Copyfarleft — eine Kritik

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Die folgende Kritik von Dmytri Kleiners Aufsatz »Copyfarleft und Copyjustright« (Orginal erschienen im Mute-Magazin) hat drei Teile. Zunächst diskutiere ich die allgemeinen theoretischen Grundlagen, dann die Übertragung dieser Grundlagen auf den Bereich der Informationsgüter und anschließend das Copyfarleft-Konzept. Eine zusammenfassende Kritik folgt zum Abschluss.

1. Eigentum als Schlüssel?

Dmytri Kleiner verwendet eine sehr schlichte Version eines traditionell-marxistischen Ansatzes, den ich hier manches Mal in Schutz nehmen muss, obwohl ich ihn inhaltlich selbst kritisiere. Es mag sein, dass die Schlichtheit aus der Absicht resultierte, verständlich zu bleiben. Gleichwohl muss ich diese schlichte Argumentation zugrunde legen. Sie geht so:

  • Eigentum steht gegen Freiheit
  • Eigentümer stehen gegen eigentumslose Arbeiter
  • Eigentümer können Eigentumslose für sich arbeiten lassen
  • Eigentümer zahlen nur Subsistenz der Arbeiter und kassieren den Rest als Rente
  • Rente ist also Diebstahl an den Produzenten
  • Eigentum ist Diebstahl

Mit »Eigentum« ist das Privateigentum an Produktionsmitteln gemeint, es wird im Text nur an zwei Stellen eher nebenbei erwähnt. Ein affirmativer Bezug auf David Ricardo muss dafür herhalten, um ein sogenanntes »ehernes Lohngesetz« zu behaupten, jedoch nicht zu begründen. Ricardo wird damit zitiert, dass es einen »natürlichen Preis der Arbeit« gäbe, der der Subsistenz des Arbeiters und der Klasse entspreche. Den darüberhinaus gehenden Ertrag, den der »Eigentümer« einstreicht, nennt der Autor »Rente«.

Puh, da steckt eine Menge an Unverständnis drin. Ich versuche mich an der Entschlüsselung.

Es gibt keinen »natürlichen Preis der Arbeit«. Der Autor muss ebenso wie Ricardo ein solches Konstrukt behaupten, um erklären zu können, warum es überhaupt einen Anteil gibt, den der »Eigentümer« für sich behalten kann. In Wirklichkeit versteht der Autor weder den Unterschied zwischen Arbeitskraft und Arbeit, noch den zwischen Wert und Preis, noch den zwischen Rente und Profit. Diese drei Begriffspaare seien im Folgenden erklärt.

1.1. Arbeitskraft und Arbeit

Der »Eigentümer« kauft die Arbeitskraft (also das »Tun«) und nicht die Arbeit (also das »Getane«). Die Arbeitskraft ist eine Ware, deren Wert eine Größe ist, die gesellschaftlich-durchschnittlich beim Tausch Ware gegen Geld — Arbeitskraft gegen Lohn — gebildet wird und den Wieder-/Herstellungskosten dieser Ware entspricht.

Die Ware Arbeitskraft hat zwei Besonderheiten. Erstens hängen die Wieder-/Herstellungskosten vom gesellschaftlich-kulturellen Niveau der Reproduktion ab. Heute gehören dazu z.B. Computerspiele, die es vor 100 Jahren nicht gab etc. Die Teilhabe an diesen gesellschaftlich-kulturellen Möglichkeiten fällt den Arbeitskraftverkäufern jedoch nicht automatisch in den Schoß, sondern sie muss — teilweise heftig umkämpft — ökonomisch (Arbeitskämpfe) und politisch (Organisationen) durchgesetzt werden. Manche nennen das Klassenkampf.

