Commons als strategische Perspektive für soziale Bewegungen
Die Stärke von sozialen Bewegungen ist ihre Heterogenität. Das macht sie für langfristige und grundsätzliche Veränderungen effektiver als andere gesellschaftliche Akteure. Das macht sie aber auch unübersichtlich. Sie kämpfen nicht nur für eine Veränderung der Welt und neue Sichten auf die Wirklichkeit, sie sind selbst ein Kampffeld in dem sich die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Akteure tummeln. Von Parteien über NGOs bis zu Gewerkschaften und Kirchen mischen alle mit.
Ein bisschen Ordnung in dieses Chaos kann man bringen, wenn man sich das V erhältnis von Weltanschauungen, Strategien und Taktiken der beteiligten Akteure anschaut. Meistens werden Strategien passend zu einer Weltanschauung verfolgt (zB. die Strategie der demokratischen Eroberung der Staatsmacht und Abschwächung der Zumutungen des Kapitalismus als sozialdemokratische Strategie einer sozialistischen Weltanschauung oder die Strategie der Einforderung von wertekompatiblem Handeln als Ausdruck einer konservativen Weltanschauung). Darin zeigt sich die Auffassung über den Charakter von gesellschaftlicher Veränderung. Erfahrungsgemäß ist die Kommunikation über weltanschauliche Grenzen hinweg fast unmöglich und über strategische Grenzen hinweg schwierig, das macht auch oft die Kommunikation in sozialen Bewegungen strukturell anstrengend.
Gesellschaftliche Veränderung funktioniert (meiner Weltanschauung nach) über ein dialektisches Verhältnis von Theorie und Praxis. Das bedeutet, dass beide sich gegenseitig bedingen. Man kann also nicht eine Theorie entwickeln wie die Welt ist und wie sie sein soll und daraus dann einseitig eine Praxis ableiten. Der umgekehrte Weg ist genauso wichtig: Theorie muss die Erfahrungen der Praxis immer wieder neu aufnehmen. Es braucht also eine ständige Kommunikation zwischen theoretischen und praktischen Akteuren (Personalunion ist zwar wünschenswert aber oft nur zum kleinsten Teil gegeben) um Gesellschaft zu verändern. Außerdem sollte dies ein zumindest der Tendenz nach gesamtgesellschaftlicher Prozess sein, der nicht in Nischen verhaftet bleibt, weil die heutigen multiplen Krisen zeigen, dass es einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung bedarf.
Ich könnte nun vor allem darauf hinarbeiten, dass alle Menschen sich meiner Weltanschauung und meiner Strategie der Weltveränderung (Ausweitung von Commons Based Peer Production) anschließen. Das ist langfristig auch sicherlich nötig. Erfahrungsgemäß passiert das aber nur sehr langsam, weil Weltanschauungen tief in den Erfahrungswelten der Individuen verankert sind. Wer noch nicht erlebt hat, dass Selbstorganisation und Selbstregulation eigentlich meistens prima funktionieren, wird Schwierigkeiten mit diesen Konzepten haben (und deswegen ihr Funktionieren auch selten beobachten können). Deswegen sind soziale Bewegungen in ihrer Heterogenität für mittelfristige Erfolge unverzichtbar. Und mittelfristige Erfolge sind angesichts der multiplen Krisen dringend nötig.
Leider haben soziale Bewegungen in ihrer herkömmlichen Form einen gravierenden Nachteil: Durch die Vielfalt der vertretenen Strategien ist es nur sehr schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen auch in taktischen Fragen. So ist es zur Zeit zum Beispiel fast unmöglich eine gemeinsame Antwort auf die Finanzkrise zu formulieren, weil da die unterschiedlichen Strategien und Weltanschauungen sofort dazwischenfunken. Für (Links-)Liberale ist die Finanzkrise ein Ausdruck von zu wenig Markt und für Sozialdemokraten ein Ausdruck von zu wenig Staat. Heraus kommt dann als kleinster gemeinsamer Nenner so was wie „Wir zahlen nicht für eure Krise„. Was zwar nicht völlig falsch ist, aber doch auch irgendwie ein wenig hilflos bleibt.
Schwerwiegender ist aber noch ein anderes Problem, dass ich mal provisorisch die strategische Schranke nenne. Die Erfahrungen der sozialen Bewegung werden nämlich durch diese Struktur theoretisch sehr unterschiedlich interpretiert. Theoretische Einordnung kann nämlich nur auf strategischer Ebene geschehen. Nur in Bezug zu einer ausformulierten Strategie kann ich Praxis theoretisch fassen. Ich kann nur in Bezug zu einer solchen Strategie eine Praxis beurteilen und auch umgekehrt nur eine konkrete Strategie an einer Praxis schärfen (oder verwerfen). Die strategische Vielfalt in sozialen Bewegungen ist also ein Bremsklotz für die Dialektik von Theorie und Praxis. So wünschenswert Vielfalt auf weltanschaulicher Ebene ist, so schwierig ist sie auf strategischer.
