfähiger und flexibler werdende dezentrale Produktionstechniken wie das Rapid Prototyping und Rapid Manufacturing und die on-Demand-Produktion (z.B. Books-on-Demand).

Das Verschwinden der Politik

Nach Durchsetzung des Kommunismus „verschwindet die Gewalt des Staates“ und damit auch der Staat selbst, und die „Regierungsfunktionen verwandeln sich in einfache Verwaltungsfunktionen“, so erwarteten es Marx und Engels (MEW 18: 50, vgl. auch MEW 20: 262). In der kapitalistischen Gesellschaft existieren Ökonomie und Politik als getrennte Sphären: wesentliche Funktion des Staats ist es, die Rahmenbedingung zu setzen und durchzusetzen, innerhalb derer sich die vielen Privatproduzenten und -eigentümer als formell Gleichberechtigte begegnen – die Politik setzt die Bedingungen, innerhalb derer die privatwirtschaftlich organisierte Produktion stattfinden kann, und greift ein, wenn die Privatproduktion versagt oder inakzeptable Konsequenzen hat. Insofern ist es logisch anzunehmen, dass bei von vornherein gesellschaftlicher Produktionsweise die Sphärentrennung von Ökonomie und Politik nicht länger existieren würde – hier fallen die Organisation der Produktion und die Gestaltung der dafür nötigen Rahmenbedingungen unmittelbar zusammen.

Allerdings sind „einfache Verwaltungsfunktionen“ keineswegs so unproblematisch, wie Marx und Engels anscheinend angenommen haben; das zeigen die Erfahrungen mit dem Realsozialismus. Was nützt das Wegfallen der politischen Sphäre, wenn eine mächtige Bürokratie an ihre Stelle tritt?

Peer-Produktion hat sich bisher als gut darin erwiesen, ohne eine separate politische Sphäre und mit sehr wenig Bürokratie auszukommen. Wie erwähnt gibt es in Peer-Projekten keine strukturellen Abhängigkeiten – im Gegensatz zu kapitalistischen Unternehmen fehlt die strukturelle Asymmetrie zwischen Geldgebern (bzw. deren Beauftragten, dem Management) und abhängig Beschäftigten, die ihren Arbeitsplatz verlieren, wenn sie nicht spuren. Es gibt aber im Allgemeinen auch keine gewählten Repräsentanten, die befugt wären, den „Volkswillen“ bzw. den Willen der Beteiligten zu repräsentieren und in seinem Namen Entscheidungen zu treffen. Das lässt Maintainer/innen, die ein Projekt koordinieren, und andere Personen mit besonderen Zuständigkeiten in einer relativ schwachen Position, da sie Entscheidungen nicht einfach nach eigenem Gutdünken treffen können, sondern sich dabei der Zustimmung und Unterstützung zumindest eines Großteils der anderen Beteiligten versichern müssen.

Von befehlsgewaltigen Chefs bzw. Vorgesetzten oder mächtigen Bürokraten sind solche Positionen in Peer-Projekten weit entfernt. Natürlich lässt sich aus der heutigen Realität der Peer-Produktion nicht ohne Weiteres ableiten, dass eine Bürokratisierung oder Hierarchisierung auch in Zukunft ausbleibt. Doch rechtfertigt eine Analyse der heutigen Situation meiner Meinung nach die optimistische Annahme, dass sich die bisher entwickelten Ansätze auch in Zukunft als trag- und ausbaufähig erweisen werden.

Wichtig zum Verständnis des diskutierten Modells ist außerdem, dass der vorgeschlagene Verteilungspool als „administratorlos“ gedacht ist – es gibt keine Entscheidungen, die auf der Ebene des ganzen Pools getroffen werden müssen.

4. Commonismus und Kommunismus

Die commonistische Produktionsweise existiert derzeit nur sehr fragmentarisch, in einzelnen Bereichen; als gesamtgesellschaftliches System kann sie bislang nur gedacht werden. Dennoch lassen sich bereits wesentliche Formunterschiede zur kapitalistischen Produktionsweise erkennen: die Scheidung zwischen Produktionsmittel-Eigentümer/innen und Produzent/innen wird aufgehoben, stattdessen werden natürliche Ressourcen und Produktionsmittel zu Commons, die in gemeinsamen, auf Absprachen und loser Koordination basierenden Produktionsprozessen gestaltet und genutzt werden. Somit entfällt auch die Aufteilung eines Großteils der Menschheit in die Klassen der Produktionsmittel-Eigentümer/innen (Kapitalist/innen) und der „doppelt freien“ Lohnarbeiter/innen, die mangels eigenem Zugang zu Produktionsmitteln zum Verkauf ihrer Arbeitskraft gezwungen sind. Dies bedeutet ein Ende der Ausbeutung und der strukturellen Ungleichheit – die Arbeit anderer kann nicht mehr zur systematischen Quelle für den Reichtum einiger werden.

