Gorz über Universalgüter

André Gorz hat mit »Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik der Wissensökonomie« (Rotpunktverlag 2004) ein wichtiges Buch geschrieben, dass im wesentlichen in die gleiche Richtung zu argumentieren sucht, auf die es mir ankommt. Gorz unterscheidet Universalgüter und Allgemeingüter terminologisch noch nicht, inhaltlich ist die folgende Passage jedoch klar:

»Der Begriff des Wertes im ökonomischen Sinne als Tauschwert lässt sich nur auf Waren anwenden, das heißt auf Güter und für Dienstleistungen, die im Hinblick auf ihren Tausch produziert wurden. Was nicht durch menschliche Arbeit produziert ist sowie a fortiori was nicht produzierbar oder nicht tauschbar oder nicht für den Tausch bestimmt ist, hat keinen ökonomischen Wert. Das gilt … ebenso für Allgemeingüter die, wie etwa überliefertes Kulturgut, weder geteilt noch gegen andere ausgetauscht werden können. … (Sie) können allerdings beschlagnahmt werden. Es genügt, ihre Zugangsmöglichkeiten zu privatisieren, um Zugangsrechte erheben zu können. Auf diese Weise werden Allgemeingüter in Scheinwaren verwandelt, die den Verkäufern der Zugangsrechte eine Rente verschaffen.« (S. 33)

An dieser Stelle möchte ich die Diskussion zum Beitrag »Universalgüter« mit Christian fortsetzen, der fragt:

»Inwiefern wird MS Windows “von vornherein gesellschaftlich produziert”, die Brötchen dagegen nicht?«

Die Frage bezog sich auf die Aussage, dass Universalgüter von vornherein gesellschaftliche Güter und somit (ökonomisch) wertlos sind. Eine gute Frage, deren Antwort mir nicht leicht fällt, weil die Bedeutungen der Begriffe „gesellschaftlich“ und (als Gegenstück) „privat“ nicht feststehen, sondern changieren. Mal sehn.

Zunächst zeigt meine Kennzeichnung als „von vornherein gesellschaftlich produziert“ den eindeutigen Fall an, etwa den von Freier Software. Proprietäre Software wird — im Unterschied zu Freier Software — nicht von vornherein gesellschaftlich produziert, sondern gewissermaßen „notgedrungen“ oder „paradoxerweise“ trotz privater Form. Das macht die Einsicht zugegeben ziemlich schwer bzw. es gibt gute Gründe, das Paradoxon für Schein und die Einsicht für Einfalt zu halten — wer das denkt, irrt natürlich;-)

Weder MS-Irgendwas noch die Brötchen werden also „von vornherein gesellschaftlich produziert“. Wäre das der Fall, müssten sich die ungesellschaftlichen Produkte nicht auf dem Markt treffen und ihren Werthändel treiben, gäbs also keine zirkulative Vergesellschaftung ex post, sondern alles wäre „unmittelbar gesellschaftlich“, einsichtig und klar, kurz: Dann hätten wir den Kommunismus.

Die These ist, dass zum Beispiel Microsoft trotzdem, obwohl es nicht so aussieht, gesellschaftliche Arbeit privatisiert und nicht, wie es normal wäre, private Arbeit gesellschaftliche Verhältnisse herstellen lässt (via Tausch). Hier ist folglich das Verhältnis von Privatheit und Gesellschaftlichkeit verkehrt: Während konventionelle Güter durch Privatproduzenten hergestellt werden und in der Zirkulation ihre Gesellschaftlichkeit bewähren müssen (denn dann und nur dann sind sie Waren), werden Universalgüter durch (privatisierte) gesellschaftliche Arbeit produziert und müssen in der Zirkulation ihre Privatheit bzw. Exklusivität, also ihre äußerliche Warenform simulieren, damit sie als Bezahlgut akzeptiert werden und erfolgreich Geld transferieren.

