Profitmaximierung und die Alternativen

Mutmaßliche Mitglieder eines Kooperativbetriebs beim Diskutieren; Bild von MisterMatt und MesserWoland, Lizenz: CC BY-SA 3.0(Voriger Artikel: Märkte für reale, aber nicht für „fiktive“ Waren wie Arbeits­kraft und Land?)

Im vorigen Artikel hatte ich festgestellt, dass die Alternative zu einem Markt für Arbeitskraft (wo Menschen ihre Arbeitskraft an Firmeneigentümer verkaufen, die sie dann nach eigenem Gutdünken einsetzen) demokratische Kooperativbetriebe sind, deren Mitarbeiter alle sie betreffenden Entscheidungen gleichberechtigt treffen. Nach innen unterscheiden sich solche Kooperativbetriebe (kurz: Kobetriebe) radikal von kapitalistischen Firmen, da es keine Trennung zwischen weisungsbefugtem Management und weisungsgebundenen Angestellten gibt. Nach außen ändert sich hingegen nicht zwangsläufig allzu viel: Kobetriebe stehen womöglich in Konkurrenz zu anderen Betrieben; sie können, wenn sie wollen, versuchen möglichst viele möglichst billig hergestellte Produkte möglichst teuer zu verkaufen, um so ihre Einnahmen zu maximieren und ihre Ausgaben zu minimieren.

Allerdings zeigt sich hier schon ein auffälliger Unterschied zwischen kapitalistischen und Kooperativbetrieben: Ein kapitalistisches Unternehmen wird immer versuchen, die Löhne seiner Mitarbeiter so weit es sinnvoll möglich ist zu drücken (nicht mehr sinnvoll ist die Lohndrückerei aus kapitalistischer Sicht erst dann, wenn Mitarbeiterinnen massenhaft kündigen und zur besser zahlenden Konkurrenz wechseln oder wenn sie so unzufrieden sind, dass sie sich weniger engagieren und die Produktivität leidet). In einem Kobetrieb dürften hingegen alle nicht anderweitig benötigen Einnahmen früher oder später bei den Mitarbeitern landen, da diese gemeinsam entscheiden, was damit passieren soll (sie könnten sich natürlich auch entscheiden, Mehreinnahmen etwa zu spenden, aber das wäre dann ebenfalls ihre eigene Entscheidung). Sich vorher die eigenen Gehälter zu kürzen, um sich die so angesparte Differenz anschließend in Form höher Bonuszahlungen auszuzahlen, macht aber keinen Sinn – die Mitarbeitenden würde sich mit der linken Hand wegnehmen, was sie sich mit der rechten zurückgeben.

Was ist Profit?

Auch wenn Kobetriebe Einnahmen maximieren und Ausgaben minimieren, kann man somit nicht ohne Weiteres sagen, dass sie sich dabei identisch zu kapitalistischen Betrieben verhalten, die ihre Profite maximieren wollen. Macht es Sinn, auch bei Kobetrieben von „Profitmaximierung“ zu sprechen? Um das entscheiden zu können, muss zunächst der Profitbegriff geklärt werden: Was genau zählt zum Profit und was nicht? Sind – zum Beispiel – Bonuszahlungen an die Mitarbeiterinnen Teil des Profits oder Abzug davon? Diese Frage ist nicht so leicht zu klären, wie es zunächst scheinen mag, weil tatsächlich (mindestens) drei unterschiedliche Profitbegriffe im Umlauf sind – die Neoklassik verwendet alleine schon zwei, marxianische Ökonomen noch eine dritte.

Das einfachste Profitkonzept wird „Buchprofit“ (accounting profit) genannt: dieser ist ganz einfach die Differenz zwischen Gesamterlös (total revenue) und Gesamtkosten (total cost) einer Firma (Mankiw 2014, 260, 262). Problematisch an diesem Begriff ist, dass er Eigenkapital und Fremdkapital einer Firma ganz unterschiedlich behandelt – Fremdkapital sind von der Firma aufgenommene Kredite oder von ihr verkaufte Anleihen (eigentlich nur ein anderes Wort für einen kleinen Kredit), für die fest vereinbarte Zinsen gezahlt werden. Diese Zinszahlungen sind Teil der Kosten der Firma – somit zählen sie nicht zum Buchprofit der Firma, sondern mindern diesen entsprechend. Hingegen ist das Eigenkapital das Geld, das die Eigentümerinnen der Firma in diese investiert haben – zur „Belohnung“ für diese Investition dürfen sie entschieden, was die Firma macht und sich (wenn sie wollen) alle erwirtschafteten Profite auszahlen lassen (im Falle einer Aktiengesellschaften sind die Aktien das Eigenkapital und die Ausschüttungen heißen Dividenden). Alle Ausschüttungen an die Eigenkapitalgeber zählen zum Buchprofit, anders als die Zahlungen an Fremdkapitalgeber.