An die Stelle der unpersönlichen Abhängigkeitsverhältnisse, die die Lohnarbeiter/in zum Verkauf ihrer Arbeitskraft zwingen, treten aber auch keine persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse, wo die Einzelne auf Gedeih und Verderb von einer anderen Person (wie in feudalen und Sklavenhaltergesellschaften) oder Institution (wie im Realsozialismus, wo die Einzelnen weitgehend den Entscheidungen des Staates bzw. der Planungsbehörde unterworfen sind) abhängig ist. An die Stelle dieser einseitigen Abhängigkeitsverhältnisse tritt, wenn man so will, eine allgemeine Abhängigkeit aller von allen, da es in modernen, hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaften Einzelnen oder kleinen Gruppen unmöglich ist, ihre konsumtiven Bedürfnisse ohne die Hilfe einer großen Anzahl anderer zu befriedigen. Ein Rückfall hinter diese im Kapitalismus bereits erreichte Gesellschaftlichkeit der Produktion erscheint weder wünschenswert noch realistisch.

Aber im Kapitalismus ist der gesellschaftliche Charakter der Produktion noch beschränkt, da er sich erst im Nachhinein – und auch keineswegs in allen Fällen – erweist, da die Güter als Waren durch unabhängige Privatarbeiten hergestellt werden, die nur bei gelingendem Verkauf zum Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit werden. Dies ist der zweite wesentliche Formunterschied, denn in der Peer-Ökonomie wird von Anfang an für den bereits bekannten (oder abgeschätzten) gesellschaftlichen Bedarf produziert. Hier findet keine Warenproduktion durch vereinzelte Privatproduzenten statt, sondern die Produktion ist von vornherein gesellschaftlich; sie vollzieht sich im Rahmen einer losen Assoziation der Produzenten/Konsumenten, die mittels Selbstauswahl, Absprachen und Pools ihre produktiven und konsumtiven Bedürfnisse miteinander in Einklang bringen.

Die Verhältnisse, in denen sie dies tun, sind dabei klar erkennbar und werden von ihnen selbst, in kollektiven Gestaltungs- und Aushandlungsprozessen, weiterentwickelt und bestimmt – somit entfällt die Basis des Fetischismus, der im Kapitalismus das Erkennen der tatsächlichen Verhältnisse so erschwert.

Während bei Warenproduktion der Tauschwert bzw. im entwickelten Kapitalismus der Profit die treibende Kraft aller Privatarbeiten ist, sind diese beiden Kategorien im Commonismus nicht mehr existent. Somit verschwindet auch die Borniertheit der Produktion. Statt des Profits gibt es vielfältige andere Gründe, warum sich Menschen an commonistischer Produktion beteiligen: Man beteiligt sich an der Produktion eines Gutes, das man selbst gern hätte; man übernimmt bestimmte Aufgaben, weil man sie gerne macht; oder man beteiligt sich, um der Gemeinschaft etwas zurückzugeben. Auch wo Geben und Nehmen gekoppelt sind, das produktive Tun also nicht Selbstzweck ist, sondern (zumindest auch) Mittel zum Zweck der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse, handelt es sich nur um ein Aufteilen der zum Zweck der allgemeinen Bedürfnisbefriedigung notwendigen Tätigkeiten.

Die an einem Pool Beteiligten unterstützen sich gegenseitig bei der Befriedigung ihrer jeweiligen Bedürfnisse, wobei sie sich zur Vermittlung des Produktionszusammenhangs bestimmte Regeln setzen. Dagegen entspringt der Wert als Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise gerade daraus, dass auf einen von vornherein existierenden Produktionszusammenhang verzichtet wird, dass die Arbeiten zunächst als Privatarbeiten geleistet werden, die erst im Nachhinein als Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit anerkannt werden – oder auch nicht. Im Commonismus ist die Produktion dagegen von Anfang an gesellschaftlich, daher existiert hier kein Wert. Statt des bornierten Zwecks der Wertverwertung wird die allgemeine Bedürfnisbefriedigung Ziel der Produktion.

