Werner Imhof: Zur Kritik der Peer-Ökonomie

[Werner Imhof hat an dem Hiddinghausen-Seminar zur Peer-Ökonomie teilgenommen und nun eine Kritik der Peer-Ökonomie verfasst, die nachfolgend dokumentiert ist.]

Christian Siefkes entwirft in seinem Buch „Beitragen statt tauschen“ das Modell einer sog. Peer-Ökonomie, indem er die Prinzipien der Freie-Software-Community – freie Kooperation im Rahmen autonomer Projekte zur Produktion frei nutzbarer Programme – mit gewissen Modifikationen auf die Produktion materieller Güter (und Dienstleistungen) überträgt. Das Ergebnis ist sicher eine Art gedanklicher Negation der kapitalistischen Warenproduktion, und es hebt sich positiv ab von traditionellen Sozialismus-Konzepten, indem es die Überwindung der Warenproduktion als praktisches Problem der Individuen behandelt, statt sie den (lösungsunfähigen) Ersatzsubjekten Partei und Staat zuzuweisen. Nichtsdestotrotz krankt das Modell an grundsätzlicher Praxisuntauglichkeit, weil es nahezu alle Voraussetzungen und Anforderungen mißachtet, die die Menschen bei gemeinschaftlicher Produktion auf der Basis der vom Kapital entwickelten Produktivkräfte, nicht zuletzt der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, zu bewältigen hätten.

Eine nicht-utopische, also prinzipiell (aber nicht voraussetzungslos) machbare Alternative zur kapitalistischen Produktion, ihre mögliche praktische Negation, läßt sich eben allein aus der kapitalistischen Wirklichkeit selbst erschließen, deren Umwälzung ihr ja wohl vorauszugehen hätte. Und zwar aus dem Gesamtprozeß der gesellschaftlichen Reproduktion in seinen kapitalistischen Formzwängen, von denen er zu befreien wäre, nicht aus gesellschaftlichen Randerscheinungen, so zukunftsträchtig sie auch scheinen mögen, weil in ihnen Privateigentum und Privataustausch keine (unmittelbare) Geltung mehr haben. Auch die „Peer“-Produktion der freien Software ist aber nur eine Randerscheinung neben anderen Formen unmittelbar vergesellschafteter Produktion, wenn auch eine relativ neue und unbestritten attraktive. So nachvollziehbar daher der Wunsch sein mag, in ihr den Keim oder die Vorwegnahme einer neuen Gesellschaftsform zu sehen, so unverzichtbar bliebe es doch, ihre Tragfähigkeit für die gesellschaftliche Organisation der materiellen Produktion an dieser selbst zu überprüfen.

Nicht so für Christian. Ihm genügt die immanente Plausibilitätsprüfung der Vorstellungen in seinem Kopf, der die Probleme der Produktionswelt auf das Austarieren widerstreitender individueller Neigungen reduziert. Ja, er hält sein Wunschdenken für so realitätsmächtig, daß er die Praktikabilität der Peer-Ökonomie als Organisationsweise der gesellschaftlichen Produktion nicht nur einfach postuliert, sondern sie kurzerhand auch noch zur aktuellen Möglichkeit erklärt. In seinem Buch hatte Christian die Zukunft der Peer-Ökonomie immerhin noch als offene Frage behandelt, wenngleich er ihre grundsätzliche Realisierbarkeit und Unwiderstehlichkeit schon durch die Kraft seiner Argumente und die Attraktivität des praktischen Beispiels für erwiesen sah. In den „Hiddinghausener Gesprächen“ aber hat er nun offenbart, daß er ihre Realisierung tatsächlich als praktisches Projekt aufziehen möchte. Er versteht sein Modell also wahrhaftig als Bauplan für eine hier und heute neu zu konstruierende Produktionssphäre, die sich neben der kapitalistischen Produktion etablieren, mit ihr konkurrieren, sie gar verdrängen (S. 33) und die Peer-Ökonomie so zur „dominierenden Produktionsweise“ (S. 10, 18, 22 u.a.) machen (können) soll. Dabei muß man gar nicht erst die Phantasie strapazieren beim Versuch, sich den prophezeiten Verdrängungsprozeß auszumalen – allein schon der Gedanke an den Aufbau einer parallelen Produktionssphäre neben der bestehenden kapitalistischen ist so aberwitzig, daß er dazu verleiten kann, das Projekt als schlechten utopischen Scherz abzutun. Wenn aber – wie in Hiddinghausen – erwachsene Menschen ernsthaft darüber diskutieren, wie und womit es in Gang zu setzen wäre, ohne selbst bei der Frage nach den erforderlichen Produktionsmitteln stutzig zu werden, dann sind offenbar weitere und konkretere Realitätshinweise angebracht. Ich beschränke mich zunächst darauf darzulegen, warum die Peer-Ökonomie keine Chancen hat, sich neben der kapitalistischen zu etablieren. Die weitergehende Begründung, warum sie auch den Anforderungen an eine mögliche nachkapitalistische Produktionsweise nicht gerecht wird, kann ich zu einem späteren Zeitpunkt nachliefern, falls sich ein hinreichendes Interesse daran abzeichnet. Anders als die gängige Keimform-Diskussion verlangt sie allerdings die Bereitschaft, sich auf „das Alte“ einzulassen, um „das Neue“ als wirkliche Möglichkeit und mögliche Wirklichkeit in ihm und nicht neben ihm zu finden…