Zweitens ist die Arbeitskraft als einzige Ware in der Lage, mehr Produkte bzw. Wert zu produzieren als zu ihrer eigenen Wieder-/Herstellung erforderlich sind. Diesen Anteil nennt man Mehrprodukt, oder als Wert formuliert Mehrwert. Die Formulierung als Wert ist hier zutreffender, weil die Arbeitskraftverkäufer ja nicht die von ihnen hergestellten Güter erhalten, sondern den in Geld ausgedrückten Wert der erfolgreich verkauften Produkte. Doch es sei noch einmal betont: Die Arbeitenden erhalten nicht den Wert ihrer Arbeit, sondern den Wert ihrer Arbeitskraft als Lohn.

Der Tausch Lohn gegen Arbeitskraft ist durchaus gerecht. Es handelt sich ökonomisch gesehen um einen Äquivalententausch. Das gilt — immer in gesellschaftlich-durchschnittlicher Sicht — für jeden Warentausch. Eine Kritik des Warentausches als „ungerecht“ geht also am Problem vorbei. Das gilt auch dann, wenn man die unglaubliche Ungleichverteilung der Ressourcen weltweit aufzeigt wie das der Autor tut. Der Skandal besteht also nicht darin, dass der Kapitalismus ungerecht sei, sondern darin, dass gerechter Tausch systematisch Ungleichheit produziert.

1.2. Wert und Preis

Um die systematische gerechte Produktion von Ungleichheit verstehen zu können, muss man den Unterschied zwischen Wert und Preis begreifen. Das ist nicht einfach, ignoriert die traditionelle Wirtschaftswissenschaft den Wert doch fast völlig und argumentiert ausschließlich in Begriffen des Preises. Solche suggestiven Beispiele wie die des berühmten Glases Wasser in der Wüste verleihen der Anschauung hohe Plausibilität, dass der Preis nur durch Angebot und Nachfrage entstehe. Das ist auch nicht völlig falsch, ist jedoch nur der kleinere Teil der Wahrheit.

Hauptschwierigkeit beim Verstehen von Wert ist die Tatsache, dass Wert keine dingliche auch nur irgendwie an die Materialität des Gutes oder seiner Verteilungsumstände gebundene Eigenschaft ist. Wert ist Ausdruck für ein Verhältnis. Im Sandkastenfall wie ihn Marx durchgespielt hat, lautet die Formel »x Ware A = y Ware B«. Eine Ware A drückt ihr Wertsein in Proportionen von Ware B aus. Überträgt man dies auf alle Waren, dann drücken sich alle Waren gegenseitig ineinander wertmäßig aus.

Das, was in der Gleichung verglichen wird, muss etwas allen Waren Gemeinsames sein. Es ist die Arbeitszeit, die zur Herstellung der Waren erforderlich ist. Um sich das Vergleichen zu vereinfachen, wurde eine spezielle Ware aus der Vergleicherei »ausgekoppelt« und diente nun allen anderen Waren als Maßstab, als allgemeines Äquivalent. Das ist das Geld. Es ist selbst nichts wert, kann aber Wert darstellen. Das ist schick, denn mit Geld kann man alles, was Wert — halt: was einen Preis hat — kaufen.

Wert als solchen gibt es nicht, er ist ja nur ein Verhältnis. Um sich auszudrücken, braucht Wert Waren. Eine Ware ist ein Gut, dass für den Tausch hergestellt wird. Der Wert drückt dann das im Tausch realisierte Wertverhältnis aus. Trotzdem entsteht der Wert nicht im Tausch, sondern — obgleich bloßes Verhältnis — ist er schon vorher »da«. Denn das, was dort verglichen wird, ist gleiche menschliche Arbeit oder Arbeitszeit, die in die Produkte gesteckt wurde. Im Tausch wird nur realisiert, was vorher schon »da« war. Das »da sein« des Wertes ist hier Anführungsstriche gesetzt, weil er ja nicht dinglich »da« ist, sondern sozusagen als Potenz, später einmal — beim Verkauf — erfolgreich einen Vergleich eingehen zu können.