Was könnte man also tun um diesem Dilemma zu entkommen? Meine Antwort wäre der Versuch über alle weltanschaulichen Differenzen eine Übereinkunft auf strategischer Ebene zu finden. Dazu bräuchte es eine strategische Plattform die folgende Eigenschaften hat:
- Sie ermöglicht weiterhin weltanschauliche Vielfalt.
- Sie ist in der Tendenz gesamtgesellschaftlich einsetzbar.
- Sie ermöglicht eine vielfältige Anwendbarkeit für viele existierende soziale Bewegungen und Spielraum für neu entstehende.
- Sie ermöglicht die Suche nach Antworten auf die multiplen Krisen unserer Zeit.
- Sie ermöglicht gemeinsame Reflexion einer vielfältigen Praxis …
- … und dadurch einen gemeinsamen Theorie-Praxis-Prozess der unterschiedlichsten Bewegungen und Weltanschauungen.
Klingt unmöglich? Ist es erstaunlicherweise nicht. Meiner Meinung nach erfüllt der Commons-Ansatz, den wir hier im Blog ja auch schon oft zum Thema hatten, alle diese Anforderungen. Konservative erfreut das bewahrende und gemeinschaftliche an den commons, Liberale erfreut die Staatsferne und nicht völlige Marktinkompatibilität, Anarchisten die Selbstorganisation, Sozialisten und Kommunisten der gemeinsam kontrollierte Besitz. Die Anwendbarkeit von Commons-Theorien erstreckt sich in fast alle Bereiche heutiger Bewegungen und in allen derzeitigen Krisen spielen die Commons eine wichtige Rolle. Schließlich gibt es eine Vielfalt an Theorien zu den Commons, man fängt also nicht von vorne an, sondern kann sich auf einiges schon Geleistete beziehen.
Dabei ist nicht so sehr entscheidend, dass jeder in sozialen Bewegungen Aktive mit dieser Plattform leben kann, wichtig ist, dass es eine kritische Masse mit möglichst großer weltanschaulicher Vielfalt ist. So könnte sich dann eine neue mittel- und langfristige Dynamik entfalten dank gelingender übergreifender Theorie-Praxis-Prozesse. Commons-Based-Bewegungen mischen sich ja auch mit klassischen multi-strategischen Bewegungen.
Es geht dabei nicht darum eine neue übergeordnete Agenda oder gar „Parteilinie“ für soziale Bewegungen aufzustellen, die neue Ausschlüsse produzieren würde, es geht vielmehr darum sozialen Bewegungen neue strategische Optionen und gelingendere Theorie-Praxis-Prozesse zu ermöglichen. Es geht auch nicht darum einfach abstrakt zu erkennen, dass das eine gute Sache ist und es dann so zu machen. Die Commons-Strategie kann nur dann funktionieren, wenn sie eine überzeugende Antwort auf die Widersprüche der Zeit hat. Das hat sie aus zwei Gründen:
- Die Commons sind bedroht wie lange nicht mehr. Das liegt meiner Meinung nach an der hegemonialen Krise des Kapitalismus. Er kann sich nicht mehr angemessen verwerten und ist deswegen auf verstärkte ursprüngliche Akkumulation angewiesen.
- Die Commons sind so mächtig wie lange nicht mehr. Das liegt vor allem am Strukturwandel der Öffentlichkeit, die immer mehr nach Commonsprinzipien funktioniert und immer mehr auf funktionierende Commons angewiesen ist.
Deswegen ist es nicht nur nötig die strategische Schranke zu verschieben, sondern auch möglich. Das hebt nicht alle weltanschaulichen Differenzen in sozialen Bewegungen auf, macht aber längerfristige und nicht bloß punktuelle Zusammenarbeit möglich trotz der auch weiterhin existierenden weltanschaulichen Schranke.
