Die neue Formel des Kommunismus

Bei meinem Bemühen eine historisch fundierte Transformationstheorie zu entwickeln musste ich zuletzt einen kleinen Umweg gehen. Nach dem ich das (für mich) geklärt habe, begebe ich mich jetzt wieder auf den Hauptweg. Da zusätzlich zum Konzept der Transpersonalität jetzt auch noch das Konzept der Metapersonalität nötig geworden ist, muss ich also meine Theorie der Geschichte und der Transformation auch entsprechend anpassen.

  1.  Transpersonalität ist eine unvermeidliche Folge von größer werdenden Gesellschaften. Wenn größere Mengen an Menschen nachhaltig koordiniert werden müssen, werden dafür Institutionen benötigt, die sicher stellen, dass es nicht auf eine einzelne Person ankommt, sondern dass im Prinzip jeder austauschbar ist.
  2. Wie ich ja bereits fest gestellt habe, ist ein treibender Faktor in der größten Zeit der Geschichte die Fähigkeit größere Mengen an Menschen zu koordinieren, als die konkurrierenden Gesellschaften. Je transpersonaler eine Gesellschaft ist, umso mehr hat sie also einen Vorteil in diesem evolutionären Prozess.
  3. Tendenziell  und über lange Zeiträume gesehen waren also Gesellschaften umso weniger transpersonal, je länger sie her sind.
  4. Transpersonalität ist ein ermöglichender Faktor für private Aneignung. Ohne institutionelle Verankerung und also auch prinzipieller Austauschbarkeit von Einzelnen, lässt sich der angeeignete Reichtum der Anderen nicht nachhaltig anhäufen.
  5. Im Gegensatz dazu ist Metapersonalität (genauso wie Interpersonalität) eine Eigenschaft von Gesellschaft an sich. Sie kam mit der Menschwerdung in die Welt. Alle Gesellschaften sind metapersonal, sonst wären sie keine.
  6. Mit einem Epochenwechsel wird die Gesellschaft nach einer neuen Elementarform organisiert. Fähigkeiten und Bedürfnisse werden nach einem neuen Muster vermittelt. Das geht einher mit einer Änderung des Verhältnisses zwischen den verschiedenen Beziehungsebenen (inter-, trans- und metapersonal). Abweichend zu meinen älteren Texten, sage ich jetzt also nicht mehr, dass die Elementarform in bestimmten Epochen inter- oder transpersonal ist. Das ist leider doch alles etwas komplizierter. Dennoch gibt es in manchen Epochen eine bestimmende Beziehungsebene und das Verhältnis zwischen den Beziehungsebenen unterscheidet sich. Insbesondere liegt der Unterschied darin, welche Beziehungsebene welche andere unterstützt und stärkt.

Ich werde nun die einzelnen Epochen etwas ausführlicher beschreiben:

Epoche 0: Care und Commons

Wir wissen sehr wenig aus dieser Zeit auch wenn es die größte Zeitspanne der Menschheitsgeschichte umfasst. Die Entstehung der Gesellschaftlichkeit beginnt schon lange vor dem modernen Menschen (homo sapiens) zur Zeit von home erectus. Die ersten menschlichen Kulturen überspannten Kontinente und sogar Spezies. Die Quellenlage ist naturgemäß sehr mäßig, aber folgende Merkmale aller Kulturen in der gesamten Steinzeit, also auch noch lange nach der neolithischen Revolution, sind (so weit ich das von außerhalb der Paläoanthropologie beurteilen kann) weitestgehend Konsens:

  • Es gibt Handel und Austausch auch über größere Entfernungen hinweg.
  • Der Alltag spielte sich in verhältnismäßig kleinen Gruppen ab bis maximal einige Hundert Individuen, vereinzelt auch mehr.
  • Die Menschen lebten direkt von der Umgebung. Zunächst nur als Jäger_innen und Sammler_innen, später auch als Hirt_innen und Bäuer_innen.
  • Es gibt kaum Hinweise auf Schichten, Klassen oder festgelegte Geschlechterrollen. Die Gesellschaften scheinen sehr egalitär gewesen zu sein, es gibt keine Hinweise, dass so etwas wie Eigentum existiert hätte.
  • Es gab durchaus Gewalt zwischen Gruppen, aber wohl eher als seltene Ausbrüche und nicht als Alltäglichkeit.
  • Die Bevölkerungsdichte ist sehr niedrig und dadurch der Eingriff in die Natur minimal, auch wenn das Auftauchen der Menschen schon zu dieser Zeit vermutlich zum Aussterben einiger großer Säugetiere beigetragen hat. Aber das gilt auch für andere Arten und ist noch kein ökologisches Alleinstellungsmerkmal.