Kommt es nicht zum Tausch, dann wird der »potenzielle Wert« nicht realisiert, sondern verfällt. Die »verfallene Arbeitszeit« muss nun auf die anderen Produkte rechnerisch draufaddiert werden, denn Wert ist nicht bloß ein einzelnes Sandkasten-Verhältnis wie oben gezeigt, sondern ein allgemeines oder gesellschaftliches Verhältnis. Kurz: Beim Wert geht’s um die gesellschaftlichen Durchschnitte gleicher menschlicher Arbeiten in den Produkten, die im Tausch verglichen werden.

Da der Wert ein gesellschaftliches Verhältnis ausdrückt, hat noch niemand den Wert einer Transaktion gesehen oder berechnet. Um eine einzelne Transaktion vollziehen zu können, gibt es den Preis. Der Preis ist sozusagen der Zahlenausdruck des Werts. Hier kommen nun Angebot und Nachfrage ins Spiel, also die Umstände beim Tausch. Der Preis kann vom Wert abweichen, und meistens tut er das wohl auch. Gesamtgesellschaftlich (also heute global) und über die Zeit der Warenproduktion (wer weiss wie lange noch) gerechnet muss gelten: Wertsumme = Preissumme. Ok, das können wir als konkrete Rechenaufgabe also knicken.

Wichtig ist nur: Der Preis muss sein Fundament im Wert haben, er kann sich nicht grundsätzlich vom Wert entkoppeln. Lokal und zeitlich verschoben kann er es allerdings schon. Deswegen kann das Glas Wasser in der Wüste extrem teuer sein, während es anderswo umsonst zu haben ist. Deswegen können Aktienkurse in die Höhe gehen (als Option auf zukünftige Wertrealisierung), auch wenn aktuell nur heisse Luft im Angebot ist. »Luftrauslassen« aka »Krise« bringt Wert und Preis aktuell wieder in die Nähe zueinander.

Um nun das Rätsel der weltweiten Ungleichverteilung aufzulösen: Die Ungleichverteilung ist nicht Ausdruck der Umstände des Tausches aka »terms of trade«, ist also keine Frage der Preisbildung, keine Frage Un-/Gerechtigkeit, keine Frage der globalen Regulation, keine Frage der Politik und auch keine Frage des Eigentums (dazu komme ich noch), sondern eine Frage der unterschiedlichen Produktivität. — Huch, wieso das?

Vorher habe ich von dem Faktor Produktivität abgesehen, also von der Frage, wieviele Güter je Arbeitszeit produziert werden. Im Tausch wird in Wahrheit nicht Arbeitszeit unabhängig von der Produktivität miteinander verglichen. Es gilt also nicht »eine Stunde x = eine Stunde y«, sondern z.B. »eine Stunde x = zehn Stunden y«, wobei x und y bei unterschiedlicher Produktivität verausgabte Arbeitszeiten sind. Zeigt die Gleichung »1 Std. x = 10 Std. y« einen durchschnittlichen, wertmäßig äquivalenten, also gerechten Tausch, dann werden in dieser Zeit vom gleichen Produkt gleiche Mengen hergestellt, also gleiche Mengen Arbeit in einen Produkt vergegenständlicht. Handelt es sich um unterschiedliche Produkte, dann kommt es zu den stofflich absurden, aber ökonomisch gerechten Austauschrelationen von »ein Traktor = 500 Sack Getreide« (mit historisch zunehmender Getreidemenge), wie sie in jedem Schulbuch zu finden sind.

1.3. Rente und Profit

Das alles kennt Dmytri Kleiner nicht, oder es interessiert ihn nicht. Für ihn sind Arbeitszeit und Arbeit anscheinend das Gleiche. Wahrscheinlich würde er bestreiten, dass die Arbeitszeit im Mittel gerecht entlohnt wird. Und er kennt auch nicht den Begriff Mehrwert (surplus value) für den Wertanteil der Produkte, den die Arbeitskraft mehr hergestellt, als sie selber wert ist. Zur Rehabilitierung des traditionellen Marxismus muss das aber klar gestellt werden.

