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Commons… wiederentdeckt!

Wat nix kost is nix

[Dieser Text ist die Einleitung zum Contraste-Schwerpunkt Dezember 2009 [1] zum Thema „Gemeingüter“, in dem auch die verlinkten Artikel erschienen sind.]

Die Debatte um die »Commons« schien 1968 erledigt. Damals veröffentlichte der Biologe Garrett Hardin in »Science« den berühmten Artikel »The Tragedy of the Commons«. Darin heißt es: »Indem die Individuen einer Gesellschaft, die an die freie Nutzung der Gemeinschaftsgüter glaubt, ihre eigenen Interessen verfolgen, bewegen sie sich in die Richtung auf den Ruin aller.« (zitiert nach Barner S.31). Hardin behauptet in durchaus logischer Argumentation, dass Gemeingüter nicht funktionieren und nur plan- oder marktwirtschaftliche Modelle erfolgreich sein können.

»Commons« wurden historisch mit »Allmende« übersetzt, und diese Übersetzung trug wie die Behauptung des Verfassers dazu bei, dass sich bei uns kaum noch jemand für das Schicksal der mittelalterlichen Viehweiden und anderer Gemeingüter interessierte. Dass im Kapitalismus privater Reichtum mit öffentlicher Armut zusammen passt, war auch klar. Tatsächlich scheinen die verschmutzten Züge des öffentlichen Nahverkehrs und die liebevoll geputzten Privatautos diese Behauptung zu bestätigen: »Wat nix kost, is nix«. Auch jeder, der unter kapitalistischen Rahmenbedingungen ein bisschen Selbstorganisiation versucht, kann Beispiele für kleine und große Gemeingüter-Tragödien erzählen.

»Wat nix kost« wurde jedenfalls zur ebenso schlichten wie grobschlächtigen Definition von Gemeingütern. Was keinem privat gehört, gehört niemandem – und: was niemandem gehört wird von keinem gepflegt.

Dagegen betont die aktuelle commons-Debatte, dass die »Tragik der Allmende« nur dann gelte, wenn die gemeinsame Nutzung der Ressourcen keinen Regeln unterworfen ist. Aber commons (Gemeingüter) sind kein Niemandsland. Sie gehorchen durchaus Regeln, die nur anders sind als bei Markt und Staat.

Der US-amerikanische Unternehmer und Autor Peter Barnes (»Ich bin Geschäftsmann… Gleichzeitig weiß ich um die ungesunden Nebenwirkungen profitorientierter Unternehmen.«) beschreibt in seinem Buch »Kapitalismus 3.0 – Ein Leitfaden zur Wiederaneignung der Gemeinschaftsgüter« sehr anschaulich diese neu entdeckten »commons«. Es gibt einen schönen Einstieg in die Fülle und Komplexität des neu-entdeckten Begriffs, auch wenn seine Systematik und Bewertung problematisch sind.

Barnes rechnet z.B. Kapitalmärkte zu den commons, weil er Spekulationsgewinne nach seiner Definition (1) auch für unverdiente gesellschaftliche Gaben hält! Oder er kommt zu der Schlussfolgerung, dass Gemeingüter auch so kapitalisiert werden können, dass sie dem Gemeinwohl dienen. Das kann man kritisieren. Dennoch lohnt sich eine Auseinandersetzung mit seinen Ideen. Dass auch ein gestandener Kapitalist die commons wieder entdeckt, ist ja ein gutes Zeichen für die veränderte Situation: commons sind heute nicht nur ein Nischenthema, sondern gesellschaftlich »so mächtig wie lange nicht mehr« (s. Benni Bärmanns Beitrag auf Seite 9 [2]).

Das eigentlich Selbstverständliche und jedem im Prinzip Bekannte beginnt wieder ins Bewusstsein zu rücken: dass die Menschheit immer »auf den Schultern von Giganten steht« – dass die bürgerlichen (und typischerweise männlich gedachten) Heroen/Protagonisten wie Unternehmer und Erfinder immer auf einen riesigen Schatz gesellschaftlicher Erfahrung, Ressourcen, Bedingungen zurückgreifen – dass das »Private« nicht einfach das Eigene, Persönliche, Besondere ist, sondern tatsächlich mit dem lateinischen »privare« = rauben, wegnehmen zu tun hat.

Inzwischen ist das Nachdenken über die »commons« zu einem anspruchsvollen interdisziplinären politischen Diskurs geworden, wie unser Schwerpunkt zeigen soll. Silke Helfrich, die sich in der internationalen Commonsdebatte bewegt (www.commonsblog.de [3]), steuert eine kurze Einführung zum Kern des Commonsparadigmas als Neue Erzählung für das 21. Jahrhundert bei (Seite 7 [4]). Stefan Meretz (www.keimform.de [5]) überlässt uns die neueste Version seines Versuchs einer kategorialen Gütersystematik (Seite 8 [6]). Benni Bärmann empfiehlt commons als strategische Plattform für unterschiedliche soziale Bewegungen (Seite 9 [2]). Sie könnte die Qualität haben, Vielfalt der politischen Weltanschauungen zu erhalten und gleichzeitig mittelfristig strategische Zusammenarbeit zu ermöglichen. Christian Siefkes schließlich stellt auf Seite 10 [7] ein konkretes Projekt vor: «Tangible Bit«. Dieses Projekt will für materielle Produkte möglich machen, was für die freie Software schon geht. Zum besseren Verständnis gibt er dazu eine Einführung in computergestützte Produktionstechniken. Die Bausteine des Projektes – Freies Design und dezentrale offene Produktionsstätten – sieht er als erste Elemente einer postkapitalistischen, auf Kooperation und Gemeingütern basierenden Produktionsweise.

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1) »Dieser Begriff [commons] bezeichnet eine Reihe von Vermögen, für die zwei Eigenschaften charakteristisch sind: Es handelt sich immer um Gaben, und sie werden immer wechselseitig geteilt. Eine Gabe ist etwas, das uns zufällt, im Unterschied zu dem, was wir verdienen. Eine wechselseitig geteilte Gabe ist eine solche, die uns als Mitgliedern einer Gemeinschaft, nicht jedoch individuell, zufällt.« (S. 28)