Dass diese analytische Ungleichbehandlung von Eigen- und Fremdkapital unbefriegend ist, sieht die Neoklassik auch und führt deshalb das Konzept der Opportunitätskosten (opportunity costs) ein. Dies sind die (imaginären) Kosten, die einer Eigenkapitalgeberin dadurch entstehen, dass sie ihr Kapital nicht auf andere Weise investiert hat. Mankiw (2014, 261f.) rechnet vor, dass eine Kapitalistin (er nennt sie Caroline) beispielsweise 300.000 Dollar aus ihren eigenen Ersparnissen in ihr Unternehmen einbringt, die sie andernfalls als Festgeld zu vielleicht 5 Prozent Zinsen hätte anlegen können. Ihr entgehen durch ihr Investment also Zinseinnahmen von 15.000 Dollar pro Jahr. Die Neoklassik betrachtet solche imaginären Kosten als Opportunitätskosten, die vom „wirtschaftlichen Profit“ (economic profit) abzuziehen sind. Hat Carolines Firma also 25.000 Dollar Überschuss erwirtschaftet, die sie sich komplett auszahlen lässt, entspricht der Buchprofit diesen 25.000 Dollar, doch der „wirtschaftlichen Profit“ sind nur die 10.000 Dollar, die nach Abzug ihrer Opportunitätskosten übrig bleiben. Reden Neoklassikerinnen einfach von „Profit“, meinen sie in aller Regel diesen „wirtschaftlichen Profit.“

Was verwirrend sein kann, denn wenn Mankiw (2014, 291) etwa zu dem Schluss kommt, dass sich das Preisniveau in einem Konkurrenzmarkt so einpendelt, dass die „am Markt verbleibenden Firmen keinen wirtschaftlichen Profit erzielen können“ [firms that remain in the market must be making zero economic profit], bedeutet das nicht etwa, dass die Eigenkapitalgeber in die Röhre schauen und auf Ausschüttungen komplett verzichten müssen, sondern nur dass die an sie geflossenen Ausschüttungen dem Zinsniveau entsprechen, dass sie auch anderswo hätten verdienen können.

Dem Marx’schen Verständnis (oder dem gesunden Menschenverstand) entsprechend, würde man eher sagen, dass die Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Märkten dazu führt, dass in allen Märkten dieselbe durchschnittliche Profitrate erwirtschaftet wird – aber nicht, dass diese Profitrate, obwohl real positiv, zugleich analytisch „null“ ist (wie es die Neoklassik tut).

Die Neoklassik löst die analytische Ungleichbehandlung von Eigen- und Fremdkapital also dadurch auf, dass die von allen Ausschüttungen an Eigenkapitalgeber deren imaginäre „Opportunitätskosten“ abzieht. Marx geht den umgekehrten Weg: Er betrachtet auch Ausschüttungen an Fremdkapitalgeberinnen als Teil des Profits, auch wenn sie aus der Innenperspektive einer Firma als Kosten (und damit Abzug vom Profit) erscheinen. Er analysiert den Profit als abgeleitete Form des Mehrwerts, wobei alle Zahlungen an Kapitalgeber zum Mehrwert gehören, egal ob es sich um Eigen- oder Fremdkapital handelt. Der in einer Firma produzierte Mehrwert entspricht allerdings in aller Regel nicht genau dem Profit, der an deren Eigen- oder Fremdkapitalgeberinnen fließt, da sich zwischen Firmen aus verschiedenen Branchen eine Durchschnittsprofitrate bildet (wie auch die Neoklassiker wissen). Zudem gehören für Marx auch Mietzahlungen an Grundeigentümerinnen und an den Staat abgeführte Steuern zum Mehrwert, während diese für die Neoklassik Kosten (und damit Abzüge vom Profit) darstellen.

Da das Wort „Profit“ somit in mindestens drei unterschiedlichen Bedeutungen verwendet werden kann, werde ich im Folgenden die Finger davon lassen und stattdessen entweder von Buchprofit oder von Kapitalerträgen sprechen. Der Buchprofit hat dabei die oben erläuterte Bedeutung: er umfasst, was vom Erlös übrig bleibt, nachdem alle Kosten (einschließlich der Zinszahlungen an Fremdkapital) gezahlt sind. In aller Regel wird ein kapitalistisches Unternehmen diesen Buchprofit zum Großteil an die Eigenkapitalgeber ausschütten, etwa in Form von Dividenden; den Rest kann es in Form von Rücklagen zunächst im Unternehmen belassen. Diese Rücklagen vermehren das Eigenkapital, ohne sofort an dessen Eigentümerinnen ausgezahlt zu werden. Zu beachten ist dabei, dass Neuinvestitionen (die Firma baut ein neues Werk oder schafft neue teure Maschinen an) nicht zum Buchprofit gehören, sondern zu den Kosten – somit werden sie vom Buchprofit abgezogen und reduzieren ihn entsprechend.