Was Christian zwar beiläufig registriert (z.B. S. 33), aber in all seinen Gedankengängen beharrlich ignoriert, ist der gegebene stofflich-technische Zusammenhang der gesellschaftlichen Gesamtarbeit, die gesellschaftliche Arbeitsteilung oder Kombination spezialisierter Teilarbeiten, die sich unter der Herrschaft des Kapitals entwickelt hat und immer noch weiter entwickelt. Mit ihr wächst die wechselseitige Abhängigkeit aller „unabhängigen“ Privatproduzenten und zugleich der Anteil der Produktionsmittel am gesellschaftlichen Gesamtprodukt. Jede Arbeitskraft in der industriellen Produktion von Konsumtionsmitteln setzt heute weltweit (!) direkt und indirekt zwei Arbeitskräfte in der Produktion von Produktionsmitteln und -diensten voraus. Die Teilung der gesellschaftlichen Arbeit aber und mit ihr die Abhängigkeit von Produktionsmitteln aus fremder Hand verurteilt jeden Versuch einer nennenswerten Entwicklung gemeinschaftlicher Produktion neben der kapitalistischen schon im Ansatz zum Scheitern. Diesem Schicksal würde auch die Peer-Ökonomie nicht entgehen können.

Es ist schon angelegt in der eigenwilligen Idee, eine gesellschaftliche (?) Produktionsweise begründen wollen, die sich praktisch auf die Produktion von Konsumtionsmitteln beschränken soll. In Christians „acht essentials“, den Bereichen lebensnotwendiger Bedürfnisse, die die Peer-Ökonomie befriedigen soll (Audio 5), sind zwar auch Infrastruktureinrichtungen, wie Strom- und Wasserversorgung, vorgesehen, die sich ebenso konsumtiv wie produktiv nutzen lassen. Aber davon abgesehen, gehört die Produktion von Produktionsmitteln nicht zu den „essentiellen“ Aufgaben der Peer-Ökonomie, obwohl Christian natürlich sehr wohl weiß, daß ohne sie auch keine Produktion von Konsumtionsmitteln möglich ist. Mag sein, daß diese „Fehlstelle“ in Christians Modellkonstruktion noch so etwas wie Realitätssinn ausdrücken und dem Vorwurf eines lächerlichen Gigantismus vorbeugen soll. Man stelle sich etwa ein Peer-Projekt zur Errichtung eines Hüttenwerks oder zum Bau eines Containerschiffs vor! Mag auch sein, daß Christian die Attraktivität der Peer-Ökonomie für so unwiderstehlich hält, daß er meint, die Lohnabhängigen der Produktionsmittelindustrien würden eines Tages der kapitalistischen Produktion den Rücken kehren und sich mitsamt ihren Fabriken der Peer-Ökonomie anschließen. Doch es ist gar nicht nötig, über die Motive seiner eigenwilligen Konstruktion und deren fernere Zukunftschancen zu spekulieren, es reicht, ihre Konsequenzen für den „Start“ der Peer-Ökonomie zu durchdenken.