Reste dieser Gesellschaften haben sich vermutlich bis heute gehalten. Es gab in allen anderen Epochen vermutlich immer auch Gesellschaften, die immer noch nach der Logik der Epoche 0 funktioniert haben. Es gibt in entlegenen Gegenden auch heute immer noch Jäger_innen und Sammler_innen Gesellschaften und es gibt auch immer noch Matriarchate, die vergleichsweise egalitär Landwirtschaft betreiben. Von diesen heutigen randständigen Gesellschaften auf die historische Situation zurück zu schließen ist aber auch ein bisschen gefährlich, weil sich diese Gesellschaften ja auch in all den tausenden von Jahren geändert haben und sie in der langen Zeit sicherlich auch immer wieder Kontakt hatten.

Das alles passt gut zu einer Gesellschaft, die auf der Elementarform von Care und Commons aufbaut. Man kümmert sich umeinander in der Gruppe und bewirtschaftet die natürlichen Ressourcen gemeinsam und nachhaltig. Es gibt fast keine transpersonalen Institutionen. Beziehungen sind also immer im wesentlichen inter- und metapersonal. Diese beiden Beziehungsebenen stützen sich gegenseitig. Es gibt tradierte Verhaltensweisen, Tabus und animistische Religionen, die den interpersonalen Zusammenhang stützen und es gibt interpersonale Rituale und Regeln, die diese metapersonalen Überlieferungen immer wieder erneuern. Auf eine Formel gebracht: I <=> M, kein T (in dieser und den folgenden Formeln stehen I, M und T für die inter-, trans- und metapersonale Ebene sowie die Pfeile für die stärkenden, stützenden Verhältnisse zwischen den Beziehungsebenen).

Epoche 1: Raub und Loyalität

Schon in der Jungsteinzeit gab es wohl Raubüberfälle. Dadurch konnten vermutlich vorübergehende Akkumulationen von Reichtum stattfinden. Erfolgreiche Räuber konnten sich Loyalität kaufen und so das erste Mal Hierarchien und Eigentum etablieren. Dabei wurde vermutlich je nach Situation auch Handel betrieben. Erste Fernhandelsnetzwerke entstehen. Solche Gesellschaften hat es immer wieder gegeben, später dann vor allem an den weniger fruchtbaren Rändern der landwirtschaftlich organisierten Imperien (z.B. durch Reiternomaden im eurasischen Steppengürtel).

Vermutlich entsteht aus diesen Raubzügen auch das Patriarchat, aber noch in einer rudimentären Form, ohne ausgedehnte Hierarchien von Patriarchen. Der Raub von Frauen und daraus entstehend das Patriarchat ist vielleicht eine der ersten Formen in denen sich Eigentum durchgesetzt hat. Eigentum ist womöglich zuerst das Eigentum an anderen Menschen gewesen, erst dann an Land. (Ok, der Teil ist hochspekulativ, aber für mich plausibel).

Imperien entstanden aus solchen Raubzügen. Oft nur sehr kurzlebig, manchmal dauerhafter, je nach dem wie gut es den Gesellschaften gelang, sich zu transpersonalisieren. Die Elemtarform basiert weiterhin auf interpersonalen Beziehungen. Neu ist jedoch eine Unterstützung durch Transpersonalität und eine Vereinseitigung der Funktion der Metapersonalität. Diese wird jetzt fast ausschließlich zur Rechtfertigung der Herrschaft benutzt. Die neue Formel lautet also: T => I <= M