Bezieht man den Mehrwert auf das investierte Kapital, so nennt man den Mehrwert Profit. Statt des Begriffs Mehrwert oder Profit, den sich der Eigentümer als Ertrag aus dem Mehrprodukt aneignet, verwendet der Autor den Begriff »Rente« (hier war ich mir allerdings unsicher bei der Übersetzung von »rent«, was wörtlich eher »Miete« oder »Mietzins« bedeutet).

»Rente« wird vom Autor eingeführt als »ökonomische Einnahme für das Überlassen des Eigentums zur Nutzung durch Andere«. Bezieht man diese Formulierung etwa auf den Boden, so wird damit halbwegs sinnvoll die »Grundrente« definiert. Bezieht man es jedoch auf die Vernutzung von Arbeitskraft und meint mit »Eigentum« die Produktionsmittel, ist die Formulierung unsinnig.

Der »Eigentümer« (der Produktionsmittel) überlässt keineswegs sein Eigentum zur Nutzung durch die Arbeiter, sondern umgekehrt kauft er die Ware Arbeitskraft ein, um sie an seinen Produktionsmitteln einzusetzen. Und nur weil es seine Produktionsmittel sind und nicht die der Arbeiter, kann er sich auch den geschaffenen Wert aneignen und auf dem Markt realisieren (d.h. die Waren verkaufen). Aus dem realisierten Wert wird schließlich die Ware Arbeitskraft bezahlt (=Lohn), und aus dem geschaffenen Mehrwert ggf. ein Rentier, der seinen Boden zur Verfügung stellt (=Grundrente). Den Ertrag des »Eigentümers« der Produktionsmittel ist jedoch keine »Rente«, sondern »Profit«.

Damit kann auch die »Rente« genauer bestimmt werden: Es ist die Bezahlung einer Leistung aus anderswo geschaffenem Wert. Denn im Fall des Bodens schafft der Boden keinen Wert, sondern der Bodeneigentümer muss aus dem »anderwo«, nämlich aus der Vernutzung von Arbeitskraft in der Produktion, geschaffenem Wert bezahlt werden.

2. Übertragung auf Informationsgüter

Vielleicht hat Dmytri Kleiner den Begriff »Rente« undifferenziert für jegliche »Einnahme« von »Eigentümern« verwendet, weil sie schließlich doch wieder relativ gut auf die Übertragung auf Informationsgüter passt. Die eingesparte Differenzierung erlaubt die Benennung einer einheitlichen Ursache: Das Eigentum ist schuld. Damit befindet sich der Autor — trotz aller theoretischer »Eigenheiten« vorher — wieder im gemeinsamen Boot mit seriösen Kritikerinnen und Kritiker, die in traditionell-marxistischer Perspektive argumentieren.

»Eigentümer« sind im Fall der Informationsgüter die Kontrolleure der Mittel zur Verwertung — statt wie vorher die Kontrolleure der Produktionsmittel. Per Vertrag treten die Produzenten alle Verwertunsgrechte an die »Eigentümer« (hier: der Verwertungsmittel) ab, die ihre nur die »Subsistenzmittel«, also die Reproduktionskosten ihre Arbeitskraft, ausbezahlen. Also irgendwie wie gehabt, »ehernes Gesetz« oder so — genauer wird das nicht begründet.