Die erste ist, daß die Peer-Produzenten die allermeisten Produktionsmittel, die sie für ihre „Projekte“ benötigen, würden kaufen müssen. Entlastung durch frei verfügbare Gemeingüter und den Aufbau eines „commons“-Netzwerks (Audio 7) wäre bestenfalls in marginalem Umfang auf der Stufe kleindimensionierter, einfacher Handwerks- und Manufakturarbeit herstellbar. Soll die Peer-Ökonomie aber bemüht und – hinreichendes zahlenmäßiges Wachstum der Projekte einmal vorausgesetzt – imstande sein, eines Tages das ganze Spektrum der „acht essentials“ abzudecken, und zwar mit Gütern und Dienstleistungen, die denen der kapitalistischen Produktion ebenbürtig sind, dann bräuchte sie dazu auch vergleichbare Produktionsverfahren, also technisch gleichwertige Produktionsmittel – von der erforderlichen Produktivität noch gar nicht zu reden. Solche Produktionsmittel aber wären nur in Ausnahmefällen als Gemeingüter verfügbar oder verfügbar zu machen. Augenwischerei ist auch Christians Empfehlung, „für den Anfang“ Projekte „ohne große Vorleistungen oder Eintrittsbarrieren“ zu wählen (Audio 5). Denn die Vertagung technisch aufwendigerer Projekte senkt deren spätere finanzielle „Eintrittsbarrieren“ nicht im geringsten; allenfalls erleichtert der „Zeitgewinn“, die dazu nötigen Mittel anzusparen.

Ums Sparen mit entsprechendem Konsumverzicht würden die Peer-Produzenten allerdings nicht herumkommen. Denn außer den Produktionsmitteln für ihre Projekte würden sie auch die meisten Konsumtionsmittel weiterhin kaufen müssen, weil sie von den vielen tausend Dingen und Diensten des täglichen Lebens „zunächst“ nur einige wenige selbst herstellen könnten. Das aber bedeutet, daß sie „bis auf weiteres“ auf Lohnarbeit als Einkommensquelle angewiesen blieben, sofern sie nicht gerade selbst Kapitalisten wären oder Hartz-IV-Empfänger oder Rentner. Was wiederum zur Folge hätte, daß die meisten von ihnen der Peer-Produktion nur in ihrer begrenzten Freizeit nachgehen könnten (nicht viele Lohnabhängige verdienen halt so gut wie Informatiker, die mit zwei, drei Arbeitstagen pro Woche ihren Lebensunterhalt bestreiten können). Und da eine Vollzeitstelle in der kapitalistischen Wirtschaft eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 40 Stunden erfordert, dürften, fürchte ich, ohne den Idealismus der Peer-Pioniere herabsetzen zu wollen, kaum mehr als 12 bis 15 zusätzliche Wochenstunden als zumutbar gelten.

Die pro Kopf verfügbare Arbeitszeit wäre in der Peer-Ökonomie also nur etwa ein Drittel der „Normalarbeitszeit“ in der kapitalistischen Wirtschaft. Unter sonst gleichen Bedingungen müßte sie daher dreimal so produktiv genutzt werden, um ein vergleichbares Pro-Kopf-Ergebnis an Gütern und Dienstleistungen hervorbringen zu können. Andererseits sollen die Peer-Produzenten (vorerst) nur sich selbst und ihre Familien, also eine vielleicht nur zwei- bis dreifache Personenzahl versorgen, während in der kapitalistischen Wirtschaft z.B. Deutschlands die in der unmittelbaren Produktion von Konsumtionsmitteln Beschäftigten für eine sechs- bis siebenfache Bevölkerung arbeiten müssen. Sie könnten sich daher damit zufrieden geben, das Produktivitätsniveau der etablierten „Konkurrenz“ zu erreichen – wenn es denn erreichbar wäre. Warum es nicht erreichbar ist, möchte ich an einem Beispiel illustrieren.

Angenommen, es finden sich irgendwo 50 Anhänger der Peer-Produktion, die zur Herstellung von Fahrrädern miteinander kooperieren wollen. Da sie keinerlei einschlägige Produktionskenntnisse haben, suchen sie im Internet nach Informationen und Ratschlägen, wie sie die Fahrradproduktion aufziehen könnten. Sie stellen fest, daß es eine ganze Reihe von Möglichkeiten gibt, von der simplen Montage vorgefertigter Einzelteile bis hin zur komplexen Fabrik mit immerhin 50prozentiger Fertigungstiefe. Auf Christians Empfehlung hin wählen sie das Verfahren mit den niedrigsten Eintrittsbarrieren, mieten eine nicht zu kleine Werkstatt an, bestellen bei verschiedenen Herstellern die Einzelteile für je 50 Tourenräder, Mountainbykes und Rennräder und kaufen noch eine Lackierkabine dazu. Anschließend teilen sie die relativ einfachen Montage- und Lackierarbeiten untereinander auf, und 14 Tage später, nach Eintreffen aller bestellten Vorprodukte, machen sie sich ans Werk. Trotz des Gedränges in den Abendstunden, trotz mancher Ungeschicklichkeiten und trotz einiger defekter oder ungenau gearbeiteter Einzelteile haben sie nach einer Woche 145 Fahrräder fertig, nur fünf sind Ausschuß. Und als die Leute die Produktionskosten pro Fahrrad berechnen, liegt das Ergebnis sogar noch etwas unter den gängigen Ladenpreisen. Mit sich und der Peer-Welt zufrieden, schließen sie das Projekt ab, um sich einem anderen zuzuwenden.