Deshalb: Für die Commons!
schön, dass du die politiktheoretische lücke des keimformansatzes bearbeitest 😉
in deinen worten (dialektik von theorie und praxis) hast du auch die relative autonomie des politischen formuliert (worte sind schall und rauch, es kommt allein darauf an festzustellen, dass ableitung nicht funktioniert). „beitragen statt tauschen“ ist implicit noch zu hegelianisch gedacht: das vernünftige setzt sich früher oder später auch politisch durch. stattdessen muss eine theorie der politik reflektieren, wie akteure in- und ausserhalb der staatlichen institutionen einen hegemonialen block zustande bringen, der in der lage ist, konsens herzustellen; also auch die politischen gegner dazu zwingen, die eigenen vorannahmen und vorstellungen darüber, wie wirtschaft funktioniert, zur grundlage ihrer taktischen manöver zu machen.
den ’strukturwandel der öffentlichkeit‘ habe ich noch nicht verstanden, ich dachte eigentlich bisher, die stärke der commons sei, dass sie gerade dann gut funktionieren, wenn der kapitalismus in der krise die reproduktion des täglichen lebens nicht mehr garantieren kann.
@da5id: Was hast Du am Strukturwandel noch nicht verstanden? Vielleicht fragst Du das konkret bei der verlinkten Artikelserie?
Zu Commons in den Zeiten der Krise: Basis für gelingende Commonsregulation sind funktionierende soziale Beziehungen. Ich fürchte die Krise arbeitet da eher gegen uns. Die Commons werden mit der fortschreitenden Krise zwar nötiger, aber immer weniger möglich.
Die Überlegung, dass der Widerstand gegen die Marktliberalen aus ganz verschiedenen Richtungen kommt, hat Polanyi in Bezug auf das 19. Jh. schön formuliert. Seine These dort ist, dass eben gerade der Markt (der in der liberalen Ideologie ja spontan entsteht) erst das Ziel bewusster politischer Interventionen ist; aber eben gerade die Einschränkung der Marktwirtschaft in der 2. Hälfte des 19 Jh. eine spontane Reaktion auf die Probleme, die der Markt produzierte, und von ganz unterschiedlicher Seite sich entwickelte: Großgrundbesitzer und Arbeiterbewegung üben Druck für eine Reglementierung des „freien“ Marktgeschehens aus.
Die Frage wär, ob sich in Bezug auf die Commons heute eine ähnliche Interessenskoalition ergeben könnte, ohne dann bei der Bewunderung Lenins für die deutsche Kriegswirtschaft des 1. WK zu landen.
Deshalb wäre deshalb für soziale Bewegungen nicht nur die Parole „für die Commons“ spannend – sondern eben auch klar die Frage nach den Organisationsformen der Commons. Wenn Commons sich auf eine Gemeinschaft beziehen, dann ist die Frage, wie diese Gemeinschaft organisiert ist, ganz zentral.
Sonst landen wir wieder beim Sozialismus in einem Land, oder schlimmer noch beim nationalen Sozialismus. Auf diese Weise kommen die weltanschaulichen Fragen eben doch wieder ins Boot. Was uns vielleicht vor der abgeschlossenen Variante schützen kann, ist die prinzipielle Nichtabgeschlossenheit digitaler Güter oder eine technische Entwicklung in Richtung Dezentralität und Vernetzung.
Ne kurze Anmerkung zur Gliederung von Kommentaren: Leider funktioniert der visuelle Editor schlecht, er zeigt beim Verfassen von Kommentaren Absatzabstände an, die dann in der angezeigten Version einfach verschwinden. (Das gilt offenbar nicht für Artikel.) Deshalb sollte man sich ernsthaft den Umstieg auf einen anderen Editor überlegen. – Bis dahin kann man sich helfen, indem man eine zusätzliche Leerzeile einfügt.
@michael: Genau, deshalb ist die Auseinandersetzung mit der dunklen Seite der Macht wichtig: http://www.keimform.de/2008/09/04/die-dunkle-seite-der-macht/
Meine eigene Erfahrung z.B. in Silkes Politischem Salon ist ebenfalls, dass das Commons-Paradigma von Teilnehmer/innen mit extrem unterschiedlichen politischen Hintergründen gut angenommen wird, z.B. auch von konservativen und religiösen Leuten – und dass man dabei auch durchaus beachtliche Übereinstimmungen feststellt, z.B. in Bezug auf Umgang mit und Regulation der Commons (aber natürlich auch viele Unterschiede). Die Chance für die Commons als Paradigma, das eine sehr breite und vielfältige Bewegung einander nahe bringen kann, besteht also durchaus.
Commons würde ich dabei aber v.a. als geeigneten Ansatzpunkt zur Verständigung und Vernetzung sehen. Wenn es darum geht, eine konkrete Agenda zu entwickeln und umzusetzen, kommen sie IMHO bald an ihre Grenzen, weil sich dann die weltanschaulichen Unterschiede bemerkbar machen. Das merkt man ja auch an unserem Commons-Manifest, dass es aufgrund der weltanschaulichen Breite doch eher vage bleibt…
@Christian: Die strategische Agenda wäre ja minimal: Stärkung der Commons. Daran lassen sich dann die Taktiken messen.