Da sich die Menschen die notwendige Arbeit nur aufteilen, gibt es auch nicht den Zwang zur Konkurrenz, der daraus erwächst, dass Privatproduzenten sich im Nachhinein, auf dem Markt, gegen die anderen Produzenten durchsetzen müssen, wenn ihre Arbeit nicht vergeblich gewesen sein soll (was auch für die einzelne Lohnarbeiter/in gilt, die ihre Arbeitskraft erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt verkaufen muss). Für Peer-Produzent/innen ist es dagegen sinnvoll, sich mit den anderen zusammenzutun oder abzustimmen und ihr Wissen und ihre Innovationen möglichst weit zu verbreiten, da sie so die gesellschaftlich nötige Gesamtarbeit und (bei Kopplung zwischen Geben und Nehmen) auch ihren eigenen Anteil daran reduzieren können.

Mit dem Zwang zur Konkurrenz entfällt auch die Destruktivität gegenüber Natur und Menschen, die dem Kapitalismus inhärent ist, da die „netten“, umwelt- und menschenfreundlichen Produzenten im unerbittlichen kapitalistischen Konkurrenzkampf fast zwangsläufig ins Hintertreffen geraten. Für die oft gnadenlose Ausnutzung anderer Menschen, die im Kapitalismus tägliche Realität ist, fehlen im Commonismus die strukturellen Grundlagen. Dagegen gibt es keine Garantie dafür, dass die Menschen in einer commonistischen Gesellschaft die Natur gut und pfleglich behandeln würden – aber sie haben auch keinen Grund, dies nicht zu tun. Insbesondere gibt es in der Peer-Ökonomie keinen strukturellen Zwang zum Wachstum mehr – ob die Gesamtheit der produzierten Gebrauchswerte zunimmt, hängt hier allein von den Präferenzen der Menschen ab.

Ein solcher Prozess der gesellschaftlichen, qua loser Koordination aufgeteilten Gesamtproduktion wird sicher nicht in allen Fällen unproblematisch und störungsfrei ablaufen. Was aber fehlt, ist der Grund für die notwendige, zyklische Krisenhaftigkeit des Kapitalismus.

Mit der Aufhebung des Werts als automatischer, hinter dem Rücken der Produzierenden wirksamer Kategorie, verschwindet auch die Grundlage der „Wertabspaltung“, die Scholz (2005) zufolge die modernen Bilder des „Männlichen“ („der Wert“) und „Weiblichen“ („das Abgespaltene“) bestimmt. Und mit dem aus der Konkurrenz entspringenden Zwang zur „Selbstoptimierung“ dürfte auch die Tendenz zur Normierung der Menschen und zur Ausgrenzung derer, die diesem kapitalistischen Ideal nicht entsprechen können oder wollen, wegfallen.

Freilich sind dies keine unmittelbar stattfindenden Vorgänge, die mit den Praktiken der Peer-Produktion zwangsläufig einhergehen – im Gegenteil zeigt Meyer (2007), dass in der heutigen Freie-Software-Community häufig ein Widerspruch besteht zwischen einem auf Offenheit und allgemeiner Partizipation bestehenden Selbstverständnis und bewusst oder unbewusst ausgrenzenden, patriarchalischen oder sexistischen Verhaltensweisen. Zwar existieren diese Projekte zunächst im patriarchalen Kapitalismus und reproduzieren somit auch dessen Probleme und Vorurteile, doch es wäre naiv zu glauben, dass solche Verhaltensweisen mit dem Ende des Kapitalismus von heute auf morgen verschwinden würden.

Die commonsbasierte Peer-Produktion ist kein Allheilmittel, und die allgemeine Aufgabe der menschlichen Emanzipation wird mit ihrer Durchsetzung noch keineswegs abgeschlossen sein. Aber sie bietet wesentliche Voraussetzungen, die Borniertheiten und Beschränktheiten des Kapitalismus zu überwinden, ohne dabei hinter seine positiven Errungenschaften zurückzufallen. Der kommunistische Anspruch lebt, und die commonistische Produktionsweise ist heute seine beste Chance auf Realisierung.

Literatur

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