Dass das so „verkehrt“ ist, hat mit der gegenständlichen Spezifik der Güter und den sozialen und rechtlichen Verhältnissen zu tun, die diese erzeugen. Konventionalgüter sind „singuläre Güter“ (dazu zählen auch bestimmte Dienstleistungen, klar können auch die wertproduktiv sein — anderes Thema) und Universalgüter sind (potenziell) „ubiquitäre Güter“. Ihre Verbeitung ist nur durch die verfügbaren Träger limitiert, was in praxi eine real wichtige Grenze darstellt. Singuläre Güter müssen getauscht werden, um ihre Gesellschaftlichkeit zu bewähren, potenziell ubiquitäre Güter müssen ihre Exklusivität behaupten, um Geld anzuziehen. Singuläre Güter werden auch real getauscht, ein Händewechsel findet statt. Universalgüter werden weder hingegeben, noch getauscht, noch ausgeliehen, sondern nur die Nutzung wird erlaubt. Insofern ist eine Verwandtschaft mit dem vorbürgerlichen Lehnswesen, die Franz Nahrada einbrachte, augenfällig — nur dass hier nicht die Sache, sondern nur die Nutzungserlaubnis „übertragen“ wird. Unversalgüter sind mithin keine Waren.

Eigentlich ist jede Produktion schon immer gesellschaftlich. Im Kapitalismus findet die gesellschaftliche Produktion im Gesamt jedoch in Form voneinander unabhängiger Privatarbeiten statt. Eigentlich unterscheiden sich also Microsoft und Bäckerei nicht: Beidesmal sind Form und Aneignung privat, die Produktion aber Teil gesellschaftlicher Produktion. Der Charakter der Arbeiten unterscheidet sich jedoch sehr wohl, weil sich diese auf unterschiedliche Güter bezieht und unterschiedliche soziale Beziehungen erzeugt. Die Arbeiten bei Microsoft beziehen sich auf Universalgüter, auf universelle, potenziell ubiquitäre Güter, die nicht getauscht werden, also nicht Waren sind, sondern deren Nutzungserlaubnis mehr oder weniger restriktiv erteilt wird. Siehe das Gorz-Zitat. Der Charakter der Arbeiten ist allgemeiner Natur, weil diese allgemeine Güter erzeugen. Die Arbeiten in der Bäckerei beziehen sich auf die wiederholte Anwendung abstrakter Arbeit zur stetigen Erzeugung immer neuer Backwaren, die getauscht werden (müssen), wodurch das exklusive Eigentum an dem gebackenen Gebrauchswert auf einen Käufer übergeht.

Also: Allgemeine Arbeit erzeugt Universalgüter, unmittelbar verausgabte abstrakte Arbeit erzeugt Singulargüter. Aber unterscheidet sich die Arbeit in der Schwitzbude Microsoft von der Schwitzbude in einer Bäckerei, ist nicht beides anstrengend, ist nicht beides Verausgabung gesellschaftlich notwendiger Arbeit, um die Güter in die Welt zu bringen? Die Qualität dieser Frage entspricht in etwa der Frage, ob es denn überhaupt einen Unterschied zwischen den genannten Gütern gäbe, wo man im Laden doch sehen könne, dass MS-Irgendwas x kostet und das Backgut y kostet. — Das ist die erscheinende Oberfläche, das ist der verdinglichte Blick, der in der Naturalform der Güter selbst den Wert erkennen will, statt ihn als gesellschaftliches Verhältnis zu begreifen.