Vor der Kritik, die unten folgt, sei hier angemerkt: Das ist einfach empirisch falsch. Die übergroße Zahl etwa der Künstler erhalten keineswegs die »Subsistenzmittel«, sondern so wenig, dass es selbst zum bloßen physischen Überleben nicht ausreichen würde. Andererseits gibt es eine sehr kleine Künstlergruppe, die extrem hohe Einnahmen erzielt, trotz des Abtretens aller Verwertungsrechte an die Mittlerindustrie. Es gibt einfach keinen inhaltlich-strukturellen Bezug von Einkunft und Reproduktionskosten wie im Falle des Verkaufes von Arbeitskraft. Hier wird keine Arbeitskraft verkauft, sondern es werden Verträge zwischen Rechtssubjekten, zwischen Unternehmen geschlossen. Dass dabei die Mittlerindustrie eine große ökonomische Macht hat, Bedingungen zu diktieren, steht auf einem anderen Blatt — das trifft genauso z.B. auf die Beziehungen von VW zur seinen Zuliefern zu.

Da nun das Copyleft nicht das »Eigentum« tangiert, kann es das angeblich auch hier bestehende »eherne Gesetz« der »ungerechten« Teilhabe am Reichtum genauso wenig ändern wie Copyright oder »Copyjustright« (etwa die Creative Commons Lizenzen). Im Gegenteil: Da Copyleft nur die Nutzung regelt, können auch die »Eigentümer« die Produkte nutzen.

Da Ursache schon bestimmt ist — das »Eigentum« –, liegt auch die Lösung nahe: Ändern der Eigentumsverhältnisse. Die Arbeiter müssen selbst die Betriebe besitzen und über die Produktions- und Verwertungsmittel verfügen. Nur so kann eine gerechtere Verteilung erreicht, weil die Arbeiter als Eigentümer dann selbst über die Verteilung des Reichtums entscheiden können. Daran müssen schließlich auch die Lizenzen gemessen werden, und weil die bisherigen Lizenzen alle samt das »Eigentum« und damit die Reichtumsverteilung nicht berühren, muss eine neue Lizenz her.

3. Copyfarleft

Eine »linke« Copyleft-Lizenz muss zwischen zwei Arten von »Eigentum« unterscheiden: Arbeiter-Eigentum und »Eigentümer«-Eigentum. Oder anders formuliert: Zwischen jenen, die selbst arbeiten und jenen, die Lohnarbeit einsetzen: »(E)s muss für Arbeiter möglich sein, Geld zu verdienen durch Anwendung eigener Arbeit auf gegenseitig genutzes Eigentum. Es soll aber unmöglich sein für Eigentümer, Geld durch Nutzung von Lohnarbeit zu verdienen.«

Die Arbeiter-Eigentümer sollen sich dabei aus dem Allgemeingüter-Bestand (den »Commons«) bedienen können, weil sie Teil der Commons sind. Die Arbeiter-Eigentümer pflegen also einen gemeinsamen Pool an Informationsgütern, der jedoch für »Eigentümer«, die Lohnarbeit anwenden, nicht zugänglich sein soll. Die Arbeiter-Eigentümer sollen also »drinnen« sein dürfen (»endogen«), während die »Eigentümer« draußen bleiben müssen (»exogen«).

Das heisst: »Eine Copyfarleft-Lizenz muss eine allgemeingüterbasierte kommerzielle Nutzung erlauben, während gleichzeitig die Fähigkeit Lohnarbeit auszubeuten abgelehnt wird.« Das leistet bisher keine andere Lizenz, denn: »“Nicht-kommerziell“ ist keine passsende Weise, die notwendigen endogen-exogene Grenze zu beschreiben. Jedoch gibt es keine andere Commons-Lizenz, die einen verwendbaren rechtlichen Rahmen für allgemeingüterbasierte Produzenten bietet.«

Copyfarleft ist also der Versuch, über eine rechtliche Kodifizierung zwei Ökonomien zu schaffen: Eine allgemeingüterbasierte und eine lohnarbeitsbasierte Ökonomie.