Kapitalerträge sind hingegen alle Zahlungen an Kapitalgeberinnen. Neben Dividenden und ähnlichen Zahlungen an Eigenkapitalgeber gehören dazu auch Zinszahlungen an Fremdkapitalgeber – will man zwischen beiden differenzieren, kann man von Eigen- bzw. Fremdkapitalerträgen sprechen. Dies ähnelt eher dem Marx’schen Verständnis von Profit als umverteilten Mehrwert, da hier anders als beim Buchprofit auch Rückflüsse an Fremdkapitalgeberinnen eingerechnet werden – Mietzahlungen und Steuern (anders als bei Marx) allerdings nicht. Auch Rücklagen würde ich nicht zu den Kapitalerträgen rechnen, solange noch nicht entscheiden ist, was mit ihnen passiert – sie können investiert werden (und dann zu den Kosten zählen) oder als Kapitalerträge an die Eigenkapitalgeber ausgezahlt werden.

Profitmaximierung, Lohnmaximierung, Versorgungsorientierung

Nach dieser Klärung des Profitbegriffs können wir nun besser analysieren, was mit „Profitmaximierung“ überhaupt gemeint ist und inwiefern es auch in demokratischen Kooperativbetrieben noch einen Zwang oder Drang in diese Richtung geben würde. Für seine Analyse nimmt Mankiw (2014, 375) ohne weitere Begründung an, dass Firmen profitmaximierend (profit maximizing) sind: Unmittelbar geht es ihnen weder um Qualität oder Quantität der von ihnen produzierten Waren noch um die Lebensqualität ihrer Angestellten, sondern nur darum, möglichst viel Profit zu machen. Gemeint ist dabei der „wirtschaftliche Profit“ der Neoklassik, der gemäß obiger Terminologie proportional zu den Eigenkapitalerträgen ist (von diesen werden allerdings noch die imaginären Opportunitätskosten abgezogen, auf deren Größe das Verhalten der Firma aber keinen Einfluss hat). Fremdkapitalerträge zählen für die Neoklassik hingegen nicht zum Profit, sondern zu den Kosten. Wenn von „Profitmaximierung“ die Rede ist, ist somit die Maximierung von Eigenkapitalerträgen gemeint – keineswegs aber die von Fremdkapitalerträgen.

In der Tat macht es für eine Firma keinen Sinn, ihre Fremdkapitalerträge maximieren zu wollen– andernfalls müsste sie sich darum bemühen, einen der benötigten Produktionsfaktoren (Fremdkapital, d.h. Kredite) möglichst teuer einzukaufen statt möglichst billig. Firmen, die auf Konkurrenzmärkten bestehen wollen, werden sich aber immer darum bemühen, ihre Kosten möglichst gering zu halten – somit werden sie sich auch um die Minimierung, nicht die Maximierung von Fremdkapitalerträgen bemühen, indem sie von den infrage kommenden Krediten tendenziell die zinsgünstigsten nehmen. Ebenso wie um die Minimierung von Fremdkapitalerträgen bemühen sich kapitalistische Unternehmen auch um die Minimierung von Löhnen – sie versuchen, die benötigte Arbeitskraft (einen weiteren Produktionsfaktor) möglichst günstig einkaufen. Je besser die Geschäfte laufen, desto mehr Buchprofit bleibt dem Unternehmen dann, den sich seine Eigentümer als Eigenkapitalerträge auszahlen könnten.

Bei demokratischen Kooperativbetrieben treffen hingegen die Mitarbeiterinnen alle Entscheidungen gemeinsam – solche Betriebe haben somit überhaupt kein Eigenkapital, dessen Eigentümer besondere Ansprüche auf Erträge hätten. Natürlich werden auch Kobetriebe oft Kredite brauchen, um Produktionsmittel und Vorprodukte zu erwerben und den Mitarbeiterinnen Löhne zahlen zu können, bis genügend Einnahmen fließen, um diese Kredite dann wieder zurückzuzahlen. Aber solche Kredite sind Fremdkapital, und genau wie kapitalistische Betriebe werden sich Kobetriebe tendenziell darum bemühen, möglichst günstig an Kredite zu bekommen, d.h. möglichst wenig Zinsen dafür zu zahlen. Eine Maximierung der Kapitalerträge ist für Kobetriebe also gar keine Option – über Eigenkapital, dessen Erträge sie maximieren können, verfügen sie nicht, und die Maximierung von Fremdkapitalerträgen ist für keine am Markt agierende Firma eine sinnvolle Option.