Andernorts sind ebenfalls Anhänger der Peer-Produktion dabei, sich zur Herstellung von Fahrrädern zusammenzuschließen. Als sie den Erfahrungsbericht des vorherigen Projekts im Internet lesen, sind sie jedoch wenig begeistert. „Inclusive Internetrecherchen haben 50 Peer-Produzenten an die vier Wochen für 145 Räder gebraucht, die eine mittlere kapitalistische Fahrradfabrik mit 300 Beschäftigten in weniger als einer Stunde produziert“, stellen sie fest und meinen: „Mit dieser geringen Produktivität werden wir ewig vom Kapitalismus abhängig bleiben und nie eine Gesellschaft aufbauen, die ihre Grundbedürfnisse selbst befriedigen kann. Wir müssen unsere Zeit effektiver nutzen und mehr und mehr selbst herstellen.“ Also entscheiden sie sich – weitsichtig, wie sie sein möchten – für eine Produktion mit größerer Fertigungstiefe, bei der sie alle metallischen Teile selbst formen und zudem variieren können. Allerdings müssen sie sich belehren lassen, daß sie dafür wenigstens 100 verschiedene Arbeitsplätze besetzen müssen. Während sie noch in der lokalen Peer-Szene um neue Mitarbeiter werben, informieren sie sich im Internet schon mal im Detail über die nötigen Produktionsmittel und deren Kosten. Am Ende kommt eine Summe heraus, die das ganze Projekt ad absurdum führt: 5 Mio. Euro oder 50.000 Euro pro Person wären das Mindeste, was sie aufbringen müßten, um die Produktion aufnehmen zu können. Dazu aber bräuchten sie eine langjährige Ansparphase, denn keine Bank leiht ihnen Geld für ein Unternehmen, dessen „Geschäftsinhalt“ in der Vernichtung von „Wert“ besteht statt in seiner Vermehrung. Die erhoffte Produktivitätssteigerung würde sich somit ins absolute Gegenteil verkehren. Und da die Peer-Produzenten (vorerst) ja nur für sich und ihre Familien produzieren wollen, wäre das Ende vom Lied (vorausgesetzt, die Produktion selbst gelänge), daß sie sich die „unentgeltliche“ Nutzung von vielleicht 300 Fahrrädern mit einem Zigfachen ihres Ladenpreises erkauft hätten, vom jahrelangen Konsumverzicht gar nicht zu reden, während die schöne neue Fabrik zwar ihr Eigen wäre, aber erst mal ungenutzt in der Gegend herumstünde. Ob dieser Aussicht wird das ganze Projekt ersatzlos abgeblasen…

Das Dilemma der Beispielprojekte ist genereller Art. Soll die materielle Peer-Produktion finanzierbar sein, bleiben ihr praktisch alle modernen Produktionsmittel und -verfahren verschlossen, kann sie nie über die Stufe einer kommunistischen Freizeitbeschäftigung in einigen arbeitsintensiven und – im Unterschied zur Freie-Software-Bewegung – qualifikatorisch anspruchslosen Randbereichen und Nischen der kapitalistischen Produktion hinauskommen. Soll sie aber die Produktivität der kapitalistischen Industrie erreichen, steigen allein die finanziellen Hürden – und andere sind ja bisher nur angedeutet worden – in schwindelnde Höhen. Die Fahrradproduktion im zweiten Projekt war noch ein relativ kostengünstiges Beispiel. Tatsächlich liegt die „Kapitalintensität“ pro Arbeitsplatz im gesamtindustriellen Durchschnitt in Deutschland bei knapp 300.000 Euro.