Genauso mit den Arbeiten: In der Naturalform der Arbeiten wird ihr Charakter — produktiv/unproduktiv, abstrakt/universell — nicht zu finden sein. Der Charakter der Arbeit ergibt sich einzig aus ihrem Verhältnis zu den sie erzeugenden Gütern und sozialen Beziehungen, denn „Arbeit im Kapitalismus“ ist selbst ein gesellschaftliches Verhältnis und keine überhistorische Seinsbestimmung des Menschen. Mehr noch, genauer wird es umgekehrt: „Arbeit“ in der spezifisch-historischen Form konstituiert das spezifische gesellschaftliche Vermittlungsverhältnis. Das bedeutet, dass durch Universalgüter erzeugende allgemeine Arbeit qualitativ andere gesellschaftliche Vermittlungsverhältnisse produziert werden, als durch jene konventionelle Güter produzierende Lohnarbeit. Und genau das ist — wie dargelegt — auch der Fall: Die sozialen, rechtlichen und praktischen Verhältnisse unterscheiden sich trotz Unterordnung unter die Warenform gravierend von konventionellen Gütern.

Statt also die Differenzen und Ungereimtheiten wegzutricksen (etwa: Tausch finde doch statt, nur halt eins gegen viele und mit open end), geht es darum die Bruchstellen zum Ausgangspunkt einer Differenzierung in der Analyse zu machen. Damit wird Marx nicht aufgegeben, sondern Marx entsprochen. Aber es ist natürlich wie bei jeder theoretischen Annäherung eine Frage der Perspektive und der Begriffe: Aus meiner Perspektive einer aktualisierten Analyse erscheint es mir unverständlich, wie man noch an der alter Kategorialität festhalten kann und diverse Klimmzüge einbaut, wo doch die Realität längst anderes zeigt. Umgekehrt weiss ich ganz genau, dass die von mir dargestellte veränderte Sichtweise auf Befremden stößt, weil sie nicht nur unvertraut, sondern in der eigenen Blickweise entsprechend „ungereimt“ erscheint. Was hier also konkurriert, sind nicht Einzelargumente, sondern Kategroriensysteme. Diese sind nicht auf der Einzelargumentebene belegbar oder widerlegbar — man muss sie schon als Ganzes gedanklich bewegen und bewerten. Wie, das bleibt letztlich jedem selbst überlassen.

So. Ganz am Schluss habe ich aber noch eine schlichte Antwort parat, die ich jedoch bewusst hintan stelle. Die schlichte Antwort wäre, dass der Wissensanteil bei allen Produkten gesellschaftlicher Natur ist und somit wertlos. Bei (proprietärer) Software beträgt dieser Anteil 90%, bei Brötchen 30% (keine Ahnung, Zahlen nur zur Illustration). Hierin eingeschlossen ist die Unterscheidung von Schaffung neuen Wissens (wertunproduktiv) und Anwendung vorhandenen Wissens in der Warenproduktion (wertproduktiv). Softwareentwicklung ist im wesentlichen Schaffung und Vergegenständlichung neuen Wissens (in Softwareform), Brötchenproduktion ist im wesentlichen Anwendung von vorhandenem Wissen. Neues Wissen wird durch allgemeine Arbeit geschaffen, vorhandenes Wissen wird durch konkrete Arbeit angewendet.

Guckt man sich die Softwareentwicklung an, dann findet man auch auf Oberfläche der konkreten Tätigkeiten den gesellschaftlichen Charakter wieder: Die Arbeiten sind nicht nur indirekt über den Markt oder vertragliche Kooperationsbeziehungen miteinander verbunden, sondern weltweit auch personal-konkret. Auch die Entwickler proprietärer Software tumeln sich in den Foren, auch die proprietären Firmen haben die Potenzen „eigener“ Communities erkannt und insbesondere Software ist ein Produkt, dass von Feedbacks und der Mitentwicklung durch AnwenderInnen lebt. Dieser Drang zur konkreten Vergesellschaftung auf der Ebene der Produktion und nicht erst der Zirkulation wird natürlich durch die Notwendigheit zur Exklusion zwecks Warensimulation gleichzeitig begrenzt. Genau deswegen ist das Inklusionsmodell Freier Software die angemessenere Produktionsweise für gesellschaftliche Güter.

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