4. Kritik

Zentaler Fehler von Dmytri Kleiner ist die Nicht-Unterscheidung von Arbeitskraft und Arbeit. Ich bin nicht sonderlich vertraut der Geschichte der Theorie der Arbeiterbewegung, aber meiner Erinnerung nach war es Ferdinand Lassalle, der ähnlich wie der Autor den »unverkürzten Arbeitsertrag« einforderte. Das wurde — auch soweit in erinnere — von Karl Marx in der »Kritik am Gothaer Programm« zerlegt. Auch der Begriff »ehernes Lohngesetz«, der zwar inhaltlich auf Ricardo zurückgeht, wurde von Lassalle geprägt und verwendet, um eine gesetzliche Festlegung einer Art Mindestlohn zu fordern.

Insgesamt scheint sich der Autor trotz einiger »linker« Rhetorik doch eher an der vormarxschen und bürgerlichen Ökonomietheorie zu orientieren. Trotzdem formuliert er eine Eigentumskritik, wie sie in der Arbeiterbewegung weit verbreitet war und noch immer vom traditionellen Marxismus vertreten wird: Wenn erst die Produktionsmittel in den Händen der Arbeiter sind, dann können diese auch über den Wert inkl. Mehrwertes selbst verfügen und für eine gerechtere Verteilung sorgen.

Traditionell gab es zwei Wege, das Ziel der Verfügung über die Produktionsmittel und damit die Arbeitsresultate zu erlagen: Revolution und Reform. Beide orientierten auf die politische Machterringung des Staates, ob über einen »Umsturz« (wie auch immer) oder über Wahlen. Der Autor hingegen schlägt vor, schrittweise die Betriebe in »Arbeitereigentum« zu überführen, die untereinander über die gemeinsam gepflegten Allgemeingüter (Commons) miteinander verbunden sind. Helfen soll dabei die Copyfarleft-Lizenz, die die entsprechende rechtliche Absicherung liefert.

Ich finde hier weniger interessant, ob die Vorstellung, die Eigentumsverhältnisse über eine Lizenz zu verändern, »naiv« genannt werden kann. Wichtiger ist mir, hier klar zu sehen, dass sich der Autor nicht wesentlich von anderen Kritiker/innen des Eigentums unterscheidet: Er will zwar die Eigentumsverfügung verändern, aber keineswegs die warengesellschaftliche Logik, auf der mit dem Eigentum operiert wird, antasten.

Mit warengesellschaftlicher Logik meine ich den »Mechanismus«, dass getrennte Privatproduzenten — egal, ob individuelle oder kollektive — ihre Produkte als Waren auf den Markt bringen müssen, um ihren Wert zu realisieren. Wie traditonell üblich wird die »Produktion« als etwas Neutrales angesehen, während einzig um die Verteilung des Mehrwerts (fälschlich als »Rente« bezeichnet) gestritten wird. Das ändert unterm Strich — gar nichts.

Auch das angebliche »eherne Lohngesetz« — also die Tatsache, dass der Lohn den notwendigen Reproduktionsmitteln entspricht — wird nicht verändert. Auch ein arbeitereigenes Unternehmen muss sich um die Verwertung ihrer Produkte als Waren kümmern, muss in der Konkurrenz mithalten, muss investieren, muss mit Partnern kooperieren, muss Konkurrenten ausstechen — und kann nur den Wert der Ware Arbeitskraft bezahlen. Solche »arbeitereigenen« Hightech-Firmen wie etwa die »Telekommunisten« hat denn auch schon gegeben.

Prominentes Beispiel ist die Berliner Firma PSI, eines der inzwischen wirklich großen Consultingunternehmen in D-Land. Nun allerdings nicht mehr »arbeitereigen«: Schrittweise wurde die kollektive Bestimmung zur bloßen Mitbestimmung und schließlich zum stinknormalen Unternehmen abgebaut. Das musste auch so kommen, die Gründe der »effektiveren Unternehmensführung« waren keinesfalls bloß vorgeschoben, sondern entspringen direkt der Verwertungslogik in der Konkurrenz.