Aus dem beschriebenen Dilemma der Peer-Produktion gibt es keinen Ausweg. Es nützt auch nichts, angesichts der hohen „Eintrittsbarrieren“ die Zahl der Projektteilnehmer zu vermehren, um damit die Pro-Kopf-Kosten zu senken und die Vorlaufzeit zu verkürzen. Ob 100 Personen zehn Jahre oder 1.000 Personen ein Jahr lang sparen müssen, macht keinen Unterschied. In beiden Fällen wäre eine gleich große Finanzkraft gebunden, die für andere Projekte nicht zur Verfügung stünde. Da die Produktionsmittelkosten, wie gesagt, ein generelles Problem darstellen, würde das Verfahren außerdem verallgemeinert werden müssen und im Endeffekt bedeuten, daß jedes einzelne Projekt einen überproportional großen Anteil an der verfügbaren Gesamtarbeitskraft beanspruchte und diese deshalb – selbst wenn sie ständig zunähme – immer nur einen Bruchteil des „essentiellen“ Bedürfnisspektrums befriedigen könnte. Auch bei gemeinschaftlicher Produktion können die Menschen ihre begrenzte Gesamtarbeit nun mal nicht in beliebigen Anteilen auf die verschiedenen Produktionszweige verteilen, sind bestimmte, gesellschaftlich notwendige Proportionen einzuhalten, wenn sie alle ihre Bedürfnisse befriedigen wollen.

Nebenbei würden die Kosten der Produktionsmittel auch das Konzept der „Verteilungspools“ durchkreuzen, die die lokale und personelle Beschränktheit der Projekte überwinden sollen (Kap. 5.2). Die Verteilung der Produkte soll beruhen auf dem Vergleich des „Produktionsaufwands“, den sie gekostet, mit dem, den die Menschen selbst zum Pool beigetragen haben. Zum Produktionsaufwand aber zählt Christian allein die für ein Projekt geleistete und nach dessen Regeln „gewichtete“ Arbeitszeit (als wären die „Projekte“ autarke Produktionseinheiten). Der Aufwand und Verbrauch an Produktionsmitteln, hier also ihre Kosten, würde auf beiden Seiten des Vergleichs daher außer Betracht bleiben. Produzenten, die selbst nur geringe Ausgaben für Produktionsmittel hatten, könnten sich also ohne weiteres Produkte aneignen, deren Herstellung ein Vielfaches an Produktionsmittelkosten verschlungen hat. Was würde passieren? Wahrscheinlich gäbe es viel böses Blut, auf die „billigen“ Projekte würde ein Run einsetzen, die „teuren“ Projekte würden nicht mehr genug Freiwillige finden oder sich aus dem Pool zurückziehen; und am Ende stünden die Menschen vor der Wahl, entweder die Produktionsmittelkosten in den Produktionsaufwand einzubeziehen, also ihn und damit zwangsläufig auch die „gewichteten Stunden“ in Geld auszudrücken, was auf die Wiedereinführung der kapitalistischen Produktionsweise hinausliefe, oder die Peer-Produktion mangels Entwicklungschancen einzustellen…

Sowenig gemeinschaftliche Produktion möglich ist ohne Rücksicht auf das verfügbare Volumen der lebendigen Arbeit, die gesellschaftliche Gesamtarbeit, sowenig sie auf die „Vergegenständlichung“ vergangener Arbeit in Form von Produktionsmitteln verzichten kann, sowenig auch auf die „Anhäufung“ vergangener Arbeit in der menschlichen Arbeitskraft selbst, als gesammelte Erfahrung im Umgang mit Arbeitsgegenständen und -mitteln. Doch für Christian scheinen Qualifikation und Spezialisierung der Arbeitskraft bedeutungslos, jedenfalls vernachlässigbar zu sein. Was ihm für die Freie-Software-Bewegung nicht im Traum einfiele, nämlich zu behaupten, daß jedermann ohne spezielle Vorkenntnisse Quellcodes lesen und bearbeiten könne, postuliert er für die materielle Produktion. Er unterstellt der Peer-Ökonomie fabelhafte Alleskönner, denen die Lektüre von Bauanleitungen und Blaupausen bereits das nötige Know-how vermittelt, alle möglichen Produktionsanlagen und -abläufe zu planen und zu beherrschen („Universal Production Upset“, Audio 5), und die ohne einschlägige Produktionspraxis im voraus jeden individuellen Arbeitsaufwand ebenso inhaltlich beurteilen wie zeitlich bemessen können („Aufwandsversteigerung“, Kap. 4.3.3, in gesteigerter Form in den „Verteilungspools“, Kap. 5.2). Sollte die Peer-Produktion je das Stadium der praktischen Erprobung erreichen, wäre jedoch eins sicher: Die meisten Produktionsmittel würden es nicht heil überstehen, und sämtliche Aufwandskalkulationen und -absprachen wären in kürzester Zeit Makulatur. Aber dazu, denke ich, wird es gar nicht erst kommen…

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