Streifzug-Review 2: »Knappheit«

KeinePolitik! Aber keine Politik.»Knappheit. Eine Realabstraktion« lautete der Titel der zweiten Ausgabe meiner Kolumne »Immaterial World« in der Wiener Zeitschrift »Streifzüge«. Whow, dieser Artikel hatte wohl in sich, denn er hat die heftigste Diskussion aller Kolumnenbeiträge ausgelöst – bis jetzt, Nr. 8 erscheint im November 2006.

Worum ging’s?

Die zentrale These des Beitrages ist: »Knappheit ist eine geschaffene, soziale Form der Warenproduktion«. Es gibt also nichts, was »natürlich knapp« wäre, wie das bürgerliche Theorien unterstellen. Gleichwohl ist nicht alles stets »überreichlich« vorhanden, sondern durchaus »begrenzt« – dies jedoch immer in Bezug auf einen gesellschaftlichen »Bedarf«. Lässt man auch noch den Bedarf in der Überlegung weg, landet man beim »Vorkommen« – eine Art »Schnappschuss« aktuell vorhandener Güter (Produkte oder Rohstoffe), wie Stefan Merten zutreffend bemerkt.

»Knappheit« existiert nicht, sie wird hergestellt. »Knappheit« bedeutet: »nicht frei verfügbar«, obwohl eigentlich »da«. Wenn die meisten von »knapp« reden, meinen sie eigentlich »begrenzt«, also »nicht ausreichend da«, wobei dabei immer ein Bedarf mitgedacht ist. »Knappheit« hingegen ignoriert das »da-sein«, entscheidend ist das »nicht-verfügbar-sein« des eigentlich »da-seienden« Guts. Nur »unverfügbar« kann ein eigentlich verfügbares »Gut« eine »Ware« sein – »Knappheit« ist eine »conditio sine qua non« der Ware. Das Ganze ist so verrückt.

Auf Spiegelstriche gebracht:

  • Vorkommen :: verfügbares Gut
  • Begrenztheit :: nicht ausreichend verfügbares Gut in Bezug auf einen Bedarf
  • Knappheit :: unverfügbares verfügbares Gut

Das Denken von Verrückheiten ohne verrücktes Denken ist schwierig. Ich maße mir nicht an, das »sui generis« zu beherrschen, doch andere haben damit noch größere Probleme. Hans-Gert Gräbe (HGG) kritisiert, ich werfe »zwei Knappheitsbegriffe in einen Topf, die Knappheit von Ideen und die Knappheit von Produkten«. – Öhm, ich denke, dass nicht ich das tue (schon gar nicht in dem Artikel), sondern die Verwerter »Geistigen Eigentums«, die nicht nur auf Ideen basierende Produkte, sondern eben auch die Ideen selbst in klingende Münze verwandeln wollen.

Das Problem sei nicht »Knappheit«, so HGG weiter, sondern fehlende Standards, die zum Beispiel einen Markt für Softwarekoponenten verhinderten. Stefan Merten hingegen stellt die These auf, es gäbe keinen Markt für proprietäre Softwarekomponenten gibt, weil die sich nicht rechneten. Davon sei die Freie Software frei, und deswegen gäbe es dort Komponenten wie sie Entwickler brauchten (z.B. Archive wie CPAN bei Perl etc.). Und ohnehin sei die Entgegensetzung von Knappheit und fehlender Standardisierung nicht richtig, denn Standardierung bedeutet in der Konsequenz eine fehlende Verknappungsmöglichkeit. Proprietäre Hersteller hätten nun mal kein Interesse an Standards bzw. nur an solchen »Standards«, die sie selbst kontrollierten. – Da fällt mir natürlich Microsoft ein. Wie oft musste ich mir die Begründung für den Einsatz von M$-Word anhören: »Das ist doch Standard«:-(

Die Softkomponenten führen HGG dann zu der Überlegung, dass Software als solche eigentlich nur ein »Bauplan« sei, während erst die konkrete Ausführung der Software in einem Anwendungsfeld ein »Produkt« erzeugten. Mit anderen Worten: Aus einer »Infrastruktur« muss erst ein »Produkt« gemacht werden, das dann potenziell »verknappbar« und somit verwertbar wäre. Ansätze dazu gab es mal mit ASP (Application Service Providing), wo genau an der Umwandlungsstelle von der Infrastruktur zum Produkt die Hand aufgehalten wurde. Hat aber nicht funktioniert, auf eine »Knappheit per Use« wollten sich die »Kunden« dann nicht einlassen. – Ich bin mal gespannt, wie die Entwicklung mit »Web 2.0« weitergeht, weil das ja ASP-ähnlich ist. Nur das jetzt zu Beginn noch alles »kostenlos« ist. Wird hier eine »künstliche Knappheit« implementierbar sein, und werden die Leute das mitmachen?

So, zum Abschluss nochmal eine kleine Wiederholung, again HGG: An den »nice to have« Listen sähe man die »Knappheit« im »Open Source Bereich«. Genau genommen gäbe es immer Wünsche als realisierte Ideen, und deswegen »werden realisierte Ideen immer ein knappes Gut sein«. – Argh! Also noch einmal: Wovon reden wir hier? Ja, richtig, nicht von »Knappheit«, sondern von »Begrenzungen«. Ja, selbstverständlich wird die Menschheit immer mit Begrenzungen zu tun haben, und sie wird damit umgehen – nur hoffentlich irgendwann nicht mehr in der Form »Knappheit«.

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