Wenn also Profitmaximierung für Kobetriebe als Firmenziel ausfällt, welche anderen Ziele können sie dann verfolgen? Darauf sind ganz unterschiedliche Antworten denkbar – genau wie im Übrigen auch kapitalistische Unternehmen keineswegs zur Profitmaximierung gezwungen sind, solange sie nicht selbst (als Aktiengesellschaften) auf Kapitalmärkten gehandelt werden. Die zwei nächstliegenden Optionen für Kobetriebe dürften aber Lohnmaximierung und Versorgungsorientierung sein.

Lohnmaximierung ist das direkte Gegenstück zur kapitalistischen Profitmaximierung: Ähnlich wie bei einer kapitalistischen Firma (wo die Eigenkapitalgeber, nicht die Mitarbeiterinnen alle wesentlichen Entscheidungen treffen) die Eigenkapitalgeber oft versuchen werden, möglichst hohe Kapitalerträge zu erwirtschaften, können die Mitarbeiterinnen eines Kooperativbetriebs versuchen, für sich selbst möglichst hohe Löhne zu erwirtschaften. Ob diese Maximallöhne dann in Form regelmäßiger oder gelegentlicher Bonuszahlungen oder in Form besonders hoher Grundgehälter an die Mitarbeiter weitergegeben werden, ist dabei eher ein technisches Detail. Allerdings werden Betriebe wahrscheinlich eher zu Bonuszahlungen tendieren, die je nach wirtschaftlicher Situation größer oder kleiner ausfallen könnten, da im Falle garantierter hoher Grundgehälter schnell die Pleite drohen würde, wenn es wirtschaftlich mal nicht so gut läuft, diese Gehälter aber trotzdem gezahlt werden müssten.

Die Alternative sind versorgungsorientierte Betriebe, deren Hauptziel die Versorgung ihrer Kundinnen mit guten und preisgünstigen Produkten ist. Solche Betriebe zahlen ihren Mitarbeitern feste Löhne, versuchen aber nicht darüber hinausgehende Bonuszahlungen zu erwirtschaften. Läuft es wirtschaftlich gut, bilden sie vielleicht gewisse Rücklagen für schwierigere Zeiten; sind die Einnahmen dann immer noch höher als die Kosten, geben sie den Unterschied in Form von Preissenkungen an die Kundinnen zurück. Darin unterscheiden sie sich von profitmaximierenden sowie lohnmaximierenden Firmen, die nur dann die Preise senken, wenn ihnen die Konkurrenz keine andere Wahl lässt oder sie sich dadurch einen Vorteil im Konkurrenzkampf versprechen (Steigerung des eigenen Marktanteils durch Unterbieten der Konkurrenz). Versorgungsorientierte Kobetriebe (VO-Kobetriebe) senken hingegen immer dann die Preise, wenn ihnen das wirtschaftlich möglich ist, unabhängig davon, ob sie „Konkurrenten“ haben und wie diese sich verhalten. Das eröffnet erweiterte Kooperationsmöglichkeiten für solche Betriebe, die noch zu diskutieren sein werden.

Aber haben VO-Kobetriebe auf dem Markt überhaupt eine Chance? Würden sich die lohnmaximierenden Kobetriebe (LM-Kobetriebe) nicht immer gegen sie durchsetzen? Zunächst ist festzuhalten, dass LM-Kobetriebe zwar tendenziell für die Mitarbeiterinnen attraktiver sind, weil sie ihnen höhere Löhne in Aussicht stellen können. Andererseits punkten VO-Kobetriebe bei den Kunden, weil sie günstigere Produkte anbieten können. Aus dem Kapitalismus ist bekannt, dass der günstigere Anbieter meistens die besseren Karten hat – daraus aber zu folgern, dass die VO-Kobetriebe sich gegenüber den LM-Kobetrieben zwangsläufig durchsetzen werden, wäre sicherlich voreilig. Stattdessen werde ich im nächsten Artikel diskutieren, warum und unter welchem Umständen VO-Kobetriebe tatsächlich die Nase vorn haben.

(Fortsetzung [mit etwas anderer Stoßrichtung als ursprünglich geplant]: Die Genossenschaftsgesellschaft)

Literatur

Mankiw, N. Gregory. 2014. Principles of Economics. 7. Aufl. Stamford, CT: Cengage Learning.

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