Epoche 2: Staat und Imperium

In dem Maße in dem es den Räubern gelang sich dauerhaft zu etablieren und gegen konkurrierende Banden durchzusetzen, waren sie genötigt ihre Gesellschaften stärker zu transpersonalisieren und zu verrechtlichen. Die Transpersonalität steht jetzt im Mittelpunkt, die Kontrolle über die Bevölkerung wird territorial. Neue Formel: I => T <= M

Die Kontrolle ist jedoch auch begrenzt. Nur in fruchtbaren Regionen kann die Überschussbevölkerung für Steuereintreiber, Priester, Armee und Bürokratie mit durchgefüttert werden. Nur in territorial zugänglichen Regionen, in denen Reisezeiten gering sind, zum Beispiel entlang der Flüsse oder rund ums Mittelmeer können die Kommandoketten kurz genug gehalten werden, damit das Imperium handlungsfähig bleibt. An den Rändern existieren weiter die Gesellschaften aus den Epochen 0 und 1.

Doch ein Imperium ist in stetiger Gefahr sich zu überdehnen. Und dennoch ist weiterhin in der Konkurrenz der Gesellschaften Größe wichtig für den Erfolg. Dieser Widerspruch führt zu einem Auf und Ab der Imperien über mehrere tausend Jahre hinweg.

Diese Gesellschaften sind ausnahmslos patriarchal, Sklaverei spielt fast immer eine wichtige Rolle. Große Kunst und Architektur zur Prachtentfaltung und Legitimation entsteht. Hier gibt es auch zum ersten Mal ökologische Auswirkungen in globalem Maßstab. Die Rückstände römischer Silberschmelzen lassen sich noch heute im Grönlandeis nachweisen. Ganze Regionen wurden entwaldet und sind es bis heute. Die Handelsnetze sind zum ersten Mal wirklich global (zumindest auf der eurasisch-afrikanischen Landmasse). Luxusgüter werden über tausende von Kilometern in riesigen Mengen gehandelt. Geld spielt zum ersten Mal eine wichtige Rolle.

Das Patriarchat transpersonalisiert sich auch. Es geht jetzt nicht mehr nur um die Herrschaft in der erweiterten Familie sondern nach diesem Muster wird der ganze Staat organisiert, als Hierarchie von Patriarchen. Es entstehen Ämter und Positionen, deren Inhaber zu einem Großteil austauschbar sind und die dennoch Macht und Herrschaft erhalten durch ihre Funktion.

Epoche 3: Kapitalismus und heterosexistische Matrix

Das Auf und ab der Imperien konnte erst durch eine neue Stufe in der Ordnung der Beziehungsebenen beendet werden. Es brauchte eine Logik, die den alten Widerspruch zwischen imperialer Überdehnung und Größenvorteil überwinden konnte. Dies gelang durch eine Metapersonalisierung der Aneignung. Die neue Formel lautet jetzt I => M <= T.

Markt, Konkurrenz, getrennte Produktion und Tausch ermöglichten es jede Größenbegrenzung hinter sich zu lassen. Wenn der Marktpreis die wichtigste Regulationsgröße ist, dann wird die Herrschaft nicht mehr durch einzelne Institutionen ausgeübt. Dadurch werden alle bisherigen Größenbegrenzungen gesprengt. Die Gesellschaft ist zum ersten mal eine Weltgesellschaft, d.h. unsere Beziehungen sind zu einem sehr großen Teil solche zu Menschen auf anderen Kontinenten. Große Teile der Arbeit, die andere für uns verrichten, wird auf anderen Kontinenten geleistet und umgekehrt.

Auch das Patriarchat wandelt sich erneut. Auch hier findet eine Metapersonalisierung statt. Es entstehen essenzialisierte Geschlechterrollen. Die neue Ordnung macht eine Sphärentrennung nötig und diese wird geschlechtlich konnotiert. Alles auf der Welt wird auf einmal in Mann und Frau eingeteilt. Heterosexualität und Homosexualität als Identitäten (im Gegensatz zu einem bloßen Verhalten) entstehen erst jetzt. Das alles sind Bewegungen auf der metapersonalen Ebene.

Inter- und transpersonale Beziehungen sind natürlich auch weiterhin nötig um den Laden am Laufen zu halten, aber sie haben dienende Funktion. Im Zentrum steht die neue metapersonale Logik der Aneignung.