Die Entwicklung, dass sich die Produkte menschlicher Tätigkeit »verselbstständigen«, sobald sie als Waren produziert werden und die Marx mit dem Begriff »Fetischismus« gefasst hat, ist eines der am meisten miss- oder unverstandenen Teile der Marxschen Theorie. Diese Verselbstständigung — Marx sprach vom »automatischen Subjekt« und meinte damit das sich selbst verwertende Kapital — ist ein paradoxes Resultat der Produktion von Gütern als Waren. Paradox ist es, weil wir es ja sind, die das tun, die das herstellen, was uns dann als Getanes, als Fremdes, als Sachzwang wieder gegenübertritt.

Um mal ein nicht so häufig verwendetes Zitat von Marx anzuführen: »So leben die Agenten der kapitalistischen Produktion in einer verzauberten Welt, und ihre eigenen Bedingungen erscheinen ihnen als Eigenschaften der Dinge, der stofflichen Elemente der Produktion.« (K. Marx, Theorien über den Mehrwert III, MEW 26.3, 503). Mit dem Begriff »Agenten« zielt Marx darauf ab, dass wir Ausführende, eben Agenten, einer unabhängig von uns, aber doch durch uns hergestellten Logik sind. Deren zwei wesentliche und innerhalb der Logik gegensätzliche Rollen sind die von »Eigentümer der Produktionsmittel« aka »Kapitalist« und Produktionsmittellosen aka »Arbeiter«. Der Klassenkampf ist vor diesem Hintergrund ein Verteilungskampf um den Mehrwert. Der tastet die Grundlage des Ganzen, die Warenproduktion, nicht an.

So ist der Autor nicht nur weit davon enfernt, den grundsätzlichen Zusammenhang der Warenproduktion zu kritisieren — dann notwendig eingeschlossen Tausch, Markt, Geld, Staat –, sondern er weisst eine solche Überlegung explizit zurück. Als ich ihn hier fragte, ob er »den Tauschwert retten wolle«, antwortete er: »Ich will nicht den Tausch abschaffen, ich will Eigentumsprivilegien abschaffen«. Das ist konsistent zum hier besprochenen Aufsatz.

Dmytri Kleiner will trotz aller radikalen Rhetorik die Grundlagen der Warenproduktion nicht antasten, sondern er will auf der Grundlage der Warenproduktion eine etwas gleichmäßigere Verteilung des Reichtums haben. Das wollten viele, das haben viele ausprobiert und wollen trotz aller Niederlagen immer noch viele: Sie werden es nicht bekommen. Es reicht schlicht nicht aus, die Verfügung über die Produktionsmittel zu erlangen, wenn sie weiter im gleichen Operationsmodus eingesetzt werden. Die Produktion ist eben nicht neutral, die scheinbar für beliebige Zwecke einsetzbar ist, sondern sie ist als Produktion voneinander getrennter Privatarbeiten notwendig Warenproduktion, deren Vermittlung erst ex post über den Wertvergleich geschieht — mit allem drum und dran (von Markt bis Staat bis Klimakatastrophe).

Fazit: Eine Eigentumskritik verbunden mit einer bloßen Mehrwertkritik greift entschieden zu kurz, erst eine Wertkritik kann die Grundlagen unserer Vergesellschaftung ins Visier nehmen (zum Verhältnis von Mehrwert- und Wertkritik vgl. »Mehrwert und Verwertung«). Denn genau darum geht es: Um eine neue Art und Weise der gesellschaftlichen Produktion unseres Lebens. Was eine Produktion jenseits der Verwertungslogik bedeuten kann, zeigt die Freie Software. Das Copyleft genau in der jetzigen Form hält ihr dabei den Rücken frei — nicht mehr, aber auch nicht weniger.

[Update]

Es gibt diesen Text jetzt auch absatzweise kommentierbar bei open theory.

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