Epoche 5: Kommunismus

Die 4. Epoche hab ich kurz übersprungen, zu der kommen wir gleich. Zunächst können wir festhalten, wie die Beziehungsebenen im Kommunismus (also einer zukünftigen Weltgesellschaft, in der die Entfaltung aller Fähigkeiten und Bedürfnisse möglich wird) zusammen wirken müssen. Zum einen braucht es den alten Zustand aus Epoche 0 wieder. Es muss also wieder eine Wechselbeziehung zwischen Inter- und Metapersonalität eingeführt werden. Keine der beiden Ebenen darf die andere beherrschen. Es muss also wieder gelten M <=> I. Das ist im Kern, das was eine Inklusionslogik ausmacht: Die gesellschaftlichen Strukturen sind so gestaltet, dass sie unsere interpersonalen Beziehungen unterstützen und umgekehrt.

Zusätzlich brauchen wir unter den Bedingungen der Weltgesellschaft aber auch die transpersonalen Beziehungen. Das Internet darf nicht zusammen brechen, nur weil ein Admin mal in Urlaub fährt. Das ist das neue Element gegenüber der Epoche 0. Diese Institutionen dürfen sich aber nicht verselbstständigen. Sie haben untergeordnete Funktion. So viel Transpersonalität wie nötig, aber nicht mehr.

Damit lautet die neue Formel des Kommunismus T => I <=> M <= T.

Die transpersonalen Institutionen sind dafür da eine globale, egalitäre Vermittlung von Bedürfnissen und Fähigkeiten ohne private Aneignung zu organisieren.

Eine kurze Anmerkung zur alten Formel des Kommunismus. Also dem staatsorientierten Reform- oder Revolutionskommunismus. In meiner Sprache der Verhältnisse von Beziehungsebenen besteht der in dem Versuch die neue metapersonale (kapitalistische) Aneignung durch die transpersonal organisierte kommunistische Partei zu zähmen. Damit kann aber prinzipiell nichts anderes erreicht werden als eine Rückkehr zu Stufe 2 und so war ja dann auch die Praxis von China oder der Sowjetunion folgerichtig eine imperialistische und musste deswegen auf lange Sicht notwendig scheitern, weil die Logik der Epoche 2 in einer Konkurrenz mit der Logik der Epoche 3 unterliegen muss. Der alte Widerspruch zwischen Überdehnung und Zwang zur Größe kam wieder zum Tragen.

Epoche 4: Transformation und Keimformen

Das Problem der Transformation ist also das Problem der Überführung des kapitalistischen I => M <= T in das kommunistische T => I <=> M <= T.

Zunächst wieder eine rein formale Betrachtung: Es gibt zwei Änderungen in dieser Formel. Zum einen kommt ein M => I hinzu und zum anderen ein T => I. Wenn wir diese beiden in die kapitalistische Beziehungskonstellation einsetzen, erhalten wir die Formeln für die beiden Keimformen: T => I <=> M und T => I => M <= T. Diese beiden werde ich mir in einem weiteren Artikel noch mal genauer angucken. Auffällig ist auf jeden Fall, dass für den Übergang zum Kommunismus also eine Stärkung der interpersonalen Beziehungen durch die trans- und metapersonalen Beziehungen nötig sein wird. Für mich passt das auch gut zu meiner Intuition, dass es die (trans- und metapersonalen) Verhältnisse sind, die unsere (direkten, interpersonalen) Beziehungen immer wieder zerstören. Noch sind diese formalen Überlegungen natürlich noch nicht ausreichend um die Keimformen dann auch inhaltlich bestimmen zu können. Aber wir sind der Sache wieder einen Schritt näher gekommen.

Ich sage wieder Danke an alle die mir beim Denken geholfen haben durch Widerspruch, Kritik oder Unterstützung. Ich möchte auch nochmal darauf hinweisen, dass diese ganzen Überlegungen mit der Diskussion zum Buch „Kapitalismus Aufheben“ von Stefan und Simon angefangen haben, dass jetzt endlich auch erschienen ist und ich verdanke die Erkenntnis, dass eine neue Art der Beziehungen das zentrale Moment jeden Kommunismus sein muss, dem Buch „Beziehungsweise Revolution“ von Bini.

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